Tagebuch einer Trennung

Tagebuch einer Trennung - Drama in mehreren Akten

 

„Ein Akt oder Aufzug ist im Drama ein Hauptabschnitt der Handlung, dessen Schlussdurch das Fallen des Vorhangs gekennzeichnet wird.“ (www.wikipedia.de)


Beziehungen sind wichtig. Beziehungen sind was Wundervolles! Sie geben dir Kraft, machen glücklich, geben dem Leben einen Sinn. Beziehungen beruhen auf Emotionen, es sind Bindungen zu anderen Menschen, zu Kindern, zu einem Partner. Aus einer schönen Partnerschaft kann man unglaublich viel Energie ziehen. Aber das Ende einer Partnerschaft kann auch unglaublich viel Energie kosten, unglaublich viel Unglück über einen bringen. Und nicht immer kann man die Entwicklung einer Beziehung steuern. Manchmal enden sie leider in einem Drama. Und besonders dramatisch ist ein solches Ende vor allem dann, wenn es unerwartet kommt. Und es ist besonders schwierig und bitter, ein Beziehungsende durchleben zu müssen, wenn Kinder beteiligt sind. Auf dieser Seite möchte ich von meinen Erfahrungen erzählen, wie das Ende einer Beziehung aussehen kann, wenn die Trennung von einem neuen Partner ist, der nicht der Vater der eigenen Kinder ist.


Tag 1 - Sonntag


1.Akt: Der Auftakt


Ich liege auf dem Bett – weitgehend im Dunkeln, es ist sehr hell draußen und die Sonne knallt auf die Rollläden. Die Dunkelheit erzeugt automatisch eine gewisse Düsterheit – der Gefühle und Gedanken. Ich schreibe „… habe ein trauriges Gefühl“. Zu mehr komme ich nicht. Meine Tochter legt sich neben mich. „Was schreibst du denn? Kann ich mal sehen?“. Sonst interessiert sie das selten. Sie ist neun Jahre alt – kurz vor dem eigenen Handy. Medienaffin ist sie sicher, aber eigentlich wenig interessiert, wenn ich was rumtickere. Aber wenn ich die Kinder jeden zweiten Sonntag vom Vater übernehmen, dann sind die beiden eher gewöhnt, dass ich „bei der Sache bin“, dass ich geistig mehr anwesend bin. Heute ist das anders. Irgendwie spüren sie das – die Kinder und die Tiere. Die riechen das irgendwie. Irgendwas stimmt nicht. Und bei Hunden trifft es ganz sicher zu. Auch mein Hund gesellt sich zu uns. Leckt auf dem Boden stehend meine Füße ab. Schön schwitzig und salzig – herrlich eklig lecker. Ich ziehe meine Füße weg. „Leute! Könnt ihr mich mal fünf Minuten in Ruhe lassen? Ich bin gleich fertig!“. Meine Tochter rollt genervt davon und fängt an mit dem Hund zu spielen. Der Hund springt wie ein Irrer auf mein Bett, was eigentlich auf meiner Seite verboten ist. Die Stimmung eskaliert. Ich bin von meiner verwirrten Traurigkeit abgelenkt – und stehe auf. Ende des ersten Aktes von noch sehr vielen, die noch kommen werden, in einem Drama, was ich nicht erwartet habe, was ich mir nicht ausgesucht habe, was ich nicht beeinflussen konnte. Wie so meist bei Dramen in unserem Leben.

2.Akt: Die Interpretation


Er schreibt erst zwei Stunden später zurück: „das tut mir leid. Ich fühle mich gar nicht gut lass uns nachher telefonieren.“ Es sind die letzten Zeilen, die wir in unserer Beziehung miteinander austauschen werden – nach fast sechs Jahren zusammen. In diesem Moment weiß ich das natürlich noch nicht. Mir ist noch nicht bewusst, dass ich jetzt auf der großen Spielbühne des Lebens bin und Protagonist in einem großartigen Drama – in mehreren Akten. Mir ist auch noch nicht klar, dass er die Rolle des Antagonisten bekommt. Er ist der Gegenspieler der guten Heldin, mein Gegenspieler. Wir waren doch noch nie Gegenspieler! Sein Satz klingt merkwürdig. Eigentlich dachte ich, dass es nur mir schlecht geht, als ich ihm die Zeilen geschrieben habe. Ich dachte, er schreibt irgendwas oberflächlich Nettes zurück um mich zu beruhigen. „Ich fühle mich gar nicht gut“ – klingt sehr merkwürdig. Für seine Verhältnisse sehr negativ. Er ist doch der Sonnenschein. Versucht immer das Gute in der Situation zu erkennen. Ich bin sofort von meiner Traurigkeit abgelenkt – und verwirrt. Kurz nach sieben Uhr abends ist eine schlechte Zeit für mich zu telefonieren, wenn ich die Kinder übernommen habe. Ich treibe sie zum Duschen an, diskutiere über die Woche, es ist hektisch, der Hund versucht überall dabei zu sein. Ich kann echt nicht telefonieren. Aber gut. Ich setze die Kinder vor den Fernseher und sie dürfen länger schauen als sonst. Ich habe ein merkwürdiges Gefühl. Ich möchte sofort Klarheit, ich kann nicht länger warten – was ist denn da plötzlich los? Ich lege mich wieder aufs Bett im Dunkeln. Die Chancen, nun ungestört zu telefonieren sind größer. Ich erhoffe mir mindestens 30 Minuten am Stück – die Kinder sind ja beschäftigt. Ich rufe ihn an – und eröffne damit den dritten Akt.

3.Akt - 1.Teil: Das Telefonat


Er geht sofort dran, klingt normal, keinerlei Vorzeichen. Die Diskussion am Morgen fand ich etwas merkwürdig – mein Auftakt des Gesprächs. Er auch, er hat viel nachgedacht. Seine Antworten klingen nicht durchdacht und durchgeplant, eher wahllos, er greift nach Gedankenfetzen. „Immer müssen wir nach den Hausbesichtigungen streiten! Das ist anstrengend.“ – sein Auftakt. Ab diesem Moment muss ich gestehen, wird meine Erinnerung an die Situation lückenhaft. Wenn man nun ein paar Tage später Familie und Freunden erzählen möchte, was genau geschah, findet man sich im Nebel wieder. Hat er das wirklich so gesagt? Oder habe ich das gesagt oder verstanden? Habe ich was interpretiert? Was war in welcher Reihenfolge? Meine Mitmenschen wollen es schon ganz genau wissen. Ich weiß es gar nicht mehr. Kennt ihr dieses Gefühl, wenn es anfängt in den Ohren oder dem Kopf, ich weiß es gar nicht so genau, zu rauschen, zu dröhnen? Du hast dann das Gefühl, dass du plötzlich alles verzerrt und gedämmt wahrnimmst. Vielleicht ist das eine Schutzfunktion unseres Körpers. Ich habe diese Schutzfunktion gottseidank nicht oft testen müssen. Ich versuche also zu rekonstruieren, was und wie er was gesagt hat – aber sicher bin ich mir nicht. An dieser Stelle muss ich die Vorgeschichte aufgreifen, sonst wird es schwer sein, den kommenden Rest zu begreifen. Also – die Vorgeschichte – der Prolog!

Der Prolog

„Einführung zu einem Drama, zu einer Aufführung eines Dramas.“ (www.wiktionary.org)

 

Wir sind seit knappen sechs Jahren zusammen (gewesen), an das „gewesen“ muss ich mich nun anfangen zu gewöhnen. Er hat mich über eine Internetdating-Plattform angeschrieben, ich habe zurückgeschrieben, die Geschichte begann. Es war fast ein Jahr nach meiner Trennung von dem Vater meiner Kinder – ich war bereit. Nach einigen Monaten stellte ich ihm meine Kinder vor und dann folgten mehr als fünf wunderbare Jahre zusammen. Und nein, ich kann nicht sagen voller Höhen und Tiefen, da es für mich nach vielen Höhen aussieht, aber ich mich an Tiefen nicht erinnern kann. Er war das völlige Gegenteil von mir – und ich fand das wunderbar! Es war so mühsam mit dem Vater meiner Kinder, da wir so ähnlich waren und so oft aneinandergeraten sind. Mit dem Neuen lief alles wie am Schnürchen. Was will man da mehr nach einer mühsamen Beziehung und Ehe, wenn einer dich auf Händen trägt und deine Kinder ihn vergöttern. Wenn er dich auf ein Podest stellt, umgarnt und umwirbt, und das über Jahre.  Wenn er deine Kinder annimmt, sogar behauptet sie zu lieben. Wenn deine Familie und deine Freunde ihn mögen. Es läuft einfach - alles drumherum passt. Ich bin der aktive, laute, stolze, direkte, anstrenge Mensch. Er eher der passive, ruhige, nachdenkliche, empathische Mensch. Der perfekte Match – oder? Das könnte eine endlose philosophische Diskussion werden, was nun mehr passt: Ähnlich und Ähnlich gesellt sich gern, oder Gegensätze ziehen sich an – ich glaube, da gibt es kein falsch oder richtig.


Wir waren über drei Jahre schon zusammen, als der Wunsch, zusammenzuziehen immer konkreter wurde. Das Bedürfnis, einander noch näher zu sein. Das Bedürfnis, physisch mehr Alltag miteinander teilen zu können. Es ist nicht einfach im Wechselmodell mit den Wohnverhältnissen. Jeder hat für die Kinder einen eigenen vollständigen Haushalt. Der Vater hatte ein Haus, ich eine Wohnung und mein neuer Partner – nun Expartner – ein eigenes Haus, in einem anderen Ort, aber nur wenige Minuten weg von uns. Meine Ausgestaltung des Wohnmodells kennt ihr ja schon. Eine Woche sind die Kinder bei Papa, eine Woche bei Mama. In der Papa-Woche bin ich immer in das Haus meines Partners gezogen und wir haben so über Jahre sozusagen schon Wohnerfahrung miteinander sammeln können.

Aber als Patchwork-Familie zusammenzuziehen ist schon eine große Herausforderung! Seine Kinder sind schon älter, nun fünfzehn und neunzehn, meine gerade acht und zehn. Nichtdestotrotz wollte er immer ein eigenes Zimmer für jedes seiner Kinder, ganz egal ob die nur wenige Male im Monat überhaupt bei uns waren oder nicht. Ich habe es verstanden. So habe ihn so gekannt und geliebt – er liebte seine Kinder. Er war ein absolut liebenswerter Mensch für meine Kinder. Natürlich sollten die Kinder immer wieder zu uns kommen können, auch später nach dem Ausziehen, zur Besuch. Irgendwannmal auch mit ihren Familien, mit unseren Enkelkindern. Natürlich wäre es toll, ein großes Haus für alle zu finden. Toll, aber niemand hat EINFACH gesagt.


Wir haben uns wund gesucht und das locker über mindestens zwei Jahre. Der Markt war leergefegt, die Preise gingen ins Unermessliche. Aber wir haben gesucht und gesucht, unsere Ansprüche teils gesenkt, teils aber irgendwie doch erhöht im Laufe der Zeit. Ich hatte eher das Gefühl, dass wir anspruchsvoller wurden von Monat zu Monat. Und währenddessen ging fas Leben weiter. Der Alltag war nach wie vor harmonisch. Der Umgang liebevoll. Aber ja, natürlich, was soll ich denn anderes schreiben! Ich schreibe ja gerade meine Empfindungen auf – nicht seine! Ich kann nun mal nur aus meiner Perspektive erzählen und mich bemühen, seine zu verstehen. Nun versuche ich sehr viel zu rekonstruieren – und die Geschichte auch aus seiner Sicht zu sehen.

Leider ist es nun mal so, dass ich da viel raten muss und tatsächlich selbst akribisch rekonstruieren muss. Weil obwohl wir viel, sehr sehr viel geredet haben, waren das doch allgemeine Weltthemen, es war über uns bekannte Menschen, über unsere Kinder, über unsere Expartner, über Politik und Wissenschaft und und und – ach ja, und natürlich über meine Gefühle! Ich habe kein Problem über meine Gefühle zu sprechen, es sprudelt so heraus. Und ich hatte auch kein Problem, nach seinen Gefühlen zu fragen. Ich versuche und versuchte alles zu analysieren, alles richtig einzuordnen. Ich habe schon ein gutes Gespür, dachte ich zumindest. Ich habe ihm zwar seine Gefühle immer aus der Nase ziehen müssen, aber ich habe mich damit arrangiert. Er war für mich nach wie vor der Mensch, der unfassbar viel wusste und es auch unglaublich toll und witzig in Worte fassen konnte – alles! Außer seinen eigenen Gefühlen! Aber – wenn ich nun mal das Gefühl habe, es ist alles ok, dann muss ich auch damit leben, dass ich nicht 100% alles weiß und verstehe, was er empfindet. Und ganz ehrlich – wie jede Frau habe ich das sichere Gefühl gehabt, dass ich ihn bekehren und glücklich machen kann. Das ich das Beste seit geschnitten Brot für ihn – und wahrscheinlich jeden Mann bin. Dass er sich doch glücklich schätzen kannt, mit mir zusammen zu sein. Ich weiß, mir fehlt es nicht an Selbstbewusstsein. Da kann der Mann doch gar nichts verkehrtes denken und insbesondere fühlen – mit so einer großartigen Frau! Und wie toll ich hier und da war, das sagte er mir doch auch ständig. Daher habe ich die Analyse seiner Gefühle zwar von Zeit zur Zeit versucht durchzuführen, aber eher mit dem Ziel, ein wichtiges Thema zu verstehen – die Heirat! Wie stand er denn so dazu?

Und jetzt muss ich mich positionieren als alt und verkrustet – was ich immer im Witz zu ihm gesagt habe. Ich bin sehr klassisch drauf – ich mag die Ehe! Ich halte viel vom Ehebund – es ist nicht veraltet überholt und überflüssig. Es ist für mich nach wie vor der größte Liebesbeweis, den es gibt. Es ist das Comittment, eine Verpflichtung, ein Sich-Einlassen auf einen anderen ganz besonderen Menschen, der einzigartig für dich ist. Es ist der Ausdruck, dass zwei Menschen sich gefunden haben. Es ist der höchste Ausdruck der Gefühle, wenn ein Mann auf die Knie geht und dich um deine Hand bittet. Und es ist mir egal wieviel Klischee in dieser Vorstellung liegt. Ich bin romantisch drauf und ich wollte immer diesen einen Moment mit ihm erleben. Und ja, es ist auch unfassbar romantisch und emotional, wenn ein Mann ein Kind von dir möchte. Und ja, es ist noch bindender und sicherlich auch sehr sehr viel Wert. Aber dieses Thema war doch bei uns schon durch – scheinbar.


Einmal, da waren wir vielleicht noch keine zwei Jahre zusammen, da erzählte er mir im Restaurant eine Geschichte. Einer Sage nach soll Zeus die Menschen geteilt haben, die eins eine Einheit gewesen sind. Wir verbringen nun unser ganzes Leben lang damit, unsere andere Hälfte zu finden, um vollständig und damit glücklich zu sein. Den Mythos könnt ihr unter „Kugelmenschen“ in Wikipedia nachlesen. Seine fehlende Hälfte hatte er nun in mir gefunden! Diesen Abend werde ich nie vergessen. Ich war auf Wolke sieben, nein, eigentlich höher, es war gar nicht in Worte zu fassen, wie hoch. Diese Formulierung brannte sich bei mir ein. Ich war seine fehlende Hälfte! Damit gab es doch gar keinen Grund, weiter zu suchen. Oder?

Oder auch doch. Ich wartete und er wartete. Ich hatte nie verstanden, warum eigentlich. Jahre vergingen. Wir waren drei Jahre zusammen, dann vier – und es passierte nichts. Die Beziehung war perfekt. Und jetzt im nachhinein, konnte er nichts an der Beziehung aussetzen zum damaligen Zeitpunkt. Aber offensichtlich war ich mehr zur Ehe und Bindung bereit als er. Dazu muss man sagen, dass er im Gegensatz zu mir, nie verheiratet gewesen war. Die Beziehung zu der Mutter seiner Kinder war eine reine Katastrophe! Eine on-off-Beziehung, die ihm und wahrscheinlich allen Beteiligten viel Leid gebracht hat. Er hatte sich also noch nie überwunden und noch nie eine Frau gefunden, mit der er diesen Schritt gehen wollte. Ich dachte, ich muss ihn einfach nur reifen lassen. Ich muss ihm Zeit geben. Ich muss warten. Und ich wartete und wartete. Und nein, er war nicht prinzipiell gegen die Ehe aus irgendwelchen greifbaren Gründen. Er fand sie nicht grundsätzlich überflüssig. Ansonsten hätte ich mich gleich mit der Tatsache arrangieren müssen, dass er eine ganz bestimmte feste endgültige und vor allem greifbare Meinung gegen die Ehe hatte. Nein, das war definitiv nicht der Fall nach vielen Gesprächen zu diesem Thema. Sonst wüsste ich ja, worauf ich bei ihm bin. Ich könnte gleich transparent entscheiden, ob dieser Mann auch ohne Ehe für mich der Richtige war oder nicht. Und ich denke, ich hätte das akzeptiert, hätte er mit offenen Karten gespielt und die Ehe unabhängig von mir einfach grundsätzlich abgelehnt. Aber das tat er nicht, also alles gut, einfach weiter warten.

Ein Urlaub war besonders schön – und hart. Wir waren ungefähr zweieinhalb Jahre zusammen und waren das erste Mal auf Mauritius. Es war so wunderschön, die Natur, das Wetter – unsere Gefühle! Es war alles perfekt. Ich lauerte den ganzen Urlaub wie eine Blöde. Ich war mir zu 80% sicher, es muss doch hier geschehen. Wir waren uns noch nie so nah, so zum Greifen nah, so perfekt – und Zack, wir flogen nachhause und nichts ist geschehen. Ich schluckte tief und fand mich damit ab. Es war zu früh, nur zweieinhalb Jahre, viel zu früh. Aber - immer, wenn ich von Paaren hörte, die noch früher heirateten – dann traf es mich ab da immer wie ein Blitz. Jahr für Jahr verging, und es passierte nichts. Alles, was mit Ehe zu tun hatte, die ganze Thematik entwickelte sich langsam zu einer offenen Wunde bei mir. Jedesmal wenn dieses Thema irgendwo aufgegriffen wurde, fühlte ich 1000 kleine Stiche. Aus dem Kratzer wurde eine Wunde und diese begann zu bluten, sich schließlich zu entzünden.


Die ersten Jahre wartete ich. Dann versuchte ich mich diskret durchzufragen, was er von Ehe denn so hielt und ob und wann es denn so theoretisch für ihn relevant werden könnte. Ganz viele vielleicht und wenn, zartes vorsichtiges nachfragen, ja um nicht zu forsch zu klingen, ihm zu nah zu kommen. Ich wollte mich natürlich auch nicht anbiedern. Und auf gar keinen Fall wollte ich ihn selbst um seine Hand bitten. Hallo! Ich bin nicht so modern. Das ist immer noch eine hoch männliche Angelegenheit, die Frau auf dem Knie um ihre Hand zu bitten. Er hat mal angedeutet, dass für ihn die Reihenfolge so wäre: ein gemeinsamer Haushalt, dann Heirat. Ich glaube ein einziges Mal konnte ich durch diskretes Nachfragen diese Info ihm entlocken und dann – passierte wieder nichts, weder Haus noch Heirat.

In meinen Visionen und Träumen war ich schon 100mal mit ihm verheiratet – davon wusste er nur nichts😊 Ich heulte Freudentränen der romantischen Rührung, wenn ich wiedermal im Auto zu ihm fuhr, ein bestimmtes besonderes Lied anhörte und mir vorstellte, wie er im schwarzen Smoking vor dem Altar auf mich wartete. Mit Tränen in den Augen, in deinen wunderschönen großen blauen Augen. Der Augenblick gehörte nur uns. Wir sahen niemanden außer uns trotz der vielen Gäste um uns herum. Ich bin ein Twilight-Fan, ich muss mich outen! Er war mein Edward! Nicht Jacob. Nicht der heißblütige Latino Werwolf, das war nicht seine Art. Er war mein Edward! Er hatte mich auf ein Podest gestellt, mich auf Händen getragen, war edel und einbisschen altmodisch. Und das wichtigste von allem, er hat mich doch so sehr geliebt! Solche heftige Anfangszeit einer Beziehung, solche einfach nur unbeschreibliche Verliebtheit hatte ich noch nie gehabt. "Alle Zeit der Welt mit dir wäre nicht genug, aber beginnen wir mit für immer". Ich war mir sicher, dass ich diesen Satz irgendwann mal hören würde von diesem wunderbaren Menschen! Wenn ich diese Zeilen schreiben gehe ich weitgehend wieder in den flüssigen Zustand über, die Buchstaben verschwinden. Diese Vision als höchste der Gefühle trug ich im Herzen mit mir – und wartete und wartete, es war doch nur eine Frage der Zeit. Warten ist nicht meine Stärke. Geduld existiert bei mir generell irgendwie biologisch nicht. Aber dieses eine Thema ist das aller einzige in meinem ganzen Leben, was ich nicht beschleunigen konnte durch irgendeine Aktivität von mir. Einfach durch gar nichts. Einfach abwarten, die Hände im Schoss falten und warten. Lieb und nett schauen – und darauf vertrauen, dass er mich vom Herzen liebt und es nur eine Frage der verdammten Zeit ist.

Irgendwann mal fiel mir das Warten immer schwerer. Vier Jahre waren schon vergangen. Ich lass wie eine 16-Jährige im Internet nach, in Foren. Was ist denn so normal bei den Leuten? Nach welcher Zeit machen es denn die meisten. Wann sollte man sich Sorgen machen? Dann habe ich einen Artikel gefunden, um die Infos wiederholten sich auch auf anderen Webseiten, dass man nach vier Jahren einen Menschen weitgehend kennt, mit dem man zusammen ist. Danach kommt nichts mehr überraschend Neues. Die Verliebtheit vom Anfang ist vorbei. Es kommt die Liebe. Diese richtet sich dann dauerhaft ein, wenn man Glück hat. Und dann kann man auch beschließen, den Rest des Lebens miteinander zu verbringen. Zumindest weiß man dann alles nötige über den anderen, um diese Entscheidung treffen zu können. Diese Zeit hatten wir hinter uns. Er kannte und wusste alles über mich – und es geschah – nichts! Ich tröstete mich damit, dass wir einfach keine 30 mehr sind. Dass wir beide Kinder haben und in verschiedenen Haushalten wohnen. Dass das für ihn einfach nicht richtig war, in verschiedenen Haushalten zu wohnen und dann verheiratet zu sein. Das gehörte sich so einfach nicht, also mussten wir einfach zuerst zusammenziehen. Das war einfach seine Reihenfolge – das war die richtige Reihenfolge, so würden wir das ganz bestimmt irgendwannmal machen – wenn ich alt und grau bin. Der Zusatz drang sich mir immer häufiger auf. Aber dann hatten wir eine Ablenkung im Leben eine traurige, eine schöne, ich weiß es in Summe gar nicht, am Ende eine ziemlich elendige – eine Schwangerschaft.

Es war nicht geplant, um Gottes Willen, falls ich Gott in diesem Zusammenhang überhaupt erwähnen darf. In den ersten zwei Jahren haben wir schon mal darüber gesprochen und nachgedacht. Ich wusste, dass er keine Kinder mehr wollte. Klar, er warst fast 50 damals. Seine Kinder waren schon fast erwachsen. Die Zeit miteinander, die Urlaube, der Alltag, alles war so schön und vollkommen – ich habe doch eigentlich keine gemeinsamen Kinder vermisst. Und alles wäre doch viel komplizierter gewesen, wenn ich meine Kinder hätte und er seine und dann noch ein eigenes – Hallo! Fünf Kinder! Da kriegst du doch eine Gänsehaut vor der Komplexität des Konstrukts. Ich mache gerne Konstrukte und mein Wechselmodell mit meinem Ex läuft doch super! Es klappt alles, alle sind zufrieden, das Modell ist aufgegangen. Megaglücklich sieht anders aus, das ist mir klar. Aber man kann nicht alles haben. Also hätten wir doch locker auch das fünfte Kind integrieren können. Aber er war von der Idee nicht begeistert. Er war generell wenig von irgendeiner Idee von mir begeistert, aber weil es einfach nicht seinem Wesen entsprach, solch starke Gefühle zu äußern. Daher nahm ich das einfach mal so hin. Ab und zu mal, wenn die Liebe zu ihm wieder komplett überschwappte und ich platzen konnte vor lauter Gefühl, habe ich mir ein Kind gewünscht. So sehr gewünscht. Ich wollte ihm so gerne etwas schönes gemeinsames von mir geben. Ihm ein Kind schenken, was wir beide nicht Woche für Woche wegschicken mussten. Das hat ihn traumatisiert, seine Kinder nicht haben zu können, nichts in der Hand gegen seine Ex zu halten. Er hat seine Kinder vermisst, alles für sie getan, war der beste Vater, denn man sich vorstellen konnte. So wahnsinnig gerne hätte ich ihm ein Kind geschenkt, genauso meine ich das geschenkt, was nur uns gehört, was seine Augen hat, seine und meine Intelligenz. Was haben wir philosophiert, welch cleveres Kind das geworden wäre! Von uns beiden – der Hammer! Das Aussehen und die Intelligenz in der Kombination – der nächste Nobelpreis! Aber dann geschah es – und die Spirale ist verrutscht – und der Nobelpreis war zum Greifen nah!

Die Periode kam einfach nicht. Ich dachte mir nichts dabei. Ich war gerade 40 geworden – wer weiß, was dem Körper so eingefallen ist – vielleicht die verfrühte Menopause. Unwahrscheinlich, aber nicht unrealistisch. Ich machte einen Test – positiv. Ich machte noch drei weitere Tests – positiv durch und durch. Ich war sprachlos. Ich war ungläubig. Am nächsten Tag habe ich mir einen Termin beim Frauenarzt erjammert, ich konnte es nicht fassen und glauben. Ich habe ihm bis dahin noch gar nichts erzählt, da ich von einem Versehen meines Körpers und des Tests – von was auch immer – ganz fest ausging. Der Arzt bestätigte meine vier Schwangerschaftstests. Ich war seit ca. sechs Wochen schwanger – trotz Spirale, die meine Frauenärztin mit dem Finger rausziehen konnte, die leider sich sonst wo befand, aber nicht am Ort des Geschehens und das Geschehene nicht mehr verhindern konnte.


Eine unbeschreibliche Flut von Gefühlen erfasste mich. Jeder, der das schon mal erlebt hat, weiß was ich meine. Die Aussicht, mit dem geliebtesten Menschen der Welt ein Baby zu bekommen! Und nun mussten wir nichtmal diskutieren. Die Entscheidung war uns abgenommen worden. Das Baby war schon unterwegs! Klammheimlich eingeschlichen – aller Absprachen und Pläne zum Trotz! Wisst ihr, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, in unserem Alter noch ein Kind zu zeugen? Die Spirale muss in den letzten Wochen verrutscht worden sein und schwupp, war ich schwanger! Was für ein Schicksal! Was sollte uns diese Gegebenheit nur sagen? Unglaublich. Ich heulte mir die Seele aus dem Leib, als ich zu ihm gefahren bin. Ich kann mich an den Tag noch genau erinnern, obwohl das nun einige Jahre her ist. Er hatte eine Telco im Home Office. Ich kam rein und als er mein Gesicht gesehen hat, hat er sofort aufgelegt. Er wusste schon, dass ich zum Frauenarzt fahren wollte. Allein die Tatsache, welcher Arzt das war, hat für die Vorahnung gereicht.


Oh man – haben wir viel geweint auf dem Sofa uns in den Armen haltend. Versucht, die Lage zu rekonstruieren, Visionen ausgetauscht, wieder geweint. Ich hätte so wahnsinnig gerne ihm dieses Kind geschenkt. Ein Kinder der Liebe! Seine beiden Kinder waren nicht geplant gewesen. Die Beziehung laut ihm war eine reine Katastrophe und die Mutter seiner Kinder hatte sich – ja nicht ohne sein Zutun – selbst zur Mutter gemacht. Sie hat die Entscheidung getroffen und das zweimal. Und ja, er wusste, wie Kinder gezeugt werden. Er war so naiv! Die Frau hat ihn komplett übergangen und ihn vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich wollte ihm so was niemals antun! Ihm einfach jegliche Entscheidung abnehmen. Ihn machtlos daneben stehen lassen. Ich könnte doch so etwas einem Menschen nicht antun, den ich über alles liebte. So sehr hätte ich mir gewünscht, dass es klappt. Und ja, ich habe so viele Probleme gesehen!

Ich war gerade 40 geworden, damit eine Risikoschwangerschaft. Wir wohnten nicht zusammen – wie sollte das denn gehen? Mit dem Kind zwischen zwei Haushalten ständig hin und herfahren? Und wir waren nicht verheiratet! Finanziell wäre es ebenfalls extrem sportlich gewesen, da wir nicht als Ehepaar steuerlich davon profitiert hätten, dass ich wenig oder kein Einkommen habe, wenn ich zuhause mit unserem Baby bin. So viele Gründe, die dagegensprachen. Aber eine solche Sehnsucht, dieses Baby zu bekommen! Ich habe mich für die Liebe und gegen unser Baby entschieden. Hätte er nur ein Wort gesagt, dass er möchte, ich wäre sofort dabei! Er war aber nur dagesessen, hat meine Hand gehalten, mit mir geweint und alles bedauert. Und ganz tief im Inneren hat er inständig gehofft, dass ich die richtige Entscheidung treffe und das Baby nicht behalte. Ich bin auf ihn eingegangen. Ich habe beschlossen, das Baby ihm zur Liebe wegzumachen. In dunklen Momenten habe ich das „auskratzen“ genannt, wenn es wiedermal so weh tat, die Erinnerung übermächtig wurde. Ich wusste, dass es auch ihm wehtat, aber ich konnte das nicht lassen. Mein Schmerz war größer! Es war mein Körper.


Der erste Versuch der Abtreibung – ja es gab mehrere Versuche – hat leider nicht geklappt, was wir erst Monate später erfahren haben. Der Eingriff verlief unauffällig, die körperlichen Schmerzen waren zu ertragen. Die seelischen weniger. Er war für mich da, hat mich getröstet. Ich dachte, es reicht mir. Ich wusste, er leidet genauso, so schien es zumindest. Ich dachte, wir haben das hinter uns. Ich habe mich geirrt. Nach dem Eingriff hatte ich merkwürdige Blutungen bekommen. Meine Migräne, die schon sowieso arg wütete, wurde noch schlimmer. Ich fühlte mich einfach nur merkwürdig. Wenn man seinen Körper kennt als Frau, dann spürt man irgendwannmal, dass was nicht stimmt. Es war so. Drei Monate nach dem ersten Eingriff stellte meine Frauenärztin fest, dass noch Gewebereste, ja auch Babyreste dramatisch formuliert, in meinem Körper waren. Winzig, aber ausreichend, um meinen ganzen Stoffwechsel und was auch immer total durcheinander zu bringen. Also – der zweite Versuch! Wieder die gleiche Prozedur von vorne. Wieder ein Krankenhaus, ein Eingriff. Diesmal die Hoffnung, dass es erfolgreich ist. Der gesamte Abtreibungsprozess kostete mich und uns in Summe sechs Monate der Ungewissheit, des seelischen Leids, der körperlichen Schmerzen auf meiner Seite - sechs Monate des Elends! Ich habe das nie verkraftet. Ich dachte es, wirklich! Ich dachte, ich bin eine starke Frau. Es war unsere Entscheidung. Es war die richtige.

Ich denke im Nachhinein, dass ich dieses Leid unterschätzt habe. Meine Mädels bewundern immer, wie ich mit Krisen umgehe, von deinen es leider oft welche in meinem Leben gibt. Ich dachte, ich bin darüber hinweg. Ich schaffe das. Ich kann mich abgrenzen, es hinter mir lassen. Der geliebte Mensch an meiner Seite war doch da. Es war doch so wundervoll mit ihm. Wir würden alles schaffen. Aber ich habe nicht erkannt, dass die bis dahin perfekte Fassade zu bröckeln begann. Ich wollte mir auch nicht eingestehen, dass ich immer noch so verletzt und traurig war. Was hätte ich dafür gegeben, dass er zu diesem Baby JA sagte, zu unserem Baby.


Ich wusste aber auch, dass mir ein anderes JA gereicht hätte, dieses JA hätte mir geholfen, alles gelöst. Ich wollte ein Zugehörigkeitsgefühl zu ihm, ein Baby wäre das! Das Zusammenziehen wäre das. Die Heirat wäre das. Wie sehr hatte ich damals mir gewünscht, dass er mir endlich diesen Antrag macht. Wir waren damals genau vier Jahre zusammen. Wir liebten uns, wir kannten uns in und auswendig. Was fehlte ihm denn nur? Die Wunde in meinem Bauch und meinem Herzen hätte er mit dieser kleinen bedeutenden Frage heilen können. Das NEIN zum Baby war auch ein NEIN zu einer Gemeinsamkeit, es wäre das von mir lang ersehnte Commitment zu mir gewesen. Ich hätte auch ein anderen Commitment akzeptiert und gebraucht. Ich habe wieder gewartet, diesmal nicht mehr stolz und stark – sondern zutiefst verwundet! Mit wortwörtlich blutender Wunde habe ich gewartet, bis er die lang ersehnte Frage stellt. Aber es kam nichts. Weitere schöne Tage folgten, weitere wunderschöne perfekte Urlaube, gemeinsame Feiertage, und und und. Und zwischen uns ging es nicht mehr weiter voran. Wenn ich ganz genau darüber nachdenke, habe ich mich zu diesem Zeitpunkt begonnen, zu distanzieren, mich innerlich zu schützen. Ich habe sein Zögern, sein Abwarten nicht mehr verstanden. Ich dachte immer, er will das Baby einfach nicht in dieser Lebensphase, das hätte ich verstanden. Aber manchmal kamen auch die Zweifel, dass er mit mir einfach kein Kind wollte, weil er sich der Beziehung nicht sicher war. Dann passte natürlich auch kein gemeinsames Baby!

Wir stagnierten – aus meiner Sicht ein schlimmer Zustand. Vier Jahre zusammen. Immer noch besuchte ich ihn als Gast in seinem Haus, als seine Freundin, ich besuchte ihn und ging zurück zu meinen Kindern. Ich bildete mir ein, dass es reicht. Ich versuchte, weiter zu machen. Es schien machbar. Und wir hatten doch tatsächlich endlich das Traumhaus gefunden, was wir haben wollten und uns leisten konnten. Wir waren da, es war zum Greifen nah und wir haben mit den Verkäufern gesprochen. Die Frau arbeitete in der gleichen Firma, was für ein Zufall! Das war doch bestimmt Schicksal! Und dann kamen andere und haben den Zuschlag bekommen, einfach so. Sie hatten mehr geboten, wir waren raus. Die Fassade bröckelte weiter! Meine Enttäuschung saß so tief, ich konnte nicht mehr. Die Babywunde war noch so frisch, nun kam der nächste Schlag und es ging weiter - dann kam der Krieg!


Ab Tag eins stand ich bei uns im Dorf zum Helfen bereit. Ein kleiner Verein hat sich gegründet, der Hilfslieferungen organisiert hat – und ich wurde Teil von ihm. Vor Ort haben wir die Geflüchteten mit Kleidung, Haushaltsgegenständen und vor allem Übersetzungen unterstützt und tun es immer noch. Ich war mit Leib und Seele dabei. Es war eine unfassbar emotionale Zeit. Ich war in einem emotionalen Ausnahmezustand. Es waren doch irgendwie meine Leute, meine Sprache. Es ging mir so nah! Diese Bilder, dieses Elend. Es passte durch Zufall ideal, dass ich zu dieser Zeit mir unbezahlte Elternzeit genommen hatte, bevor meine Tochter acht wurde. Diese vier Wochen wollte ich eigentlich dafür nutzen, in unser neues zuhause einzuziehen. Aber das Haus ging ja an uns vorbei, ich musste mich ablenken.


Also habe ich mich voller Eifer in diese Unterstützung gestürzt – mit Leib und Seele! Und ich habe viel Energie. Mir reicht es nicht, nur ein Rädchen im Getriebe zu sein. Ich bin das Getriebe, ich mache das Konzept dafür und entwickle Prozesse. Ich habe eine Gruppe in WhatsApp gegründet mit freiwilligen Übersetzern vor Ort, die helfen konnten. In der gemieteten Halle habe ich eine Kleiderkammer aufgebaut mit Kleidung und Haushaltsgegenständen. Über 200 Leute in der Verbandsgemeinde haben wir begleitet und tun das immer noch – aus vollster Überzeugung!


Er war stolz auf mich, oh ja. Immer wieder hat er meine Energie bewundert, meine Leidenschaft. Und ich habe mich auf diese Abwechslung gefreut! Mit Ausbruch des Krieges ist der Kreditzins bekannterweise in die Höhe geschossen. Vor lauter Unsicherheit blieb der Häusermarkt leer. Wir haben überhaupt keine Besichtigungen mehr gehabt. Ergo – konnte ich mich auf mein Projekt konzentrieren und alles geben – für eine gute Sache, für Menschen – wie wertvoll ist das denn!

Und ich habe diese Ablenkung so gebraucht! Denn ich habe nie aufgehört zu rechnen. Im März damals wäre unser Baby auf die Welt gekommen! Ganz knapp wohl auch ein kleiner Widder, wie meine Kinder. Ich hätte auch Windeln wechseln können, aber stattdessen verpackte ich diese Windeln für Hilfslieferungen. Es tat weh und lenkte ab und ich machte weiter. Ich habe meine ganze Energie darauf verwendet, diesem Verein zu helfen und JA, ich weiß, vieles blieb auf der Strecke! Ich habe weniger Zeit gehabt für meine Kinder, für Ausflüge und auch fürs Lernen. Mehrmals die Woche stand ich in dieser Halle und verpackte und räumte und organisierte. Und JA, auch ihn habe ich vernachlässig, meinen geliebtesten Mann auf der Welt. Er hat mich unterstützt ja, aber wir hatten nun mal weniger Zeit miteinander. Er hat sich nicht beklagt, irgendwannmal später ja, aber ganz sachte und vorsichtig, so wie er nun mal war. Wir waren in dieser Zeit auch eine Woche im Urlaub – naja, wenn man das so nennen konnte. Ganz offiziell ja, wir waren auf Rhodos. In Gedanken war ich aber zuhause, bei meinen Flüchtlingen

. Auf dem Bootsausflug habe ich für die Leute wichtige Medikamente für Kinder zusammengestellt, da mehrere Kleinkinder an furchtbarem Durchfall mit Erbrechen erkrankt waren und ich den Eltern die freiverkäuflichen Medikamente klar machen musste, so als Hobby Apothekerin. Ich war so eingebunden in diese Hilfe, dass ich dich neben mir kaum bemerkte. Und wisst ihr was! Ich war mir SOOO sicher, dass unsere Beziehung dem standhält. Hallo! 4,5 Jahre wunderschöne Zeit, keine Streits, Friede Freude Eierkuchen. Da kann man doch eine Durststrecke verkraften!

Mit der Zeit hat sich mein Einsatz reduziert und der normalere Alltag kehrte ein. Es war und ist leider nicht absehbar, dass der Krieg vorbeigeht. Irgendein Alltag musste ja einkehren. Und unsere damalige Aufgabe der Häusersuche kam wieder zurück. Die Zinsen sind zwar gestiegen, aber die Preise waren nicht genug gefallen. Wir fingen wieder mit den Besichtigungen an – ein Haus nach dem anderen. Irgendwie passte ihm nie was. An jedem Haus hatte er was auszusetzen. Es war zu klein, es war zu alt und der Klassiker – es war zu teuer. Am Anfang haben wir noch ältere Häuser angeschaut mit viel Renovierungsbedarf. Irgendwannmal haben wir beschlossen, dass sich das nicht lohnt, da wir beide nicht so viel Zeit reinstecken wollten und konnten mit Job und Kind. Wir haben Häuser mit nur fünf Zimmern angeschaut, aber irgendwannmal beschlossen, auch diese wegzulassen, da wir wegen der vier Kinder auch mindestens sechs Zimmer benötigt haben. Dein fester Wunsch war es, dass deine Kinder auch einen Platz im gemeinsamen Haus hatten – das war ja fair, auch wenn sie an weniger als vier Tagen im Monat bei dir waren. Immerhin war deine Tochter 18, machte das Abi und sollte ja demnächst komplett ausziehen. Aber egal – jedes Kind sollte ein Zimmer bekommen. Also suchten wir weiter. Wir haben sehr teure Häuser angeschaut, aber die gestiegenen Zinsen hätten uns das Rückgrat gebrochen – laut ihm. Naja, er könnte ja sein Haus verkaufen – fragte ich, warum auch nicht? Seine Reaktion war wechselhaft. Anfangs war es ja nicht nötig, die Zinsen waren noch gering. Dann hattest er sich mit Finanzmodellen beschäftigt, die andere Finanzierungsmethoden beinhalteten. Dann plötzlich kam die Idee vom Bausparvertrag auf. Dann wurde diese verworfen. Dann hat er argumentiert, dass das Haus emotional war, da seine Kinder hier aufgewachsen sind. Dann wechselte die Argumentation von weniger emotional auf rational – das Haus wäre ja im Wert gesunken und besser zum Vermieten gewesen. Würde sich mehr lohnen. Bei diesen Überlegungen war ich schon außen vor. Es hat mich gewundert, es hat mich verletzt. Er war irgendwie alleine mit diesen Überlegungen beschäftigt.

Wir schauten und schauten weiter. Das Leben ging weiter. Das Leben ging vorbei. Unsere Kinder wurden größer und größer. Ich schaute das traurig von der Seite an. Ich wollte doch sie gemeinsam aufwachsen sehen! Miteinander. Als richtige Familie. Wie sehr habe ich mir das gewünscht – eine richtige Familie zu sein mit einem Zuhause. Alle Kinderabstimmung wäre einfacher. Wir müssten uns nicht danach richten, wann er die Kinder erlaubt bekommt oder nicht. Gemeinsam am Tisch essen, alle zusammen. Ein Teil von deren Leben sein. Das zog alles an uns vorbei. Warum kann man das nicht in zwei Haushalten machen, würde sich der aufmerksame Leser fragen. Oh ja, kann man, klar. Das haben wir auch ab und zu gemacht. Aber es ist mühsam, alles immer planen und einrichten zu müssen. Da fällt es schon mal runter einfach aufgrund der Komplexität. Er musste noch das Meeting zuende machen am Freitag Abend, schnell die Kinder abholen. Meine Kinder essen viel früher, gegen 18 Uhr. Seine sind größer, da ist 20 Uhr völlig normal oder später. Das alles über zwei Haushalte zu vereinbaren – sehr kompliziert. Ja machbar, aber sehr kompliziert. Ich habe einfach gewartet. Unsere Lebensplanung war schon kompliziert genug, ich hatte einfach nicht mehr Kraft zu mehr. Ich dachte, es ist doch nur eine Frage der Zeit. Wir sind doch bald zusammen. Bald wird es schon klappen mit dem gemeinsamen Haus, und dann können wir es richtig machen. Das schaffen wir bis dahin. Dann warten wir halt noch etwas und dann gibt es die gemeinsamen Mahlzeiten und Ausflüge und und und. Ich muss nur warten. Ich habe wirklich viel Zeit mit Warten verbracht. Das Warten belastet. Es belastete immer mehr.


Ich habe mich gefühlt wie ein Taucher – Luft anhalten und schwimmen, einfach weiter, gleich ist es vorbei, gleich kannst du wieder Atmen, noch nicht jetzt, jetzt musst du durchhalten, nicht links und rechts schauen, nicht ablenken lassen, das Überleben zählt, einfach weiterschwimmen, gleich hast du es geschafft, dann kannst du wieder atmen – dann kannst du wieder Leben! Das, was ich mache, mache ich mit 100% - Energie, Leidenschaft, Committment. Ich will es richtig machen, ich will es schnell erreichen. Ich verwende mein ganzes Tun und Denken dafür, dieses Haus zu suchen. Meine ganze Kraft. Alles andere bleibt auf der Strecke. Alles. Leider alles und jeder. Das Ziel verselbständigte sich. Das Ziel verliere ich nicht aus dem Auge – aber alles links und rechts, jeden links und rechts. Und dabei vergesse ich, wofür überhaupt das Ganze!? Zu welchen Zweck? Für wen? Doch eigentlich alles für uns! Wie konnte ich nur das UNS dabei vergessen.

Und dann belastete mich die Reaktion unseres Umfeldes. „Ihr sucht immer noch?“ – kam es immer öfter. Ich hatte gute Argumente. Wir haben noch nicht das Richtige gefunden. „Wie alt sind denn seine Kinder?“, war eine der Hauptfragen. „Ach, dann ziehen sie doch eh bald aus, warum noch ein eigenes Zimmer?“. Und auch diese Frage habe ich beantwortet – er war ein toller Vater, ihm war es einfach wichtig. „Aber dann ist es ihm wichtiger, als mit dir zusammen zu leben?“ – das war dann keine Frage mehr. Das war eine sehr schmerzhafte Anmerkung von einige Mitmenschen. Manche formulierten das höflicher. Aber das klang dann immer durch. Und es schmerze und schmerzte. Nicht besser waren anders geartete Fragen nach unserer Beziehung. „Na wie geht es dir und ihm. Du bist noch mit ihm zusammen oder?“, waren Fragen von Menschen, mit denen ich nicht so eng und nicht so oft Kontakt hatte. Hallo? Wir waren doch schon jahrelang zusammen! Fragte man jemanden, der verheiratet war, ob man denn NOCH verheiratet war oder schon geschieden? Hä? Warum dann bei einer Beziehung, einer Partnerschaft? Es ist doch nicht so, dass ich ständig Neue hatte. Diese Frage kam selten, aber hat mich hochgradig irritiert und maßlos geändert. Sie hat mir meine Situation immer wieder sehr deutlich vor Auge geführt.


Mit jedem umsonst angeschauten Haus kamen die Fragen. Die Blicke waren schlimmer, da waren wir schon die Fragen lieber, auf die ich antworten konnte. Es nagte an mir, die Zweifel wuchsen. Warum war er so unnachgiebig? Warum werden die Kriterien eher enger als weiter formuliert? Und die Hauptfrage – ja will er denn überhaupt noch wirklich mit mir zusammenziehen? Das war die bitterste Frage, die sich mir immer häufiger stellte. Will er denn überhaupt noch? Bilde ich mir ein, dass es irgendwie danach aussieht, dass er Zeit schinden will? Worauf wartet er denn noch?

Aus dieser Frage wurde dann, will er denn überhaupt noch mich? Will er ein UNS? Ist unsere Beziehung noch gesund? Ich wurde misstrauisch. Und JA, wir hatten Diskussion nach jedem Haus. Je mehr Häuser dazu kamen, desto mehr Diskussionen folgten. Die Diskussionen verzehrten uns. Sie vergifteten die Stimmung. War das Streit? Nein, nicht wirklich. Es waren eher stumme oder weniger stumme Vorwürfe in Monologform von meiner Seite. Er hatte manchmal Argumente, manchmal schwieg er einfach. Hat gewartet bis das Gewitter vorbeizieht. Sonnenschein kam ja immer wieder. Aber nach und nach siedelten sich unsere Gefühle wohl immer eine Ebene tiefer ein. Im Nachhinein sage ich „unsere“, damals dachte ich, dass es nur mir so geht. Ich war doch nicht schuld! Ich war einfach nur so zu tiefst enttäuscht nach und nach. Ich musste das doch loswerden. Ich dachte aber, dass er einfach zu kritisch ist, zu viel rumkritisiert an diesen Häusern. Er hatte doch auch den Wunsch, mit mir, seiner Traumfrau zusammenzuziehen. Ich war mir seiner Wünsche doch so sicher, dachte ich. Wir wollten doch das gleiche!


Nur ganz ganz selten zwischendurch kamen mir die Zweifel. Manchmal dann, wenn Kommentare von der Seite kamen von Freunden oder der Familie. Es nagte dann wieder an mir. Und dann kam das Thema mit der fehlenden Heiratsabsicht. Ich dachte mir die ganze Zeit verzweifelt, dass er diesen Wunsch bei mir versteht und nachvollziehen kann. Wenn denn schon nicht das Haus, was wir nicht direkt beeinflussen können, dann doch wenigstens diese Absicht von ihm. Und das wäre ja wirklich nicht als „wenigstens“ zu sehen. Ich wollte doch nur irgendein Zeichen, dass er das wirklich will, es mit uns ernst meint. Es passierte einfach nichts! Wir stagnierten das komplette fünfte Jahr an der gleichen Stelle! Es machte mich einfach fertig! Es musste irgendwie raus. Mein Bruder fragte mich immer wieder, warum ich ihn nicht selbst einfach frage. Aber ich wusste, er ist ein Mann, der großen Wert darauf legen würde, das selbst in die Hand zu nehmen. „Das ist so, als würde ich ihn entmannen, aber wortwörtlich!“ – war meine Ansage. Mein Bruder hat mich bis heute nicht verstanden. „Bist du sicher, dass er weiß, dass es dir wichtig ist?“, fragten meine Freundinnen. „Sprich das doch direkt an!“. Wie zur Hölle sollte man das als Frau ansprechen, ohne das Gesicht zu verlieren! Das ist doch jämmerlich! Das ist demütigend und anbiedernd. Also war meine Lieblingsstrategie, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass ich „nur die Freundin“ bin. Am Anfang habe ich hier und da fallen lassen. Irgendwannmal hatte ich das so fest eingebürgert, dass ich das sehr inflationär benutzt habe. Manchmal dachte ich, dass er das gar nicht versteht. Manchmal habe ich die Erkenntnis in seinen Augen gesehen. Es war sehr unterschiedlich. Es war sehr unangenehm. Ich fühlte mich immer mehr wie ein keifendes Marktweib! Ich fühlte mich irgendwie dreckig. Warum hatte ich das nötig, so aufzutreten? Ich hatte das Gefühl, dass der Rest der Welt uns anschaut, mich ansieht und sich nur die gleiche Frage stellt: „Warum heiratet er sie nicht?“. Ich fühlte mich schon paranoid!

Es gibt diesen einen Film, wirklich guter Hollywood-Klassiker: „Er steht einfach nicht auf Dich“. Sehr sperriger Titel, aber wirklich guter Film. Der Inhalt ist ganz einfach. Es geht darum, dass mehrere Frauen hunderte und tausende Ausreden dafür finden, dass irgendein Typ, je nach Beziehungsstatus, entweder nicht zurückruft, sich nicht von seiner aktuellen Beziehung trennt, sich nicht für das Zusammenziehen oder für die Heirat entscheiden kann. Und die Frauen sind ihr Leben lang beschäftigt, gute Argumente für sich und ihre Umwelt zu finden, warum das alles ganz normal ist und sie einfach nur warten müssen. Aber im Endeffekt mussten alle von Ihnen einsehen, dass der einfache Grund für dieses Verhalten der Männer der folgende ist – „er will sie einfach nicht!“. Diese eine bestimmte Frau, die wartet, ist einfach die falsche. Und das Warten – das lohnt sich einfach nicht! Der Mann wird sich nicht entscheiden, er wartet nur auf eine bessere Gelegenheit. Was für eine tollte Erkenntnis! Ich bin so tief gesunken, dass ich angefangen habe, aus diesem Film ihm zu zitieren. Ich habe den Film für ihn zusammengefasst und ich habe das immer und immer wieder offen zur Diskussion gestellt – willst du denn überhaupt? Bin ich die richtige? Wirklich und ganz ehrlich – wie oft habe ich das gefragt?


Ich bin doch nicht völlig auf den Kopf gefallen, dass ich das nicht sehen würde, dass ein Mann doch eigentlich kein Interesse an mir hat. Das würde mir doch verdammt nochmal auffallen? Er ist nie ein Mensch gewesen, der sein Herz auf der Zunge trägt – ganz sicher nicht. Aber dafür war ich doch da – ich konnte ihn ja ausfragen. Diese eine Frage hat er gehasst – starke Gefühle für ihn: „Auf einer Skala von eins bis zehn, wo siehst du unsere Beziehung gerade?“. Ehrlich gesagt, wusste ich die Antwort oft für mich selbst nicht sofort. Aber ich wurde ja auch nicht gefragt. Interessanterweise hat er NIE zurückgefragt – was mir jetzt im Nachhinein überhaupt so klar bewusst wird. Ich weiß gar nicht, was ich gesagt hätte hier und da. Wäre es meine ehrliche Antwort gewesen oder mein Wunschdenken? Wie sehr hatte ich mich damals schon innerlich distanziert, ohne mir das einzugestehen.

Damals im Rhodos Urlaub war die Antwort etwas schockierend – eine sechs bis sieben! Oh krass, ich bin aus allen Wolken gefallen! Das ist ja etwas mehr als die Hälfte. Alle Alarmglocken läuteten. Ich war ernsthaft entsetzt. Verdammt – ich hatte doch gefragt, um dem Thema Ehe näher zu kommen und dann bekommst du eine solche mittelmäßige Einschätzung. Hallo!? Damals hatte ich sehr intensiv versucht, aus ihm rauszubekommen, welche Probleme er denn sieht. Ja, wir hatten uns entfernt, auseinandergelebt. Ich hatte mich in die Arbeit mit und für die Flüchtlinge gestürzt und hatte ihn und unsere Beziehung vernachlässigt. Ich habe es eingestanden, wir haben geredet, uns in den Armen gelegen und versprochen, alles besser zu machen. So weit so gut. Ehrlich gesagt, hatte ich das aber gar nicht so richtig ernst genommen. Aus irgendeinem Grund war ich zutiefst von der festen Grundlage unserer Beziehung überzeugt. Eine solche solide perfekte Beziehung kann es doch mal abhaben, dass man weniger Zeit miteinander verbringt. Aber sicher doch. Ich war mir 100% sicher. Das verdammte Selbstbewusstsein aber auch! Es ist nicht so, dass ich es ignoriert habe. Ich habe gespürt, dass er unglücklicher geworden ist, irgendwie wir entfremdeter waren. Aber ich dachte, wir können das sofort in den Griff bekommen, wenn wir das nur aktiv angehen. Gesagt getan – naja gedacht.


Die nächste Eskalation folgte leider an Weihnachten. Was für ein Mist aber auch! An den Feiertagen liegen die Gefühle brach. Die Statistik der Besucher meine Website zeigt leider auch, dass das Interesse an dem Thema Wechselmodell enorm zunimmt im Laufe des Dezembers – wie zutiefst traurig ist das denn! Auch meine eigene zurückliegende Scheidung bzw. der Wunsch nach Trennung wurde Ende Dezember und dann wieder Anfang Januar formuliert. Es passte also ins Muster. Ausgerechnet vier Tage vor Weihnachten habe ich mich irgendwo mit Corona angesteckt – was für eine Katastrophe! Um die Kinder nicht anzustecken habe ich mich von allen ferngehalten. Ich wollte, dass sie ihre Großeltern treffen können und nicht mit mir in Quarantäne sitzen müssen. So konnten sie bei Papa schön Weihnachten feiern und ich saß alleine, naja mit Hund, zuhause und heulte – am 23. und am 24., heulte und bemitleidete mich. Er ist am 24. Nachmittags vorbeigekommen und wir sind draußen spazieren gegangen. Ich wollte ihn natürlich nicht in Gefahr bringen. Also warten wir den Abstand. Und der emotionale Abstand wuchs plötzlich! Es waren doch nur ein paar Tage, aber in dieser emotionalen Zeit. Und dann hat er sich erkältet. Kein Corona, aber irgendwie kam doch einiges zusammen und er lag mit seinem Sohn flach zuhause, mit Fieber und war fix und fertig.

Die nächste Eskalation folgte leider an Weihnachten. Was für ein Mist aber auch! An den Feiertagen liegen die Gefühle brach. Die Statistik der Besucher meine Website zeigt leider auch, dass das Interesse an dem Thema Wechselmodell enorm zunimmt im Laufe des Dezembers – wie zutiefst traurig ist das denn! Auch meine eigene zurückliegende Scheidung bzw. der Wunsch nach Trennung wurde Ende Dezember und dann wieder Anfang Januar formuliert. Es passte also ins Muster. Ausgerechnet vier Tage vor Weihnachten habe ich mich irgendwo mit Corona angesteckt – was für eine Katastrophe! Um die Kinder nicht anzustecken habe ich mich von allen ferngehalten. Ich wollte, dass sie ihre Großeltern treffen können und nicht mit mir in Quarantäne sitzen müssen. So konnten sie bei Papa schön Weihnachten feiern und ich saß alleine, naja mit Hund, zuhause und heulte – am 23. und am 24., heulte und bemitleidete mich. Er ist am 24. Nachmittags vorbeigekommen und wir sind draußen spazieren gegangen. Ich wollte ihn natürlich nicht in Gefahr bringen. Also warten wir den Abstand. Und der emotionale Abstand wuchs plötzlich! Es waren doch nur ein paar Tage, aber in dieser emotionalen Zeit. Und dann hat er sich erkältet. Kein Corona, aber irgendwie kam doch einiges zusammen und er lag mit seinem Sohn flach zuhause, mit Fieber und war fix und fertig.


Ich weiß nicht, warum das bei mir alles wieder eine emotionale Krise ausgelöst hatte. Aber irgendwie schwappten alle Gefühle hoch. Es ist so schlimm, wenn man einander nicht umarmen und küssen kann – nur um den anderen zu schützen, ihm wegbleiben zu müssen. Wir haben locker zwei Wochen am Stück diesen Zustand über die Weihnachtsfeiertage gehabt. Und wieder war nicht sicher, ob und wann wir uns sehen. Wann er seinen Sohn zurückbringt. Er wollte und durfte wieder nichts selbst entscheiden. Wieder waren wir von der Frau abhängig, die nicht erreichbar war. Wieder die gleiche Diskussion wie immer. Und irgendwie hatte ich das Bedürfnis entwickelt, wieder alles auf den Tisch zu legen und Bilanz zu ziehen. Leider telefonisch, da diesmal er erkältet war und ich die Kinder zuhause hatte – kurz vor Silvester. Und wieder ging die Initiative von mir aus! Ich habe ernsthaft wieder und wieder nachgebohrt, wie sein Commitment zu mir ist. Ich finde einfach kein besseres deutsches Wort dafür, was es ganz genau beschreibt. „Sich auf jemanden einzulassen, mit Haut und Haaren“ – das wäre meine Definition davon. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass da was fehlt. Und wieder redeten wir über unsere Gefühle. Irgendwie hatten wir die Entfremdungskrise, die die letzten Monate andauerte, nicht überwunden, sonst wären wir nicht wieder an diesem Punkt. Also nochmal von vorne – gesprochen, geweint, und nochmal geweint. Diesmal hatte ich ihn offen gefragt, wie es denn weitergehen soll – soll es überhaupt weitergehen? Schon komisch, so eine Frage stellen zu müssen. „Ich will doch nicht das alles wegwerfen“, war seine von vielen Tränen begleitete Antwort. Natürlich sollte es weitergehen, er liebte mich doch. Es hat sich mit dem Haus einfach nicht ergeben. Das ist doch nicht in seiner Macht. Es ist doch keine böse Absicht. Alles in Ordnung. Und was kam dann – naja, wieder einfach warten, wenn es nach ihm ginge. Ich hatte zwar über eine Pause gesprochen, aber nicht ernsthaft eine gewollt. Ich war einfach nur verdammt unzufrieden mit der Gesamtsituation und ich konnte und wollte so nicht weitermachen. Ich wollte ihn alleine durch das Androhen der Pause aufrütteln! Einige Tage Schweigen waren in meiner Vorstellung schon so grausam, dass wir uns sofort danach doch versöhnt hätten und uns wieder in der Armen liegen würden. Also mein Vorschlag – aktive Beziehungsmaßnahmen – „mein Marshall-Plan“.

Ich bin schon verrückt, könnte man behaupten! Hallo?! Das ist eine Beziehung, keine Wirtschaft. Das klang so steril, so merkwürdig. Du hast es belächelt. Aber hey, das ist doch egal wie man das nennt. Ja, man kann auch Beziehungsverbesserungsmaßnahmen dazu sagen, klingt nur nicht so schön. Wir haben über verschiedene Punkte gesprochen, die unserer und ich betone unserer Meinung nach uns auseinanderbringen. Und ich bin Punkt für Punkt durchgegangen und habe dahinter Maßnahmen formuliert, vereinbart, wie auch immer, ja es klingt so unemotional. Aber nur dann, wenn man das so steril betrachtet. Ich habe das sehr dynamisch formuliert. Es war ein Wiederbeleben einer guten soliden aber etwas eingeschlafenen Beziehung. Ein Neustart. Eine Initialzündung. Und Jahresbeginn war es ja sowieso, also auch Neujahrsvorsätze.


Aus meiner Sicht fehlte ja das Comittment, aus seiner Sicht führten folgende Punkte dazu, und diese wollten wir angehen. Ihm fehlte Nähe, der Punkt mit der Nähe wird hier nun öfter vorkommen. Wir schliefen in verschiedenen Zimmern. Mein einfacher Grund war sein Schnarchen, was er ganz objektiv nachvollziehen konnte. Sich aber emotional nicht damit abfinden konnte. Ich verstehe das – rein emotional, aber objektiv ist es ziemlich belastend, mehr als die halbe Nacht wachzuliegen neben einem sehr geliebten Menschen, der nach jeder Nacht weniger geliebt wäre. Aber ok, wir wollten es versuchen. Er hat ein größeres Bett in seinem Haus, unserem gemeinsamen zuhause, besorgt und der Versuch ging los. Einige Nächte ging es gut, dann wieder schlechter, dann haben wir uns wieder in zwei verschiedenen Betten wiedergefunden. Ich hatte keine großen Bedenken, in zwei verschiedenen Zimmern schlafen zu müssen. Mein Problem war ja vor allem, dass ich immer wieder wenige Tage bei ihm schlief, dann wieder bei den Kindern, dann wieder bei ihm. Ich wusste eigentlich nie, wo ich aufwache jeden Morgen und musste mich erst neu orientieren. Dadurch stellte sich nie eine Gewöhnung an den Schlaf und die Nähe des Anderen ein. Auch er hat mit mir an der Seite viel schlechter geschlafen, hast es aber in Kauf genommen. Da ich chronische Migräne habe und sowieso an mehr als zehn Tagen im Monat darunter leide, konnte ich das einfach nicht hinnehmen, dass auch noch Schlafprobleme noch mehr Migräne auslösen würden. Ein gemeinsames Haus wird das Problem lösen – sagte ich mir immer wieder! Das ist ein rein temporäres Problem, es wird sich lösen. Wenn ich jede Nacht neben ihm liege, dann wird es besser, nach nur wenigen Nächten viel besser. Im Urlaub schliefen wir auch zehn Tage ohne Probleme am Stück nebeneinander. Ich gewöhnte mich an das Schnarchen und die Bewegungen, es war kein Problem.

Nähe bedeutete aber auch, dass wir mehr zusammen unternahmen. Das musste man aktiv angehen, aktiv planen, sich bewusst vornehmen. Eine Beziehung muss man bewusst leben, sie bewusst pflegen, an ihr arbeiten. Das haben wir vernachlässigt – aber ganz ehrlich, wir beide! Nicht nur ich. Von ihm kamen nur keine Versuche, was zu ändern. Er hast das einfach so hingenommen und hat darunter gelitten, und nichts gemacht. Außer nachzudenken und zu leiden. Ich wollte es nun aktiv in die Hand nehmen. Wir planten gemeinsames Essen gehen abends. Wir wollten mehr mit Freunden unternehmen. Das lag ihm sehr am Herzen. Aber meistens scheiterte das an unserer Konstellation mit den Kindern. Es machte uns solche Aktivitäten sehr schwierig. Wieder aktiv einplanen, hinterher sein, bewusst steuern, habe ich getan. Mehr mit allen Kindern unternehmen war der Plan. Das Jahr davor war sehr schwierig. Seine Tochter machte Abi, war psychisch sehr labil. Täglich hat er befürchtet, dass sie alles hinschmeißt. Das war eine wirklich schwere Zeit, auch für uns als Paar. Emotional sehr belastend, nur ein Thema – ihr Abi. Dann war es Anfang des Jahres vorbei, sie hatte das, entgegen allen Erwartungen, geschafft. Und so konnten wir mit allen Kindern was planen, ohne dass ihr Lernen dazwischenkam. Auch das gingen wir bewusst an. Viel vorgenommen, einiges umgesetzt. Insgesamt ein positives Gesamtgefühl. Das Comittment war mehr spürbar. Wir beide waren zuversichtlicher und glücklicher – dachte ich.


Ich kann mich nun etwas schwerer an die nächste Skalendiskussion erinnern, einige Wochen später. Aus meiner Sicht passte nun alles weitgehend – nur das Thema Haus war leider nicht in den Griff zu bekommen. Aber das war ja nicht nur von uns abhängig, sondern auch vom Markt. Er hat gesagt, wir sind bei acht – Mega! Das ist doch ein toller Fortschritt! Wir haben uns weiterentwickelt. Er war positiv drauf, zuversichtlich, schien glücklich zu sein. Es war ein schöner Abend damals. Hat er gelogen? Mich belogen, aber auch sich selbst? Ich musste damals leider wieder die Freundin-Diskussion ins Spiel bringen, wieder darauf hinweisen. Darauf rumreiten. Der wunde Punkt war ja nicht gelöst und ich habe auch keinerlei Ambitionen in diese Richtung gesehen. Und dann kam ein ganz merkwürdiger Satz von ihm, den ich erst jetzt verstehe, nachdem alles vorbei ist. Er hat meine Anspielungen scheinbar nicht verstanden, vielleicht doch, das war für mich nicht erkennbar. Und er sagte, „Ich habe mich doch wirklich bemüht.“ So nach dem Motto, was willst du denn? Ich habe doch was gemacht, was unternommen. Ich habe die Bemerkung damals nicht verstanden. Ich habe mich nur gefragt, was mit Mühe den gemeint gewesen ist, welche Mühe? Ich wollte doch keine konkreten Maßnahmen von ihm. Ich wollte doch nur so greifbar geliebt werden, dass ich das auch glaubte und fühlte. Aber eigentlich sollte das keine Mühe sein. Das Wort Mühe irritierte mich massiv. Aber da der Abend schon fast vorbei war und wir uns zum Aufbruch bereit gemacht haben, habe ich nicht nachgefragt. Oh Schande, ich habe nicht nachgebohrt. Nachdem ich nun weiß, was damals in ihm vor sich ging! Wenn ich das damals geahnt hätte! Wenn ich das doch damals schon gespürt hätte, dass nichts in Ordnung ist. Acht auf der Skala – das war doch kurz vor dem Antrag! Was sollte ich denn bitte anders darunter verstehen? Acht hieß, wir sind so was von auf dem richtigem Weg und schon fast da!

Und wisst ihr was? Ich habe mich damals mit dem Punkt Ehe fast schon abgefunden, wirklich weitgehend, nicht komplett, aber weitgehend. Ich hatte viele Diskussionen mit Familie und Freunden. „Warum ist das denn so wichtig?“, hatte mein Vater gefragt. Ja warum denn auch? Ich bin doch mit dem Mann, den ich liebe, zusammen! „Das ist doch nur eine Formalie“, sagten Freundinnen. Wir sind doch modern, warum denn auch die Ehe. Ich hatte beschlossen, dass der Mann das Wert ist. Damals hatte ich verstanden, dass ich mich da verrannt hatte. Ich war zu fixiert darauf. Von so vielen Seiten kam, dass das doch wirklich egal ist. Hauptsache wir sind glücklich zusammen. Naja, irgendwie machte es mich doch etwas unglücklicher – aber ok, ich habe nachgedacht und hatte entschieden, dass es ausreicht. Erstmal. Dass ich das nicht so forcieren soll. Irgendwie schien er noch nicht bereit zu sein. Und die Anspielungen gingen mir selbst massiv auf die Nerven. Ich konnte sie nur kaum zurückhalten. Ich würde es versuchen. Wirklich versuchen.


Erst jetzt verstehe ich meine Fixiertheit. Es war nicht die Ehe an sich, nein. Es war eine wunderschöne Vorstellung, mit ihm vor den Altar zu treten. Aber nein, das war es nicht. Ich wollte mir einfach nicht eingestehen, dass ich eine gewisse nicht erklärbare Unsicherheit verspürt habe, dass ich doch nicht die Richtige für ihn bin. Wenn ich die Diskussionen mit Freunden hatte, warum es mir so wichtig ist, dann weiß ich noch, dass ich sagte, dass ich zu 95% weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Aber da waren diese 5% und irgendwie kommt mir der Wert verdammt hoch nun vor! Diese 5% standen für Zweifel, dass ich vielleicht doch nicht die Richtige bin. Zu diesen 5% hatte ich die Angst, dass er sich doch noch nicht entschieden hat, sondern sich noch ein Hintertürchen offen lässt. „Lächerlich“, sagten Freunde, die uns kannten. „Das glaubst du doch nicht wirklich?“. Nein, glaubte ich auch nicht. Diese Zweifel waren ganz ganz klein, aber sie waren da. Der Antrag wäre die Entscheidung, die Entscheidung für mich. Das wäre wirklich eindeutig. Davor musste ich mich auf das Gefühl verlassen, dass alles stimmt. Und zu 95% stimmte es doch. Warum dann nur diese 5% Restzweifel, die in mir den Wunsch hinterließen, Gewissheit zu haben. Es passte doch alles. Wir waren wieder auf Kurs. Dann haben wir in Mauritius wieder einen wunderschönen Urlaub miteinander verbracht. Da hatte ich schon mit keinem Antrag gerechnet. Ich habe mich damit abgefunden. Ich war bereit zu warten, ihm Zeit zu geben und die Zeit zusammen zu genießen. Man kann sich ja nicht mit diesem Warten verzehren, das war Gift. Hätte ich es doch damals besser gewusst. Das gewusst, was ich nun weiß. Was hätte ich nur dafür gegeben.

Wenn ich das alles selbst durchgehe, was ich aufschreibe, dann kam mir eben der Gedanke – so überraschend kann doch die Trennung gar nicht gewesen sein, oder? Jetzt habe ich schon zu viel verraten. Dazwischen liegen ja noch einige Tage, die ich im Einzelnen durchgehen will und muss – für mein Seelenheil. Die ich durchgehen muss, um diese schreckliche Situation zu verstehen, um nicht zu verzweifeln, nicht jeden Tag mit Weinen zu beginnen, um nicht zu zerbrechen! Aber ganz ehrlich – vom Herzen, ich habe uns nicht mal im Entferntesten bei einer Trennung gesehen. Jede Beziehung, verdammt nochmal, jede hat doch Höhen und Tiefen. Entscheidend ist es doch, wie man damit umgeht, oder nicht? Verstehe ich was nicht? Dass es nicht perfekt lief in den letzten Monaten, das wusste ich. Aber ehrlich gesagt, hatte ich einen völlig anderen Blick darauf als er. Aber an seinen Gedanken und Gefühlen hat er mich auch nicht teilhaben lassen – einfach formuliert. An meiner Verzweiflung hatte ich ihn aber auch nicht teilhaben lassen. Ich habe das Thema Baby nicht aus meinem Herzen bekommen, zu tief saß der Schmerz über diesen entgangenen und auch noch gewollten Verlust. Ich hatte das unterschätzt. Aber das Thema kam bei mir ständig wieder hoch. Ich rechnete nach und überlegte mir, wo wir mit diesem Kind denn nun stehen würden, wie alt wäre es? Wäre es ein Mädchen oder ein Junge? Wie würde diese Kombination aus uns aussehen?


Er hat mir oft von seiner kleinen Nichte erzählt, die so vernarrt in ihn war. Sie wäre gar nicht viel älter gewesen als unser entgangenes Kind. Er hat immer wieder begeistert erzählt, wie er mit ihr gespielt hat und sie ihn nicht losgelassen hat – und mir blutete jedes Mal das Herz! Das war falsch! Er hätte mit unserem Mädchen spielen sollen! Sie würde ihn anhimmeln! Ihre Hand sollte er halten, sie auf dem Schoss wiegen. Mein Mädchen hätte ich so gerne seiner Mutter vorgestellt, der Oma! Ich wäre damit Teil seiner Familie geworden, mehr als ein Teil. Ich würde auf die berühmte Wand von der Oma komme. Dort hangen Bilder von den vielen Söhnen und deren Partnern und den Kindern. Und wisst ihr, wer da noch hängt? Seine verhasste Ex, zusammen mit ihm und seiner kleinen Tochter! Nach über fünf Jahren mit ihm zusammen landete dort nie ein Foto von uns! Und ich wusste, es wird auch nie der Fall sein. Ich würde nie zu dieser Familie gehören, irgendwie war der Zug abgefahren! Er hat diesen Punkt nie verstanden, dass ich so empfinde. Ich würde mich doch bewusst raushalten, zurückziehen, das wäre mir alles zu viel, hat er gedacht. Ich kam einfach zu spät – alle anderen waren vor mir da. Es war kein Platz mehr.

Wie ich mich gefühlt habe nur nach diesen vielen Jahren. Zu Familienfesten zu kommen und die Freundin an deiner Seite zu sein. Die Ex mit der Tochter an der Wand hängend und ich mit dir zu Besuch. Kein gutes Haar hast du an den Beziehungen deiner Brüder gelassen. Die Frauen waren auch beim besten Willen keine Vorzeigeobjekte. Und ich? Ich war wie ein exotischer Vogel unter ihnen, mit meinem Alter und meiner Art. Du warst stolz auf mich, hast mich gerne vorgeführt – und hast trotzdem keinerlei Interesse verspürt, mich zu ehelichen, Jahr für Jahr nicht. Kein gemeinsames Kind, kein gemeinsamer Haushalt, keine Ehe – ich saß nach Jahren immer noch da und wartete und wartete. Auf dich, auf den richtigen Moment, und es kam nichts.


Ich weiß nicht, ob man das so sehen kann, ich denke, ich sehe das aber so. Nach vier Jahren waren wir glücklich, kurz nach dem absoluten Höhepunkt unserer Liebe. Und dann kam die Schwangerschaft, die Folgen habe ich nicht verkraftet und dann stagnierte alles. Hätte er damals, damals wo es doch perfekt war, diesen Schritt gemacht und wir hätten mit der Hochzeitsplanung begonnen, was wäre das für ein absoluter Auftrieb!? Nach diesem Tiefpunkt der Abtreibung – was wäre das für ein absoluter Liebesbeweis! Damals passte doch einfach alles, das hatte er doch die letzten elendigen Tage bestätigt. Hätte er damals mir seine Liebe in dieser Form gezeigt, wären die Wunden verheilt. Ich hätte auch beim Haus warten können mit diesem Gefühl, die Frau an seiner Seite zu sein. „Meine Ehefrau“, Gott wie sehr habe ich auf diesen Ausdruck aus seinem Mund gewartet. Es hatte so einen unheimlich warmen Klang und dieses Gefühl erst! Wie habe ich mir das gewünscht, als ich wieder auf der Liege nach der Abtreibung saß! Das er endlich sich bereit fühlt für diesen Schritt. Er war es nicht. Ich weiß nicht, ob er das versteht. Und ja, wenn er damals noch nicht bereit war – dann ist das so, das kann ich nicht ändern. Aber wenn er damals das einfach nicht verstanden hat, an welcher Abzweigung wir standen. Wenn er wirklich einfach gar nicht nachgedacht hat und einfach auch gar nicht wusste, wie er mich aus dieser Gefühlslage rausholen kann. Wie traurig ist denn diese Erkenntnis? Damals hätte wir das doch in der Hand gehabt, dass es aufwärts statt abwärts geht. Wäre das eine so große Überwindung, unserer wundervollen Beziehung an dieser Stelle diese Krone aufzusetzen? Es ging um keine Formalie, sondern darum, dass ich damals so verzweifelt einen Liebesbeweis von ihm gebraucht hätte mit einem leeren Bauch wie noch nie zuvor.

Ich wollte einfach, dass er sich entscheidet. Aber ihm fehlte Nähe, fehlte Zärtlichkeit – ab wann denn nur? Schon damals oder erst später? Welche Zärtlichkeit konnte ich geben, wenn ich immer das Gefühl hatte, dass er nicht mehr voll auf dem Gaspedal steht? Woher sollte diese kommen? Wenn ich das Gefühl habe, er ist nicht bei der Sache, er wägt ab. Früher war die Nähe doch auch nicht unser Problem. Aber mit der Zeit habe ich mich immer wieder gefragt, bin ich denn nun die Richtige? Da kapselt man sich nach und nach ab. Aber ich merke das erst jetzt so deutlich. Ich zog mich innerlich zurück, irgendwie unbewusst. Ich bin von mir selbst enttäuscht. Ich dachte, ich bin mir über alles im Klaren. War ich doch nicht! Sicher braucht er mehr Nähe als ich. Aber ich hatte genug Wärme zu geben, genug Nähe, sie war mal genug. Aber nicht im letzten Jahr. Da war ich wohl auf dem Rückzug, ohne das selbst wahrzunehmen. Ich dachte, er nimmt es auch gar nicht wahr. Ich habe mich geirrt.


Der normale Alltag reichte mir danach einfach nicht mehr. Ich habe mit der Abtreibung ihm alles bewiesen, was er haben wollte. Ich würde nie was gegen seinen Willen tun! Ich würde ihn glücklich machen wollen, ihn immer einbeziehen, gemeinsam entscheiden, für uns entscheiden, sich um seine Gefühle sorgen, ihn nie übergehen. Wieviel Respekt und Liebe hätte ich ihm noch zeigen können? Hat er das damals so verstanden? Nur einbißchen die Dimension gesehen? Ich glaube leider nicht. Es war ein medizinischer Eingriff, ein schlimmer ja, eine große emotionale Belastung. Es wäre dann irgendwann mal vorbei, für dich. Für mich nicht. Es war der eindeutige Auftakt zum Niedergang, der Auftakt zum Drama in mehreren Akten.

Tag 1 - Sonntag


3.Akt - 2.Teil: Das Telefonat


Das Telefonat geht weiter, leider genauso konfus. Ich habe das Gefühl, dass er gar nicht weiß, was er eigentlich sagen will. Irgendwie ist er traurig, irgendwie unglücklich. Wir hatten an diesem Sonntagmorgen eine unschöne Diskussion gehabt, die auch bei mir einen schalen Beigeschmack hinterlassen hat. Ich denke, er will sich darauf beziehen. Wir haben irgendwie das erste Mal so richtig konkret über die Finanzierung unseres Hauses gesprochen. Wer zahlt aus welchen Mitteln welchen Anteil. Welches Geld wird wohin überwiesen. Ganz konkrete Fragen. Und irgendwie waren wir auf die Frage gekommen, wie die Nebenerwerbskosten des Hauses zu teilen sind, 50% - 50%, oder in unserem Anteil am Haus im Grundbuch. Er hatte einen viel höheren Anteil, ich war der Meinung, dass er auch die höheren Kosten haben sollte. Aber eigentlich hatte ich nicht das Gefühl, dass es wirklich um Kosten ging und um die Prozente. Er feilschte mit mir wie auf dem Jahrmarkt. Meinte, dass er die Sache nur objektiv betrachten möchte. Für mich klang gar nichts objektiv, es klang eher so, als wollte er sich vor mir absichern. Ein ganz merkwürdiges Gefühl. Wir waren doch am Ziel unserer Träume endlich angekommen! Wir hatten endlich vor einigen Tagen das Traumhaus gefunden! Es passte alles, wirklich alles. Wir haben über das konkrete Angebot an die Maklerin gesprochen und nun über die Finanzierung. Und ich hätte schwören können, das wir eigentlich nicht das erste Mal, über all diese Dinge gesprochen haben. Aber diesmal fühlte sich das sehr sehr merkwürdig an. Das erste Mal hatte ich richtig das Gefühl, dass er sich irgendwie zurückzieht und versucht, sein Eigentum abzusichern, irgendwie vor mir. Im Nachhinein habe ich das Gefühl für mich selbst im Kopf formuliert. „Ich stehe auf dem Gaspedal, und du auf der Bremse, und es fühlt sich sehr mühsam an“. Ich hatte viel später dann mit dieser Empfindung ihn konfrontiert und endlich hatte er das bestätigt – nach so vielen Monaten der Nachfrage. Aber bei diesem Telefonat definitiv noch nicht.


Er ist einfach nur traurig. Und plötzlich, aus dem nichts, ist die Traurigkeit nicht nur auf das Haus bezogen. Er fühlt sich bei dem Gedanken unwohl. Bei welchem Gedanken, beim Haus? Nein, nicht nur beim Haus, bei unserer Beziehung – BAM! Der Schlag sitzt. Ich spüre, dass es der Auftakt für was Größeres wird! Ich wundere mich nur wahnsinnig, weil er solche Dinge niemals am Telefon besprechen will. Das findet er unpersönlich und nicht nötig. Und jetzt weiß er genau, die Kinder sind im Nebenzimmer und schauen fernsehen. Ich bin allein und kann nicht einfach weg. Und dann konfrontiert er mich mit diesen Zweifeln, aus dem Nichts heraus, aus dem reinen Garnichts!

Ich bin die ersten Sätze wie gelähmt. Dann kommt das Rauschen in den Ohren, das Blut schießt in den Kopf. Die Atmung geht ganz merkwürdig. Ich habe das Gefühl, ich bekomme keine Luft. Ich denke nur die ganze Zeit, dass ich was falsch verstehe. Dass ist hyperventiliere und mich irgendwo reinsteigere. Ich stehe kurz davor, meine Tage zu bekommen. Vielleicht bilde ich mir das alles ein? Spielte einfach meine Hormone verrückt? Was hat er überhaupt gesagt? Ich kann mich an die Wortwahl beim besten Willen nicht mehr erinnern, wirklich überhaupt nicht. Ich glaube, der Körper versucht, sich so zu schützen. Durch das Ausblenden. Das Kurzzeitgedächtnis wird einfach auf Null gesetzt. Der Kopf tut so, als würde er nicht verstehen wollen, weil das Verstehen so unendlich weh tut, dass es gar nicht im Kopf verbleibt. Das geht nur von Ohr zu Ohr, und dann wieder raus, und dann sind seine Worte wieder vergessen. Hat er überhaupt von Trennung gesprochen? Ich denke nicht. Ich glaube, das Wort ist eigentlich nie gefallen, oder? Aber ich weiß es wirklich nicht. Was verbleibt ist nur der Gesamteindruck, es klingt nach Problemen, ganz ganz vielen Problemen, aus dem Nichts heraus. Ich glaube, dass er über irgendwas schlafen wollte. Aber über was genau? Ich habe das allererste Mal auch das Gefühl, dass es telefonisch nicht geklärt werden sollte. Dass es keine Lösung geben würde, wahrscheinlich auch nicht persönlich, aber ganz sicher nicht am Telefon.


Ich schreibe auf WhatsApp parallel meiner Mutter, dass ich sie gleich abholen würde. Und ich sehe im Nachhinein, dass ich schrieb, dass er die Trennung will und ich sie brauche bei mir. Ich bin verwirrt, hat er das doch so gesagt? Wie kann ich etwas vergessen, was gerademal zwei Tage her ist? Oder habe ich aus seinen wirren Reden das zusammengereimt? Dann war ich aber schnell. Alles sehr verwirrend. Ich sage ihm, dass ich jetzt komme und lege auf. Ich denke, ich sagte auch, dass ich meine Sachen abhole. Das war aber echt schnell entschlossen, wollte ich das wirklich? Kann ich das? Es war schon kurz vor neun Uhr abends. Was wollte ich denn noch reißen an diesem Tag? Ich weiß das alles nicht mehr.  Ich fahre meine Mutter abholen. Die Kinder sind massiv verwirrt, warum jetzt? Dass ich zu ihm fahre ist nicht neu, aber so überraschend? Morgen ist der erste Tag nach den Pfingstferien, ich kann sie doch nicht allein mit Oma lassen. Ich kann nicht klar denken, nicht mit ihnen diskutieren.

Meine Mutter wohnt nur fünf Autominuten entfernt, die Sache geht schnell. Sie versteht auch nichts, aber ich weiß selbst nicht, was ich ihr erzählen soll. Ich schluchze krampfhaft. Sie sagt, dass sie nicht möchte, dass ich jetzt Auto fahre. Ich kann doch nicht ernsthaft in diesem Zustand ans Steuer. Doch, muss ich. Ich muss dorthin. Es sind ja nur fünfzehn Autominuten zu ihm. Ich schaffe das, ich werde mich sofort melden, wenn ich ankomme. Ich lasse sie aussteigen und zu den Kindern ins Haus gehen. Ich kann nicht mit hoch und mich von Ihnen verabschieden, dafür sehe ich einfach zu verheult aus, zu schrecklich. Ich würde sie total verstören und hätte noch nicht mal eine Erklärung. Ich weiß doch selbst nicht, was nun Sache ist. Ich muss noch viel mehr erfahren, es verstehen. Kann ich das überhaupt verstehen, was für ein Alptraum nun begonnen hat?


Wieder die Schutzfunktion des Körpers. Irgendwie fühle ich mich wie betäubt. Es rauscht wieder in den Ohren. Ich zwinge mich, jede Handlung bewusst auszuführen. Nichts geht mehr automatisch. Ich denke ans Schalten der Gänge im Auto. Ich atme ganz bewusst, aus und ein, aus und ein. Es bringt nichts, in Panik zu verfallen. Ich möchte nichts riskieren, die Kinder brauchen mich doch. Er irgendwie nicht mehr, aber die Kinder. Ich bin ja nicht alleine. Ich kann mich nicht einfach gehen lassen. Die Minuten vergehen irgendwie schnell. Ich bin nun vor seiner Tür – der 4.Akt beginnt.

4.Akt: Die Küche


Beim Aussteigen erinnere ich mich plötzlich an den Koffer im Auto. Wann zur Hölle habe ich an den riesigen Reisekoffer gedacht? Ich muss ihn doch aus dem Keller mitgenommen haben. Faszinierend – der Körper und der Kopf laufen im Notmodus. Durch die aufkommende Panik ist das Kurzzeitgedächtnis einfach gelöscht, nach nur wenigen Minuten. Warum? Macht sich der Körper für die kommenden Minuten bereit? Ich klingle, ich warte, er öffnet die Tür, ich gehe wortlos an ihm vorbei und schleife meinen riesigen Koffer hinter mir. Ich gehe an dem Tisch vorbei, an dem wir heute Morgen noch über das Haus gesprochen haben, was wir kaufen wollten. Die Situation ist absurd und unwirklich. Er steht wortlos da, regungslos. Er schaut betreten und traurig, irgendwie verzweifelt. Er überlässt mir wieder die Bühne. Er weiß nicht, was er tun oder sagen soll.


Irgendwie muss ich was machen. Ich fange im Wohnzimmer einfach an. Im Regal sehe ich die ersten Sachen, die mir gehören, einige Spiele, die ich für seine Kinder mitgebracht habe, ausgeliehen habe. Ich öffne einige Schubladen, hole Sachen raus, die ich mitgebracht habe, bei ihm einfach mal deponiert habe. Einige Dekoartikel springen mir ins Auge, ich stelle alle zusammen auf dem Boden an meine Sammelstelle. Ich weiß gar nicht wo er genau ist und was er macht, ich kann mich nun gar nicht mehr erinnern. War er vielleicht nach oben gegangen? Ich kann mich wage erinnern, dass wir zuerst am Tisch sitzen. Am gleichen Tisch, wie heute früh und Mittag, wo alles noch normal schien. Wer fängt an? Im Zweifelsfall ich, ich habe immer angefangen, die Initiative ergriffen.


Was sagst du einem Menschen, der dir gerade dein Leben zerstört hat? Damit auch seins, also unseres? Das Warum? Die quälendste Frage nach dem Warum? Er war sich nicht sicher. Diese Unsicherheit ist das Relevanteste, an was ich mich erinnern kann. Wie lange denn schon? Wann ging es denn los? Beim letzten langen Restaurantbesuch war doch noch alles ok, dazwischen ist doch nichts passiert, nichts was mir bewusst war. Seine Zweifel waren schon länger da. Aha. Ok, warum hat er mich nicht eingeweiht? Doch, hat er doch, wir haben über Probleme und Lösungen gesprochen. Aber die Zweifel blieben. Aber warum, warum den in Gottes Namen, warum suchen wir denn wie die Irren ein Haus seit Monaten und insgesamt schon über zwei Jahren, warum suchen wir denn weiter wenn er nicht mal sicher ist, dass die Beziehung dafür passt? Wie oft habe ich ihn gefragt, wie er sich fühlt? Wie oft habe ich gefragt, wo wir stehen. Es waren keine geschlossenen Fragen. Es war immer eine offene Unterhaltung gewesen, zumindest ein Angebot für eine Unterhaltung. Es sollte ein Dialog gewesen sein. Und ja ich weiß, ich redete mehr als er. Aber ich versuchte, Sachen zu beschreiben und zusammenzufassen und hoffte wenigstens, dass er dem zustimmt oder nicht. Es lief doch in letzter Zeit normal. Er war kein emotionaler Höhenflug, aber auch absolut ereignislos. Was ist denn passiert? Wo habe ich den Anschluss verloren? Was habe ich verpasst?

Kaum Antworten. Weitgehend führe ich wieder einen bitteren schmerzhaften weinenden Monolog. Die Diskussion am Morgen hat ihn zum Nachdenken gebracht. Es wäre bitter, über Prozente zu reden. Er hat sich gewundert, warum er das tut. Er hat sich gewundert, warum sich kein jubelndes Hochgefühl einstellt, wo wir dem Haus doch so nah sind. Er hat sich gewundert, dass er sich nicht freut, ein dunkler Schatten auf dem Ganzen liegt. Was ist nur los mit ihm, dass er mit mir über Geld fast schon feilscht? Das alles ging ihm durch den Kopf. Es fühlte sich nicht richtig an. Wenn die richtigen Gefühle da sind, durfte er diese Überlegungen nicht haben. Und ich habe ihn vor Tatsachen gestellt. Ich habe gesagt, dass wir das so und so machen. So würde er nie mit mir reden. Ja richtig, er würde nichts klar aussprechen und weiter drumherum reden. Ich musste es doch auf den Nenner bringen, wenn wir kurz davor sind, fast eine Million auszugeben, gemeinsam. Er fühlte sich nicht wohl. Seite Wortwahl war wage und schwach. Keine krassen Worte, keine Vorwürfe. Tränen! Tränen von seiner Seite! Ich hatte vorher noch nie einen Mann weinen sehen. Ich kannte das gar nicht. Ich fand das damals nicht schlimm, als wir um unser Baby getrauert haben. Da habe ich ihn das erste Mal weinen sehen. Das war berechtigt. Aber nun? Er hatte doch die Situation herbeigeführt. Er war doch derjenige, der anscheinend die Beziehung beenden wollte, aus dem nichts heraus.


War das nur die heutige Diskussion? War das der Auslöser? Nein, er hatte die Zweifel schon lange. Das ganze letzte Jahr war nicht gut. An Silvester hatten wir uns ja quasi schon gedanklich mit der Trennung beschäftigt. Und heute früh hat er sich an Silvester erinnert gefühlt. WOW – wir waren wie an zwei verschiedenen Orten! Ich habe die Diskussion heute früh als nicht schön empfunden, aber nicht so dramatisch. Ich wollte auch darüber reden, aber nicht in dieser Dimension.


Er hatte vor zwei Wochen die Schilddrüse entfernt bekommen wegen Knoten, die sich als gutartig herausgestellt hatten. Auch das hatten wir zusammen gemeistert. Aber irgendwas ist die letzten zwei Wochen passiert, was er ohne mich für sich verarbeitet hat. Ich hatte das alles überhaupt nicht mitbekommen. Er hat viel Zeit zum Nachdenken gehabt, im Krankenhaus. Hä? Er war doch nur zwei Tage dort! Ich habe für ihn den Koffer gepackt, ihn hingebracht und ihn abgeholt. Was habe ich in der Zwischenzeit verpasst? Ich war so unfassbar glücklich, als ich nach der OP seine Stimme am Telefon gehört habe. Wie schlimm die Stunden seiner OP waren, ohne zu wissen, wie es ihm geht und ob er danach normal reden kann. Was habe ich mir alles ausgemalt, was danach rauskommen kann? Und wenn er die Stimme verliert? Was machen wir dann? Egal, alles egal, Hauptsache zusammen, so können wir doch alles meistern. Was für ein Stein ist mir vom Herzen gefallen, als ich damals seine Stimme hörte.

Aber er hatte die Zeit dafür genutzt, über mich und über uns nachzudenken. Er übersteht diese OP und das ist das erste, was ihn beschäftigt? Gleich nach dem Aufwachen? Noch voll von Betäubungsmitteln? Was ist denn vorgefallen? Keine Streits, nichts was wir verarbeiten mussten. Es fühlte sich wirklich an, als hätte er den Zug genommen und ich bin auf dem Gleis einfach stehen geblieben. Aber irgendwie habe ich auch nicht gemerkt, dass der Zug abgefahren ist. Ich glaube, ich habe nicht mal den Zug wahrgenommen oder den Bahnhof. War ich so blind, so sicher? Ich grabe verzweifelt in der Vergangenheit und suche nach Anzeichen. Nach Anzeichen, die mir das ganze Elend, was über mich nun kommt, hätten andeuten können. Was habe ich übersehen? Wie konnte ich so naiv sein? Und wieder fängt man als Frau an, die Ursachen bei sich zu suchen. Warum?


Er hatte die letzten zwei Wochen seit der OP schon pausenlos über uns nachgedacht. In dieser Zeit, wo ich ihn gepflegt habe, wo ich seine Haare auf einer speziell gebauten Vorrichtung vor der Badewanne gewaschen habe, damit seine Wunde nicht nass wird. Während ich ihn hockend geduscht habe. Während ich für ihn gekocht habe, damit er versorgt ist. Da hatte er nachgedacht. Dann waren Pfingsferien und ich hatte die Kinder, musste ihn also einige Tage allein lassen. Kein Problem, er kam zurecht. Er konnte dann in Ruhe nachdenken. Das Ergebnis bekam ich nun. Mir wird übel, wenn ich an diese letzten Tage denke. Während für mich die Welt in Ordnung war, beendete er innerlich gerade unsere Beziehung. Er kündigte innerlich, ohne mir was zu sagen. Ich bekam nur das Endergebnis. Das, was er entschieden hatte, nun das Beste für ihn ist, für uns sein soll.


Irgendwann mal landen wir in der Küche auf dem Boden. Nein, nicht so wie es klingt. Wir haben uns an diesem Abend nicht ein einziges Mal berührt. Ich dachte, ich ertrage das nicht. Ich zerbreche, wenn er mich nur anfasst. Die Blicke waren schon zu viel. Ich musste mich zusammenhalten. Soviel Nähe konnte ich nicht zulassen. Ich fühlte mich wie betäubt. Ich dachte, ich habe nichts mehr zu verlieren in diesem Moment. Ich schäme mich vor keiner Frage. Ich frage nach der Ehe. Ob er mich denn nicht verstand, überhaupt nicht die Anmerkungen erfasste. Warum er denn einfach nicht verstehen wollte oder doch einfach nicht wollte? Warum? Doch, oh doch - da spürte ich das erste Mal die Genervtheit. Doch, er konnte es nicht überhören, wie ich mich immer als NUR die Freundin bezeichnete. Und dann kam das schmerzhafteste, was er von allen Sätzen sagen konnte. Er erinnerte sich an den letzten Mauritius Urlaub. Die wunderschöne Umgebung, die schöne Stimmung, der perfekte Ort für diesen Antrag. Und er fragte sich verzweifelt und haderte mit sich, warum er sich nicht dazu überwinden konnte. Diese Formulierung – oh man Gott, das erste Mal habe ich verstanden, dass jeglicher Kampf, jegliches Wort, alles umsonst wäre! Er saß hier und entschuldigte sich, dass er nicht genug fühlte. Er sprach es das erste Mail so aus! Meine fünf Prozent - mein Gott, es waren bei mir nur fünf Prozent dieser quälenden Unsicherheit. Und er bestätigte sie! Es wurden 100%! Er fühlte nicht genug, um diese Frage zu stellen. Und wie schlecht er sich dabei fühlte! Wie leid es ihm tat! Wie wichtig ich ihm doch sei. Und es war einfach nicht genug! Ich war nicht genug! Ich kann nicht in Worte fassen, welchen Schmerz ich in diesem Moment empfand. Die Trennung von meinem Exmann war kein Vergleich, da hatte ich mich innerlich schon getrennt, ich war bereit, es gab ja nur Streit. Hier saß nun ein Mann vor mir und weinte und entschuldigte sich, dass er nicht genug für mich empfand. Er war nicht unglücklich mit mir, aber er war auch nicht glücklich genug, um einfach weiterzumachen.

Ehrlich, ganz ehrlich, man kann keinem einen Vorwurf daraus machen, wenn Gefühle sich verändern, wenn sie weniger werden. Das ist eine grausame Wahrheit, die aber ständig passiert. Aber wie kann man denn???? Wie kann man denn seelenruhig mit mir Monat für Monat nach Häusern schauen und so tun als wäre alles in Ordnung???? Wie kann er mir das denn antun? Nach verdammten fast sechs Jahren Beziehung??? Wie kann man überhaupt einem Mitmenschen so etwas antun?? Ich schreie diese Frage heraus, ich weine sie heraus. Wie konnte er mir das antun? Einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen Monat für Monat? Teilweise kamen die Häuser doch von ihm! Er wollte Häuser besichtigen, in denen ich schon gar keinen Sinn sah. Er regelte die Finanzierung. Voller Inbrunst engagierte er Sachverständige, die die Häuser aus der Ferne bewerten sollten. Informierte sich über Kredite, ließ sich beraten, diskutierte mit Fachleuten. Nicht nur ich trieb die Sache voran, das war doch er! WARUM nur? Warum sucht er über ein Jahr voller Zweifel ein Zuhause mit einer Frau und ihren Kindern, wenn er doch im Inneren zweifelt, das ich die Richtige bin? Warum?


Er wollte mir nicht weh tun!!! Was für eine scheiß Antwort eines erwachsenen Mannes von 53 Jahren, der hier weinend auf dem Boden sitzt, nachdem er unsere Welt innerhalb von wenigen Stunden zerstört hat! Er selbst. Er wollte mir nicht weh tun und uns die Chance geben, Probleme anzugehen? Es anzusprechen, daran zu arbeiten, vielleicht sogar professionelle Hilfe zu suchen? Als ich in dieser Nacht über Beziehungen googele und deren Ende, sind die Hauptinhalte vor allem, wie man wieder zueinander findet. Die Leute diskutierten, wie sie Probleme angegangen sind, wenn alles auf dem Tisch lag. Er sieht aber darin gar keinen Sinn! Die Unterhaltung ist gar kein Auftakt für eine Diskussion, wie es weitergeht. Es scheint einfach nur das Ende zu sein, nachdem er seine Bedenken und seine Unsicherheit über seine Gefühle geäußert hat! Kann man sich das vorstellen? Wenn ich das aufschreibe, dann bin ich einfach nur sprachlos! Dieser Mann, den ich als den besten integersten korrektesten Menschen der Welt auf ein Podest gestellt habe. Dieser Mann sitzt hier nun weinend auf dem Boden und vermittelte mir das Ende unser Beziehung – irgendwie, aber nicht so richtig. Vielleicht habe ich wieder hier zu viel reininterpretiert. Er erzählte mir ja nur von seinen sich geänderten Gefühlen und dass er dachte, dass das nicht reicht, nicht reicht für einen Hauskauf, natürlich auch nicht für eine Heirat und auch nicht fürs Weitermachen. Aber auch ohne den kleinsten Versuch zu unternehmen, irgendwas an unsere Beziehung zu ändern. Nicht den kleinsten. Nach sechs Jahren gemeinsam, davon fünf Jahren ohne Probleme und einem schwierigen Jahr mit Herausforderungen. Nichts.

Wie fühlt es sich an, wenn der Kopf nicht begreifen will, was rein akustisch geäußert wurde? Das Herz spürt es, das Herz blutet. Ich sitze weinend auf dem Küchenboden neben dem genauso weinenden schluchzenden Mann, der nicht genug Gefühle hat, um weiterzumachen, genug Gefühle hat, um bitterlich zu weinen, nicht genug Gefühle, das alles auf den Tisch zu bringen, während noch irgendwas zu retten war. Was machst du dann? Ich verspürte wieder Übelkeit. Welch faszinierenden Reaktionen eines Körpers. Warum Übelkeit? Eigentlich ist die Übelkeit ein Schutzreflex des Körpers, um sich von schädlichen Inhalten zu befreien. Mein Körper wollte das Gehörte herausbrechen. Was für eine schlimme Empfindung. Wie sehr doch Körper und Geist – und auch noch das Herz, zusammenhängen, einander so intensiv beeinflussen. Zudem verspüre ich Eckel. Ebenfalls ein überraschendes Gefühl. Ich verspüre Eckel, ihm gegenüber! Er zerstört gerade unsere Lebenspläne und sitzt auf dem Boden uns weint. Warum? Er ist doch schuld! Er hat doch gerade alles in der Hand. Warum die Tränen? Es könnte doch auch ein konstruktives Gespräch sein über seine Bedenken. Ein Gespräch, wie unsere Beziehung weitergehen soll, verändert, verbessert. Dafür ist er zu schwach! Er hat noch nie im Leben um irgendwas gekämpft! Nicht um seine Kinder und damit ganz sicher auch nicht um unsere Beziehung. Er ist schwach! Ich verspüre Abneigung! Das ist ein gutes Gefühl. Ein Gefühl, was zielführend ist. Es wird mir helfen. Ich halte an diesem Gefühl fest. Ich stehe auf und verlasse die Küche, verlasse ihn.


Es ist schon Nacht, kurz vor Mitternacht. Ich nehme eine Schlaftablette, sie wirkt. Ein wolliges warmes Scheiß-egal-Gefühl stellte sich ein, eine Schlaftrunkenheit. Ich gehe ins Bad, um mich bettfertig zu machen. Ich nehme meine Kosmetikartikel aus dem Schrank und sammele sie auf dem Boden an einer Sammelstelle meines Lebens bei ihm. So viele Dinge, die über die letzten Jahre zusammenkamen. Ich weiß gar nicht, wo noch was steht. Ich war überall, in diesem Haus, in seinem Leben. Aber heute ist der Tag gelaufen. Noch mehr kann ich nicht ertragen. Ich wanke ins Schlafzimmer, in mein Bett, gottseidank hatten wir das Konstrukt als Normalität. Nur ist es das erste Mal, dass er mich nicht „ins Bett bringt“. Es war unser Ritual. Ich ging eh immer früher ins Bett als er. Und er kam immer an mein Bett und sagte mir gute Nacht, gab mir ein Gute Nacht Kuss, insgesamt drei, und ging in sein Bett oder zurück aufs Sofa. Heute kann ich nur noch die Tür hinter mir schließen. Ich schlafe dank der Pharmaindustrie sofort ein.

Leider nicht sehr lange. Um drei Uhr nachts ist die Nacht vorbei. Die Gedanken kommen wieder - mit voller Wucht! Ich gehe auf die Toilette und erschrecke mich vor den Sachen, die auf dem Boden stehen. Das ist ja mein vorbereiteter Vorrat, alles gut. Den Rest der Nacht versuche ich einzuschlafen. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelang. Aber egal, ich muss mich eh für den nächsten Tag krank melden auf der Arbeit in meinem Zustand. Irgendwie werde ich die Nacht schon überstehen.


Ich schreibe an meinen Exmann, dass ich nun getrennt bin und dass ich morgen die Kinderklamotten vorbeibringen müsste, die ich hier gelagert habe, als Vorrat. Ich sage das gemeinsame Grillen mit meinen Mädels bei ihm in zwei Wochen ab. Ich schreibe ihnen nur kurz, dass wir uns getrennt haben. Ich habe zu mehr weder Lust noch Kraft. Ich schriebe an meinen Exfreund, Viech genannt, von vor über 20 Jahren, dass ich ihn brauche. Wir sind inzwischen sehr gut befreundet und ich war noch vor einigen Monaten viel für ihn da, als seine Ehe zu scheitern drohte. Er schreibt sofort zurück, was er machen kann. Es ist schon morgens. So lieb von ihm. Es ist so schön, Menschen zu haben, denen du was bedeutest! Wenn du zerfällst, dann sind sie da! Sie sammeln dich wieder auf! Allein der Gedanke hilft schon! Ich werde mich später melden. Was ausmachen.


Irgendwie schaffte ich es noch bis sieben im Bett zu bleiben und mache mich dann bereit für den nächsten aufregenden Tag in meinem und den letzten in „unserem“ Leben bereit.

Tag 2 - Montag


1.Akt: Der Morgen danach


Der Morgen begann für mich um sieben Uhr. Wach war ich sowieso schon fast durchgehend. Dann konnte ich auch loslegen. Meine Mutter schickte mir ein Bild. Oh oh oh, mein Sohn hatte einen Zahn verloren, gleich nach dem Frühstück! Oh wie süß, eine kleine Zahnlücke. Das muss ich ihm gleich erzählen! Wem? Ihm? Warum? Er hatte sich von uns abgewandt. Unser Leben war nun unser Leben und das waren nun meine Erlebnisse und Gefühle. Das ging ihn nun gar nichts mehr an. Einfach weitermachen. Nächster Punkt.


Zuerst frühstücken. Er schläft noch. Ich frühstückte oft bei ihm alleine, da ich einfach ein Frühaufsteher bin und einen dynamischen Morgenstart bevorzuge. Ich setzte mich aber immer zu ihm, wenn er runterkam und trank meinen Kaffee mit ihm. Es störte mich überhaupt nicht. Eine Andere würde sich vielleicht allein fühlen, unwohl, wie unpartnerschaftlich, wie unromantisch. Ich glaube am Anfang hatte er immer versucht, früher aufzustehen, sich zu mir zu setzen. Aber wofür? Mir war es wichtiger, dass jeder von uns er selbst sein konnte, ohne sich für den anderen zu verbiegen. Denn auf Dauer geht sowas nie gut, wenn man solche grundlegenden Eigenschaften oder Gewohnheiten für den Partner ändert. Wir sind erwachsen und erfahren genug, um zu wissen, was uns ausmacht, was uns wichtig ist. Und das war einfach ich – dynamischer Morgenstart! Er die Eule, der Nachtmensch. Völlig ok für mich. Wäre es mehr Nähe, wären wir gleich? Ja, natürlich! Aber hatten wir auch so genug Nähe? Aus meiner Sicht ja. Da nimmt man sich vor, den anderen nicht zu ändern. Und das ist der Preis! Toll! Hat ganz toll geklappt!


Diesmal bleibe ich allein. Ich bin ruhig. Wie die Ruhe nach dem Sturm, aber auch vor dem Sturm. Überraschend ruhig. Ich führe alle Vorgänge das letzte Mal durch. Ich mache es bewusst, wie als Abschied von all den Gegenständen, die mich fast sechs Jahre begleitet haben hier. Das letzte Mal mache ich die Spülmaschine an, seine Spülmaschine. Ich will ein bestimmtes Schüsselchen von mir mitnehmen. Wie lächerlich. Auf welche Details man plötzlich achtet. Warum? Ist es wieder ein Schutzmechanismus des Körpers, um von großen elendigen Details abzulenken? Ich weiß es nicht. Das gemeinsame Intermezzo am Morgen ist recht kurz. Guten Morgen – guten Morgen. Er fährt zum Arzt, um sich weiter krankmelden zu lassen nach seiner Schilddrüsen-OP. Und nun hat er ja noch mehr Gründe, so kann er auch in Ruhe die Wunden lecken. Er geht weg. Ich bin allein, das letzte Mal in meinem seinen Haus. Meinem zweiten Zuhause! Ich habe ihn ja nur wenige Monate nach dem Auszug aus meinem Exhaus kennengelernt, lieben gelernt. Ich habe auch sein Zuhause geliebt.


Ich sage aber auch bewusst zuhause, wie er es für sich eingerichtet hatte, nicht einfach Haus. Dieser Duft, der in der Luft lag, wenn ich das Haus betrat! Es war so berauschend. Eine Kombination aus Haus und ihm. So warm und gemütlich. Wie habe ich dieses Zuhause geliebt. Mich geborgen gefühlt in dieser Atmosphäre ab Tag eins. Ich hätte das nicht für möglich gehalten, sich mit einem neuen fremden Menschen so zu fühlen. Wie schnell wurde alles so vertraut. Ich blicke mich um. Es ist nun einfach eine Hülle. Ich sehe nur die Regale, in denen meine Sachen stehen. Wir ein Roboter hole ich diese raus. Dekogegenstände, die er sicher nicht vermissen wird, die ich gebastelt hatte.

Aber vor allem natürlich meine eigene Kleidung. Ich habe ja hier gelebt, meinen zweiten Haushalt gehabt. Ich hatte so unfassbar viele Klamotten bei ihm. Aber insbesondere die Kinderklamotten machen mir nun Probleme. Alles, was ich auf Vorrat für meine Kinder gekauft hatte auf Basaren, alles liegt hier. Wir hatten bei ihm Platz ohne Ende, ich konnte mich breit machen. Das war ihm völlig egal, und ich hatte eine Beschäftigung mit dem Sortieren und Organisieren. Ich weiß, dass es ein ganzes Auto voll von Kinderklamotten sein wird. Ich weiß gar nicht wohin damit, ich habe nur eine übersichtliche normal große Wohnung. Vor seiner Existenz, da lag alles bei meinem Exmann in dem großen ehemaligen gemeinsamen Kleiderschrank. Der stand dann ja leer nach meinem Auszug. Also machte ich dort mich mit den Vorräten unserer Kinder breit. Jetzt stehe ich vor der gleichen Option, die relativ alternativlos ist. Über zehn große Kisten packe ich voll. Da sind auch zu kleine Sachen der Kinder dabei, die ich verkaufen wollte. Bisschen ärgere ich mich, dass ich alles alleine schleppen darf. Wo bleibt er? Er ist schon drei Stunden weg. Ich denke, er ist zu seinem besten Freund gefahren, um sich auszusprechen. Ich bin mir sicher, dass er nicht auf den Austausch mit mir scharf ist. Zu feige! Und er will sicherlich nicht meinen Auszug weiter anschauen. Soll er doch! Die Geister, die er rief, soll er ruhig anschauen. Aber er ist noch nicht da. Ich schleppe die Kisten selbst ins Auto, bin nicht aus Zucker. Das macht mich eh für das weitere Leben alleine bereit, härtet ab.


Bei der letzten Kiste kommt er an. Tolles Timing! Er hat beim Arzt solange gewartet, aha.  Und was hat der Arzt gesagt? Krankmeldung für eine weitere Woche ok, Schilddrüsenwerte zu niedrig wohl im Blut, aber würde noch weiter abwarten. Eine winzig kleine, wirklich kleine Hoffnung keimte damals noch in mir auf, dass der Arzt was anderes sagen würde. Dass der Arzt ihm dramatisch eröffnen würde, dass die Schilddrüsenhormone überhaupt nicht ausreichen und dringend erhöht werden müssen. Die letzten zwei Wochen nach der OP hätte er mit einer starken Unterfunktion gelebt, die ganz viele Nebenwirkungen hatte, unter anderem: Depressionen! Und zwar akute! Und der Arzt hätte gesagt, dass er hoffe, dass mein Partner in der Zeit doch keine wichtigen Entscheidungen getroffen hatte, die letzten zwei Wochen. Da er eigentlich emotional nicht zurechnungsfähig wäre. Wie krass wäre das denn gewesen! Das ganze Drama nur wegen fehlender Hormone! So gehts mir vor jeder Periode. Da bin ich auch nahezu nicht zurechnungsfähig! Das kenn ich doch, den Zustand. Wir haben schon Witze darüber gemeinsam gerissen. Jetzt wäre er auch in einer solchen Lage.


Aber nein, der Wert ist nicht dramatisch niedrig. Der Arzt erzählte nichts von Depressionen. Und die Hormone sollten erst in mehreren Wochen durch die Uniklinik angepasst werden. Erstmal alles einfach beobachten und warten. Warten konnte er. Ich nicht mehr. Ich verabschiede mich für einige Stunden, und kündige an, dass ich nochmal zurückkommen muss für meine restlichen Sachen. Ich fahre weg.

2.Akt: Der Exmann


Ich habe mit meinem Exmann ausgemacht, dass der Vorrat an Kinderklamotten wieder zu ihm kommt. Ich habe keine andere Alternative, auch wenn er kein Bock darauf hat, dass ich „ihm wieder alles zustelle“. Er hat sonst nie Hemmungen, mich durch und durch für alles zu kritisieren. Aber in solchen Zeiten, wo ich eh am Boden liege, da tritt er nicht noch nach. Hat er noch nie. Er ist dann wirklich bemüht, für mich da zu sein! Ich komme rein – und heule zur Abwechslung wieder los. Ich bin ja schon mindestens fünfzehn Minuten trocken gewesen, das reicht. Ich drücke ihn. Ich drücke ihn sehr fest und halte ihn fest. Die Erinnerung an damals kommt zurück. Vor sieben Jahren tat ich das gleiche, ich drückte ihn und heulte, wegen ihm, und ging, verließ das Haus, zog aus. Jetzt war ich wieder da! Was für ein Schicksal doch es alles ist. Er ist nun für mich da, mein Exmann, und tröstet mich über meinen Ex-Traummann hinweg, wie absurd ist das denn? Was für eine merkwürdige überflüssige Situation.

Er beschwert sich über die Kisten, spielerisch. Er tastet sich langsam vor, wie weit er gerade gehen kann. Es sieht bei mir gerade nach nicht sehr weit aus. Ich heule alle paar Minuten, eigentlich fast durchgehend. Ich frage mich wirklich, ob man irgendwann mal austrocknen kann? Oder werden diese Dreckstränen unaufhörlich nachgebildet? Er hatte recht, muss ich ihm eingestehen. Er hat schon vor einigen Wochen gefragt, ob alles gut zwischen mir und meinem Partner sei. Klar, war meine Antwort, warum nicht. Er frotzelte auch gerne herum, wenn ich wieder von einem Haus erzählt habe, was wir nicht genommen hatten. „Ey wirklich, er will doch einfach kein Haus mit dir kaufen. Da passt doch was nicht!“, war sein Lieblingsspruch. Blödsinn! Ich ignorierte das. Das war ja nicht das einzige Thema, um mich zu ärgern, es gab für ihn so viele. Ich erzähle die ganze Story, was alles in den letzten zwölf Stunden geschah, heule und erzähle weiter. Es ist irgendwie hilfreich. Er kennt mich sehr gut! Er hat mich mal sehr geliebt. So sehr, dass er mich um meine Hand bat, dass er Kinder mit mir haben wollte, dass er ein Haus mit mir gekauft hat. Es war genug für viele Jahre. Leider irgendwann dann doch nicht mehr. Er hat sich sehr verändert, dass in mir für ihn nichts mehr übrig blieb. Außer einer gewissen Vertrautheit, einer Restwärme wie bei einem Kamin. Darauf konnte man aufbauen. So gerne hätte ich ihn als Freund gehabt, als guten Freund, Gesprächspartner, nicht nur Vater unserer Kinder. Wie schön wäre das denn? Es war leider nicht möglich. Dafür waren wir zu weit voneinander entfernt. Aber in solchen Momenten war er für mich da, hielt meine Hand. Mehr konnte ich nicht erwarten. In einigen Tagen spätestens würden wir wieder über das nächste Thema streiten. So ist es halt zwischen uns.

Ich schaffe es sogar, ein Stück Brot mit irgendwas bei ihm zu kauen. Aber nicht ohne es vorher ein paar Minuten anzustarren. Ob ich wenigstens das Glück haben würde, in diesem Elend einbisschen abzunehmen? Wahrscheinlich nicht. Wir packen das Auto aus, verteilen die Kartons in meinem Exhaus, in meinem Exschrank und ich fahre davon, zurück in die Hölle.

3.Akt: Die letzte Kiste 


Als ich bei ihm zurück bin, beim ihm, den Verursacher meines Leids, fällt es mir besonders schwer, aus dem Auto zu steigen. Die Füße fühlen sich so bleischwer an. Ich würde keine Überraschung von ihm bekommen, vor was habe ich Angst? Ich weiß einfach, dass es das Ende ist. Ich will an diesem Ende alles ganz bewusst machen. Ich mache was ganz Verrücktes. Ich hebe die Hände über meinen Kopf und richtete mein Krönchen und sagte es auch laut vor mich hin „Krönchen richten, weitermachen!“ Ich bin stolz auf mich! So eine bewusste Geste kann doch so viel Kraft geben, unglaublich! Ich klingele – das letzte Mal. Ich presste sogar ein Hallo raus, er auch, ich gehe an ihm vorbei. Er sieht so alt, krank und erschöpft aus! Oh je, wo ist der hübsche blauäugige Schelm, den ich geliebt habe? Wo ist dieser allerliebste Mensch der Welt, der mich auf Händen trug? Wann habe ich den Fall aus seinen Händen zu Boden verpasst? Ich weiß es nicht.

Wir verbringen knappe zwei Stunden im Haus. Nicht wirklich nebeneinander, da er meist das Zimmer wechselt, wenn ich meine Sachen ausräume. Die meiste Zeit verbringe ich in „meinem“ Zimmer mit den Kleiderschränken. Ich fülle nach und nach meine Koffer und unzählige riesige Tüten. Die Kleiderflut will nicht enden. Wieviel hatte ich die letzten Monate und Jahre nur zusammengekauft! So nach und nach komme ich zu dem Entschluss, dass es Frustkäufe waren. Wollte ich mir damit was ersetzen? Wohl ja. Ich hatte das nie so gesehen, warum denn auch. Ich hatte einfach zwei Haushalte und musste in beiden zurechtkommen mit der Kleidung.


Ich habe eine Eingebung. Das darf ich nicht vergessen. Das nächste emotionale Highlight – sein Hausschlüssel. Sauberer Cut beinhaltet alles, auch Kleinigkeiten. Es war eine symbolische Kleinigkeit mit richtig großer Tragweite. Er steht im Flur. Ich gehe auf ihn zu. Er schaut irritiert, als ob er gleich einen Schlag bekommen würde. Ich nehme seine offene Hand und lege den Schlüssel in die Handfläche und schließe die Hand. „Zum Herzen“, das waren auch die Worte damals, als ich ihm meinen Schlüssel gab. Er atmet betroffen aus, schnaubt, klingt wie ein verletztes Tier. Aber kein Tier verletzt sich selbst bewusst, das wäre dumm. Er ist der Mensch, der diese Situation bewusst herbeigeführt hat. Es soll sie ruhig spüren! Ich gehe wieder packen.


Dann kommt die „Übergabe“, wie ich das für mich nenne. Ich bitte ihn mitzukommen in mein Zimmer. Ich zeige ihm die leeren Schränke, erkläre die übriggebliebenen Sachen, ob seine oder meine. Ein großer Haufen steht noch neben meinem Bett, größere Elemente, Schränkchen, Kisten. Ich brauche diese nicht dringend und habe auch erstmal keine Ahnung, wohin mit den Sachen. Zwar will ich den sauberen Abschluss, bin aber nach dem Tag einfach überfordert und müde. Ich kann langsam nicht mehr. Ich erkläre ihm, dass dieser eine Haufen noch aus meinen Sachen besteht, und dass ich das extra alles zusammen gestellt habe. So muss ich die Sachen auch nicht selbst abholen, sondern kann meinen Bruder oder meinen Exmann vorbeischicken, um selbst den erneuten Kontakt zu vermeiden. Es ist ihm natürlich alles recht. Er fühlt sich so unendlich fremd an, wie er so dasteht. In diesem Haus, in dem wir so glücklich gewesen sind. Ich kann mir diesen Kommentar nicht verkneifen. „Ich bin so froh, dass du in letzter Zeit fast gar nicht bei mir gewesen bist. Ich habe nur eine winzige Tüte Kleidung von dir. Aber hier, in deinem Haus, hier wird jede Ecke nach mir schreien, überall wird mein Einfluss, meine Hand zu erkennen sein.“ Er atmet wieder dramatisch aus. Stimmt mir zu. Was sollte er auch anders machen.

Ich stehe mit meiner letzten gepackten Tasche vor der Tür und schaue ihn an. „Hast du gedacht, dass wir heute hier stehen und es so endet?“ – will ich wissen. „War das dein Plan?“. Nein, so hatte sich sich das nicht vorgestellt. Die Ereignisse der letzten Stunden haben ihn vollkommen überrannt. Er wollte doch erstmal nur darüber sprechen, dass er sich schlecht fühlte. Er wollte vielleicht eine Pause vorschlagen. Eigentlich wusste er gar nicht, was er wollte und wie es nun weitergehen sollte. Er musste einfach seine Gefühlwelt mit mir teilen, leider in dieser groben und aggregierten Form statt der Gespräche über Gefühle in den letzten Monaten. Ich stehe nun einfach vor dem gebrochenen Traum einer gemeinsamen Zukunft. „Du kennst mich doch! Du hast doch nicht wirklich erwartet, dass ich nach dieser Ankündigung für einige Tage oder Wochen verschwinde, wiederkomme und dann die Diskussionen weitergehen? Dass ich abwarte, ob du dann Mut genug haben wirst, sich von mir zu trennen? Oder ob es so weitergehen soll wie bei deiner Ex? On off, wieder versuchen, leider wieder gehen?“. Er schüttelt den Kopf, er wusste gar nichts. Mir wurde wieder übel, körperlich übel. Muss wohl wieder eine Schutzfunktion des Körpers sein. So viel negative Energie, so viel Leid, wie ich verspüre, es ist zu viel. Es muss raus. Daher die Übelkeit. Der Körper will sich dieser Belastung entledigen. Mein armer Körper. Was wird er in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten noch ertragen müssen! Er tut mir leid.


Ich sehe aber meine Entscheidung so klar und richtig wie noch nie. Dieser saubere Schnitt war für mich seit dem Telefonat der einzige mögliche Schritt. Ich bin selbst gerade noch von dieser Sicherheit überwältigt, wie ich das so durchziehen kann. Ich muss gestehen, ich bin noch in dem Prozess des Verstehens, wie das gehen konnte. Ich bin einfach zu verletzt. Ich bin und war so sehr verletzt, dass mir wieder übel wurde bei dem Gedanken, wie er mir diese Zweifel präsentiert hat gestern. Nach so langer Zeit mich so fallen zu lassen. Mit keinem Wort, keinem Satz, kein einziger Versuch, es wieder irgendwie hinzukriegen. Kein Vorschlag, sich professionelle Hilfe zu holen. Kein Austausch, keine Diskussionen. Einfach nur Ende. Aber das hatte er ja gar nicht ausgesprochen. Von ihm kam nur die Darstellung seiner Gefühle, sein Weinen, seine Verzweiflung – das Ziehen der Konsequenzen hat er wieder mir überlassen! Wie grob, wie dreist, wie unmenschlich! Wie kann mir dieser Mensch das einfach nur antun? Wie konnte ich mich nur so in ihm geirrt haben?

Es erinnerte mich schockierenderweise an etwas. Etwas was er mir erzählt hatte vor langer langer Zeit. Sein letzter Abgang bei der letzten Beziehung. Es klang nun so wie ein blueprint von meinem eigenen Beziehungsende mit ihm. Unglaublich! Diese Frau damals hatte ihn so oft verletzt, seine Gefühle und Wünsche ignoriert, ihn so schlecht behandelt, ihm die Kinder jahrelang vorenthalten, ihn schikaniert. Aber plötzlich dachte ich – wusste sie das überhaupt, was er wollte und fühlte? Wusste sie von deren Problemen? Hatte sie die Chance gehabt, an diesen Problemen zu arbeiten? War ihr das alles bewusst, was ihn bewegte? ODER. Oder - war das nun wie bei mir? War sie auch aus allen Wolken gefallen, als er ging? So überrascht und hilflos wie ich? Er hatte nie ein gutes Haar an ihr gelassen und sie hat ihm auch wirklich genug mit den Kindern angetan in den darauffolgenden Jahren. Aber konnte man ihr das übel nehmen? Er hatte sie mit dem letzten Aufbäumen seiner Kräfte verlassen, als er absolut nicht mehr konnte. Er lag schon psychisch und physisch am Boden, und konnte nur noch wegkriechen. Er hat sie mit einem Baby in der Krippe verlassen. Sein Sohn war gerademal fünf Monate alt. Seine kleine Tochter war keine vier Jahre alt. Und er konnte einfach so gehen? Er musste seiner Darstellung nach gehen, weil er komplett eingegangen wäre. Aber wie lange hatte er denn davor die Chance dazu? Hatte er denn wirklich versucht, was zu ändern mit ihr? Hatte er irgendwas konstruktives rechtzeitig vorgeschlagen? Hätte er denn wenigstens nicht die Intimität mit ihr einstellen können, wenn er doch so unglücklich war? Und einfach noch früher gehen, bevor die Kinder kamen, bevor das Schicksal seinen Lauf nahm?


Oder war das ganz einfach genauso wie mit mir jetzt? Aus dem heiteren Himmel sitzengelassen. Ich hatte kein Baby, das hatten wir ja noch rechtzeitig entfernt. Wir hatten kein gemeinsames Haus, ganz knapp verpasst. Da muss man doch die allerletzte Gelegenheit einer Ausfahrt noch nutzten. Fast war das Haus gekauft, und wir wären naja fast auf immer und ewig aneinander gebunden! Es war schleunigste Zeit zu gehen, statt sich noch tiefer zu verstricken. Daher das letzte aber auch das erste schmerzhafte Aufbäumen und Gehen. Wie schwach ist das denn? Wie schwach war er denn nur? Solange das Ganze schweigend hinzunehmen, und dann einfach alles hinschmeißen, einfach optionslos und endgültig?

In meinem ganzen Leben hat mich keiner so verletzt wie er in den letzten 24 Stunden. Ich hatte ihm gesagt, dass ich nicht an dem verletzten Bein herumdoktern würde. Die einzige Alternative für mich war die komplette Amputation – und dann konnte ich mich voll auf das Leben mit der Prothese konzentrieren. Ich musste gehen, sofort und vollständig. Es war die Kombination aus verschiedensten Gefühlen. Der Schmerz über diese Behandlung, die ich nicht von meinem schlimmsten Feind erwartet hätte. Der komplette und vollständige Vertrauensbruch, den ich von diesem einen Menschen im Leben nicht erwartet hätte, nicht in 1000 Jahren. Der Stolz! Wie konnte er mich so sitzen lassen! Was dachte er sich nur dabei? Gab es eine Bessere? Irgendwo, irgendwann? Im Leben nicht! Aber der Stolz war mein kleinstes Problem. Ich habe gespürt, dass es für mich die einzige Lösung war, mit der Situation umgehen zu können. Gestern haben wir gemeinsam noch das Haus geplant, heute stand ich vor den Trümmern unserer Beziehung – in nur 24 Stunden waren wir dort angekommen. Ich bin – im Gegensatz zu ihm – nicht in den letzten Monaten dorthin gereift. Ich bin eiskalt getroffen worden. Der Unterschied zwischen der greifbaren gemeinsamen Zukunft und diesem Moment jetzt war so groß, dass mein Körper gerade einfach nur alles verdrängen und hinter sich lassen wollte. Ich stand wohl unter Schock.


Seit mehreren Monaten, seit es mühsamer wurde zwischen uns, habe ich als größten Wunsch einfach die Gewissheit gewollt, wo ich dran bin. Das Haus, die Ehe, das wäre alles dieses Commitment gewesen, was ich so dringend gebraucht habe. Das Schlussmachen, der Auszug – das war das andere Ende der Fahnenstange, aber denen gemeinsam war die Sicherheit. Das erste Mal nach langer Zeit lag die Entscheidungskraft wieder bei mir! Ich musste nicht mehr warten. Ich würde mich keinen einzigen verdammten Tag mehr auf das Warten auf ihn einlassen. Das erste Mal verspürte ich Hass! Wie konnte nur ein Mensch, der dich liebte, nur leider jetzt nicht genug, aber ja doch, und irgendwie nicht, wie konnte dieser Mensch, der dein ein und alles war, dir aus der nächsten Entfernung einen Dolch in die Brust stoßen! Wie konnte ich mich in diesem Menschen so täuschen?


Ich konnte ihn in diesen 24h nicht berühren, ihn kaum ansehen. Aber bevor ich gehe, muss ich das nochmal machen – ich kann dann ja gleich zuhause zusammenbrechen, nur nicht vor ihm. Wir halten uns lange fest, im Flur stehend, fest verschlungen. Wir stehen, wir schluchzen. Er drückt mich so unfassbar fest, ich fühle, es ist der Abschied. So drückt man einen Menschen, von dem man nicht mehr davon ausgeht, ihn zu sehen, ihn nochmal im Arm zu halten. Ich küsse ihn das allerletzte Mal auf den Mund. Ich lasse los. Ich gehe zum Auto. Ich bestimme nun die letzten Takte unserer Beziehung.

Wir haben aber noch einen Akt des Dramas vor uns. Ich will einfach alles für längere Zeit abschließen. Es passt nicht alles in mein Auto. Ich muss zwar sowieso noch Sachen bei ihm lassen, die ich in nächster Zeit nicht brauche und für die ich keinen Platz habe.  Aber er hat meinem Sohn Lego ausgeliehen, was sehr groß ist und ich will nicht, dass er bei mir in der kleinen Wohnung für die nächsten Wochen und Monate herumsteht. Er will es uns schenken. Nein. Ich will es nicht behalten, ich will nichts von ihm behalten! Ich muss mich also überwinden, ihn um Hilfe bitten. Er packt auch sein Auto, wir fahren gemeinsam los zu meiner Wohnung.

4.Akt: Der Abschied


Wir kommen fast gleichzeitig bei mir vor dem Haus an. Unterwegs habe ich mir noch Gedanken gemacht, wie er in dieser Verfassung überhaupt fahren kann. Er fühlt sich ja so schlecht, mindestens so schlimm wie ich. Aber wir haben es geschafft. Ich habe meine Mutter von unterwegs angerufen, und gesagt, sie soll runterkommen. Ich hatte die ganze Zeit überlegt, wie ich das am besten mache, meine Familie so gut es geht schütze. Aber kurz davor hatte ich irgendwie keine Lust, IHN vor der Konfrontation zu schützen. Und da ich meiner Tochter eh nichts mehr verheimlichen konnte, habe ich es darauf angelegt.


Ich parke, sie kommen sofort beide raus, meine Mutter und meine Tochter. Meine Tochter weiß wohl noch wirklich von nichts, da ich meiner Mutter bis zuletzt nicht sagen konnte, wie ich das Auspacken machen würde. Sie kommt zum Auto. „Mama, du klangs so krank am Telefon, bist du krank?“, fragt sie naiv. Sofort heule ich los! Verdammte Scheiße, aber wirklich. Keine Sekunde sich zusammenreißen zu können, wie anstrengend ist das denn! Wir schwach bin ich denn. „Schatz, ich bin auch irgendwie krank, weißt du“, presse ich irgendwie hervor. Der Kofferraum geht auf. „Mama, was ist das alles?“, frage sie verblüfft. Das Auto ist bis zur Decke voll. „Klarabär, ich muss dir was sagen. Mein Freund und ich sind nicht mehr zusammen und ich habe meine Sachen bei ihm gepackt.“ Sie schaut mich verständnislos an. Ein intelligentes „Hä?“ entringt sich ihr. „Wie meinst du das? Warum denn?“. In diesem Moment steigt er aus seinem Auto aus und kommt mit den ersten Kisten näher. Normalerweise läuft sie sofort zu ihm und hängt sich um seine Hüfte. Heute nicht. Intuitiv merkt sie, dass das nun nicht angebracht ist. „Das kann ich dir leider nicht sagen, Baby. Ich weiß es nicht. Irgendwie liebt er mich nicht mehr so.“ Er stellt schweigend die Kiste ab und geht zurück zum Auto.

Wie ein geschlagener Hund schaut er zu Boden und sagt nichts. Meine Mutter und meine Tochter sagen auch nichts. Sie tragen stumm eine Kiste nach der anderen hoch. Der Hund schießt raus und springt an seinem Bein hoch und will ihn begrüßen. Der Kleine erfasst die Situation nicht so schnell wie meine Tochter. Er wird einfach ignoriert. Einen kleinen Zwergspitz mit vier Kilo kann man leicht ignorieren, er tut nicht viel. Aber auch von ihm war er der „Papa“ gewesen, meine Güte stimmt! Wir hatten Puschel damals vor über zwei Jahren gemeinsam abgeholt bei der Züchterin, da war er gerade vier Monate alt, ein Babywelpe. Aber es war ja mein Hund für meinen Haushalt. Er konnte sich leider nie für ihn erwärmen. Da war er wenigsten transparent, wenigstens etwas. Seine fehlende Liebe zu Tieren war kein Geheimnis. Er war von ihm nicht begeistert, aber er hatte auch nicht mit mir diskutiert und versucht, mich von der Idee abzubringen, trotz der Aussicht, auch mal mit dem Hund sein zukünftiges Haus teilen zu müssen. Oder wusste er schon damals, wie es mal endet? Nein, damals nicht, bestimmt nicht. Er konnte einfach nichts mit ihm anfangen. Wollte so wenig wie möglich ihn anfassen, ekelte sich gewissermaßen vor ihm. Das störte mich nicht weiter. Klar wäre ein bisschen mehr Gefühl schön, aber was solls. Er sollte ja auch nicht ihn heiraten. Das Zusammenleben würden wir schon hinbekommen, da war ich zuversichtlich wie bei allen anderen Dingen, die das Haus betrafen.


Der Hund wird von meiner Mutter wie ein Paket weggetragen. Keiner spricht weiterhin nur ein Wort. Ich gebe nur hier und da Anweisungen, was Oma und Tochter nach oben tragen können. Das Ende ist nah. Die Autos sind leer. „Klarabär, er fährt nun. Wenn du ihm noch was sagen möchtest, kannst du es jetzt machen. Oder wenn du einfach nur Tschüss sagen willst?“ Sie geht wortlos und sehr stolz mit erhobenem Haupt an ihm vorbei ins Haus – mit ihren knapp neun Jahren. Sie hat es jetzt schon drauf, ihr Krönchen zu richten. Meine Mutter tut das gleiche. Ich stehe am Auto. Es ist alles durch. Er kann fahren. Er schaut noch einmal kurz zu mir. Ich schaue an ihm vorbei, wartend, dass der unsäglich elendige Moment einfach vorbeigeht. Ich glaube, er macht noch eine merkwürdige Bewegung. Will er mich hier auf der Straße umarmen? Ganz sicher nicht, wir haben uns schon verabschiedet. Mehr kann und will ich nicht. Mehr würde ich definitiv an einem Tag nicht mehr ertragen können. Er steigt ein und fährt einfach davon. Das Ende.


Ich schleppe die letzten Kisten ins Haus. Wir kommen alle zusammen durch die Tür. Ich habe Angst vor den Reaktionen. Vor der Reaktion meiner Tochter. Ich will gute Stimmung machen. „Aber Klara, weißt du denn, mit wem ich mich nun wieder gut verstehe?“, fange ich an. Sie schaut mich misstrauisch an. „Mit Papa?“. Wie kommt sie nur drauf? Kluges Kind. „Ja! Ich war heute bei ihm Kaffeetrinken, er hat mir geholfen, mit mir geredet.“ „Ziehst du nun wieder zum Papa?“, kommt es plötzlich aus ihr geschossen. Hä? Wo bin ich denn jetzt gelandet. „Nein, natürlich nicht. Aber wir haben uns wieder versöhnt! Das ist doch schön?“ Am Tag davor hatten wir einen kleinen, nennen wir es mal Wasserdisput. Es war ja schon ok, nass gespritzt zu werden, ich bin ja nicht aus Zucker. Aber irgendwann mal wurde es zu viel. Er verstand es wiedermal nicht. Es gab Ärger. Aber jetzt lief es ja wieder. Wir haben uns ausgesprochen, aber es war ja eh keine große Sache. Die „Sache“, die nun lief, war größer und schlimmer.

5.Akt: Die Kinder


Welche Angst hatte ich nur davor, was ich den Kindern sagen soll! Ich kann es gar nicht in Worte fassen! Mein Leid war noch so frisch! Ich konnte es nicht vermeiden, dass sie es sehen. Wohin sollte ich denn auch weg? Und wie hätte ich weg können, sie waren doch jetzt mein ein und alles. Alles, was mir jetzt übrig blieb. Zuerst dachte ich, dass ich versuchen würde, sie da einfach rauszuhalten. Ich würde das Thema Haus nicht mehr erwähnen. Sie würden irgendwann mal nachfragen, ich würde einfach sagen, war wieder nichts – das hatte ich doch so oft die letzten Male schon gemacht. Auch ihre Enttäuschung ist immer geringer geworden. Meine Tochter schrieb am Anfang noch immer glühende Haussuch-Inserate, wollte diese an Bäumen aufhängen, an Freunde verteilen. Jahr für Jahr und Monat für Monat ließ es nach. Auch die Kinder spürten, dass irgendwas doch einfach nicht stimmte. „Will er mit uns nicht zusammenwohnen, Mama?“ – kam oft die Frage. Blödsinn, war meine Antwort, wir haben einfach das richtige Haus nicht gefunden, es dauert halt. Ich wollte einfach das Thema nicht mehr erwähnen, und abwarten. Ich konnte doch schon richtig gut warten, hatte eine endlose Erfahrung darin. Ich dachte, ich erwähne ihn selbst einfach nicht mehr. Ich achte einfach darauf, was ich sage, lasse ihn aus meinen Erzählungen raus und er verschwindet einfach leise und heimlich aus unserem Leben. Wir haben in letzter Zeit eh nicht viel miteinander zusammen unternommen. Er war kaum bei uns zu Besuch, wir sowieso kaum bei ihm. Der Alltag war stressig, so viele Krankheiten, so viel los – und dann das Haus. DAS HAUS. Das kostete doch so viele Mühe, keine Zeit für Unternehmungen. Viel Zeit für Diskussionen. Er würde einfach nicht mehr erwähnt werden, weder er noch das Haus, und es würde in Vergessenheit geraten.


Eine Kleinigkeit bereue ich plötzlich zutiefst. Aber auch darüber kommen wir hinweg. Ich mache für meine Kinder Fotobücher im Internet, die dann als richtiges Buch gedruckt und verschickt werden. Jedes Kind bekommt jedes Jahr ein Jahrbuch von dem vergangenen Jahr. Schön kompakt und hübsch anzusehen. Irgendwann mal vor fünf Jahren hatte mein Exmann mich gebeten, wahrscheinlich eher in einem bösen Kommentar, dass mein neuer Macker nicht in den Büchern erscheinen sollte. Kein Problem. Ich habe das respektiert! Es waren unsere Kinder. Mein Exmann fühlte sich unwohl. Und vor allem am Anfang hatte ich volles Verständnis dafür, es war ja alles so frisch! Es sollten Familienbücher bleiben. Aber mein Neuer gehörte doch immer mehr zur Familie! Er war so ein fester Bestandteil davon geworden. Ich hatte das Bedürfnis, auch ihn zu integrieren. Ich hatte inzwischen mehr Bilder von ihm mit meinen Kindern als von meinem Exmann mit unseren Kindern. Also gesagt, getan. Vor nur wenigen Wochen habe ich das erste Mal die Bücher mit seinen Bildern drucken lassen. Das allererste Mal – und damit auch das allerletzte Mal. Ich hätte meine Strategie nicht ändern sollen. Aber gut, was solls.

Aber zurück zu den größeren Problemen. Die Kinder hatten also ihren Vater, ihre Oma, ihren Onkel, so viele wichtige Menschen in der Nähe, er war doch nur einer von denen, es würde schon gehen. Ich habe nie – und im nachhinein – gottseidank!! – nie als Vaterersatz für sie gemacht! Von Tag eins hatte ich Angst! Genau vor diesem heutigen Tag Angst! Eine Scheiß-Angst, dass sie wieder eine Trennung durchleben müssen. Damals als ich ausgezogen bin aus dem gemeinsamen Haus mit ihrem Vater, damals war es schon der emotionale Tiefpunkt meines Lebens. Wie sie als Babies, Kleinkinder gelitten haben! Natürlich war das nicht die gleiche Situation. Ich war die Mutter, ich ging, der Vater blieb, ich hatte eine neue Wohnung für uns drei. Es war anders. Aber es war eine Trennung! Wenn du in deren traurige Äuglein blickst, und du weiß, du bist machtlos gegen diese Gefühle der Erwachsenen, die sie nicht verstehen. Die man selbst nicht versteht.


Ich wusste, und hatte gehofft, dass ich immer irgendeinen Umgang mit meinem Exmann pflegen würde. Und ich hatte recht, wir haben einen guten, keinen perfekten, aber einen soliden Umgang miteinander bei der Erziehung der Kinder. Aber bei einem neuen Mann, der nicht der Vater meiner Kinder ist, er wäre doch unweigerlich einfach weg aus meinem Leben! Ich könnte dann gar nichts retten, ihn nicht als Freund für die Kinder behalten, das ginge doch gar nicht. Man könnte es versuchen, die berühmte Freundschaft, aber das kann man ja nicht steuern. Vielleicht ergibt sich das, vielleicht auch nicht. Das war mir zu gefährlich. Er sollte kein Vaterersatz für sie werden. Die Kinder hatten einen Vater und das war auch richtig so.


Mein Partner selbst hat es verstanden. Er kannte die leidige Trennungssituation aus der Perspektive eines Vaters. Niemals hätte er versucht, diesen Platz einzunehmen, ihm wegzunehmen. Dafür war er zu anständig, zu respektvoll. Wir haben viel gemeinsam unternommen – in der Anfangszeit, in der Mittelzeit – nicht mehr in der Endzeit. Er war ein wichtiger Teil meiner Familie. Irgendwie waren wir auch eine Familie. Er hatte so viel Wärme zu geben. War so verständnisvoll und lieb zu meinen Kindern, das war unbeschreiblich! Ein absoluter Jackpot, wie oft habe ich mir das gedacht. Was für ein perfekter Familienmensch! Und auch da kam wieder das Thema Baby auf. So gerne hätte ich eine „richtige“ Familie mit ihm gegründet, so gerne ihn zum Vater unserer Kinder gemacht. Eine unfassbar bittere Erinnerung kommt wieder hoch. Das Thema habe ich nie verwunden und ich werde auch nicht so schnell überwinden. Sie liebten ihn, vor allem mein Sohn. Gleich bei der ersten Begegnung schloss er ihn in sein Herz. Ich hatte das noch nie so bei ihm erlebt. Er ein sehr zurückhaltendes Kind wenn es um Gefühlsäußerungen ging. Aber meinem neuen Freund flog sein kleines Herz gleich zu. Die Kinder sind da wie Tiere. Sie spüren intuitiv, wer gut zu ihnen ist. Sie spüren einen guten Menschen, das ist wirklich faszinierend. Und auch sie hatten sich am Ende doch in ihm geirrt!

„Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“ — Antoine de Saint-Exupéry, der kleine Prinz. So oft habe ich in diesen Tagen an diesen Satz gedacht. Nicht nur ich war ihm vertraut, nein. Auch meine Babies hat er doch angenommen, sich um sie gekümmert. Es sagte sogar einmal, dass er sie liebt, was ich schwer glauben konnte. Aber meine Tochter war ja damals auch erst drei Jahre alt, mein Sohn fünf. Sie waren noch so klein und haben ihn aufgesaugt mit Haut und Haaren. Ihm vertraut, ihre kleinen Händchen gegeben, um mit ihnen über die Straße zu gehen. Wo war seine Verantwortung für diese Gefühle? Wie konnte er nur? Nicht nur mich, sondern die Zwerge, wie er alle unsere Kinder nannte. Wie konnte man denn die Zwerge verlassen? Aber was wundert mich denn bitte dabei? Er hatte auch seine eigenen Zwerge verlassen können, und es war sein eigenes Fleisch und Blut! Wie sehr muss man nur dafür gelitten haben unter der Ex. Es muss sehr schlimm gewesen sein damals, habe ich mir immer gedacht. Welch eine schlimme Frau sie gewesen sein muss. Und nun war ich dran und meine Kinder! Gab es Parallelen? War ich am Ende in seiner Empfindung genauso schlimm wie sie damals? Wie sehr muss er unter mir gelitten haben, um diesen einschneidenden Schritt gehen zu können.


Mein Plan geht nicht auf! Ich habe unterschätzt, wie kaputt ich sein würde. Ich lag da in Scherben und sollte den Kindern was anderes vormachen? Es unter den Tisch fallen lassen? Das ging ja gar nicht! Unter dem Tisch waren ja die ganzen Klamotten, die ich von ihm mitgenommen hatte und die das Zimmer blockierten, egal wohin der Blick fiel. Ich heule alle paar Minuten. Ich muss mich selbst umarmen, um mich zusammenzuhalten, um nicht auseinander zu fallen. Ich kann das doch nicht verbergen. Was für ein blödsinniger Plan.


Die Szene vor dem Auto hatten wir hinter uns gebracht. Das wäre dann soweit die letzte Begegnung zwischen meiner Tochter und ihm. Als ich nach oben komme mit den letzten Taschen aus dem Auto, ist ihre Zimmertür verschlossen. Ich traue mich nicht, reinzugehen. Ich setz mich in mein Zimmer und überlege, was ich nun tun soll. Ich hatte eine solche Angst vor ihrem Anblick. Weinte sie? Was hat sie gemacht? Die Tür war geschlossen. Das ganze Elend, was ich schon die letzten 24 Stunden erlebt habe, das musste nochmal kindergerecht aufgewärmt und aufgearbeitet werden. Krönchen richten, aufstehen, auf in den Kampf.

Meine Mutter sitzt schon im Zimmer auf ihrem Bett. Sie weint nicht – Gottseidank! Sie starrt nur an die Decke. Ich setze mich zu ihr, der Hund springt aufs Bett, meine Mutter sitzt neben mir. „Schatz“, beginne ich. Ich denke, ich versuche es mit einem nützlichen Elternvortrag. „Schatz, so sieht ein gebrochenes Herz aus.“ Natürlich laufen mir dabei die Tränen runter. „Aber das wird uns noch oft in unserem Leben passieren, dir und mir, weißt du. Das ist normal, wenn Menschen lieben, sich entlieben, traurig sind. So sind Beziehungen. Wir haben ja auch die Trennung von Papa damals geschafft, wie schaffen das auch. Und auch mit dir werden ich noch oft hier liegen und dich trösten, wenn dich ein Junge traurig gemacht hat.“ So weit so gut, ich bin stolz auf mich. Ok, es ist keine flüssige Rede am Stück. Es ist von Weinen und Schluchzen überlagert ok, so richtig gut habe ich das nicht gemacht. Ich kann leider nicht anders. Sie weint nun. Sie weint aber wegen mir, da ich weine, sie umarmt mich, drückt mich und wir weinen, zusammen – als Auftakt für viele weitere Tröstaktionen in unserem Leben. Ich weiß dann gar nicht mehr was ich sagte. Ich glaube ich frage, ob sie nur wegen mir traurig ist, da ich traurig bin. Sie ist ein so kluges Mädchen für ihre neun Jahre. Sie sagt sofort ja, sie ist traurig, weil ich weine. Sie denkt aber nochmal nach. „Nein Mama, ich bin auch traurig wegen ihm.“ Sie weint. Ich weine.


Es klingelt an der Tür – mein Sohn kommt von der Schule nachhause. Fröhlich ausgelassen trifft er auf unsere Trauergemeinde auf dem Bett meiner Tochter. Küsschen Küsschen, hmm, irgendwas stimmt nicht. Alle sehen irgendwie verheult aus. Er fragt nicht. Klara ist schneller: „Mama und ihr Freund sind nicht mehr zusammen. Sie haben sich getrennt!“, schießt es aus ihr heraus! Naja, Mama heult ja auch schon wieder, sie kann nichts sagen. Der Hunde leckt mich wie ein Gestörter ab. Er hat ja auch so viele Antennen. Er spürt das Drama.


Mein Sohn ist nicht so schnell. Er tut sich schwer, Dinge zu begreifen, Situation zu erfassen. Er hat ADS, sein Leben ist schon eine Herausforderung für ihn selbst. Alle Einflüsse von außen verarbeitet er extrem schwierig und langsam und mühsam. Ich bin wirklich gespannt, wie er die Lage auffasst. Wie unterschiedlich die Kinder doch reagieren, was sie fragen. Jedes Kind völlig anders. Ich weiß nicht mehr, was seine erste Frage ist. Die Reaktion ist eher Verwunderung. Es sieht so aus, als hätte er die Aussage gar nicht verstanden. Aber eine der ersten Fragen ist recht pragmatisch praktisch: „Mama, wenn wir dann bei Papa sind, wo wirst du denn schlafen?“ – Hä? Zuhause, wo denn sonst? „Mit wem fliegst du dann nächstes Jahr in den Urlaub?“ – naja, dann halt gar nicht, da geht doch die Welt davon nicht unter. Warum soll ich denn auch jedes Jahr in den Urlaub mit einem Mann ohne euch fliegen? „Wer wird denn in deinem Zimmer bei ihm schlafen?“ Naja, keiner, außer er findet dann eine neue Freundin, die ebenfalls nicht so gut an seiner Seite schlafen kann. Echt merkwürdige Fragen.


Er kann einfach gar nicht begreifen, wie das Leben konkret, wie der Alltag ohne den Freund der Mama weitergehen soll – für die Mama. Er kennt es nicht anders. Ich bin zwischen Auszug aus dem gemeinsamen Haus und dem Treffen meines nun Expartners ungefähr sechs Monate in meiner Wohnung allein, in meinem Leben allein – mehr nicht. Dann habe ich ihn schon getroffen, mich verliebt und dann ging das gemeinsame Leben los. Ich kann das erst gar nicht verstehen, dass die Kinder das Ganze nicht erfassen können und mein Sohn solche Fragen stellt. Aber sie kennen einfach gar kein anderen Leben, als mit ihm in unserem Alltag. Seit fast sechs Jahren ist er an meiner, an unserer Seite. Es ist so selbstverständlich für uns wie das tägliche Atmen. Er ist unser Leben, mein Leben, meine Liebe. Es ist unmöglich, ein Leben ohne ihn so schnell zu erfassen, weder für mich noch für die Kinder.

Klara hat nun tiefsinnige moralische emotionale Aspekte, die sie beschäftigen. BÄM – das Thema Haus kommt auf. Sie schaut sehr ernst und streng: „Mama, aber weißt du, was ich nicht verstehe, wirklich nicht verstehe. Warum sucht er dann mit uns die ganze Zeit ein Haus? Und jetzt sagt er dir heute, dass er dich nicht mehr liebt? Warum hat er dann das Haus mit uns gesucht?“ Sie erwartet eine gute Antwort. Was solle ich ihr denn sagen? Kinder spüren ja, wenn man sie belügt. Aber was zu Hölle sollt ich den meiner neunjährigen Tochter sagen auf diese Frage, die auch meine Hauptfrage war, und die mir keiner beantworten konnte, niemand! „Schatz, ich weiß es nicht. Es tut mir leid, das kann ich dir leider nicht sagen. Ich weiß es nicht.“ Sie ist nicht zufrieden, sichtlich nicht zufrieden. Aber sie wird wütend. Das ist gut! Wut heilt auch Wunden, und zwar schneller, als die Zeit ihr Werk verrichtet.


Erik wirkt weiter etwas lethargisch, verwirrt, aber nicht traurig. Klara holt wieder aus: „Mama, weiß du was, das hat jetzt auch Vorteile!“ Aha ich bin gespannt. „Du bist jetzt viel öfter bei uns!“. Naja Leute, ich bin doch eigentlich immer bei euch, wenn ihr hier seid, nur sehr selten bei ihm und dann passt die Oma auf euch auf. Naja, es war ein Versucht von ihrer Seite. Da müssen wir beim Trösten noch üben für unsere künftigen Diskussionen über zerbrochene Beziehungen.

Jetzt fällt auch meinem Sohn was Nützliches ein, was er einwerfen will: „Klara, denk doch nur an die Catcars! Die werden wir nie wieder fahren!“ Oh Mann, der kleine Materialist! Wie goldig, dass sowas ihm als erstes einfällt. Die Diskussion ist nicht entgleist, so weit so gut. „Kaufen wir jetzt kein Haus mehr zusammen?“, fragte er dann. Natürlich nicht mehr, nein. Jetzt ist auch Erik sauer. Klara wechselt zu enttäuscht. „Warum nicht? Kannst du das Haus nicht allein kaufen?“ „Nein mein Schatz, das kann ich mir nicht leisten und ich will es mir nicht leisten, da wir das Haus zusammen mit ihm und seinen Kindern kaufen wollten, nicht einfach nur für uns.“ Schweigen, das müssen sie erstmal verdauen.


„Mama, ich werde ihm schreiben, wie blöd ich ihn finde. Ich werde ihn beleidigen“ ereiferte sich mein Sohn, der sein eigenen Handy hat. „Schatz, das macht keinen Sinn. Mach das nicht! Ich möchte nicht, dass dich auf so ein Niveau einlässt. Das macht dich selbst traurig. Wenn du ihm was schreiben willst, ist es deine Sache. Aber keine Beleidigungen!“ Das ist schon interessant, wie Kinder in diesem Alter denken. Für sie ist die höchste Strafe untereinander die gegenseitige Beleidigung, abgesehen von der Steigerung zur körperlichen Gewalt, die Mama dann doch unterbinden würde. Er wollte mich verteidigen, der kleine Mann. Irgendwie süß. Und unendlich traurig, dass er die Mama nun beschützen soll, wo doch die Mama dafür verantwortlich ist. Mein Junge! Ich bin gespannt, ob er das durchhält. Hätte meine Tochter schon ein Handy gehabt, sie hätte den bösen Ex der Mama nach allen Regeln der Kunst fertig gemacht, verbal und sehr emotional! Mein Mädchen! Aber mein Sohn ist dafür kein Spezialist. Er schweigt. „Können wir Minecraft spielen“ kommt von ihm. JA – erste Unterhaltung abgeschlossen. Auf in die nächste Runde.

6.Akt: Die Chefin


Diesen Gang nach Canossa muss ich noch machen. Ich habe ja auch einen Job, den ich gerade nicht ausüben kann. Ich hatte mich am Sonntagabend per Mail kurzfristig krankgemeldet mit Migräne, die ich ja auch erwartet habe. Was zur Hölle soll man den auch noch reinschreiben – „Liebe Chefin, ich muss mich morgen krankmelden, da ich nicht mehr kann. Mein langjähriger Freund hat sich gerade von mir getrennt, da wir kurz vor dem Hauskauf standen und er kalte Füße bekommen hat. Da ich durchgehend heule, meine Hände zittern und ich auf dem Bildschirm eh nichts sehen würde, muss ich mich für morgen leider abmelden. Und wahrscheinlich auch für den Rest der Woche, da ich die Scherben meines Lebens zusammenkratzen muss. Liebe Grüße, Paulina“. Jetzt will ich sie lieber persönlich anrufen. Sie ist eine Frau, ich kenne sich schon seit über fünfzehn Jahren, sie wird es verstehen. Es ist nur so unermesslich peinlich! Ich weiß noch, wie ich damals meiner anderen Chefin vor sieben Jahren von meiner Trennung erzählen musste! Damals war es mein Exmann, es waren Kinder im Spiel, es war also noch komplizierter und dramatischer. Und darin liegt auch das Problem – jetzt war es NUR eine Beziehung, keine Ehe! War es überhaupt was Ernstes? Keine Kinder, kein gemeinsamer Haushalt. Wer wusste, wie es um uns steht? Leider wussten meine Kollegen schon etwas mehr Bescheid. Sie wussten, dass wir ein Haus suchen, das war kein Geheimnis. Aber einige wenige wussten auch, dass ich auf den Ehering warte und mich schon etwas wunderte, gelinde ausgedrückt. Das habe ich teils im Witz teils im Ernst immer wieder mal erzählt, warum auch nicht. Ich rede über meine Gefühle. Jetzt muss ich angekrochen kommen, aber irgendwie doch mit stolzem Haupt erscheinen und eingestehen müssen, dass es vorbei ist. Dass ich mich geirrt habe. Dass er doch nicht einfach nur Zeit braucht, sondern dass er mich gar nicht ehelichen wollte, dass die Liebe nicht stark genug war! Wie demütigend ist denn das? Das ist doch meine verdammte Arbeit, da will ich doch professionell erscheinen! Selbst schuld, du blöde Kuh, muss ja auch davon erzählen von dieser verdammten Besessenheit von der Ehe. Wirklich einfach nur selbst schuld. Ich rufe sie über Teams auf dem Laptop an, sie geht sofort ran.


Zack, ich heule los noch bevor ich ein Wort sagen kann. Mir geht es offensichtlich nicht gut, das ist ihre erste Frage und damit auch Antwort von meiner Seite. Mit dem weiteren Verlauf des Gesprächs hat sie nicht gerechnet. Echt? Ich auch nicht. Ich habe mit dieser Wendung in meinem Leben auch nicht gerechnet. Ich konnte es also noch nicht so gut den Mitmenschen verkaufen, erklären, wie auch immer. Ich habe keine Strategie, wie ich das jemanden erzählen soll. Ich wusste es damals bei der Scheidung auch nicht wirklich. Mir war nur eine Sache wichtig – Transparenz. Wenn ich am Boden zerstört bin, dann möchte ich und muss ich mein Umfeld involvieren und informieren. Das finde ich fair. Ich habe damals vor sieben Jahren meine Chefin beim Kaffeetrinken angeheult, versucht mich irgendwie in der Öffentlichkeit so gut es geht zu verbergen. Aber ich wollte, dass mein Umfeld erfährt, dass es mir nicht gut geht. Ich war geistig und körperlich gerade ziemlich am Ende. Ich war traurig und gereizt, habe kaum geschlafen und gegessen. Fehler konnten so sehr schnell passieren. Ich wollte nicht, dass jemand mich mit Kleinigkeiten angeht, während mein Leben in Trümmern liegt. Ich wollte, dass die Leute Bescheid wussten und zumindest die Chance hatten, darauf Rücksicht zu nehmen.


Meine jetzige Chefin schweigt weitgehend, ist ebenfalls verlegen. „Das tut mir aber leid.“ Den Satz würde ich noch ganz ganz oft hören müssen, das weiß ich. Ich erzähle – natürlich unter weiterem Heulen - die Kurzfassung. Er war sich seiner Gefühle nicht sicher, wollte irgendwas wie Pause, ich zog aus, wir waren getrennt, ich liege gerade am Boden, muss mich sammeln, es wird schon wieder. Ich hatte versprochen, mich mit der Arbeit abzulenken, dann komplett da zu sein. Ich würde noch einen Tag brauchen, den Dienstag, da wäre ich noch nicht einsatzfähig, dann würde ich durchstarten. Sie hat Verständnis, das ist lieb. Sie sagt sogar, dass sie es super findet, wie konsequent ich in der Situation reagiere. Ihre Schwester war wohl in einer ähnlichen Lage, und das Trauerspiel zog sich über Monate hin und vergiftete alles. Und – war am Ende sowieso umsonst. Sie wünscht mir alles Gute, wir legen auf. Ein weiterer Punkt abgehackt. Krönchen richten, weitermachen!

7.Akt: Die Freundin


Ich warne die Kinder gleich vor, dass ich kurz vor sechs verschwinden und die Oma sie ins Bett bringen wird. Ich will eine von meinen besten Freundinnen treffen, die Britta. Sie hat spontan Zeit gehabt heute Abend, wie unendlich lieb von ihr! Wo kommen die ganzen lieben Menschen nur her? Ich dachte schon schuldbewusst, dass ich alle brüskiert haben müsste in den letzten Monaten auf der verdammten Suche nach dem Haus. Aber sie ist da. Ich fahre einfach zu ihr nachhause, um weg aus meinem Heimatdorf zu sein. Ich will nicht auf offener Straße heulend gesehen werden. Es ist so peinlich! Wie vielen Leuten musste ich nun erzählen, dass wir kein Haus mehr suchen! Ich weiß nicht, wer in meinem Umfeld das noch nicht wusste. So grenzenlos peinlich, so demütigend! In welche Lage hat er mich nur gebracht und warum? Wie konnte er nur? Natürlich war dann allen klar, dass die Trennungsentscheidung nicht von mir ausging, wenn ich doch so fleißig das Haus weitersuchte. Das alles ist zwar im Moment mein geringstes Problem, aber wie demütigend und schlimm würden sich die nächsten Wochen noch anfühlen.


Daher müssen die Felder in einem anderen Dorf herhalten für unseren kleinen Ausflug zum Wundenlecken. Als ich reinkomme ist Britta mit ihrer Familie da, wie denn auch sonst. So normale Dinge fallen mir nun bewusst auf. Ihr Mann liegt in ihrem Garten neben ihrem Haus auf der Liegewiese und winkt mir zu. Egal welche Probleme die beiden auch mal hatten, sie waren zusammen, sie hatten es geschafft. Würde ich in Zukunft nun wieder alle Paare beneiden? Hassen? Paranoide Gedanken! Warum nicht ich? Warum konnte ich nicht so da sitzen mit allen meinen Lieben? Warum hatte das Schicksal für mich was anderen ausgedacht.


Es ist bestimmt nicht immer Gold was glänzt. Ich weiß, auch sie hatten genug Probleme gehabt. Wir laufen durch die Weizenfelder und ziehen Parallelen. Ich habe viele kluge Menschen in meinem Freundeskreis. Wie schön ich das denn? Zwei Mädels kannten mich seit der Geburt unserer älteren Kinder. Sie wusste alles von dem Ex, von dem Exfreund, von der Haussuche. Ich musste nicht ausholen, wir waren sofort bei dem Punkt angekommen. Ich war schon die letzten Wochen und Monate nicht mehr glücklich, sie wussten das. Zu viel habe ich mich aufgeregt über den schleppenden Verlauf der Haussuche. Und dann erst das Thema mit der Heirat! Sie waren meine Hauptzuhörer bei diesem Aspekt. Aber irgendwie waren sie auch die Falschen. Sie selbst hatten erst viel später ihre Männer geehelicht, erst nach der Geburt der Kinder. Heiraten ist nicht wichtig, warum denn auch. Was besonderes haben beide darin nicht gesehen. So scharf darauf wie ich waren sie nicht gewesen. Aber sie verstanden den Punkt, dass es mir wichtig war, darauf kam es ja an. Ich dachte irgendwann mal dass mir bald keiner mehr zuhören kann, bei diesem leidigen Thema. Ich kaute denen echt einfach nur noch das Ohr ab, echt schlimm!

Aber was tut man nicht als guter Freund? Man hört zu, nickt, diskutiert, und wieder von vorne. Das haben sie wirklich toll und geduldig gemacht. Und auch jetzt in den Feldern war Britta das Verständnis in Person. Ich weiß nicht, ob die Menschen mir extra zustimmen müssen, weil ich deren Freundin bin? Oder vielleicht doch, weil ich im Recht bin, weil ich unfair behandelt wurde, ich das Opfer bin. Ich werde es final wohl nie erfahren und an jeder Wahrheit ist was dran. Wie schäbig er sich doch mir gegenüber verhalten hat! Wie konnte er nur! Ich habe nichts geahnt, keine Hinweise? Als ich heute bei ihm gefahren bin, war ich noch voller Mitgefühl auch für ihn, seine Traurigkeit. Jetzt entdecke ich meine Zähne, Wut kommt hoch, übernimmt mehr die Kontrolle.


Wir reden über meine Lieblingsthematik die Skala der Liebe, von eins bis zehn. Was ist denn Liebe? Was ändert sich im Laufe der Beziehung? Britta und ihr Mann sind schon so lange zusammen, haben ein Kind zusammen und sind verheiratet. Wie haben sich die Gefühle verändert? Und die wichtigste Frage – was ist normal? Welche romantisierte Vorstellung hat er denn von einer guten Beziehung? – fragt sie mich. Was für ein Idealist ist er? Es ist nicht genug? Für jeden ist das „normal“ anders, das ist die Quintessenz unserer Unterhaltung. Ich begreife nun langsam, dass ich ihn wohl überhaupt nicht mehr geliebt habe als er mich in diesem Trennungsdrama. Mir hat das nur irgendwann mal gereicht, ihm aber nicht. Ich ziehe immer Vergleiche zu meinen anderen Beziehungen. Er lehnte das immer ab. Er kann das auch absolut betrachten, er braucht keine Vergleiche, er weiß es auch so. So oft kam diese Einstellung von ihm durch. Kann ich das hinterfragen, dass es ihm nicht reichte? Jeder hat da seine eigene Vorstellung, seine persönliche Skala. Ich habe seine wohl nie verstanden. Er hat sie mir nicht mitgeteilt. Seine Gedanken gehörten nur ihm. Ich habe durchaus gemerkt, dass es weniger wird, natürlich. Aber immer schwebte der gemeinsame Haushalt über uns und ich wartete und dachte, es ist einfach nur eine Frage der Zeit und alles löst sich in Wohlgefallen auf. Während er an der Exitstrategie arbeitete, im Untergrund seiner Gefühle.


Er arbeitete völlig allein daran! Wie kann es denn sein, dass ein erwachsener Mann, der fest im Leben steht, gut sozial integriert ist, viele Freunde hat, wie kann es denn sein, dass genau dieser Mann keinen, aber absolut keinen seiner Freunde in seine Überlegungen einbezogen hat? Er hat das zumindest selbst bestätigt. Während ich meine Sorgen mit Gott und der Welte teilte, behielt er alles für sich! Ich habe es schätzen gelernt, die gleiche Situation aus der Perspektive von anderen Menschen zu betrachten, von meinen Freunden, dich mich gut kennen. Ich reflektiere gerne in den Gesprächen mit ihnen. Ich gewinne neue Erkenntnisse, verstehe Situationen besser. Er ist das absolute Gegenteil! Das geht aus seiner Sicht niemanden was an! Warum hat er über seine Gedanken und Gefühle nie mit seinen Freunden gesprochen? Keinen Rat geholt zu seinen Zweifeln? Vielleicht hätte er davon erzählt, wie sich seine Gefühle verändert haben, und sein bester Freund, ein empathischer Skorpion, hätte ihm gesagt: „Mein Lieber, was erwartest du in einer langjährigen Beziehung? Die Liebe reift nun mal. Die Verliebtheit geht, die Aufregung auch. Es stagniert. Aber es bleibt die Wärme, die Vertrautheit, die Nähe. Es ist alles normal!“. Aber das hat er nicht! Er hat seine Gefühle selbst nicht verstanden und auch mit niemanden geteilt. Aus heutiger Sicht hat es echt die Dimension eines Verbrechens. Eines Verbrechens gegen unsere Beziehung! Das war er doch uns schuldig! Wie konnte er schweigen? Für sich im Geheimen Erkenntnisse ziehen, und niemanden was sagen? Was ist denn Liebe? Was ist genug? Was ist normal?


Die Erkenntnis, dass wir auf der Skala gar nicht so weit auseinander lagen, ist irgendwie tröstlich. Ich bin nicht diejenige, die verzweifelt und blind ergeben liebt, ich bin nur diejenige, die mit „dem weniger“ auch leben konnte, er nicht. Aus dem gleichen Zustand können Menschen nun mal unterschiedliche Erkenntnisse ziehen, so ist das halt nun mal. Ich habe alles als eine Frage der Zeit gesehen, des Zusammenziehens, der Nähe, die dann automatisch vermehrt entstand. Er wohl nicht.

Ich fühle mich ein bisschen besser. Das Gespräch war gut, wichtig, nützlich – ich bin Britta so dankbar! Wir gehen zurück, sitzen noch wenige Minuten Apfelschorle schlürfend auf ihrer Terrasse und ich fahre heim.

8.Akt: Der Bruder


Ich komme zuhause an. Bringe die Oma in ihr zuhause, komme zurück. Die Kinder stehen im Flur und schauen mich beide an. Es ist neun Uhr abends! „Leute! Ab ins Bett, morgen ist Schule!“. „Wir konnten alleine nicht einschlafen!“, protestieren beide! Ok, egal, ab ins Bett, ich bin nun da, physisch zumindest, seelisch woanders. Ich bringe meinen Sohn zuerst ins Bett. Er ist müde. Ich erwarte keine große Diskussion. Er fragt auch nichts. Gute Nacht Küsschen, ich gehe raus – zu Klara. Hier erwarte ich eine längere Diskussion, für die ich weder Kraft, noch Lust noch Zeit habe. Ich will gleich mit meinem Bruder telefonieren, der sich Sorgen macht. Der Auftakt macht mich gleich fertig: „Mama, weiß du was? Du hast jemand Besseren verdient, der dich liebt!“. WOW – heul, wie kommt sie zu solchen Aussagen! Echt jetzt, mit neun Jahren! Sie schaut zu viel Serien. Ich heule, sie mit. Sie vermisst ihn auch. Erik kommt rein – er kann nicht schlafen. Hund kommt rein, kann auch nicht schlafen, zu viel Emotionen im Spiel. Sitzen wieder zusammen zu viert auf dem Bett und reden. Ich weiß gar nicht über was, ich bin schon zu fertig. Aber sie haben noch das Bedürfnis zu reden. Ich werde gefasster. Wir reden über Schulthemen. Die Stimmung normalisiert sind. Ich spüre, sie haben nun ein besseres Gefühl, ins Bett zu gehen. Ich bringe Erik wieder ins Bett. Die Nacht geht für sie los. Ich hoffe nur inständig, dass uns allen in dieser Nacht Träume erspart bleiben.

Ich rufe meinen Bruder an, oder er mich, keine Ahnung. Das Kurzzeitgedächtnis ist total kaputt. Er fummelt erstmal fünf Minuten an irgendwelchen Kabeln, bis die Verbindung steht, ich ihn höre und sehe, ein klassischer IT-Nerd, wir sind in einer Telco mit Video. Ich erzähle - leider wieder heulend -  was passiert ist, nun zum weiß ich nicht welchen Mal schon. Ich habe öfter zwischen meinem Bruder und meinem Expartner Parallelen gezogen, warum auch immer. Das offensichtlichste war der Beruf, beide IT-Spezialisten, gleiches Fach. Aber die Ähnlichkeit bestand vor allem in ihrem Wissensstand. Ich finde, Wissen einfach unfassbar toll! Immer wieder war es beeindruckend, wieviel mein Bruder wusste! Zu welchen Themen er alles mitreden konnte. Woher kam das alles? Genauso ging es mir bei meinem Expartner. Er war der klügste Mensch, den ich kannte, mein Bruder der zweitklügste.

Ich kriege die Unterhaltung nicht rekonstruiert. Es dreht sich ja immer wieder um das gleiche Thema. Interessant ist nur der Blickwinkel der Menschen auf die Gesamtsituation. Ich bin mit vielen klugen, menschlich und emotional klugen Menschen befreundet und verwandt. Sie kennen mich. Sie verstehen mich. Es ist so schön und hilfreich, diese Unterhaltungen zu führen. Aber auch so bitter!

Mein Bruder hat selbst keine reine Weste, wie traurig! Wie oft er seine Beziehungen recht unerwartet beendet hat. Aha, darüber haben wir noch nie gesprochen. Auch seine Freundinnen konnten das nicht ahnen, was Ihnen bevorstand. Na toll, so einer bist du! Ich versuche ja zu verstehen, wie ich das alles hätte ahnen können. „Konntest du nicht!“, seine Behauptung! Bei ihm hat es auch keiner geahnt und gedacht. Warum? Warum ein solches Verhalten? So richtig schlau bin ich nicht daraus geworden. Seine Behauptung – mein Partner ist einfach zu schwach dafür gewesen. Er hat sich nicht getraut, mir die Wahrheit zu sagen. Welche Pause? Das ist doch sowieso ein Quatscht! Mit 53 und 42 eine Pause, von der Beziehung? Blödsinn, er wollte nur höfflich sein, es mir sanfter verkaufen. Es gibt keine Pausen. Eigentlich in keinem Alter, aber ganz sicher nicht als Alternative, wenn man kurz davor steht nach sechs gemeinsamen Jahren ein Haus zu kaufen. Und dann über Nacht getrennt ist.

Ich heule. Man klammert sich an jeden Strohhalm. Warum gibt es keine Pausen? Er wollte sich doch nicht trennen, mir nur von seinen Gefühlen erzählen. Wer hat sich denn nun getrennt, ich oder er? Ist das wichtig? Ich hatte die fixe Idee, mich sofort auf einer Datingplattform im Internet anzumelden. Was für ein Schwachsinn, meinte mein Bruder! Viel zu früh, was sollte das bringen. Ich wollte die Wunde ausbrennen, ich wollte nicht warten, bis diese verheilt. Blödsinn, sagte er, ich musste da durch, es ertragen, es verarbeiten. Warum zur Hölle? Ist doch meine Entscheidung! Endlich waren es meine Entscheidungen!

Der Tag war lang, es ist nach zehn Uhr abends. Ich kann nicht mehr. Mein Bruder will mit mir verreisen, Ausflüge machen zumindest, mich rausreißen aus dem Trott. Das ist so lieb von ihm! Ich kann gerade nicht planen, nicht klar denken. Ich mache einen Schritt nach dem anderen. Sogar ans Atmen muss ich gefühlt denken, so anstrengend. Ich sage Gute Nacht. Ich falle ins Bett. Die erste Nacht bei mir zuhause in dem Wissen, dass alle Nächte nun hier stattfinden werden, allein, für eine ganz ganz lange Zeit. Ich umarme mich, krümme mich zusammen, weine, schlafe irgendwann dann ein.

Tag 3 - Dienstag


1.Akt: Die Exfrau


Der erste Morgen als Single beginnt, recht früh gegen fünf Uhr morgens, mit Migräne. Ich habe sie schon vermisst! Am Sonntag und Montag war nichts, ich habe mich schon sehr gewundert. Ob sie mir einbisschen Ruhe lässt in der aktuellen Verzweiflung. Nein, doch nicht, meine Periode müsste bald beginnen, ich schlucke die Tabletten und warte.


Dynamischer Morgenstart um sechs Uhr! Die alltäglichen Routinen lenken sehr gut ab. Sohn wecken, frühstücken, Essensboxen packen, Tochter wecken, Sohn in die Schule verabschieden, Tochter einpacken, zur Schule fahren, davor den Hund bei der Oma absetzen. Fertig.


Und dann habe ich mich auf eine interessante Hilfsaktion eingelassen, ich habe ja nun Zeit. Mein Exmann hat gleich die Vorteile meiner Situation entdeckt und mich gefragt, ob ich ihn zu einer OP in die nächste Großstadt fahren kann. Es soll was Kleines am Auge gemacht werden, daher kann er dann nicht selbst fahren mit seiner Augenklappe. Natürlich fahre ich ihn gerne! Ich muss mich auch am Dienstag krankmelden. Der Kopf platzt vor Migräne, ich heule, es wird nicht mein Tag. Wir fahren zusammen los, reden, alles klingt entspannt. Ich setze mich in die Sonne in ein Café und warte auf ihn.


Mein wichtigster Begleiter in diesen Tagen: die Sonnenbrille! Ich freue mich nun das erste Mal über den Sonnenschein. So kann ich unauffällig heulen, ohne gleicht im Mittelpunkt zu stehen. Ich sitze im Café, allein. Das Elend kommt hoch. Das ist so faszinierend! Wenn man gar nicht allein ist, und jemand zuhause auf einen wartet, da kann man auch allein im Café sitzen, ohne sich vor Trauer zu winden. Die gleiche Tätigkeit ist zutiefst frustrierend, wenn man wirklich allein und alleinstehend ist. Das gleiche fühlt sich völlig anders an! Seelische Täuschung!


Meine Gedanken und Erinnerungen kommen ganz plötzlich. Ich traue mich manchmal, sie aufzugreifen- wie ein Roboter auf einer Produktionsstraße ziehe ich den Gedanken raus und untersuche ihn, ob ich den schon verdauen kann oder nicht - ohne Tränen, ohne dass die Übelkeit wieder kommt, ohne zu zerbrechen. Aber schon jetzt gelingt es mir, manche Gedanken noch vor dieser Untersuchung abzulegen - weil ich spüre, ich bin noch nicht bereit. Schöne Formulierungen kommen mir in den Kopf, die kluge Mitmenschen in den letzten Stunden zu mir gesagt haben. Meine eigenen Schlussforderungen beschäftigen mich, ich hinterfrage und grüble. Und plötzlich fällt mir es ein! Ich schreibe einige Ideen ins Notizbüchlein im Handy. Einige Wortfetzen, Gedanken. Warum nicht? Warum nicht alles mal aufschreiben? Ich habe so auch meine Trennung mit Kindern überwunden. Das Schreiben hat mich unfassbar viel weitergebracht, mich richtig rausgezogen aus dem Sumpf des Elends. Und dann konnte ich auch noch anderen nach einer Trennung weiterhelfen. Warum nicht wieder versuchen? Gesagt getan, ich schreibe mir die Erinnerung ins Handy rein – „Gedanken schriftlich formulieren“.


Ich muss mir eh gerade alles aufschreiben, das Kurzzeitgedächtnis war ja ständig leer, warum auch immer. Vielleicht liegt es am mangelnden Schlaf! Ich kam die letzten Tage auf maximal vier vielleicht fünf Stunden am Stück. Entweder konnte ich nicht einschlafen, oder nicht durchschlafen oder einfach beides. Es ist sehr schwer, überhaupt klare Gedanken zu haben. Ein Gedanke verschwindet einfach sofort. Das bin nicht ich. Mein Gehirn geht sehr kritisch mit meinen potenziellen Gedanken um. Eine falsche Regung, zack, doch blöder Inhalt, sofort verdrängen, vergessen, weg. Wenn ich durch die Wohnung laufe, dann vergesse ich sofort nach wenigen Schritten wohin und wozu. Habe ich den Hund heute eigentlich gefüttert? Wie war das mit dem Mittagessen bei meiner Mutter? Hatte sie mir was gesagt, wann nochmal? Das bin echt nicht ich, echt, sowas von nicht ich! Ich habe normalerweise wunderschöne Excel-Tabellen für meine Familienmitglieder als unsere Lebensplanung. Dort steht einmal alles glasklar formuliert und geht sofort in meinen Kopf über. Das ist auch nötig, wenn man Kinder und Hund zwischen zwei Haushalten ständig aufteilt. So bleibt alles im Blick. Im Moment hatte ich keine Kraft, ich selbst zu sein. Das tat weh. Was hat er mir angetan? Ich will mich zurück!


Mein Ex kommt schneller als gedacht wieder. Doch keine OP, Beule am Auge war schon geplatzt, er musste nur warten. Damit kenne ich mich aus – mit Warten. Wir reden. Die Gespräche werden wieder normaler, nicht wie gestern. Kein erneutes Durchkauen der verletzten Gefühle. Er fragt, wie es die Kinder aufgenommen hatten. Sie waren recht gefasst. Aha. Wir fahren zurück.

2.Akt: Freundin - die zweite


Das Erste, was ich zuhause tue, ist diese schriftliche Ausführungen zu starten. Ich habe ein unfassbares Bedürfnis entwickelt, das alles aufzuschreiben. Das ist so befriedigend. Ich fülle in wenigen Minuten und Stunden ganze Blätter. Einfach so. Es sind meine unmittelbaren Gedanken und Gefühle. So frisch verletzt ich bin, so authentisch kommt es hoffentlich auch rüber! Ich fühle mich richtig gut. Das Schreiben hilft ungemein. Ich bin einfach nur baff, wie gut das hilft!

Meine zweite beste Freundin, Steffi, ruft an. Wir sind schon für den Mittwochabend verabredet, aber sie macht sich Sorgen, will mal früher Hallo sagen. Wie lieb das doch ist! In dieser emotionalen Lage, wenn du dich schon wir ein geschundenes geschlagenes Tier fühlst und am Boden liegst, da ist jede so kleine Geste, jedes liebe Wort so viel Wert! Ich heule. Ich heule sie ausführlich voll. „Ach Mensch, Paulina!“. Da schwingt so viel Mitgefühl mit. Sie kennt mich. Sie hat mir schon bei der Bewältigung meiner Ehe geholfen. Als ich damals meinem Mann gesagt habe, ich möchte mich trennen, dann bin ich einige Stunden später zu ihr gefahren mit den Kindern. Wir waren eh verabredet und ich zog das einfach mal so durch. Sie war für mich da, sie ist wieder für mich da. Ich wünschte, ich könnte mich irgendwie revanchieren. Aber ich hoffe so sehr, dass sie eine solche Hilfe nicht brauchen wird. Sie hat andere Baustellen. Ich tue mein Bestes, um sie da zu beraten, mit ihrem Job, ihren Berufsplänen. Jetzt bin ich aber erstmal an der Reihe, am Boden liegend.

Sie bekommt eine Sneak preview auf das morgige Treffen. Wir greifen uns einige Szenen raus und diskutieren. Sie ist so emphatisch, so menschlich einfach clever. Gegen meine beiden Mädels fühle ich mich immer wieder wie ein emotionaler Versager! Ich glaube nicht, dass ich besonders emphatisch bin. Und was sagt sie? „Paulina, ich bewundere dich total! Wie du mit solchen Situationen fertig wirst! So oft wünsche ich mir, einbisschen was davon zu haben, einbisschen Paulina sein zu können.“ WOW – das sitzt, ich heule wieder! So viele liebe Worte. Von Freunden. Von Menschen, die ich mag und schätze, die aber nicht täglich um mich herum sind. Denen liege ich am Herzen. Warum denn nicht dem eigenen Partner, der mich lieben und beschützen sollte? Wann habe ich denn diesen Zug verpasst, es zu begreifen? Ich heule. Wir reden. Sie muss weiterarbeiten, wie sehen uns ja morgen.

3.Akt: Meine Wohnung


Ich laufe zwischen den gepackten Sachen, Tüten, Kisten aus seinem Haus herum. Es sieht schlimm aus in meinem Wohnzimmer, ein Chaos. Ich hasse solche Unordnung, das bin nicht ich, ich fühle mich wie ein Versager. Aber dann schlägt die Stimmung plötzlich um. Ich merke, dass ich das genieße! Hä? Ich fühle mich wie ein Revoluzzer! Es liegt alles rum, na und? Ist mir egal, das ist doch nicht Basis für mein Glücklichsein! Die besten Mütter sind die mit dem schmutzigen Zuhause, hatte ich irgendwann mal gelesen. Diese Mütter nehmen sich dann mehr Zeit für die Kinder oder so. Naja, ich dachte, ich könnte beides erreichen. Ordnung im Leben war mir in jeder Lage essenziell. Im Moment ist mein Leben ein Chaos. Das Wohnzimmer ist ein gutes Abbild dieses Chaoses, damit fühlt sich das irgendwie wieder richtig an, es passt zueinander. Ich lasse alles stehen, steige drüber. Ich kann und will auch noch nicht aufräumen. Ich protestiere stumm weiter gegen meine eigenen Ansprüche.

Ist das aber vielleicht ein Festhalten an der Vergangenheit? Will ich das nicht wahrhaben, was passiert ist? Denke ich, dass ich diese Taschen einfach wieder mitnehme und zurückgehe? Weil ich nicht anders kann? Weil er mich rufen wird? Zeige ich mit diesen Taschen, dass ich nicht loslassen will? Oh nein, das soll nicht so sein! So soll es nicht wirken. Es sieht zwar keiner, das ist mir aber egal, ich sehe das! Ich belüge mich doch nicht selbst, ich weiß, was ich will! Ich packe die erste Tasche aus.

4.Akt: Der Suchauftrag


Nicht willkommene Ablenkung vom Auspacken – ich schaue meine Mails durch. Achtung – ein neues Haus ist auf dem Markt. Immoscout-Suchauftrag ist aktiv. Ich bin ja auf der Suche nach Häusern. 1000 kleine Stiche. Tränen. Übelkeit. Lege das Handy weg. Es ist „unser“ Haus, es ist nun auf dem Markt. Wir hatten das Haus vor einer Woche besichtigt, es super gefunden, wollten es kaufen – bis zum Sonntag. Damals hatte die Maklerin das erstmal nur uns angeboten, da sie wusste, dass wir ein großes Haus gesucht haben mit über sechs Zimmern, das brauchte wirklich nicht jeder. Nun war es auf dem freien Markt. Er hatte Bescheid gesagt, es abgesagt. Was hat er ihr erzählt? „Lieben Dank für Ihr Angebot. Aber wir brauchen es nicht mehr, da ich mich von meiner Partnerin spontan getrennt habe. Ich habe sie die letzten Monate über meine schwindenden Gefühle belogen. Nun musste ich es ihr erzählen. Sie ist nun weg. Wir brauchen das Haus nicht mehr. Geben sie es einer anderen glücklicheren Familie. Mit freundlichen Grüßen.“ Nein, ganz sicher nicht, das ist mir schon klar. So viel Offenheit war ganz sicher auch nicht nötig. Aber ich denke, er hat auch nicht den Bruchteil davon erzählt. Ob sie mir nun wieder Angebote schicken wird, da sie weiß, dass wir noch suchen? Bestimmt.

Ich muss meinen Suchauftrag in Immoscout sofort ändern. Diese Mails machen mich krank. Jedes Mal diese 1000 Stiche, die Gedanken, das Leid. Ich lösche den Suchauftrag. Aber – ich lege einen neuen an, Kauf einer Wohnung! Warum denn auch nicht. Ich habe nicht so viel Kapital wie er, aber ich habe genug. Eine Wohnung könnte ich mir leiste, wenn ich diese wirklich wollen würde. Ehrlich gesagt, ich will es aber gerade gar nicht. Ich wollte nicht ein Haus, ich wollte unser Haus! Ich wollte unser zuhause, mit ihm. Ich will nicht einfach nur umziehen. Ja, meine Wohnung ist mir nicht gerade ans Herz gewachsen. Aber ich wollte ein Heim mit ihm. Egal, ich lasse den Suchauftrag laufen. Es gibt eh kaum Wohnungen auf dem Markt, hier in meinem Dorf.

Zu spät. Eine Bekannte meldet sich und schickt mir die Anzeige „unseres“ Hauses weiter. Voll lieb von ihr! Wir haben über unsere Jungs früher Kontakt gehabt, nun sind die beiden nicht mehr befreundet. Aber sie dachte immer an mich bei diesen Anzeigen, echt lieb. Soll ich nun lügen? Es ist so demütigend, anderen es zu erzählen. Von der ganzen Trennung zu erzählen. Ich entscheide mich dennoch für die Wahrheit. Sonst kriege ich die Anzeigen noch Jahre weitergeleitet. Sie ist schockiert, es tut ihr leid. Ja, was sollen die Leute auch sagen. Ich glaube, sie kannte ihn gar nicht. Gottseidank. Weniger Beziehungsstränge zu entkoppeln. Ob ich mal reden will, Hilfe brauche? Das ist echt nett. Unser Verhältnis war eigentlich nie wirklich eng. Ich mag sie, aber irgendwie haben wir nicht weitergemacht. Sie ist aber mit meinem Exmann befreundet. Sie ist nett. Und sie hat auch eine interessante Beziehungskonstellation. Ihr Partner ist nicht ihr Mann. Er wohnt in einer völlig anderen Stadt, 200 km weit entfernt. Sie haben einen Sohn zusammen. Sie haben wohl auch ein gemeinsames Haus hier in Bodenheim. Wirklich krasse Kombination. Wie das wohl bei Ihnen so passt? Sie sind sehr lange schon zusammen. Er ist auch um einiges älter als sie. So viele Parallelen. Waren sie glücklich? Sind sie glücklich trotz dieser Herausforderungen? Ich muss mal auf ihr Angebot eingehen und mich mit ihr treffen. Das wäre sicher interessant.

5.Akt: Das Umfeld


Meine Tochter kommt von der Schule nachhause. Plötzlich ist sie da, es ist 15 Uhr. Der Tag ist echt schnell vergangen. Das Schreiben ist so hilfreich. Ich hatte die letzten Stunden fast gar nicht geweint, ich war beschäftig.

Meine Tochter schaut traurig. Schatz, was ist passiert. „Ich habe in der Schule geweint?“ Oh nein, warum? Ich kann es mir denken, aber man muss sich ja nicht als Mittelpunkt der Welt sehen. Sie kann ja auch andere Probleme gehabt haben. „Ich war traurig wegen dir und deinem Freund“. Na gut, doch das gleiche Problem. Natürlich, wie müssen das noch verarbeiten. Wir sprechen darüber, wem sie das alles erzählt hat und wie die Mädels reagiert haben. „Matilda hat dann meine Hand genommen und gesagt, sie versteht das sooo gut.“ Wir lachen“ Aha, eine Neunjährige versteht die großen Gefühle der Erwachsenen, ok. Ich frage sie aus, welche Mädels denn noch zugehört haben. Leider sehr viele, alle Freundinnen. Ok. Innerlich gehe ich dann alle Eltern durch, die nun informiert sind. Wir sind keine Freunde, kennen uns nur über die Kinder. Aber ja, einige kannten ihn auch. Ich wollte ihn ja immer mehr in mein Leben in meinem Dorf einbinden, ihn überall vorstellen, als Paar präsent sein.

Ich werde mir bei dem nächsten Treffen, dem nächsten Klassenfest eine Erklärung überlegen müssen. Ich freue mich vom Herzen über alle intakten Ehen. Soweit ich denken kann, sind alle Ihre Freundinnen aus intakten Familien, Eltern sind nicht getrennt. Ich sage nicht glücklich, das weiß man nicht so genau. Aber zumindest muss sich keiner erklären. Nur eine einzige Freundin von meiner Tochter kennt die Situation, pendelt zwischen Mama und Papa. Die Stimmung ist nicht schön. Diese Mutter wird mich verstehen. Wir hatten schon über unsere beiden Scheidungen gesprochen.

Der restliche Nachmittag verläuft unauffällig. Keine Fragen von meinem Sohn. Meine Mutter kommt auch wieder vorbei, um sich um mich zu kümmern. Die Stimmung ist gut, ich schreibe weiter. Migräne dauert leider an, wird schlimmer, ich muss eine zweite Tablette nehmen. Dann endlich ein positives Highlight – meine Periode kommt! Ich blute, ich weine, ich freue mich. Es ist wie ein physischer Abschluss meiner Beziehung. Noch die Reste von ihm rausgewaschen, physisch und psychisch. Ich bin nicht schwanger, gottseidank. Warum auch, er hatte eigentlich schon Maßnahmen ergriffen, die das unmöglich machen sollten. Aber wer weiß! Mit welcher Wahrscheinlichkeit haben wir damals unser Bab gezeugt? Fünf oder zehn Prozent? Mehr waren es auch nicht. Aber – es ist alles ok, das Elend geht nicht von vorne los. Damit schon mal ein definitiv anderes Ende als bei seiner Exfreundin, die ihm die zwei Kinder, naja angedreht hat, anders kann man das leider nicht sagen. Natürlich liebt er die beiden. Aber gewollt hat er sie nicht und auch natürlich nicht geplant. Seine on off Beziehung ging wegen der Kinder immer weiter und weiter, bis er nicht mehr konnte. Das wird uns nicht passieren, mein Blut wäscht alles raus, es ist vorbei!

6.Akt: Der männliche Freund


Am Abend war das nächste Seelen-Striptease geplant, diesmal ein Telefonat mit meinem Ur-Ur-Ur-Exfreund, Viechi genannt. Wir waren vor über 20 Jahren mal zusammen gewesen und haben es irgendwie geschafft, den Kontakt zu bewahren und Freunde zu bleiben. Ihm hatte ich schon gleich am gleichen Abend Bescheid gesagt. Er stand sofort Gewehr bei Fuß, wollte sofort telefonieren, ich musste ihn erstmal irgendwo unterbringen. Viele liebe Menschen wollten helfen.

Ich habe ihm selbst beigestanden vor nur wenigen Monaten. Seine Ehe stand vor dem Aus, nach über sieben Jahren! Sie hatte ihn betrogen, er wollte ihr verzeihen, sie wollte trotzdem gehen! Was für ein Chaos! Sie war viel jünger, wollte irgendwann mal Kinder, ihm passte es gerade nicht, sie war enttäuscht. So hat er sie wohl in die Arme eines Kollegen getrieben, der genug Zeit und Aufmerksamkeit geben konnte. Sie nahm es dankbar an, er war am Boden zerstört. Es war wirklich schlimm, ihn so zu sehen. Ein stolzer erfolgreicher gutaussehender Mann, Mitte 40, Mitten im Leben, und dann so am Boden zerstört. Er wollte sie unbedingt zurück, trotz Seitensprung. Sie wollte eine Pause. Oh da war wieder das Wort Pause! Sie zog tatsächlich aus der gemeinsamen Wohnung aus. Sie nahm sich die Pause – UND: sie kam zurück. Sie wollte ihn zurück. Sie sind wieder zusammen, haben ihren Eheschwur erneuert, wie süß! Wie beeindruckend, wirklich! So viel Tiefgang hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Ich kannte ihn als einen eiskalten Pragmatiker! Da lief einem ein kalter Schauer den Rücken runter.

Er konnte so unglaublich viel nachvollziehen, so richtig körperlich nachfühlen. Er hatte das alles durchgemacht und noch viel schlimmer. Ich erzählte ihm, dass mich der Gedanke quälte, wie wir die letzten Monate parallel nebeneinander existiert haben und gefühlt haben. Ich gehe Szenen durch und ordne sie neu ein. In den Momenten, wo wir uns nah waren, war das dann nur meine Wahrnehmung? Er lag neben mir und dachte an das Ende, an seine schwindenden Gefühle. Auf Mauritius dachte ich an unser gemeinsames Leben in einem gemeinsamen Haus. Er dachte, dass ihm das Gefühl nicht reichte, um meine Hand anzuhalten. Es lief alles parallel ohne Überschneidung, bis zu dem Sonntag vor drei Tagen. Da prallten unsere Realitäten aufeinander. Ich fühlte mich so zutiefst betrogen! Nicht körperlich, aber seelisch, emotional. Ich bin in einer ganz anderen Realität als er gewesen die letzten Monate. Und er hat das nie aufgelöst, nicht korrigiert, bis jetzt. Ist das Vertrauen in einer Beziehung? Kann man denn sich nicht darauf verlassen, dass man nach fast sechs Jahren spürt, was den Anderen bewegt, was der Andere denkt. Viechi konnte das so gut nachvollziehen, nur dass er wirklich physisch betrogen worden ist. Da sie physisch bei einem Anderen war, während er auf einer Geschäftsreise unterwegs gewesen ist. Sie hat ihm was anderes erzählt, als sie mit dem anderen essen ging. Wie schmerzhaft, wie demütigend. Er sagt, sie haben das verarbeitet, darüber geredet, es geklärt, ausgesprochen, abgelegt – und einen Neuanfang beschlossen. Warum nicht wir? Warum hat er seine Karten nie auf den Tisch gelegt? Nie mit mir gesprochen, aber so richtig, nicht auf meinen Zwang hin, wenn ich wieder mal meine Skalendiskussionen hatte?

Darauf hat Florian auch keine Antwort. Das ist aber auch nicht das Ziel. Es geht um den Austausch, das Philosophieren. Es gibt keine Lösung, die dabei entsteht. Es hilft einfach nur ungemein, die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Es hilft, dass er da ist, zumindest telefonisch. Ich muss ins Bett, morgen die Kinder wieder um sechs Uhr früh für die Schule fertigmachen. Der Alltag geht weiter. Ich wünsche ihm eine gute Nacht – neben ihr.

Tag 4 - Mittwoch


1.Akt: Der Liebestest


Der Tag beginnt um fünf Uhr, ich bin hellwach. Eigentlich schlafe ich erst seit ein Uhr - egal, dynamischer Morgenstart - ich schaffe das, so kennt man mich! Ich wache mit der Frage auf, was das Wort Liebe denn bedeutet. Ich frage Google. Ich weiß, es ist lächerlich. Aber ich bin gerade so drauf. Das erste Suchergebnis ist dieses: https://lovomi.de/liebe-ich-ihn-noch/. Keine Ahnung, wie qualitativ das nun ist – schauen wir mal durch.

„Liebe ich ihn noch? 18 Anzeichen, die es dir verraten“


1.) Du kannst dir keine Zukunft ohne ihn vorstellen:

Konnte ich nicht, nicht vor fünf Tagen. Ich habe mir oft ausgemalt, wie wir alt miteinander werden. Ich konnte es mir richtig greifbar vorstellen. Da unser Alltag so harmonisch war, wusste ich, es wird so weitergehen. Wenn die Leidenschaft weg ist, das Körperliche zurückgeht, was ja bereits der Fall war, dann bleiben die Gespräche, die Nähe, die Vertrautheit. Und dann kommt es darauf an, welches Team wir sind, wie die täglichen Kleinigkeiten funktionieren, und sie funktionierten ja. Haben wir die gleiche Vision von der Zukunft gehabt? Ja, ich dachte schon! Wir haben genug darüber gesprochen. Ich wusste das! Wir wollten das Gleiche. Natürlich ist diese Fragestellung nun eine andere. Jetzt stelle ich mir diese Zukunft ohne ihn vor. Es sind noch sehr destruktive schmerzende Gedanken, die sofort eine Weinpause nach sich ziehen. Aber ich muss es doch! Ich muss doch da raus! Ich habe meinem Bruder gesagt, ich möchte die entstandene Wunde ausbrennen, damit es schneller geht, einfach ein Höllenschmerz und dann vorbei! Er sagt, es ist falsch. Ich muss mich mit den Gefühlen und der Trauer auseinandersetzen – da die ausgebrannte Wunde sich entzünden könnte! Es ist nicht der richtige Weg. Egal - Hauptsache, ich habe irgendeinen Weg. Ich muss was tun. Ich bin noch nie herumgesessen und habe gewartet, bis das Leben für mich entscheidet, bis sich was ergibt. Das ist nicht meine Art.


2.) Eure Streitereien sind dir nicht egal:

Irgendwie blödsinniger Aspekt, wie sollte es denn je egal sein in einer Beziehung! Natürlich nicht! Waren sie nie. Wir haben aber eigentlich auch gar nicht gestritten, es waren eher die genervten Monologe von mir, zu den Lieblingsthemen wie der Haussuche. Er schwieg dabei fast immer! „Was soll ich denn nur sagen?“, war seine schlimmste Frage, wenn er überhaupt was sagte. Ich dachte so oft, ich rede an ihm vorbei. Er wartete meist einfach nur ab, bis der Sturm vorüberzog, und er tat es, ich war schnell auf 100%, aber genauso schnell runter. Nachtragend sein ist nicht meine Art, bilde ich mir zumindest ein. Ich weiß im Moment bei vielen Sachen nicht, ob er das auch so empfand. Er ist kein Mensch zum Streiten, braucht Harmonie. Hätten wir haben können, wenn wir rechtzeitig unsere Beziehung gepflegt hätten und die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit gefallen wären – aus meiner Sicht.


3.) Bei Neuigkeiten denkst du zuerst an ihn:

Das ist der grausamste Punkt im Moment, der mich am meisten krank macht. Alles, wirklich alles was ich im Leben erlebe, alles will ich mit ihm teilen. Er ist der Mensch Nr.1 für mich, für jede noch so kleine Kleinigkeit! Jedes freudige Erlebnis, jede Erkenntnis, alles muss zu ihm. Manchmal bin ich am Platzen, wenn ich bis zum Abend warte, wenn wir uns sehen oder telefonieren, und ich ihm alles erzählen kann. Klingt irgendwie einseitig. Natürlich will ich auch vom ihm jede Kleinigkeit wissen. Und er erzählt alles, weniger proaktiv und euphorisch, aber ich denke ja, das ist ihm auch wichtig. Ich rede halt lieber als er – vielleicht ist es bei allen Frauen so. Ein guter Verkäufer kann besser reden als zuhören – habe ich in meinem Beruf im Vertrieb gelernt. Kann ich zuhören? Ich denke schon, kritisch aber, ich hinterfrage seine Wahrnehmungen und Erzählungen, das ist doch normal. Ich denke aber, dass er sich zu oft kritisiert fühlte. Er kann das bei mir nicht machen. Er kann mich nicht kritisieren, sagte er mal in diesem schlimmen Urlaub auf Rhodos. Ist das normal? Ich habe mich vor dieser Aussage ziemlich erschreckt. Was trägt er den alles im Herzen, was er eigentlich gerne sagen würde, kritisieren würde, aber es nicht tun kann? Wie meint er das? Das ist doch gesund, sich auch kritisch mit dem geliebten Menschen auseinander setzen zu können. So hat man keine Überraschungen, wenn man am Ball bleibt. Und siehe da, ich stehe nun überrascht und allein da, nicht kritisiert, bis zuletzt nicht genug ausgesprochen. Hat sich das gelohnt, meine Gefühle vor der Kritik schonen zu wollen? Ich würde so gerne ihm erzählen, dass mich jemand gerade unheimlich schlimm verletzt hat, dass ich kaputt bin, dass ich ihn brauche, seine Hilfe, seine Nähe und seine Wärme. Upps – das war ja er selbst! Er hat das getan. Er weiß also schon Bescheid.

    4.) Das Gefühl vom Vermissen:

    nächste Frage! Weinpause. Nachdenken. Natürlich muss man wieder unterscheiden zwischen damals und jetzt. „Denn jemanden vermissen ist unglaublich aussagekräftig. Das heißt nicht, dass du die ganze Zeit an ihn denken musst.“ – ist die Erklärung der Website. Natürlich war es in den ersten Jahren eine ganz andere Sache. Das Vermissen war unerträglich! Wie zwei Teenager, frisch verliebt. Körperliche Abwesenheit tat physisch weh. Die Verliebtheit ging, die Liebe kam, sie blieb, sie veränderte sich. Ich sehnte mich nach ihm, wenn wir uns nicht sahen, aber ich konnte die Zeit auch normal ohne ihn gestalten. In meinem Alltag gab es so viel zu tun, zu erledigen. Ich hatte auch Abende ohne ihn allein zuhause, vor dem Fernsehen, in meinem Haushalt, auch wenn die Kinder nicht da waren. Ich fand solche Tage auch ganz nett. Ich habe wohl ein anderes Verhältnis zu Nähe und Abstand als eh. Er brauchte die Nähe viel mehr als ich, das war sein Eindruck und darunter hatte er gelitten. Wir sind nun im Jetzt, vermisse ich ihn jetzt? Ich glaube, die Frage macht im Moment keinen Sinn. Ich lasse mich auf keine Gefühle in diese Richtung ein. Ich blende Gefühle aus, ich will mich das im Moment gar nicht fragen. Es fühle mich betäubt. Ich bin zu verletzt und enttäuscht, so tief gekränkt, ich kann nicht mehr. Ich vermisse ihn gerade nicht.


    5.) Neugierde, mit wem er seine Zeit verbringt:

    Natürlich! Immer wenn er sich mit Freunden traf, Männerabende hatte, wenn seine Kinder da waren – ich war immer gespannt auf seine Geschichten! Ich finde es wichtig, immer was Neues in die Beziehung reinzubringen, darüber zu sprechen, seine Gefühle und Gedanken darüber auszutauschen, für sich was daraus zu ziehen. Ich hatte mal eine Beziehung, da hatte mein Exfreund kaum anderen menschliche Kontakte, es war ihm einfach nicht wichtig. Ich fand das ganz schlimm. Es war langweilig, er war nur auf mich fokussiert! Es war mir nicht genug, ich bin gegangen. Also ja, ich interessierte mich für alles, was er tat.


    6.) Er ist deine Anlaufstelle für alles:

    Respekt und Vertrauen - ein unglaublich wichtiger Teil der Beziehung: Für alles, mein Gott, für alles! Und das an allererster Stelle. Er war meine mit Abstand innigste Vertrauensperson überhaupt. Nicht meine Mutter, zu der ich früher ein sehr enges Verhältnis hatte, keine Freundin, niemand wusste mehr als er, oder erfuhr es früher als er. Durch seine Augen habe ich die Situationen neu bewertet, ich habe gelernt, damit umzugehen. Ich habe die Freude verspürt, wenn er diese zurückspiegelte. Ich habe durch seine Augen die Sachen betrachtet. Er ist so klug! Der klügste Mensch auf der Welt! Er wäre mein Telefonjocker bei „Wer wird Millionär?“ Wie kann der Mensch nur so viel wissen? Er ist ein Nerd, ein Streber, der klassische Junge mit der Brille, damals aus der Schule. Schüchtern und klug, viel mehr, als man an seiner zurückhaltenden Art erkennen kann. Ich habe das geliebt, diesen Nerd habe ich geliebt. Nicht der Womanizer, ich wollte auch keinen, ich hatte genug, ich wollte meinen Nerd!

    7.) Gemeinsame Pläne:

    Naja, die langfristigen Zukunftspläne sind allen ja nun bekannt, also ja, wir hatten so einige. Aber auch kurzfristige, Urlaube, Ausflüge, Treffen mit Freunden. Er unterstellte mir in den wenigen kritischen Momenten, ich treffe mich nicht gerne mit seinen Freunden. Unser Alltag war einfach so verdammt schwer zu planen! Ich plante ja schon einiges, fast alles, aber vor allem wenn es um seine Freunde ging, da konnte ich doch nicht auch noch die Initiative ergreifen! Es war mühsam! Sie hatten so selten Zeit, auch wenn die zwei engsten Paare nicht mal Kinder hatten. Und trotzdem war es immer so schwierig, mit denen Termine zu finden, warum? Ich hatte oft das Gefühl, die haben was gegen mich. Warum? Hatten sie schon damals gedacht, wir passen nicht zueinander, haben sie das gesehen? Oder habe ich mir das eingebildet? Sie sind doch so gute korrekte Menschen gewesen, sie wusste doch sicher Bescheid, was gut für ihn ist. Mein Problem mit Ihnen wurde nur das folgende – ich wurde ja paranoid, was das Thema Heirat anging. Seit dem letzten Jahr hatte ich immer mehr das Gefühl, dass sie, im Prinzip alle Menschen um uns herum, uns als Paar immer weniger für voll nahmen. Wenn er denn wollte, dann wären wir doch nun ein Ehepaar, also wollte er dann doch nicht und ich war die Lebensabschnittsgefährtin, also auf der Durchreise. Dieses Gefühl setzte sich immer mehr fest. Irgendwie schämte ich mich einfach für dieses Dasein. Dafür, dass andere sich fragten, was denn nun ist mit uns. Dass sie sahen, dass ich nur wartete und wartete. Vielleicht paranoid ja, vielleicht war aber auch viel Wahrheit dran, die er sich nicht eingestehen wollte.


    8.) Du kannst dir nichts mit jemand anderes vorstellen:

    Nach so vielen Jahren, nein, ich hatte keine Vorstellung mehr, dass es jemand anderen hätte geben können als ihn. Warum auch? Warum sollte man das wollen? Der Alltag war schön, harmonisch, die Urlaube perfekt, wir hatten eine Zukunftsvision. Es passte doch alles. Nein, ich hatte keine Gedanken in diese Richtung, nicht im Ernst. Ja, es gab sehr selten mal Männer, die in mein Leben kamen und mir auffielen, die ich wirklich als Männer wahrnahm. Ein Mann war ihm sehr ähnlich, in vielen Dingen. Ich fand ihn charmant, und ja, ich glaube ich flirtete. Er war nicht der große Flirter, da kam auch nicht wirklich was zurück. Es passte so. Die Gedanken vergingen. Sollte das eine Schwärmerei gewesen sein, so war sie so schnell vorbei wie sie gekommen war. Ich war damals auch irgendwie stolz darauf, wie das einfach an mir vorbei zog und unsere Beziehung in keinster Weise tangierte. Warum? Naja, als junge Frau hatte ich schon gerne Regungen nachgegeben, Interessen weiter verfolgt. Ich hatte mich getrennt, wenn ich jemand anderen, besseren kennengelernt habe. Ich hatte genug Erfahrung mit Männern. Ich wurde ruhiger, naja älter, die Kinder kamen, das Leben veränderte sich komplett. Als ich ihn kennengelernt hatte, wusste ich, wo ich im Leben stehe, was ich suche. Ich wusste es genau und ich dachte, ich hatte das in ihm gefunden. Ich weiß, ich hatte schon einen Versuch gehabt, die Liebe meines Lebens zu finden. Ich war ja schon verheiratet gewesen. Es hatte nicht geklappt. Er war so anders als mein Exmann! So viele Dinge, die er mir geben konnte, nach denen ich mich so sehr gesehnt habe. Zärtlichkeit, Respekt, niveauvolle Unterhaltung, er trug mich auf Händen. Ein reifer Mann, der wusste, was er wollte. Und er wollte mich, nur mich! Ich wollte sowas von zurück – mit Haut und Haaren! Ich hatte mich damals mit meinem Exmann immer gefragt, wie man nach einigen Jahren noch an der Seite des gleichen Mannes aushalten kann. Wir hatten so viel gestritten, der Alltag war richtig schlimm. Ich konnte es nicht aushalten. Und dann kam er! Jedes Jahr war eine Bereicherung. Der Respekt blieb. Die Verliebtheit wurde zu Liebe. Ich war stolz darauf, mich mit ihm zu zeigen, wie er war, wie er aussah, was er sagte, was er alles wusste, wie er mich behandelte, wie wir miteinander harmonierten – es passte doch alles! Ja, das letzte Jahr stand das alles unter einer sehr dunklen Wolke, die ich lange Zeit nicht wahrhaben wollte. Aber ich wiederhole mich gerne, ich war mir so sicher, dass das Fundament unserer Beziehung das alles schaffen würde! Das Haus war doch so stabil! Es musste nur ab und zu gereinigt werden, und die Deko ausgetauscht werden. Aber unser Gefühlshaus war doch so sicher gebaut, genau auf den richtigen Aspekten, auch einem so starken Fundament. Ich hatte nicht geahnt, dass die Situation in unserem Gefühlshaus eher der aktuellen Energiekriese ähnelte und wir vor einer Kernsanierung standen mit mindestens einem kompletten Austausch des Heizsystems. Solche Häuser kamen nicht für ihn in Frage, waren zu kompliziert. Er war nicht bereit, an einem Haus so viel machen zu müssen. Welche Parallelen ich nun ziehen kann! Krass! Er war auch nicht bereit, an unserem Beziehungshaus zu arbeiten.

    9.) Dir ist es wichtig, was dein Partner von dir denkt:

    Was für eine Frage! Natürlich ist das mir wichtig gewesen. Aber es war wie schon mehrmals geschrieben, so wahnsinnig schwer, zu verstehen, was er wirklich denkt! Ein Penny für seine Gedanken – und Gefühle! Am Anfang sah ich das, spürte es! Diese krasse Dimension von Liebe in der höchsten Verliebtheitsphase, so etwas habe ich noch nie erlebt! Klingt vielleicht blöd und naiv, aber ich dachte, dass man das in einem gewissen Alter nicht mehr erleben kann. Das es biologisch physisch wie auch immer, einfach nicht mehr funktioniert. Und dann war es da. Am Anfang muss man nicht viel reden. Es war so offensichtlich überwältigend schön. Aber im Laufe der Beziehung muss man auch an seine Gefühle und Bedürfnisse denken, und Dinge einfordern, wenn das Bedürfnis da ist. Ich dachte immer, ich weiß, was er denkt, was er von mir denkt, was er über uns denkt.

    Ich war wohl noch so sehr von der letzten Beziehung geprägt, wo Streit auf der Tagesordnung stand. Irgendwie hatte ich damals anscheinend immer was falsch gemacht. Immer gab es Kritik, Diskussionen, Vorwürfe, über jede Lappalie! Was für ein Balsam für meine Seele war der Umgang mit dem Neuen. Es schien immer mit allem zufrieden zu sein. Endlich hatte ich anscheinend den Menschen gefunden, der einfach matchte. „Er kuscht einfach unter dir“, hatte mein Exmann öfter gehässig gesagt, wenn ich ihm das unter die Nase gerieben habe. Es passte halt einfach nicht mit ihm, mit dem Neuen schon. Er schätzte mich, so wie ich war. Ich hatte nicht das Gefühl, zumindest ganz ganz lange Zeit, dass ich irgendwas an mir ändern sollte. Ich war anders als er. Ging Dinge anders an. Aber ich dachte, dass fand er gut.

    Die ewige nicht zu lösende Diskussion ist doch immer, was besser ist. Sollen sich die Partner ergänzen oder sich ähnlich sein? Wann klappt es am besten? Mit meinem Exmann dachte ich, sind es die Ähnlichkeiten. Wir waren uns sehr ähnlich vom Wesen, daher der Streit, war die Schlussforderung. Vom Neuen hätte ich nicht verschiedener sein können, in bestimmten Aspekten, in unsere Art. Er ist der Harmoniemensch schlechthin. Sucht den Konsens, gibt nach, ist versöhnlich, vermittelnd, emphatisch, verständnisvoll. Das sind alles so positive Begriffe, da will man gar nicht das Gegenteil sein. Aber harmonisch und entspannt drauf war ich nun mal nie. Ich war nicht auf Ärger aus, aber mit meiner Art zog ich Ärger an. Ich ging Konflikten nicht aus dem Weg. Ich trug gerne meine Kämpfe aus und vermied nichts. Es wurde zwar besser im Alter, aber die Energie sprudelte aus mir heraus. Ich war so selbstbewusst, so überzeugt von mir. Scheidung hin oder her, war halt einfach nicht der Richtige gewesen. Der nächste Versucht würde perfekt sein, er würde perfekt für mich sein. Und ich für ihn.

    Sicherlich war ich das auch am Anfang, ganz lange. Mir fiel auch am Anfang dies und das auf, was nicht passte an ihm. Ich habe immer offen über meine Punkte gesprochen. Er war anscheinend mit allem an mir zufrieden. Er kritisierte nie etwas. Wenn er mal eine Winzigkeit anmerkte, dann war ich schon durch den Wind. Oh mein Gott, wie konnte er? Was war denn so schlimm? Nicht dass ich seine Kritik zu persönlich nahm oder damit nicht umgehen konnte. Aber ich war einfach nichts gewöhnt. Aber das kam nun mal sehr sehr selten vor. Einmal hatte er sich gewundert, warum ich denn das Kaffeeabwasser aus den Kapseln der Kaffeemaschine quer über alle Fächer des Mülleimers verteilt hatte. Ich glaube es passierte nicht nur einmal. Ich war total verblüfft, was er den meinte. Ich war mir keiner Schuld bewusst! Er hatte das aber so humorvoll formuliert, dass wir darüber noch oft gelacht haben. Mensch, ist der toll, dachte ich mir damals, sogar Kritik klingt bei ihm nach Liebe. Das muss doch Liebe sein.

    Nur irgendwas hatte sich ja in den ganzen Jahren verändert. Unsere Beziehung, wir, das Umfeld. Es wäre mehr konstruktive Kritik von seiner Seite nötig gewesen, um die Beziehung in die richtigen Bahnen zu lenken. Aber er sagte weiterhin nichts, einfach nur nichts. Und ich fühlte mich bestätigt, dass alles gut lief. Warum sollte ich was ändern? Ein mehr emphatischer Mensch als ich hätte feinere Antennen gehabt und sicherlich was gespürt – vielleicht! Laut meinem Bruder ja nicht unbedingt, wenn man es als Mann darauf anlegte. Ich weiß es nicht. Das allererste Mal schockierte er mich auf Rhodos, in dem Urlaub vor einem Jahr, mit der Aussage, er können gar keine Kritik an mir üben! So war er nicht sozialisiert! Oh mein Gott, wie meinte er das denn? Das war doch hochgradig ungesund, über seine Gedanken und Gefühle dem anderen gegenüber sich nicht zu öffnen. Dem eigenen Partner, der einem doch näher stand als jeder andere. Niemals hätte ich doch vom ihm erwartet, mich mit allen meinen Fehlern akzeptieren zu müssen, genau so! Dafür müsste man aber ganz genau wissen, was dem anderen nicht passt. Menschen sind verschieden. Was meinem Exmann missfiel war doch vielleicht was ganz anderes, als es bei ihm der Fall sein würde. Ich weiß bis heute nicht, ob er einfach erwartet hätte, dass ich das erspüre. Und damit hätte ich ja automatisch versagt, dass ich seine Gedanken nicht erraten habe und seine Gefühle nicht richtig interpretieren konnte.

    10.) Ein schönes Gefühl, wenn er da ist:

    Aber wie denn auch nicht? Sonst würde die Beziehung doch keinen Sinn machen! Das ist doch der Inhalt der Beziehung, dass dein Leben zu zweit schöner ist als allein. Und im besten Fall viel schöner. Seine Nähe war immer schön, im schlimmsten Fall ok, aber niemals unangenehm. Nur ein oder zweimal nach stärkeren Streits oder eher Diskussionen hatte ich das Bedürfnis, einfach nur zu gehen. Der Situation zu entfliehen. Aber die konnte ich an einer Hand abzählen. Nur ein einziger Vorfall kam mir in den Sinn, der ihn wahrscheinlich damals massiv verwirrt hatte. Wir waren nur wenige Monate zusammen und hammermäßig verliebt. Ich hatte damals immer einige Tage bei ihm verbracht und einige Tage zuhause, auch wenn die Kinder nicht da waren. Es war einer dieser Tage allein zuhause bei mir geplant, nur ich allein nach der Arbeit. Wir hatten unterwegs telefoniert und er wollte unbedingt vorbeikommen. Ich sagte nein, ich wollte nicht. Irgendwie war ich müde, gereizt von der Arbeit, fühlte mich nicht schön. Vielleicht hatte ich auch meine Tage und war emotional nicht ganz zurechnungsfähig, ich weiß es nicht mehr. Auf jeden Fall wusste ich, dass ich ihn heute nicht sehen wollte. Er ließ irgendwie nicht locker. Ich kam zuhause an und wollte schnell ins Bad. Und plötzlich klingelte er an der Tür. Ich bin dann bisschen ausgerastet! Wenn ich mich daran erinnere, erschreckt es mich selbst. Ich war einfach nur hochgradig genervt, dass er da war! Ich freute mich, ihn zu sehen. Aber mich wurmte die Tatsache ungemein, dass er mich einfach ignoriert hatte. Wie ein Junkie, der zu seiner Lieblingsdroge musste. Er schlief auch mit meinem Nachthemd um den Hals, weil er meinen Geruch so schlimm vermisst hatte. Es war schon überwältigend, welche Gefühle im Raum standen. Aber ich hatte kein Verständnis dafür! Ich hatte ihn angekeift, angemotzt, na dann sollte er nun bleiben, aber ich ging trotzdem duschen! Meine Pläne wollte ich mir nicht kaputt machen lassen. Als ich rauskam, war er weg. Die Leere und der Schmerz über den Streit waren überwältigend. Ich weiß nicht, was mich getrieben hatte. Ich rief ihn an, ich entschuldigte mich, aber die Erinnerung blieb. Auch bei ihm hat sich das sicher ins Gedächtnis gebrannt, dieser eine Vorfall. Danach ist niemals so etwas passiert. Er hatte verstanden, dass er mein NEIN ernst nehmen muss, dass ich mich nicht einfach nur ziere. Aber trotz dieses unangenehmen Vorfalls, konnte er zumindest bei mir sicher sein, dass ein JA ein JA war und ein NEIN ein NEIN. So hatte ich das auch gemeint. Vielleicht untypisch für normale Frauen. Aber so war ich halt. Sehr schwer waren meine Gedanken und Gefühle nicht zu lesen. Umso mehr seine.


    11.) Sein Lächeln versüßt dir den Tag: u.a. er bringt dich zum lachen! Oh man, wie sehr hat er mich zum Lachen gebracht! Wir hatten genau denselben Humor. Das dachte ich eigentlich bis zuletzt. Wie schön es war, über die gleichen Dinge lachen zu können. Wie intelligent seine Witze waren, wie anspruchsvoll und dennoch witzig. Es ist so ein Standardsatz, über den Männer wahrscheinlich nur lächeln können und keiner daran glaubt. Aber natürlich! Wenn ein Quasimodo dich zum lachen bringt, dann bist du hin und weg, sicher! Naja, er war ja kein Quasimodo! Ich musste keinerlei Kompromisse eingehen für dieses Lachen. Mit ihm hatte ich alles aus einer Hand! Wir konnten miteinander lachen und übereinander lachen. Ich fühlte mich nie verletzt oder bloßgestellt durch seine Witze, seinen Humor. Wie oft ging es mir so mit meinem Exmann! Wie oft betonte ich auch den Kindern gegenüber, dass „wenn man alleine lacht, es kein Witz ist“. Das war oft der Fall, wenn er auf meine Kosten immer wieder auch vor den Kindern irgendwelche schwachsinnigen Witze über mich riss. Natürlich hatte ich irgendwann mal auch mit ihm lachen können. Ich konnte mich aber beim Besten Willen nicht mehr daran erinnern. Mit dem Neuen war alles besser. Das gemeinsame Lachen, war die Grundlage jeder Beziehung, unserer Beziehung.

    12.) Du willst, dass es ihm gut geht

    Will ich das? Es sind nun einige Tage vergangen. Ich denke, mit jedem Tag wird es mir egaler, während die Wut wächst, die Enttäuschung, die Wunde blutet. Aber wir sprechen ja eigentlich über den Zustand vor der Krise, vor dem Ende. Naja, dann kann man diese Frage nur mit JA beantworten. Aber es kommt ja auf die Details an, oder? Ich mache alles, damit es ihm gut geht? Dann suchen wir mal nach den Beispielen. Wie oft habe ich um sein Seelenheil gekämpft auf sein Umfeld bezogen, wie oft nur! Ich weiß nicht, ob ich mir damit Freunde gemacht habe, auch bei ihm selbst. Nehmen wir mal seine Brüder. Vor einigen wenigen Jahren wütete ein elendiger Erbstreit in der Familie. Die liebe alte Mama wollte nur mit warmen Händen das Erbe den Söhnen überlassen. Drei spielten mit, einer nicht. Welchen nervlichen Aufwand wir damals hatten! Von diesem Geld hing ja auch unser Haus ab. Solange alles nicht geklärt war, konnten wir nichts kaufen, lohnte es sich nicht, zu investieren. Er hat so viel versucht, sich so bemüht, aber ein Bruder spielte einfach nicht mit. Mein Herz blutete, wenn ich ihn gesehen habe. Es war so fertig! Ich hatte wirklich schon Angst, dass das aufs Herz geht, er war ja auch nicht mehr der Jüngste! Wie habe ich ihn nur unterstützt, moralisch, seelisch, körperlich. Wie ich nur konnte. Aber ja, auch ich hatte dann schlimme Momente, wo mir auch alles zu viel wurde, wo ich so frustriert war, dass es nicht voranging. Da habe ich ihm auch Vorwürfe gemachte, dass er das nicht anders angeht, damit es klappt. Irgendwann mal war alles gelöst, nach über 1,5 Jahren denke ich, in denen wir auch viele Federn gelassen haben, auch als Paar.

    Oder nehmen wir seine Kinder, die er abgöttisch liebte. Lieben sie zurück? Natürlich, auf ihre Art und Weise. Aber ihre Mutter tat alles, damit die beiden so negativ wie es nur geht gegen den Vater eingestellt waren. Gratulierten sie ihm zum Geburtstag? Schenkten sie ihm was? Ich habe nie was gesehen. Es tat mir in der Seele weh, weil ich spürte, dass es ihm wehtat. Er sagte natürlich nichts. Was sollte er auch? Er nahm alles so hin, es sind doch die Kinder, seine Kinder, inzwischen übrigens 19 und 15, fast komplett erwachsen. Was sollte ich hier schon tun? Kleinigkeiten, nur Kleinigkeiten. Ich habe mal einen Jahreskalender mit Fotos von uns allen gemacht, uns als Paar, mit meinen Kindern und mit seinen Kindern. So etwas hatte er nie von jemanden bekommen. Natürlich nicht von seiner Ex, aber leider auch nicht von den Kindern. Wenn ich sehe, was meine kleine Tochter für ihren Papi mache! Da werde ich sogar eifersüchtig! Bilder, Briefe, Geschenke, die sie vom eigenen Geld kauft. Sie liebt ihren Papi über alles und will ihn glücklich machen. Ich kann das nur unterstützen, ihr helfen, sie kommt selbst auf die Ideen. So sehr hätte ich ihm das gegönnt, diese sichtbare greifbare Kinderliebe, von seinen Kindern. Ich habe mir immer vorgestellt, wie wir zusammen wohnen würden. Ich hätte dann Zugriff auf seine Kinder, könnte mich mit denen zu seinem Geburtstag abstimmen, was gemeinsam machen, ihn überraschen, glücklich machen. Dazu kam es aber nicht. Meine Tochter, und teilweise auch mein Sohn, schenkten ihm oft Sachen. Sie schrieben wunderschöne emotionale Briefe, Geburtstagswünsche, Genesungswünsche, alles Mögliche. Ich habe ihm alles überbracht, wusste aber, dass es die falschen Kinder waren, die das verfassten. Von seiner eigenen Tochter oder seinem Sohn hätte er sich das gewünscht. Aber ich konnte nicht alles beeinflussen, leider sogar nur das allerwenigste.

    Und dann hätten wir die zahlreichen Kleinigkeiten, die das normale Alltagsleben schöner machen. Kleine Gesten, dass der andere an dich denkt. Kleine Gesten, große Wirkung. Er hatte immer die liebe Angewohnheit entwickelt, mir eine kalten Faßbrause zum Trinken rauszustellen, wenn ich abends zu ihm kam nach der Arbeit. Mein Willkommensgeschenk zuhause. Wir schrieben uns kleine gelbe Zettel mit Herzchen und Guten Morgen Grüßen, wenn wir uns morgens verpasst haben. Früher mehr, später weniger. Noch vor ein paar Tagen jammerte er plötzlich, dass sein geliebtes Duschgel zu Ende sei, wie schlimm. Ich war dann später einkaufen und zack, spontan dachte ich an dieses Duschgel. Er hat sich so über sein Orangenduschgel gefreut, was plötzlich wie von Zauberhand sich im Bad nachgefüllt hatte.

    Ja, in der Anfangszeit hatten wir mehr dieser Gesten. Mehr Blumen, mehr Geschenke zwischendurch, mehr von allem. Aber verdammt, das ist doch normal! Wir waren über fünf Jahren zusammen, es konnte doch nicht immer so weitergehen wie bei der ersten Verliebtheit? Was hat er denn erwartet, als er mir auf dem Küchenboden weinend erklärt hat, dass er sich nicht zu noch mehr überwinden kann? Ich wusste gar nicht so richtig, was er meinte. Wie merkwürdig ist das denn? Ich konnte nicht sagen, dass mir was fehlte, nicht von diesen Gesten. Ich wollte eine Bestätigung, dass ich die Frau seines Lebens war, durch das Haus, durch die Ehe, durch ein Kind, durch eine große Verbindlichkeit. Ich wollte nicht mehr Blumen, die mir eh nicht besonders viel bedeutet haben. Ich wollte keinen Schmuck, den ich eh nicht trug oder Schokolade, die ich nicht aß. Ich glaube, er hatte bis zuletzt auch nicht verstanden, was ich eigentlich wollte.

    13.) Eifersucht

    Oh ja, ich war eifersüchtig! Das ist einfach meine Art, ich bin leidenschaftlich, sehr emotional. Nicht dass er mir jemals einen Grund gegeben hätte, nein, wirklich nicht. Aber er sah doch so gut aus! Jede wollte ihn doch haben, bestimmt! Ab und zu kabbelten wir uns hier spielerisch. Es gab um Gottes willen hier keine Szene von mir oder so, nein nein. Aber manchmal steigerte ich mich hier oder da einfach bisschen rein. Ich denke, dass er das durchaus genossen hat, diese Diskussionen. Er wollte doch auch sich geliebt fühlen, spüren, dass ich ihn wollte.

    Zweimal hatte ich mal ganz ganz merkwürdige Träume über ihn. An einen kann ich mich noch sehr gut erinnern. Er hatte mich irgendwie nach der Erlaubnis gefragt, was mit einer anderen Frau anzufangen. In seiner sanften lieben Art. Ganz merkwürdige Situation. Und irgendwie hatte ich wohl nicht richtig nein gesagt, und er hat das als Ja interpretiert und schien, was mit dieser Frau gehabt zu haben. Ich bin aus diesem Traum heulend aufgewacht, das Kissen war nass. Ich habe noch nie so lebensecht geträumt, so real. Das Entsetzen und die Trauer hatte ich gleich mit in die Realität beim Aufwachen mitgenommen. Ich habe so gelitten, so real war das. Er hatte das nicht mit Absicht gemacht damals. Er wollte mich nicht verletzten. Irgendwie hat sich das im Traum ergeben, dass er es so verstanden hatte, dass ich damit einverstanden bin. Das war so ein merkwürdiges Gefühl. Und ich habe unter der Vorstellung gelitten, dass er anscheinend diese Frau wollte, und nur meine Erlaubnis brauchte. Ich bin schon verrückt, welche Träume!

    Ein anderer Aspekt, naja eine andere Frau, die machte mich auch manchmal eifersüchtig, vor allem in der Anfangszeit. Seine griechische Karatefreundin! Sie sah Hammer aus. Machte den gleichen Sport wie er. Kannte ihn seit Jahren. Hatte einen kuschelwuschel Umgang mit ihm, Küsschen hier, Küsschen da. WOW, das war schon herausfordernd. Sie waren beide hübsch, groß gebaut und hatten die gleichen Hobbies. Ich hatte mich immer gefragt, warum sie nicht zusammen kamen, damals, aber irgendwie war er an ihr nicht interessiert, sagte er. Sie war so viel jünger als er. Naja, ich bin jünger als sie, aber damals fiel der Altersunterschied natürlich mehr auf, wenn man um die 20 und 30 war.

    Unsere Gefühle wuchsen und ich hatte die Sicherheit, dass er nichts von ihr wollte. Ich wusste und spürte das. Sie war kein Problem. Ich glaube, sie hatte bis zuletzt sehr vorsichtig sich mir gegenüber verhalten. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, als wäre da was, als gebe es irgendwas Intimes zwischen ihnen. Sie war glücklich verheiratet. Ich hätte das auch nicht gedacht. Aber ich habe ihr Verhalten verstanden. Ich kannte diese Situation. Auch ich sah wahrscheinlich nicht schlecht aus und ich war gerne mit Männern befreundet, einfach platonisch befreundet. Ich fand den Umgang mit Männern einfacher als mit den meisten Frauen. Es fiel mit leichter, sie zu verstehen. Und immer wieder kam es zu Situationen, in denen diese Männer, meine Freunde, Frauen kennengelernt hatten, die rasend auf mich eifersüchtig waren! Wie lästig! Ich habe auf diese Weise einen wirklich guten Freund verloren! Ich habe verstanden, in welcher Situation sie war. Ich war also nicht eifersüchtig auf sie.

    Naja, fast nicht. Auf eine Sache war ich SCHON eifersüchtig, auf ihre Freundschaft mit ihm. Sehr merkwürdig, wie ich das damals schon so empfand. Ich hatte doch eigentlich mehr, ich war die Frau an seiner Seite. Aber eine Liebesbeziehung ist schwieriger zu pflegen und hegen. Es gibt Streits, die es unter Nur-Freunden natürlich nicht gibt. Eine Freundschaft braucht nur Zeit, ganz vereinfacht gesagt. Eine Beziehung so viel mehr. Egal was sie tat, er würde ein Leben lang an ihrer Seite bleiben, und umgekehrt. Sie könnte es gar nicht riskieren, ihn zu verlieren, wie denn auch? Diese Ewige hat mich so eifersüchtig gemacht. Es klingt vielleicht paranoid, aber irgendwie war ich auf diese Wärme und vor allem mit der Aussicht auch die Ewigkeit so eifersüchtig. Die Ewigkeit mit ihm war auch mein größter innigster Wunsch. Und nun? Ich hatte recht, sie durfte ihn für immer „behalten“, ich ging leer aus. Sie würde ihn jetzt trösten dürfen, umarmen, drücken. Ihn in seiner Trauer unterstützen, wo ich nun weg war. Wir absurd eigentlich, er hatte das doch selbst gewollt.

     

    14.) Du freust dich, ihn zu sehen:

    „Achte mal ganz genau auf deinen Körper. Wie reagierst du, wenn du nach einem langen Tag deinen Freund siehst? Bleibt dein Körper komplett gleichgültig? Oder lächelst du sofort? So Glücksgefühle sind ein Zeichen dafür, dass du deinen Partner noch liebst.“

    Natürlich tue ich das, aber natürlich auch nicht mehr so wie früher, wie am Anfang. Der Anfang war grausam! Jede Minute ohne ihn war schlimm. Ich hatte den ganzen Sonntag mit ihm verbracht, bin dann die Kinder um 16 Uhr abholen gefahren. Und habe ihm wieder um 18 Uhr geschrieben, ob er vorbeikommen könnte, weil er mir so fehlte. Das ist Verliebtheit in der krassesten Form! Das hielt sehr lange bei uns. Ich denke locker zwei Jahre waren wir auf dem Höhepunkt der Gefühle. Daher hatte ich ja so sehr auf einen Antrag bei der ersten Mauritius Reise gehofft, da waren wir etwas mehr als zwei Jahre zusammen und so was von glückselig! Ich habe es nicht so stark gemerkt, wie es weniger wurde. Es kam ja nach und nach, nicht plötzlich. Es gab keine schlagartige Änderung durch irgendeinen Vorfall. Herausforderungen kamen dazu. Schicksalsschläge. Traurigkeit. In der Zeit nach der Abtreibung freute ich mich weniger ihn zu sehen. Es tat einfach weh! Als Mann steckt man nicht so tief drin in der Emotion. Es ist mein Bauch. Ich fühlte mich immer an unseren freiwilligen Verlust erinnert. Ich konnte die schönen von den schlechten Gefühlen nicht mehr so gut trennen. Dann verheilte es langsam, dachte ich. Aber es kam nichts weiteres neues Positives dazu. Das elendige Hausthema ging los, zerfraß uns, vergiftete die Stimmung, zerstörte uns. Ich habe mich immer gefreut, ihn zu sehen. Ja, ich freute mich nach einem langen Arbeitstag auf ihn, auf sein Zuhause, auf meine Faßbrause. Jeder Tag war schön, oder zumindest gewöhnlich neutral mit ihm. Es gab nur wenige schlechte Tage, aus meiner Sicht.

    Ich frage mich die ganze Zeit, wie es dann für ihn war. Als die Gefühle nachließen. Es scheint darüber mehr gelitten zu haben als ich, offensichtlich. Ich habe mehr als normal empfunden, er nicht. Er der Idealist! Ich der Realist. Fand er die Zeit mit mir schlimm? Ich kann mich in dieses Gefühl gar nicht so reinversetzen. Es ist mir nicht fremd. Mit meinem Exmann war der Alltag eine Belastung. Irgendwann mal wollte ich auch nicht nachhause kommen nach der Arbeit. Ich wollte keinen Streit, Diskussionen, Vorwürfe. Es war belastend. Ich freute mich damals definitiv nicht, ihn zu sehen, meinen Exmann. Aber bei meinem Partner, das war ganz anders! Ich könnte das nicht mehr ansatzweise vergleichen, das wäre nicht auf einer Skala abbildbar. Ich wieder mit meinen Skalen, ich weiß! Ich sehe alles relativ. Ich weiß, was ich wollte und was nicht. Ich weiß, was mir guttut oder nicht. Ich kann es auch aussprechen. Er offensichtlich nicht.

    15.) Dir bedeuten seine Geschenke etwas

    Er war der kreativste Mensch, den ich kannte, was dieses Thema anging. Wie hat er sich übertroffen mit Geschenken für mich, nicht nur in der Anfangszeit. Welch coolen Ausflüge wir unternommen hatten, auf welche Ideen er nur kam, so viel Dynamik, so viele Unternehmungen – in der Anfangszeit! Wunderschöne Blumen bei jeder Gelegenheit! Herrliche Karten, die er wundervoll beschrieb und die so schön waren, dass meine Kinder jedes Mal mit offenem Mund staunten. Wo er sie überhaupt her hatte? Die Karten wurden weniger. Ich Schwein wusste sie nicht zu schätzen, ich weiß. Ich fand es tatsächlich zwar wunderschön, aber einfach nicht nötig. Ich glaube, dass hat ihn verstört. Und dann kam Corona! Alles war zu, keine Ausflüge, keine Veranstaltungen, kein Leben, zumindest mit Mitmenschen. Aber auch in dieser Zeit sind wir wunderbar zusammen ausgekommen, weit weg vom Rest der Welt in den eigenen seinen oder meinen vier Wänden. Kein Streit, alles absolut kuschel wuschel. Dann halt keine Ausflüge, na und?

    Zu meinem 40sten Geburtstag hat er mir eine Reise nach Dubai geschenkt, der Hammer! Er war so großzügig, für ihn war ich unbezahlbar, jedes Geld der Welt wert. Was für ein schöner Gedanke! Schmuck bekam ich ohne Ende. So süß, er hatte mir eine Geschichte mal erzählt, wie er im Flugzeug im Produktkatalog eine Kette gesehen hatte, die ihm so gefallen hat. Aber er hatte dafür keine Frau. Diese Kette, in drei verschiedenen Ausführungen, hatte er mir dann mit dieser Geschichte überreicht. Wie romantisch! Er war so aufmerksam! Meine Mädels mussten mich gehasst haben. Deren Männer waren nie so gewesen, auch nicht in der Anfangszeit. Wenn überhaupt Geschenke, dann nur nach fester Absprache, bestimmte Wünsche, die sie fast schon selbst gekauft hatten. Oder es gab einfach gar keine Geschenke mehr nach Jahren zusammen. Es war leider so normal, so entwickelten sich halt Beziehungen, normale Beziehungen. Ihm war es nicht genug. Es war nicht normal, wenn er in sich nicht mehr den Wunsch verspürt hat, sich ein Bein für mich auszureißen. Das durfte so nicht sein! Die Beziehung war dann krank, seine Gefühle wohl nicht stark genug, Konsequenz: das Ende.

    Ich weiß nicht, ob ich an den Geschenken das Ende hätte erkennen können, wohl eher nicht. Für mich war ja die Entwicklung normal im Laufe der Zeit. Meine Mädels konnte das bestätigen aus ihrer leidvollen Erfahrung. Bei den letzten Gelegenheiten wurden die Geschenke für seine Verhältnisse tatsächlich immer naja gewöhnlicher, einfacher. Keineswegs billiger, das war ihm schon wichtig. Aber einfallsloser. Zalando wurde unser Helfer. Am Anfang ging es tatsächlich darum, ein Kleidungsstück zu finden, was ich irgendwie aus irgendwelchem Grund wollte, irgendwas in diese Richtung erwähnt hatte. Was kuscheliges Schönes, aus Kaschmir oder so. Leider passten die Sachen meistens nicht und gingen zurück. Und bei der Gelegenheit wurde das Modell auch mit ausgetauscht, da ich doch irgendwie wie ein Sack darin aussah. So richtig den gleichen Geschmack hatten wir da wohl nicht. Aber es entwickelte sich eigentlich zu einem running gag zwischen uns, dass er immer mehrere Runden gebraucht hat, um das passende Teil zu finden, was ich im Endeffekt fast 1zu1 selbst ausgesucht habe. Ich hatte kein Problem mit dem Prozess, es war irgendwie süß.

    Nur bei dem letzten Geburtstag vor ein paar Monaten, da muss ich gestehen war ich von dem weiteren Kaschmirkleid etwas enttäuscht. Ich wollte mehr. Ich war denke ich an einem Punkt angekommen, wo ich was Materielles überhaupt nicht mehr von ihm wollte, naja doch, einen Ring. Alles, was in den letzten Monaten von ihm kam, war bei meiner Erwartungshaltung einfach nicht genug. Es fühlte sich so leer an.


    16.) Äußerlich willst du ihm gefallen:

    Natürlich, dafür war ich auch eitel genug, ich wollte sexy hexy liebenswert und habenswert sein. Aber ja, auch diese Aspekte nehmen im Laufe der Zeit ab. Für mich ist das Schminken immer sehr wichtig gewesen im Leben. Aber in der Corona Home Office Zeit hat sich sehr vieles verändert. Ich hatte keine Zeit und Motivation, mich für Telcos zu schminken, ich habe es gelassen, es ging auch so. Und ja, manchmal hatte ich auch keine Lust mich für Treffen mit Freunden zu schminken, zumindest nicht in seinem Garten. Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen deshalb. Aber der praktische Aspekt dabei ganz ehrlich – auch meine Migräne! Wenn dir der Kopf platzt, dann betrifft es auch die Augen. Der Augendruck ist so unangenehm, dass ich die Schminke gerne in diesen Momenten wegließ. Naja, ich bin halt pragmatisch. Aber was war mit ihm? Wenn wir schon beim Analysieren sind – ich glaube, er hatte sich da auch verändert. Am Anfang roch er immer so himmlisch! Natürlich waren es anfangs die Hormone. Er hätte auch nach Kuhmist riechen können, ich hätte es nicht erkannt. Aber zusätzlich zu seinem Duft nahm er Cool Water als After Shave und auch als Duschgel. Ich habe diese Kombi aus ihm selbst und dem After Shave geliebt! Wenn ich mal einkaufen war, dann habe ich das bei jeder Gelegenheit in der Drogerie auf meinen Ärmel gesprüht. Und den ganzen Tag daran geschnuppert, bis wir uns wiedergesehen haben. Es fühlte sich an wie eine Droge. Und nach und nach hat er das After Shave einfach weggelassen, das schlich sich einfach ein. Ich habe das gar nicht bemerkt. Das wird mir jetzt so richtig bewusst, wenn man sich mit allem auseinandersetzt. Das war kein Zufall. Ich glaube, von seiner Seite wurde es ihm einfach unwichtiger, wie er ankam. Er war immer tipp topp gepflegt, da kann ich nichts sagen. Aber dieser eine Aspekt mit dem After Shave verschwand. Der andere Punkt waren die Shirts. Es hat mich echt irritiert. Wir haben unfassbar viele schöne Polohemden und Shirts miteinander gekauft, den Kleiderschrank so richtig aufgefüllt. Und wenn er im Home Office saß, dann trug er plötzlich fast immer stink normale weiße Shirts. Ich fand das nicht schön. Ich sprach ihn auch darauf an, da ich das einfach nicht verstanden habe. Er war pragmatisch. Dann kann man so schön alles zusammen in der Weißwäsche waschen, muss nichts trennen, auf nichts achten – war seine Antwort. Aha! Dann habe ich ihm mal kurz erläutert, dass an der Erfindung des BHs nichts Praktisches ist und auch ein String bei einer Frau im Winter nicht als Wärmemittel dient, und und und. Meine Kleidung war doch auch nicht nur pragmatisch für die Waschmaschine. Wir haben zusammen gelacht. Ich hatte gesagt, er kann ja mal daran denken, die Shirts bewusster auszusuchen. Ich habe auch ehrlich gesagt die letzten Monate nicht mehr darauf geachtet, was er gemacht hat.

    17.) Die Zeit mit ihm genießt du:

    Natürlich, sonst würde ich sie nicht mit ihm verbringen. „Wenn du dich mit Freunden triffst, bringst du ihn gerne mit. 5 Stunden vergehen gemeinsam wie im Flug“ – das waren die Anregungen von der Website. JA verdammt, ich war immer so stolz auf ihn, auf alles, was ihn ausgemacht hat. Alles, was wir unternahmen, war schön. Es war nicht immer himmelhochjauchzend, natürlich! Der Alltag kehrte auch bei uns ein. Alles wurde „normaler“. Nicht jede Begegnung war ein Highlight. Ich habe aber nichts vermisst! Ich glaube, er aber schon. Er sagte so was Interessantes im Laufe des zweiten Trennungstages. Früher hat er soviel Ideen gehabt und soviel Energie dafür aufgebracht, mich zu überraschen, Dinge vorzubereiten. Da hatte er Recht! Was für eine Dynamik er am Anfang versprüht hat! So viele Ideen, die er hatte, was wir unternehmen können. Er hat mich einfach irgendwohin „entführt“. Und damit ging es sicher nicht um das reine Geld, es ging tatsächlich um die Dynamik, solche Pläne zu machen! Er war einfach toll. Nicht nur mit mir, sondern auch den Kindern versuchte er die besten Ausflüge zu arrangieren. Wow – einfach Wow. Da war er voller Elan. Ich hatte so was nicht bei meinem Ex erlebt. Ich war hin und weg. Aber es war die Zeit des Verliebtseins! Alles war perfekt, jahrelang. Ich habe es gar nicht gemerkt, wie es weniger wurde, es war einfach schleichend. Wir haben immer noch was unternommen, aber die Initiative ging fast Null mehr von ihm aus. Keine Vorschläge, zu irgendeiner Veranstaltung zu gehen. Keine Fragen, was wir am Wochenende machen würden. OH Gott, wenn ich das so aufschreibe, wird es mir so richtig bewusst! Ich dachte, es war normal. Ich hatte mich daran gewöhnt. Das einzige Thema war das Haus! Das verdammte Haus! Mir wird übel, wenn ich das so begreife! Die ganze Beziehung bestand einfach nur noch aus diesem Haus! Ich habe nicht mehr links und rechts schauen wollen. Aber wenn du so kurz vor der Zielgeraden bist, dann sprintest du doch nochmal verdammt! Da brauchst du doch deine ganze Kraft! Ich hatte keine Kraft für das tägliche Leben mit ihm, weil der Gedanke an das Haus mich wie aussaugte.

    Und er saß in der Küche auf dem Boden und bedauerte aus tiefstem Herzen, dass er diese Energie und die Motivation gar nicht mehr besaß, mit mir und für mich Dinge zu planen, schöne Ausflüge zu planen, Ideen zu haben. Er wurde einfach nur stumpf! Ich habe es das erste Mal jetzt gerade verstanden, was er überhaupt meinte. Wir lebten nur noch vor sich hin – mit der Belastung Haus! Und er hatte ein schlechtes Gewissen, dass er dieses Gefühl nicht mehr empfand, diese Pläne für Unternehmungen überhaupt machen zu wollen. Dieses Gefühl meinte er – das fehlte! Ich verstand gerade! Das Schreiben hilft so unendlich, das ganze Revue passieren zu lassen. Ich verstand seine Gedanken – nicht damals in der Küche, da tat alles einfach nur weh. Ich verstand sie jetzt.

    Ich hatte diese Motivation auch nicht mehr. Ich habe einfach nicht mehr darüber nachgedacht. Ich muss gestehen, ich habe das zwar vermisst, aber nicht so bewusst. Ich dachte, es ist einfach normal nach langer Zeit gemeinsam. Das wird der Alltag nun mal übermächtig. Dafür hatte ich genug mit meinen Mädels an Austausch gehabt, um das zu wissen. Der Alltag mit Kindern, Arbeit und Haushalt war nicht himmelhochjauchzend.


    18.) Du versuchst, eure Beziehung zu retten

    Das ist die einzige Frage, die ich leider mit nein beantworten muss. Jetzt nicht mehr. Ich hatte noch vor einigen Tagen nicht das Gefühl, dass ich irgendwas retten muss. Jetzt nach den vergangenen Tagen, vielen Überlegungen, viel Leid, vielen Gesprächen sehe ich, dass ich keine Motivation und keine Kraft mehr habe, irgendwas zu retten. So wie er mich behandelt hat in dieser Situation! Es war nicht einfach das Schluss machen. Die Art und Weise, der Zeitpunkt. Das alles war so schmerzhaft und erniedrigend! Aber das schlimmste war, dass er das schon Monate wusste und nur nach einem Weg suchte, es mir mitzuteilen. Warum hat er nicht seine Energie darauf verwendet, die Beziehung zu retten, die offensichtlich rettungsbedürftig war? Aus seiner Sicht hatte er das vielleicht – einseitig, ohne dass ich was von den Versuchen wusste! Wie konnte er mich vor vollendete Tatsachen stellen? Nach fast sechs Jahren Beziehung, von denen auch seiner Antwort nach die ersten fünf Jahre einwandfrei waren, wie konnte er nicht mal über Lösungsmöglichkeiten sprechen? Nicht mal ansatzweise es versuchen? Wie schwach nur, wie feige, wie ging das denn? Ich hatte keine Motivation, irgendwas oder irgendjemanden zu retten. Ich habe schon genug gewartet und gewartet, ohne dass was geschah – wegen seiner Unsicherheit, die er doch so spontan erkannt hatte. Woher sollte ich irgendeine Motivation nehmen, um diese Beziehung retten zu wollen?

    „Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir - für immer.“ (Konfuzius). Das klingt so edel, so wunderschön. Aber die Frage nach der Liebe, war es noch Liebe, wieviel noch davon. Wollte ich darauf warten, was kommt? Ganz sicher wollte ich nicht mehr kämpfen nach all dem, was er mir die letzten Stunden angetan hatte.

    Hmm, was sagt mir nun der Test nun? Ja, ich vermute, dass ich ihn irgendwie noch liebe. Und er mich? Naja Gefühle waren nicht komplett weg, sonst würde es sich nicht so schrecklich alles anfühlen. Aber er sagte ja, dass es weniger ist. Wieviel denn weniger? Er war nicht unglücklich, aber auch nicht glücklich genug, um meine Hand anzuhalten. Und am Ende nicht glücklich genug, um das Haus mit mir zu kaufen.
    Wir hatten oft die Diskussion über absolut und relativ. Ich habe einige auch längere Beziehungen hinter mir - und ich verglich! Ich analysierte und wollte alles im Vergleich zu meinen bisherigen Erfahrungen im Leben sehen. Ich habe mit Freunden und meiner Familie gesprochen, mir Rat geholt. Ich befragte auch das Internet in Lebensfragen - er tat das nie!
    Es irritiert mich! Er sagte, er brauch keine Vergleiche, er weiß, was er will und was er fühlt. Er googelte ganz sicher nicht zu Liebesfragen! Er redete auch nicht mit Freunden oder seinen Brüdern über die intimen Fragen zum Thema Beziehung. Er vertraute auf sein Urteil. Wie edel, dachte ich manchmal, das kann ich nicht! Bin ich so unsicher, dass ich Mitmenschen dafür benötige. Wie vermessen, denke ich nun oft. Wie reflektierst du denn das eigene Verhalten, wenn du mit den wichtigsten Menschen solche tiefsinnigen Fragen nicht teilst? Woher weißt du denn dann, was so "normal" ist? Weil du es einfach fühlst? Redest du denn mit Menschen und weißt, wie sich eine Beziehung nach sechs Jahren anfühlt? Wie verändert sich die Verliebtheit zu Liebe - und dann vielleicht weiter - zur Gewohnheit? Ist es denn noch Liebe?
    Ich frage mich gerade, ob er sich inzwischen Freunden geöffnet hat? Er kann doch unmöglich die letzten Tage allein überlebt haben? Das wäre übermenschlich. Oder ich habe mich doch komplett geirrt und er ruht in sich und freut sich über den fehlenden Ballast. Das kann ich mir nicht vorstellen - da ist mein Ego wohl immer noch zu groß.
    Was sagen seine Freunde nun? Natürlich stehen sie ihm bei. Seine besten Freunde kennt er schon seit Jahrzehnten. Es sind liebevolle Beziehungsmenschen, die den eigenen Partner auch schon ewig kennen. Herzensgute Leute. Werden Sie mit ihm darüber philosophieren, wie sich Liebe nach einigen Jahren anfühlt? Werden sie ihm den Kopf zurechtrücken und sagen - du Idiot, was hast du getan? Ihr hattet doch alles, warum hast du das getan? Nein - das glaube ich nicht, sie sind lieb und nett. Sie werden Verständnis zeigen, ihm zuhören, ihn unterstützen in seinen Entscheidungen.
    Meine Freunde wussten die letzten Jahre und Monate um meine Gefühle und meine Zweifel. Sie sind den Weg mit mir mitgegangen und sind nicht überrascht, wo ich nun stehe. Sie haben mich reflektiert, zurechtgerückt, beraten, mich begleitet. Sie sind nur schockiert über sein Verhalten.
    Seine Freunde werden die meisten Dinge das allererste Mal hören. Sie werden aus allen Wolken fallen! Sie werden entsetzt sein. Er wird unsere Geschichte von vorne beginnen müssen. Er hatte sich keinen Rat geholt, er wusste alles besser und allein Bescheid.

    2.Akt: Das Auspacken


    Jetzt aber wirklich! Ich muss endlich mit den Kisten und Tüten beginnen. Diese stehen immer noch wahllos im Wohnzimmer herum. Am Wochenende ist mein Vater zu Besuch eingeplant. Ja, ich könnte so auf mein innerliches Drama, auf mein Leid hinweisen, aber das würde mein Vater mir auch so abnehmen. Also – Auspacken!

    Ich habe zu viele Schuhe! Ich weiß, es gibt nie zu viel Schuhe, nur zu wenig Schrank! Dann habe ich zu wenig Schrank! Viel zu wenig. Wo sollte das alles hin? Ich habe viele Dinge doppelt und dreifach. Ich habe fünf Jahre lang mindestens in zwei Haushalten gelebt. Wir wohnten zwar nur 20 Minuten voneinander entfernt, aber man kann ja nicht für ein Paar schwarzer Ballerinas 40 Minuten Hin- und Herfahren. Also hatte ich alles Mögliche tatsächlich doppelt. Und damit viel zu viel. Das meiste war unemotional. Aber einige Kleidungsstücke taten höllisch weh! Das weiße Kleid mit den Blumen, was er mir in der kleinen Boutique gekauft hatte bei unserer USA Rundreise vor vielen Jahren. Ich kann mich noch an das Anprobieren erinnern, seine bewundernden liebevollen Blicke. Komisch, ich spüre nun automatisch so einen Schleier über diesen schmerzhaften Erinnerungen. Der Körper fängt an, diese Schutzfunktion zu entwickeln, wie nützlich, endlich, es wird bald alles besser.

    Aber nicht alle Gedanken kann man steuern. Sie überfallen einen aus dem Nichts. Würde mich jemals wieder ein Mann so anschauen? So liebevoll? So bewundernd? Wie albern, ich denke ja, irgendwann mal ja. Das Leben ist doch nicht vorbei. Ich denke wieder an meinen Plan, sich bei der Datingplattform anzumelden. Wie dumm! Ich bin noch nicht bereit, die anderen hatten recht verdammt! Der Gedanke, dass es jemand anderen geben könnte, zerreißt mich. Der Abdruck von ihm an meiner Seite ist so frisch, da würde keiner reinpassen, außer er, eins zu eins. Ich will nicht mal daran denken, es könnte jemand anderen geben, der das alles ersetzt. Ich weiß, es ist machbar. Ich bin eine selbstbewusste, kluge und ja gutaussehende Frau, ich würde bald einen Neuen finden, einen jüngeren, einen, der selbstsicher ist, der weiß, was er will. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Und dann diese tolle Phase des Verliebtseins – herrlich! Wieder die Migräne für einige Monate weg nur wegen der Endorphine, die meinen Körper fluten. Das Ende vom Lied – der Gedanke an einen Anderen ekelt mich körperlich an. Ich habe es versucht, tut mir nicht gut, weggelegt.

    3.Akt: Das Abendessen


    Meine Freundin Steffi kommt heute zu Besuch, wir wollen Abendessen und spazieren gehen. Ich freue mich! Es ist mein erster Abend allein. Die Kinder sind beim Vater an unserem Wechsel-Mittwoch. Ich bin ganz allein. Früher war es nichts Besonderes. Klar war ich mal auch allein in meiner Wohnung. Aber da gab es ihn ja noch! Er war irgendwo, nicht weit weg. Und im Herzen doch ganz nah, so nah. Da bist du nie allein. Wir haben jeden Abend telefoniert, wenn wir uns nicht gesehen haben, außer einer war abends mit Freunden weg oder seine Kinder waren da. Ich war nicht allein, ich fühlte mich nicht allein – er war da. Jetzt nicht mehr! Jetzt fühlte ich das Loch wieder mehr. Ich war so froh, dass Steffi kam.

    Es klingelte. Der Hund flippte aus. Sie kam kurz hoch, wir gingen. „Ach Paulina, wie geht es denn dir?“. Wir oft ich diese Frage in letzter Zeit gehört habe. „Steffi, gerade richtig gut, wirklich!“ Sie schaut suspekt. Na klar, sie macht hier einen auf mutig und stark, dachte sie bestimmt. „Nein wirklich! Das Schreiben macht so eine Freude! Ich therapiere mich gerade selbst! Das tut so gut! Und kostet nichts!“ Wir lachten. „Ach Paulina, so kenne ich dich!“, so war ich halt. Wir saßen im romantischen Restaurant draußen. Hier hatte er seinen 50sten Geburtstag vor einigen Jahren gefeiert. Es war eine sehr schöne Party! Alle seine Freunde, seine Familie und ich! Er hielt eine Rede. Er war wirklich gut. Er dankte seiner Mama. Und er dankte – mir! Er kam zu mir, umarmte mich und küsste mich, und überreichte mir eine Rose! Es war so Hammer romantisch! Wolke sieben! Wie wahr. Ich verdrängte die Erinnerung.

    Es gab hier nicht sehr viel in meinem Dorf, was mich an ihn erinnerte, gottseidank! Hier konnte er mir auch nicht durch Zufall über den Weg laufen. Auch Gottseidank. Getrenntsein ließ sich ohne Probleme durchziehen. Ich schaute mich um, ob ich die Leute um mich herum vielleicht kannte. Ich wusste ja, dass das Heulen wieder losgeht. Es wäre peinlich. Hier war ich schon ganz gut integriert, und vielen ein Begriff, auch aus meiner Tätigkeit im Verein. Es war keiner da, der mich kannte. Wieder Gottseidank.

    Ich hatte schon über alle möglichen Themen gesprochen. Es gab einfach nicht viel Neues mehr zu besprechen. Immer die gleichen Sachen. Schon damals nach der Scheidung musste ich aufpassen, den Leuten nicht auf die Nerven zu gehen mit der ständig gleichen Leier meines Leids. Ich nerve und langweile Leute nur sehr ungerne. Wir sprachen über unser letztes Treffen vor einigen Wochen mit Britta. Ich war schlecht drauf, das weiß ich, ich hatte schlimme Migräne und nahm noch beim Abendessen mit ihnen die Tabletten. Ich war absolut mies drauf. „Weißt du, Paulina, als wir damals deinen Gesichtsausdruck gesehen haben, als du über das Thema Ehe gesprochen hast, da haben wir schon gedacht, das geht nicht gut! Sie meint es ernst.“ Oh echt, ich konnte mich gar nicht mehr erinnern. Wir hatten schon so oft über dieses Thema gesprochen, da kam es auf das ein oder andere Mal nicht mehr an. Muss ich damit genervt haben, oh je. Das tut mir so leid. Aber ok, wofür sind Freunde da! Ich glaube, sie müssen tatsächlich einiges aushalten können.

    Steffi ist die emotionale Analytikerin. Sachlich, aber empathisch. Es klingt alles so logisch aus ihrem Mund. Hätte er doch mit ihr gesprochen. Dann hätte er sich selbst vielleicht besser verstanden. Sie sieht vor allem seinen mangelnden Austausch mit seinen Freunden als das Hauptproblem. Wie kann man denn sonst reflektieren, seine Gedanken, sein Verhalten. Ich habe ihn immer für so einen klugen Menschen gehalten. Und ja, er wusste alles, aber wohl nichts über die Welt der Gefühle. Immer dieser Anspruch, alles selbst lösen zu können. Er hat sich immer so aufgeregt über seine Ex, die nie Hilfe annahm. Und nun? Er hatte selbst nie um Hilfe gebeten, nicht mal seine besten Freunde um Rat gefragt. Warum nur? Waren wir das nicht Wert, sich diese Mühe zu machen, diese Blöße zu geben und sich anderen zu öffnen?

    Wir zahlen. Es ist schon zehn Uhr abends. Ich friere. Innerlich und äußerlich. Wir gehen nach Hause, sie fährt, ich bin wieder allein.

    Tag 5 - Donnerstag


    1.Akt: Die Fotos


    Ich bin wieder früh wach und wieder ist eine fünf davor – super! Das Gedankenkarussell geht sofort an. Wie eine Lampe – zack! Voll da, voll wach. Ok, nutzen wie die Gunst der frühen Stunde für einen Test. Wie reagiere ich auf seine Fotos? Ich bin total überrascht! Ich dachte ich würde sofort losheulen - aber nein das Krönchen sitzt. Natürlich wird sofort die Erinnerung an die damaligen Zeiten, damaligen Urlaub lebendig. Ich lasse es zu. Die Fotos der letzten Monate sind am einfachsten. Da weiß ich ja nun dass er so viel Zweifel empfand und von der Liebe nicht mehr genug da war, zumindest von seiner Seite. Ich suche nach Anzeichen dafür, in seinem Gesicht, seiner Körperhaltung, der Art wie er mich umarmt. Hätte ich darin was erkennen können? Nein. Ich komme immer wieder zu gleichen Entschluss. Was ist mit den älteren Fotos, gehen die auch? Da waren wir zu 100% glücklich. Die werden sicher schmerzen. Es geht. Ich sehe einen anderen Menschen vor mir. Es ist nicht mehr der Mensch von damals, den ich so abgöttisch geliebt habe. Es ist nun auch der grausame Mensch, der mir und meinen Kindern das alles angetan hat die letzten Tage.
    Ich liebe immer noch sein Aussehen. Es passte einfach. Damals vor einigen Monaten in Mauritius im Urlaub. Da hatte ich ihn mit anderen Männern dort verglichen. Er hatte immer gewonnen. Ich konnte mir selbst immer ganz objektiv bestätigen, dass er ein schöner attraktiver Mann war. Mir fehlte nichts, ich fand ihn immer noch Hammer attraktiv wie am Tag 1. Das war ein schönes Gefühl der Bestätigung.
    Aber diese wunderschöne Hülle war leer! Ich schaute durch ihn durch. Als wäre es so, dass ich das nun sehen konnte, dass er diese Gefühle für mich in der Form nicht hatte.
    Verliebt in die Liebe. War ich das? Es war so überwältigend, wie er mich am Anfang geliebt hat. Das hat mich mitgerissen. Es war so unfassbar viel Gefühl. Warum hatte er das nach vier gemeinsamen Jahren damals, nach der Abtreibung, in unserem schönen Urlaub in Dubai nicht genutzt? Da waren die Gefühle doch perfekt?
    Ich konnte die Bilder anschauen, ohne zu weinen. Als würden die Gefühle für ihn in einer Art Schutzhülle verschwinden, von dieser abgeschirmt werden. Vom Rest des Körpers isoliert, in dem sie nur Schäden anrichten konnten. Ich konnte dort diese Gefühle betrachten, ohne dass sie mir sofort das Herz brachen. Ich könnte sie untersuchen und warten. Warten, bis ich mit ihnen umgehen konnte. Irgendwann mal würde ich die Schutzhülle nicht mehr brauchen. Irgendwann mal.

      2.Akt: Der Einkauf


      Ich gehe schon sehr früh einkaufen beim Rewe um die Ecke. Ich traue mich doch tatsächlich, ohne Brille aus dem Auto zu steigen – krass bin ich mutig! Ich bin auch ganz spontan einkaufen, ich habe überhaupt kein Brot. Das passiert mir nie! In meiner Wochentabelle steht genau, wann ich einkaufen gehe. Es ist alles kaputt, der ganze schöne Plan, von der Woche, vom Leben. Essen muss ich trotzdem, ich gehe einkaufen.

      Plötzlicher Gedanke – habe ich noch sein Foto im Geldbeutel? Ich krame. Ist nichts da. Ich bin wohl auf digital umgestiegen. Hmm, ich hätte es gerne zerrissen. Digital ist da nicht so befriedigend.

      Ein merkwürdiger Gedanke kommt mir als ich an der Kasse stehe. Ich bin da meistens genervt, da ich ja immer an der falschen langen Kasse lande. Ich bin so ungeduldig, dass es für mich schon anstrengend ist mit mir selbst. Jetzt bin ich entspannt. Es ist zwar kurz vor neun Uhr, ich müsste am Rechner sitzen. Aber die Welt geht nicht unter. Naja, sie ist schon für mich untergegangen, aber ich lebe ja trotzdem noch, oder so ähnlich. So schlimm wird es schon nicht sein, ein paar Minuten nicht erreichbar zu sein für die Kollegen. So viele andere Dinge sind gerade viel schlimmer.

      Ich bin bewusst höflich zu der Kassiererin, auch wenn wir kaum was austauschen. Ich nehme sie wahr. Er hatte sich manchmal beschwert, dass ich so grob zu den Servicekräften im Hotel bin oder auch in Geschäften. Wenn jemand nicht gleich sputet, dann bin ich ziemlich schnell aggressiv, ich weiß! Oft können die Leute nichts dafür, ich weiß! Manchmal schon, haben das aber von mir trotzdem nicht verdient. Ich bin kein ausgeglichener Mensch, ich weiß. Es ist schon besser geworden. Aber für einen so harmonischen Menschen wie ihn war ich wohl immer eine Stressnudel an seiner Seite. Sicherlich war es früher einfacher zu ertragen, wenn man total verliebt war. Wurde es dann immer belastender?

      Ich denke über dieses ICH nach. Oft bin ich selbst damit nicht glücklich. Man könnte es doch angehen, wenn man schon am Anfang eines neuen Lebens steht. Ich fahre nächste Woche in einen Bildungsurlaub, auf ein Resilienz-Seminar, wie der Zufall es will! Dass das alles so zusammenpasst, ein Traum. Da werde ich sicherlich was darüber lernen, wie man resilient ist, ausgeglichen, höfflicher. Und dann kommt der merkwürdige Gedanke. Wie wäre es denn, wenn man bewusst versucht, für die Leute einen Unterschied am Tag zu machen? Das klingt merkwürdig, ich muss das ausführen. Manchmal begegnen einem Menschen, die durch einen Satz, eine Geste, irgendeine Handlung, einen positiven Unterschied an deinem Tag erreichen. Heute zum Beispiel hat mich ein Mann im Auto vorgelassen an einer engen Stelle, genau in dem Moment, wo ich mich eh vordrängeln wollte – Schande über mich! Das hat mich positiv überrascht! Wie wäre es denn, wenn man mit so einer Einstellung durch Leben gehen würde? „Sei selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ (Mahatma Gandhi). Der Spruch kam mir einfach geraden in den Sinn. Das bin eigentlich nicht ich. Dafür bin ich zu gehetzt, zu gestresst. Ich bin eher das negative Highlight für meine Menschen an ihrem Tag. Vielleicht doch zu negativ? Ich weiß es nicht.

      Aber ich bin kein Gutmensch. Er war das immer in meinen Augen. Er hielt sich auch selbst dafür, einen unverbesserlichen Gutmenschen. Er konnte keiner Fliege was zu Leide tun. Seiner Ex hat er auch nie Paroli geboten, dafür hatte er auch zu viel Angst wegen der Kinder. Er stand mit niemandem in einem Konflikt. Er war höflich und beliebt bei Mitmenschen, Freunden und Kollegen. Der perfekte Gutmensch. Der Mensch, der meine Welt vor vier Tagen zerstört hat, mit nur wenigen Sätzen, in nur wenigen Minuten. Wie ein Gutmensch es halt so tut.

      3.Akt: Die Haussuche


      Ich gehe mit dem Hund spazieren. Bin dann noch später am Rechner, oh je, egal. Wir spazieren in der Nähe des Neubaugebiets, aber da hindurch, das kann ich noch nicht! Hier standen unsere Traumhäuser, die einem den Atem verschlugen. Individuelle Villen, wo das Auge hinfällt. Charmant, ländlich, wohnlich, einfach toll! Von denen war er immer schnell begeistert. Aber von denen wurde kaum was angeboten. Wir konnten diese nur beim Spazieren anschauen. Die meisten Häuser, die wir angeschaut hatten, waren eher sanierungsbedürftig und alt. Wir hätten eine riesige Baustelle vor uns gehabt mit viel Investment. Am Anfang schauten wir auch diese Häuser an. Im Laufe der Zeit aber immer weniger und weniger. Ich verstehe, er wollte immer weniger investieren, an Zeit und Geld, und an Gefühlen. Nach und nach.

      Ich hätte ja bei jedem Haus ja gesagt, hat er sich beschwert. Ja, fast bei jedem. "Weil es mit dir wäre", war meine einfache Antwort. Wir könnten alles schaffen, Hauptsache zusammen. Ich wollte doch endlich anfangen, ein Nest zu bauen. Da ging es nicht um ein Haus. Es ging um ein Zuhause, ein gemeinsamer Haushalt, endlich für alle Kinder und uns unter einem Dach. Ich hatte Fantasie. Ich war überzeugt davon, dass wir als Einheit alles schaffen würden. Da hatte ich wirklich nicht die geringsten Zweifel. Er schon. Es war so mühsam, ein Haus nach dem anderen vorbeiziehen zu sehen. Ich hatte ihn nie zu dieser Suche gedrängt. Es war doch unser gemeinsamer Wunsch damals, nicht meiner. Da bin ich mir zu 100% auch sicher, auch wenn ich das nun öfter analysiere. Es war unser Wunsch.

      Ich musste mich nun einfach abgewöhnen, das Häuser suchen mir abgewöhnen. Ich konnte nicht mehr normal durch mein Dorf laufen, ohne die Häuser gleich zu „checken“. Ich habe schon von weitem Wärmepumpen gesichtet, wie ein Junkie die Fassade gescannt, nach Mängeln gesucht. Das passierte einfach automatisch. Ich habe das mal mit dem Frauenarzt verglichen. Wenn er Frauen immer professionell anschaute und untersuchte, konnte er seine Frau noch „normal“ betrachten? Ohne den Blick eines Arztes, nur als Mann? Ich muss mir den Blick einer Immobilienkäufers abgewöhnen. Ich war nun eine Normalsterbliche in einer Wohnung. Ich habe nicht mehr mit niemanden gesucht. Ich ging einfach nur mit meinem Hund spazieren. Der Hund machte seinen Haufen, vor einem wirklich hübschen Haus. Sehr symbolisch! Danke Pusch.

      4.Akt: Der Hund


      Wir kommen nachhause. Ich bin schon fix und fertig von dem Tag. Es ist erst halb zehn. Toll! Mein erster Arbeitstag beginnt und der Hund legt sich schlafen. Ich schaue meinen schlafenden Hund an. Und lächele automatisch. Das entspannt. Dieses kleine haarige Lebewesen, was nur aus Pelz und Liebe besteht. Er ist so niedlich. Mein kleiner Zwergspitz Pusch, Puschel oder Puschi, er hat so viele Namen. Er muss gar nichts tun, nur da sein. Was für eine Wärme er verbreitet. Ich sehe ihn so selten so tief schlafen. Normalerweise ist er ein ganz nervöser kleiner Mann. Er spürt so viel, noch mehr als Menschen. Er riecht meine Trauer, er ist ein Tier, er kann das! Und was er alles kann! So viel Liebe kann er nur durch einen Blick spenden. Als würde er dir in die Seele schauen, ganz tief in deine traurige Seele. „Mama, ich weiß, dir geht es nicht gut. Ich verstehe nicht warum. Aber ich bin für dich da!“, sagen diese Augen. Dann kommt er mich abschlecken. Ich mag das eigentlich nicht. Ich nehme alles an. Es ist so viel anders geworden. Ich bin so zerbrechlich geworden, so emotional. Ich brauche das jetzt.

      5.Akt: Die Arbeit


      Ich sitze das erste Mal an meinem Geschäfts-PC für die Arbeit. Ich muss arbeiten. Einiges ist aufgelaufen. Ich habe gerade einen neuen Job übernommen, das ist meine erste Woche ohne meine Vorgängerin. Ganz toller Start! Gottseidank bin ich seit Jahren in der Firma, ich kenne Gott und die Welt. Die Leute kennen mich, sie wissen, ich bin sehr gewissenhaft, verlässlich. Ich muss diesen Ansprüchen gerecht werden. Ich muss schnell ins Leben zurückfinden. Zu meiner alten Form!

      Ich mag meinen Job. Lieben wäre zu viel gesagt. Dafür bin ich schon zu, hmm, alt? Ich weiß auch andere Dinge zu schätzen. Ich mache auch gerne Sport, treffe mich mit Freunden, beschäftige mich mit Kindern. Arbeit war mal mein ein und alles, es ist nun Mittel zum Zweck. Es ist ein gutes Mittel. Eine sehr gute Beschäftigung. Der Tag startet schon gleich mit massiven Problemen. Meine Chefin ist ratlos, sie bittet mich um Hilfe. Juhu, ich werde gebraucht! Das eine Problem kostet mich vier Stunden meines Tages – aber ich löse es! Echte Detektivarbeit! Wie praktisch. Ich fühle mich richtig am Leben! Ich komme zurück – Alltag, ich komme!

      6.Akt: Die Tante


      Und wieder steht ein Telefonat an – mit meiner Tante! Ich habe ewig nicht mehr mit ihr gesprochen, locker über ein Jahr. Ich mag sie. Sie war mir immer so ähnlich. Vor Jahrzehnten waren wir sogar in Clubs abends zusammen weg auf der Suche nach Männern. Wie peinlich! Ich war Single. Sie ist nur zehn Jahre älter und auch Single gewesen. Oh je. Ihr Leben war auch nicht 08/15, da war viel Stress drin. Eine Scheidung, eine Beziehung mit einem verheirateten Mann, auf den sie umsonst jahrelang gewartet hat. Aber sie hat es geschafft. Ist nun sesshaft und seit über zehn Jahren wieder glücklich verheiratet. Und sie mag mich. Ich bin ihre einzige Nichte. Sie hat einen erwachsenen Sohn, leider keine Enkelkinder. Ihr ist schon hier und da langweilig. Und sie therapiert gerne! Gerne auch mich! Ok, heute bin ich wieder fällig.

      Ihr absoluter Fokus ist das Materielle. Gut, dass ich rechtzeitig den Absprung geschafft habe. „Stell dir vor, er wäre gegangen, wenn das Haus schon gekauft wäre!“ Was für eine Katastrophe! Wahrscheinlich, das hätte mich dann nicht nur emotional sondern auch finanziell ruiniert. Alle Kosten wären für die Katz. Tausende von Euro. Das ist ihm ja auch am letzten Sonntag bewusst geworden. Und er ist den Rückzug angetreten. Wir haben über Geld nie gestritten, es gab keine Diskussionen. Er war ein sehr großherziger großzügiger Mensch. Wer was zahlt und wie, das war immer einfach. So empfand ich das zumindest. Ich weiß nicht, was er alles dann doch für sich zerdacht hat. Ich war zu allem bereit am Haus. Klar, wir würden die Besitzverhältnisse festlegen, im Grundbuch, meinetwegen im Partnerschaftsvertrag. Was es alles gab! Wir hatten dann über die Nebenerwerbskosten das erste Mal eine ernsthafte kritische finanzielle Diskussion gehabt. Der Ton war echt nicht schön. Ich war so absolut angenervt, auf der Zielgeraden noch ein Fass aufbekommen zu kriegen. Warum? Ich wäre wie ein Drache gewesen, hatte ich in der berühmten Küchendiskussion erfahren. Aha, ich glaube das war die härteste „Anschuldigung“ überhaupt, die ich je von ihm gehört habe. Ich hatte aber nun mal das Gefühl damals, als würde sein Besitz vor mir sichern wollen, aber so richtig. Um Gotteswillen würde ein Cent irgendwie mir zugutekommen können, unberechtigterweise. Er sinnierte vor sich hin, ich würde ja davon profitieren, dass ich mit ihm zusammen war und mir so das Haus leisten konnte. Ja, ich habe nie was anders behauptet. Ich würde mir kein Haus für eine Million Euro leisten können. Er sich aber eigentlich auch nicht. Diese Bereicherungsdiskussion war so schlimm. Wir waren doch ein Paar. Wir haben uns doch geliebt. Wir konnte das nur sein, dass ich das Gefühl hatte, er will mich irgendwie ausschließen, finanziell weghalten von sich. Das ging doch nicht bei so einer wichtigen finanziellen Entscheidung fürs Haus. Naja, die Entscheidung hatte er ja für sich schon getroffen.

      Ich glaube nach wie vor, hätten wir das Haus gekauft, hätte sich alles nach einigen Monaten komplett eingerenkt. Es tut so weh, so kurz davor gewesen zu sein. So wahnsinnig weh! Über Gefühle kann man mit meiner Tante nicht wirklich diskutieren. Sie ist übrigens Jungfrau, genau wie er, nur wenige Tage auseinander geboren und auch vom Alter fast gleich alt. Interessant. Wir kommen auf ein anderes gemeinsames Thema, meinen Vater, ihren Bruder. Damals war sie unsere große Stütze gewesen, von mir und meiner Mutter. Mein Vater hat damals vor bald 20 Jahren meine Mutter verlassen, wegen einer anderen Frau, kurz vor Weihnachten. Damals war es der absolute Tiefpunkt meines Lebens gewesen. Meine Mutter psychisch labil und am Boden zerstört hat dann mehrere Monate in der psychiatrischen Klinik verbracht. Sie hatten nur wenige Monate davor ein Grundstück gekauft, wollten ein Haus bauen. Ich weiß noch wie ich mit ihr auf dem Sofa lag und die Baupläne diskutierte, wo welches Fenster bei mir ins Zimmer kommen sollte. In dieser Zeit war er wohl schon bei der anderen Frau. Und dann ging er einfach. Es muss die Hölle für meine Mutter gewesen sein. Ich kann es mir nun noch besser vorstellen. Du stehst vor dem ein und alles, und plötzlich hast du nichts. Nur dass meine Eltern damals über 20 Jahre auch davor zusammen waren, ich ja „nur“ sechs Jahre und keine gemeinsamen Kinder. Mein Vater wollte dieses Haus nie wirklich, meinte meine Tante. Aha, toll dass er sich entscheiden konnte, bevor das Grundstück gekauft war. Bevor so viel Geld und vor allem Emotionen geflossen sind. Männer!

      Ich bin durch und durch und muss schlafen gehen. Wieder neue Erkenntnisse gewonnen, wieder ein lieber Mensch mehr in meinem Leben, dem ich was bedeutet. Ich habe im Laufe des Lebens verstanden, wie wertvoll diese Menschen sind. Natürlich in schlimmen Phasen mehr als in guten. Aber auch in guten sollten man einen vernünftigen Kontakt miteinander bewahren, sonst war der Fall in den schlechten sehr tief. Ich bin ihr dankbar, dass sie darüber hinwegsieht, dass ich sie in den guten Zeiten weniger kontaktiere. Familie halt. Ich fahre sie bald mit meiner Mutter besuchen. Ich lege auf. Wir halten fest – der erste Tag ohne Weinen geht vorbei! Ich bin stolz auf mich.

      Tag 6 - Freitag


      1.Akt: Die Sternzeichen


      Ich werde grob geweckt, wieder eine fünf davor. Die Nachbarn sind wach und schieben wieder fleißig irgendwelche Möbel direkt unter mir. Ich glaube, ich hasse inzwischen meine Wohnung! Der erste Gedanke gilt wieder ihm! Wird es jemals besser? Bestimmt! Wann nur? Er kann so froh sein dass wir nicht in einem Bett geschlafen habe. Wieviel grausamer wäre es jetzt - für uns? Ich weiß es war ihm so wichtig! So wichtig, neben mir zu schlafen. Ich habe mich bemüht, wirklich! Aber ich musste doch zwischen unseren zwei Haushalten ständig wechseln. Mal hier bei den Kindern schlafen, mal bei ihm. Ich habe maximal drei Tage am Stück neben ihm schlafen können, dann musste ich wieder weiter. Irgendwie hat sich da nie eine Gewöhnung eingestellt. Ich hörte jedes noch so winzige Geräusch. Das Aber vor allem das Schnarchen war richtig schlimm. Wir haben das sogar mit einer App aufgenommen. Er hat sich selbst total erschrocken! Und doch – das Verständnis, dass ich mir dann schwer damit tue, das kam nicht! Naja, beziehungsweise vielleicht schon, aber es fehlte ihm so sehr! Ja, er hatte das geäußert, ja ich hatte das immer wieder versucht. Auch im Urlaub ging es doch halbwegs. Aber da haben wir 10 Tage mindestens einfach am Stück nebeneinander geschlafen. Ich habe mich dann gewöhnt, weniger gehört. Außerdem konnten wir ausschlafen. Ich habe einfach nur gewartet auf den gemeinsamen Haushalt. Dann würden wir doch natürlich in einem Bett zusammen schlafen, in unserem Ehebett! Wie denn sonst? Diese Aussicht hat ihm aber nicht gereicht. Weitermachen. Nicht die Bilanz des Weinens versauen. Nicht wieder nachgeben.

      Einbissen Anlauf, schon sprühte ich wieder vor Energie und Tatendrang! Ich muss meine Wochenpläne durchschauen, mehr Verabredungen einplanen. Ich muss hier noch sortieren. Ich werde mich mal mit dem Nachbar versöhnen, ihn zum Kaffee einladen. Ich muss noch die Kinder für die Sommerferienkurse anmelden. Und das und dies! So viele Ideen! Es war erst sechs Uhr morgens. Das ist ja schon krank! Ich muss immer was machen, was verbessern, was verändern, vorankommen. Ich bin ein Widder. Er war Jungfrau. Ein Konflikt. Ich wusste es schon von Tag eins. Es würde nicht einfach werden. Wie oft hatte ich damals am Anfang die Websiten gecheckt. Ich tue nun auch am Ende das Gleiche.

      „Auch das eher streitlustige Temperament des Widders ist für die Jungfrau eine Herausforderung. Dem Widder fällt das Gemächliche und Geordnete der Jungfrau hingegen nicht ganz leicht. Aus seiner Sicht steht sie „auf der Bremse“ und hemmt seinen Unternehmungsdrang. Wenn Widder einer spontanen Eingebung folgen will, packt Jungfrau den Rechenblock und die Kontoauszüge aus und rechnet nach, ob das alles überhaupt machbar ist.“ (https://www.sternregister.de/sternzeichen/jungfrau/jungfrau-widder)
      Er war ja auch noch Aszendent Jungfrau! Oh mein Gott. Er sagte damals, es klingt wie eine Krankheit aus meinem Mund: „Jungfrau mit Aszendent Jungfrau!“. Wir haben gelacht. Sternzeichen – wer glaubt schon daran? Naja, ich und zwar schon immer sehr stark! Wir hatten uns in einem Datingportal im Internet kennengelernt. Er hatte mich angeschrieben – als Jungfrau! Durch mein Raster war er damals gefallen – über 12 Jahre älter UND Jungfrau! Nee, das war echt nicht meine Zielgruppe. Er hatte mich mit einem Gedicht angeschrieben, seiner Meinung nach nett und romantisch. Naja, ich fand es total befremdlich! Aber er sah so toll aus und ansonsten schrieb er auch so nett, so interessant. Aber das Sternzeichen! Das passte wirklich nicht. Ich habe so viel gesucht und gelesen, aber keine einzige Website wollte was Positives über Widder und Jungfrauen schreiben, keine! Schon faszinierend! Es sind nur Sternzeichen, Mythen! Aber es traf den Nagel auf den Kopf, aber so richtig! Als würde man wortwörtlich über uns beide schreiben. Und immer wenn man was ansatzweise positives gefunden hatte, dann kam schon wieder das Erwachen.

      „Dass der Widder in dieser Liaison die treibende Kraft ist, liegt auf der Hand. Dennoch ist er von der Jungfrau beeindruckt, denn die ist geistig flink und dennoch so herrlich aufgeräumt. Das Feuerzeichen kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie sie es anstellt, immer so beherrscht zu sein. Umgedreht wird das Erdzeichen von der Leidenschaft des Widders mitgerissen und befindet sich plötzlich in einer Achterbahn, für die sie nie ein Ticket gelöst hat.“ (https://www.bildderfrau.de/horoskope/)

      Diese Achterbahn der Gefühle hat er wohl nicht ganz überstanden. Das Ende kennen wir ja.

        2.Akt: Der Papa


        Mein Vater kommt heute zu Besuch, aus Wien, weit weg von uns. Er kommt nur zweimal im Jahr mich und seine Enkelkinder besuchen. Irgendwie klappt es öfter nicht, und die Kosten. Was für ein Zufall, dass es genau in der Woche ist, wenn seine Tochter nach sechs Jahren Beziehung über Nacht Single wird. Ich glaube heute wird es ohne Sonnenbrille nicht funktionieren, das ist doch mein Papa. Da wird mir allein von seiner Nettigkeit und Zärtlichkeit emotional ganz schlecht. Das öffnet die Pforten, die ich die letzten Tage verschlossen halten konnte. Wir schauen mal.

        Ich hole ihn von Flughafen ab. Der Einstieg ist vielversprechend. Ich freue mich, ich will nicht weinen. Irgendwie habe ich mit allen anderen so viel schon gesprochen, ich verspüre keinen großen Mitteilungsdrang, komisch. Wir philosophieren so vor sich hin. Wir haben Zeit, stehen im Stau. Er ist überrascht, dass ich so gefasst wirke. Er wollte mich eigentlich vom Boden aufkratzen. Hatte das schlimmste befürchtet. Gerade geht es. Ich weiß auch nicht warum. Ich habe viele Punkte schon so oft in den letzten Tagen genannt, dass sie mir leicht von der Zunge gehen. Es hört sich schon routiniert an. Routinierter Single.

        Nach einem kurzen Intermezzo zuhause mit meiner Tochter, bringen wir diese zum Tanzen und Trinken was in einem netten Lokal. Schon wieder das gleiche Restaurant, wie am Mittwoch schon mit meiner Freundin Steffi. Schon wieder kommt die Erinnerung an seine damalige Geburtstagsfeier hoch. So viel Liebe! Wie hat er mich nur angeschaut, vor allen andern mit mir gesprochen – der Hammer! Ich weiß nicht, ob sich ein Mensch mehr geliebt gefühlt haben konnte, ich glaube nicht. Ich blicke kurz in den Feiersaal, als ich auf die Toilette gehe. Dort waren wir noch so glücklich vor wenigen Jahren. Wie destruktiv sind denn schon wieder diese Gedanken!

        Wir reden über Männer. Aha, aus der Sicht eines Mannes. Wir reden gar nicht mehr über die vergangene Beziehung, wie philosophieren über die Zukunft. Wer passt denn so zu mir? Welcher Typ? Ich bin gefasst, rede mit. Das Thema trifft mich gerade nicht so arg. Ich würde auch gerne verstehen, wer nun zu mir passt. Der dominante anstrengende Typ von meinem Exmann, der mir selbst ähnlich ist. Oder der nette Gutmensch, der mich gerade verlassen hatte. Ich weiß es nicht. Damals mit meinem Exmann fand ich jeden Tag einfach nur mühsam am Ende, ich konnte nicht mehr. Ich musste die Reißleine ziehen. Mit meinem Gutmenschen hätte ich aus diesem Grund niemals brechen können. Dazu hätte er mir nie eine Veranlassung gegeben. Ich dachte, vielleicht würde unsere Beziehung eher mal an Langweile scheitern. Ich war einfach aktiver, dynamischer, agiler als er. Aber er erdete mich so schön, so vernünftig, so warm. Es war nicht langweilig, weil er so klug und unterhaltsam war. Er war kein heißblütiger Casanova. Aber das Wissen, das Reden war sexy! Ich fand das schön. Ich war nicht gelangweilt. Vielleicht habe ich aber einfach diesen Gutmenschen als Kontrast zu meinem Exmann gebraucht. Es war so einfach mit ihm, am Anfang. Bevor destruktive Hausdiskussionen gekommen sind, hatten wir keine Differenzen, keine Diskussionen, keine nennenswerten, hätte ich gesagt. Wann er seine Kinder bekommt, und wie wir dann unser Leben planen, das war glaube ich jahrelang der Hauptstreitpunkt bei uns. Nein ich korrigiere, Diskussionspunkt. Er konnte ja eigentlich nichts dafür. Die Ex war böse. Bei den Erbstreitigkeiten mit den Brüdern war ein Bruder böse. Nun war ich ja die Böse. Als Gutmensch hat man wohl nur böse Antagonisten im Leben. Die Diskussion mit meinem Vater war wieder eine Abwechslung, ein Blick in die Zukunft. Bisher hatte ich eher die Vergangenheit versucht durchzukauen, womit ich aber langsam fertig war. Wir zahlten.

        3.Akt: Die Patchworkfamilie


        Ich hätte es nicht machen sollen. Zu spät. Mein Exmann hatte mir von einem Straßenfest bei sich in der Straße erzählt, meine Exstrasse. Warum auch nicht, dachte ich. Ich hatte ja Zeit, ganz viel Zeit. Der Opa war da. Meine Tochter wollte hin, warum nicht. Ich dachte, unter Leuten zu sein, tut mir gut. Naja, wohl nicht mit Migräne. Mein Kopf platze leider. Die Tabletten machen mich eher zum Zombie, als dass sie was bringen zur Zeit. Ich kämpfte mich durch. Mein Sohn war auf einem Geburtstag eingeladen und sollte bald zurückgebracht werden. Und dann – lieferte ihn die Mutter bei der falschen Adresse ab, meinem Zuhause. Er rief genervt an, wo wir denn seien. Ich sagte, er solle zu Papa kommen und lief ihm entgegen. Tolle Idee.

        Ich war für zehn Minuten allein. Unterwegs zu Fuß in seine Richtung. Wir wollten uns in der Mitte treffen und dann zum Straßenfest zurücklaufen. Ich war allein, nur zehn Minuten. Verdammte Migräne. Ich weiß nicht, was die Tabletten aus mir gemacht haben. Es war schon Tag 3 in Folge und irgendwie war ich durch. Die letzten Tage waren definitiv nicht so schlimm. Aber diese zehn Minuten allein! Die Gedanken kommen mit voller Wucht zurück. Warum ausgerechnet jetzt? Ein Phantomschmerz. Das amputierte Bein tut weh. Hat er meine Bettwäsche schon abgezogen? Lächerliche Fragen. Ich denke nicht. Er ist so behäbig. Ich würde es machen. Ich habe es gemacht. Ich bin gegangen. Keine halben Sachen. Kein Warten mehr.

        Vor einigen Minuten hatte ein „Opa“, wie die Kinder alle älteren Männer nennen, auf dem Straßenfest zwei kleine Kinder „Zwerge“ genannt. Es war wie ein Stich – Zwerge! Mein Exfreund nannte seine und meine Kinder immer Zwerge! Meine ok, seine waren schon mehrere Köpfe größer als ich. Zwerge! Für ihn waren es immer Zwerge. Er bemutterte sie in einer Art und Weise, die mir schon nicht mehr normal vorkam. Gefühlt ging er mit seinem Sohn auf die Toilette. Wofür? Es hatte so viele Jahre auf sie verzichten müssen, sie so vermisst. Nur ein Tag in der Woche. Bei Teenagern ist es noch ok. Aber bei Vierjährigen ist das unvorstellbar grausam, sie nicht öfter knuddeln zu können. Wie schlimm muss das gewesen sein für ihn. Ich habe so geblutet innerlich, wenn er mir solche Sachen erzählte. Er ist so sensibel, so gut, ein Gutmensch. Wie konnte eine Frau ihm sowas antun! Natürlich hatte er das nicht verdient! Natürlich nicht. Er wollte doch nur die Zwerge sehen. Sie kam offensichtlich mit seinem Schlussmachen nicht klar. Wie muss sie sich damals gefühlt haben. So oft denke ich daran. Jetzt, wo ich in der gleichen Situation bin. Wie schlimm muss es gewesen sein, von einem Gutmenschen verlassen worden zu sein. Hat sie das erwartet? Hat sie den Schlag in die Magengrube gesehen? Hatte sie damals was geahnt? Sie hatte ein Baby, sein Baby, und er war einfach weg. War er denn wirklich so gut? War er! Damals war ich davon überzeugt! Und um diese Wunden zu heilen, wie hätte ich gerne ihm ein eigenes Baby geschenkt. Unser Baby! Es war doch schon unterwegs! Wir hätten doch nur zugreifen müssen! Wir haben es nicht getan. Und dann kam dieses Haus.

        Ich laufe am falschen Haus vorbei. Und es wird noch schlimmer. Hier wohnt meine Hass/Neid-Familie! Eine Patchwork-Familie. Wir hatten das Haus auch damals gesehen. Aber es war zu alt, zu renovierungsbedürftig und viel zu nah beim Exmann. Für die andere Familie hat es aber genau gepasst. Schön für sie. Sie waren schon eine bunte Mischung. Sie, eine wunderschöne Frau in meinem Alter, hatte drei Kinder mit ihrem Exmann. Er, viel älter als sie, hatte ebenfalls zwei Kinder aus der Beziehung davor. Und wisst ihr was? Sie hatten trotzdem ein verdammtes gemeinsames Baby! Ein Patchwork-Baby! Im Vergleich zu den anderen Kindern, war es winzig. Zu den ältesten Geschwistern bestand ein Altersunterschied von fast 18 Jahren – wie krass! Aber – es war ihr GEMEINSAMES Baby! Egal, wie viele Kinder sie schon hatten, egal, wie alt er als Vater war, egal wie alt sie schon war, egal wie kompliziert das Leben damit wurde – sie hatten ein gemeinsames Baby! Und dann ging es ja noch weiter. Sie waren auch noch verheiratet! Kann man sich das vorstellen? Als zweiten Versuch tatsächlich miteinander verheiratet! Und dann als Krönung ihrer Liebe, ihrer Familie, hatten sie dieses große Haus für sich erworben, für ihr Glück. Mir war wieder übel! Diesmal vielleicht von Migräne, vielleicht auch nicht. Ich konnte diese Kombi gerade nicht ertragen. Ich hatte damals schon mit meinen Gefühlen zu kämpfen, da es so viele Parallelen gab. Aber ich war ja glücklich, ich hatte ihn. Jetzt hatte ich nur dieses riesige Loch in mir und sonst nichts, absolut nichts. Die Tränen liefen unter der Sonnenbrille runter. Wie klebrig. Wie schlimm, jemanden zu beneiden.

        Mein Sohn kam mir strahlend entgegen. Eine schöne Geburtstagsfeier war es, toll! Wenigstens einer war glücklich. Er erzählte mir von seinem Lasergame. Er rede und redete. Ich hörte komplett an ihm vorbei. Ich habe nur an ihn gedacht. Warum jetzt? Ich war doch schon einen Trag trocken. Warum?

        4.Akt: Das Straßenfest


        Keine gute Idee, es war keine gute Idee. Dieses Fest endete in einem Desaster. Verdammte Migräne. Ich war komplett zerlegt. Ich hätte mich auf den Tisch legen können. Mein Sohn legte sich neben mich. Sein Tag hatte auch schon um sechs Uhr früh begonnen, er war durch und durch. Die Schule, der Geburtstag, er wollte nur noch heim. Ich auch. Die Tochter nicht. Sie war in ihrem Element, Party hier, Party da, Kinder in den Garten eingeladen, gespielt. Ich wollte heim. Alle anderen wollten heim. Sie nicht.

        Und dann habe ich mit meinem Exmann das gemacht, was uns bis jetzt in sieben Jahren nur zwei/dreimal passiert ist – wie ließen den Kindern die Wahl, zu Mama oder zu Papa. Das haben wir vermieden, wirklich vermieden und aus einem guten Grund. Meine Tochter mäkelte rum, brach in Tränen aus, wollte bleiben. Aber irgendwie auch nicht, der Opa war ja da. Sie war gespalten. Ich war kaputt. Und dann mischte sich der liebe Papa ein, ob sie vielleicht doch bleiben wollte, dann bei ihm. Vielleicht für zwei Stunden, vielleicht gleich übernachten. So viele Alternativen. Das ging noch nie gut! Ich war genervt, absolut abgenervt. Sie war verwirrt, müde, aber spielwillig. Aber dann war auch noch der Opa da. Sie ist neun und wirklich sehr klug. Aber eine solche Entscheidung zwischen Papa und Mama war sie immer noch nicht in der Lage zu treffen. Ich habe das verstanden. Daher war immer klar, wo die Kinder sind und wer verantwortlich ist. Bei wem sie bleiben. Die wenigen Male, wo sie die Wahl hatte, hatte sie sich mehrmals umentschieden, um keinen zu verletzten und irgendwie die beste Alternative rauszuholen. Hat noch nie funktioniert.

        Irgendwie haben wir noch die Kurve gekriegt und konnten aufbrechen. Mein Exmann musste mir aber natürlich nochmal reindrücken, dass er mein Verhalten nicht in Ordnung fand und das ganze Theater überflüssig war. Und und und. Ich habe nur gewartet, bis er mir telefonisch dann noch schreibt, dass er das ja voll versteht, warum ich nun verlassen wurde. Das wäre so unter der Gürtellinie. Aber das hätte ich ihm zugetraut. Wir liefen nachhause. Ich heulte den ganzen Weg – unter meiner Sonnenbrille.

        An diesem Abend hat er mir so wahnsinnig gefehlt! So schlimm.  So war es seit Tagen nicht mehr, oh ja, zwei Tagen! Ich hatte einen Konflikt, die Kinder waren schwierig, der Exmann böse. Wem sollte ich das abends erzählen? Wen würde das interessieren? Dass es mir schlecht ging nach der Diskussion. Dass ich die verdammte Migräne hatte seit drei Tagen, die einfach nicht aufhören wollte. Wer würde mir zuhören, mich trösten, mich aufbauen? Jeden Abend haben wir telefoniert, jeden Abend. Wie hat er mir heute nur gefehlt! Warum heute!? Ich war doch schon einen Tag trocken. Rückfall!

        Tag 7 - Samstag


        1.Akt: Die Halle


        Schon Tag sieben, wir haben nun eine ganze Woche! Und wieder stand eine sechs vorne auf der Uhr als ich aufgewacht bin. Es ist Samstag. Wochenende. Gottseidank bin ich nicht allein. Die Kinder. Mein Vater. Ich bin nicht allein. Ich fühle mich allein. So allein. Ich stehe auf. Zumindest physisch muss ich heute nicht allein sein.

        Ein positives Erlebnis – die Waage! Sie zeigt eine 62, ok, mit Komma, aber 62 davor! Krass! Es ist nicht mal eine Woche vorbei! Wie geil ist das denn, wenigstens abgenommen. Zwei Kilo in einer Woche. Ich weiß, ich weiß, das hält nicht. Kommt schon wieder alles drauf, wenn das Elend weniger wird. Ich freue mich trotzdem! Ein positiver Nebeneffekt, endlich mal was Gutes vom ganzen Elend.

        Heute ist mein Hallentag, wie schön! Ich bin jeden Samstag in „meiner“ Halle mit den Ukrainern. Ich nehme spenden an, sortiere, räume auf. Ich werden gebraucht! Ich liebe meine Samstage. Ich bin gerne aktiv und beschäftigt – und einfach nützlich. Diese Tätigkeit ist so sinnstiftend, so erfüllend. Ich bin kein Gutmensch. Ich bin nie einer gewesen. Ich glaube, ich kann nicht gut zuhören, bin nicht sehr emphatisch. Aber ich bin ein Macher! Ich nehme die Menschen an der Hand und sage, „du schaffst es!“ Und ich mache alles dafür, dass der Mensch es schafft. Damals, ich mein Vater meine Mutter sehr grausam verlassen hatte, da war ich für sie da, natürlich. Aber ich war da, um ihr Leben neu zu organisieren, um die Finanzen zu klären, um den neuen Alltag aufzubauen, für praktische greifbare Dinge im Leben. Mein Bruder war da, um ihre Hand zu halten. Natürlich habe ich auch mit ihr geredet, viel geredet. Aber das ist nicht meine erste Stärke, emotional für den Leidenden da zu sein. Ich gehe Probleme an, ich mache was, ich bin aktiv. Daher war auch der Vereinsname für mich so symbolisch ansprechend: „Nicht reden, Machen!“

        Hier bin ich nun im Vorstand, wow, klingt cool. Ich bin im Vorstand. Mit geht es nicht um Titel, ich will was machen, helfen. Wenn man in sich diese Kraft verspürt, wenn man spürt, dass mein Wissen und Können einen Unterschied machen kann, dann fühle ich die innere Verpflichtung, es auch einzusetzen. Ich kann nicht anders. Als der Krieg anfing, das Elend losging, da war ich zumindest hier in Deutschland an der vordersten Front. Wir haben die schockierten Neuankömmlinge aufgenommen, sie angekleidet, gefüttert, Unterkünfte organisiert, übersetzt wo es ging. Hammer! Ich habe noch nie was Nützlicheres im Leben gemacht! Mein Job ist toll und meine Firma verbessert zumindest nach ihrem Firmenmotte jeden Tag das Leben von Menschen und berührt deren Leben. Aber wenn ich nie da wäre, ich glaube nicht, dass es wirklich auffallen würde. Aber hier! Ich bin die PAULINA. Alle kennen mich, kommen zu mir, mögen mich, naja hoffe ich doch. Ich bin zumindest meistens nicht für ihre Tränen zuständig, das ist nicht meine Stärke. Aber ich gehe mit Ihnen zu Ärzten und in Schulen, ich organisiere deren Umzüge, plane deren Sprachkurse, erkläre Ihnen die deutsche Kultur, das Leben hier. Ich sorge dafür, dass sie ein Leben haben, einen Alltag, der sie auffängt. Die Hand halten müssen andere. Ich mache – ich will nicht nur reden.

        Aber heute werde ich auch reden. Eine Ukrainerin kommt vorbei, die ich lange nicht mehr gesehen habe. Eigentlich ist sie sogar Russin, in die Ukraine ausgewandert. Wir verstehen uns. Sie hat beschlossen, mit ihrer kleinen neunjährigen Tochter zurückzugehen. Zurück in den Krieg. Sie hat ihren Mann schon seit mehr als einem Jahr nicht gesehen, hält es nicht mehr aus. Allein mit Kind in einem fremden Land. Den Mann sieht sie nur am Telefon. Sie will nicht mehr. Sie wollen es zumindest versuchen trotz Krieg wieder unterzukommen, irgendwie den Alltag zu bewältigen, Hauptsache zusammen. Es klingt so unendlich traurig und unendlich romantisch. Gemeinsam den Krieg aushalten, Hauptsache zusammen. Das muss Liebe sein! Ich beneide sie um dieses Gefühl. Für die Ewigkeiten, bis der Tod uns scheidet. Das klingt so bedeutend. Solche Gefühle wollte ich erleben. Ich dachte, dass ich sie erlebe. Ich habe mich geirrt.

        Aber gut, heute muss ich noch mehr reden, zumindest einige einweihen in mein Leid. Zwei andere Frauen sind mir besonders ans Herz gewachsen, sind Freundinnen geworden. Ich mag sie total. So emphatisch und lieb, wenn auch beide recht unterschiedlich sind. Ich hatte bisher viel zu wenig Zeit für sie. Meistens treffen wir uns in der Halle, sehr sehr selten bei mir zuhause. Ich muss mit Kindern lernen oder fahre immer zu ihm. Die zwei Haushalte kosten Kraft. Ich hätte ihn sonst kaum gesehen. Sie kennen einiges von mir, ich von ihnen. Sie kannten ihn, zumindest kurz vom Sehen, ein- oder zweimal. Sonst hielt er sich aus meinem Leben in der Halle komplett raus. Kein Interesse? Ja, würde ich sagen. Es war meine Welt. Klar, ich rede ja auch russisch hier. Aber so oder so hat er sich als Helfer nie aufgedrängt. Und ja, ich habe auch nicht gefragt. Warum? Ganz einfach, damit er Zeit für sich hat. Er hat eine 60h Woche, 1 Tag am Wochenende hat er die Kinder und ist voll und ganz für sie da. Und dann blieben ja wirklich nur wenige Stunden für ihn. Ich habe das vollkommen verstanden, vollkommen. Ich habe immer darauf geachtet, mehr als er, dass er diese Zeit bekam. Er nahm sie sich diese Zeit nie selbst, dafür war er nicht der Mensch. Er hätte ein viel zu schlechtes Gewissen. Also habe ich das für ihn entschieden, und erst gar nicht gefragt. Vermieden, ihn auch zu viel mit meinen Kindern zu belasten. Ich wollte, dass es ihm gut ging. Diese Welt hier in der Halle ging also an ihm vorbei. Naja, nicht ganz, da ich für ihn fehlte und mich für diese Tätigkeit aufopferte.

        Ich dachte immer, er hat es verstanden, es akzeptiert. Er war doch der Gutmensch. Und ich bin hier zu einem geworden, wie schön. Jetzt waren wir uns doch ähnlicher, näher, oder nicht? Nein, waren wir nicht. Diese Tätigkeit hat definitiv wohl zu viel meiner Energie genommen. Die Energie, die ich für die Beziehung gebraucht hätte. Es war für mich eine willkommene Ablenkung damals von den vielen Tiefschlägen in unserem Leben. Das entgangene Baby. Das entgangene Haus. Als der Krieg losging, wurde ich hier gebraucht. Ich hatte ihn gebraucht, aber irgendwie war er nicht genug da. Also habe ich mir eine Ablenkung gesucht – hier war sie.


          2.Akt: Das Mittagessen


          Heute muss ich früher gehen, mein Vater ist da und das Klassenfest meines Sohnes steht bevor. Ich fahre los, muss noch bei meiner Mutter vorbei und ihre Einkäufe nachhause bringen. Ich bin wieder allein. Und wieder geht es los. Als würde mein Verstand oder ein anderes Organ, das Herz, lauern, wann ich denn allein bin und dann loslegen – mit den Gedanken an ihn! Ich sehe im Handy unsere Unterhaltung in WhatsApp nicht mehr. Ich habe den Chat gleich ent-pinnt von den Favoriten, damit er weiter runterrutscht. Ich gehe zur letzten Unterhaltung: „habe trauriges Gesamtgefühl“, war meine Nachricht. „das tut mir leid. Ich fühle mich gar nicht gut lass uns nachher telefonieren“. Danach Stille. Seit nun einer Woche. Er wollte solche Themen nie telefonisch besprechen. Wie konnte er das machen? Schlussmachen am Telefon? Nach sechs Jahren Beziehung? Wir sind doch keine 20 mehr, keine 30? Ich habe ihm doch nichts angetan, dass ich sowas verdient hätte. Warum? Wenn ich das so schreibe und lese, bin ich immer noch so sprachlos. Ein anderer Mensch, eine andere Frau, die würde doch sofort zerfallen, zerbrechen nach einer solchen Behandlung. Das ist so unbeschreiblich schmerzhaft, aber ich lebe! Ja, es ist noch keine Woche her, ich habe die Kinder, muss funktionieren. Aber ich glaube, ich werde es überleben. Ich bin stark. Vielleicht hat er ja darauf gesetzt, da er mich ja kannte. Er wusste, dass ich da rauskomme, irgendwann mal. Ich versuche es.

          Ich bin bei meiner Mutter angekommen. Der Hund bellt sich einen ab, als er nur das Auto draußen hört. Aha, sie hat ihn ja toll im Griff. Das würde er bei mir nicht machen – denke ich! Das ist so eine Diskussion, die wir immer hatten und immer noch haben. Wie erzieht man ein Tier? Sie macht es mit wahnsinnig viel Liebe und Verständnis, gibt ständig nach, lässt sich auf der Nase herumtanzen. Es ist ein Tier! Egal wie sehr ich ihn liebe, es ist ein Tier. Ich bin nicht gleichrangig, ich bin das Frauchen. Ich will, dass er auf mich hört, mich respektiert. Das tut er! Bei mir bellt er nicht. Er hört auf mich, wenn ich sage, „sitz und bleib. Du bleibst.“ Das ist unser Codewort. Dann gehe ich, er bellt nicht. Er respektiert mich und liebt mich. Aber meine Mutter liebt er mehr! Viel mehr! Sie ist so lieb zu ihm, ich bin streng. Toll! Ist das der Preis, wenn man Stärke zeigt? Ich könnte es auf so vieles übertragen.

          Ich fahre zu den Kindern. Sie habe mit Opa zusammen Pizza gemacht. So selbständig, fast allein. Meine Tochter will mir dringend was mitteilen. Sie hat irgendwelche Gedichte über den Krieg, warum auch immer, rausgeschrieben aus irgendeiner Serie, alles klingt wirr. Ich bin müde und will essen. Ich höre zu. Meine Nachfrage, ob es „nur“ abgeschrieben ist, löst ein mittelschweres Drama aus! Sie schluchzt und zieht sich ins Zimmer zurück. Ich bin baff, keine Ahnung was das war. Ich denke, die Kinder sind genau wie ich diese Woche etwas gereizter, nervöser. Nach dem wir fast fertig sind mit dem Essen, kommt sie großzügig zu uns an den Tisch. Ich bekomme einen Vortrag. Ich kritisiere gleich los, ich muss ja nur sagen, ist schön gemacht. Aber nein, ich muss ja auch gleich sagen, was noch besser sein könnte, das ist so anstrengend. Die Augen sind wieder mit Tränen gefüllt. Was für eine schlimme Mutter. Ich setze wieder zu einem elterlichen Vortrag an – oh je. Ich muss ja auch wirklich jeden Vorfall dafür nutzen, schon anstrengend. Ich versuche ihr zu erklären, dass Kritik wertvoll ist. Dass man durch Kritik wächst und sich verändert, sich verbessern kann. Kritik ist ein Geschenk, natürlich wenn sie gut verpackt ist. Nur Menschen, denen du was bedeutest, würden sich auch die Mühe dieser wertigen wertvollen Kritik machen. Die anderen sagen einfach ohne nachdenken „schön“, vergessen es und gehen weiter. Man muss Kritik annehmen können. Sich dafür bedanken. Man wächst daran. Ich halte inne – krass, die Parallelen wieder! Er konnte nie Kritik üben. Wo sind wir jetzt angekommen? So viel habe ich ihm bedeutet, dass er diese Kritik nicht äußern konnte? Monate und Wochen davor? Kein Interesse, dass sich was ändert? Einfach innerlich kündigen und gehen? Ich bin wieder in einer anderen Welt des Elends. Aber da hilft mir meine Tochter raus. „Ich möchte nicht mehr diskutieren. Du musst einfach nur sagen, es ist toll gemacht und das wars.“ OK, wir müssen noch an ihrer Kritikfähigkeit arbeiten.

          3.Akt: Das Klassenfest


          Wir brechen wieder auf. Man ist das ein volles Wochenende! Klassenfest von Sohn. Wir holen Papi ab, der hoffentlich wieder gut drauf ist seit der Diskussion gestern. Das ist gerade eindeutig zu viel Kontakt. Aber gut, wir versuchen es erneut. Es wird ein super Nachmittag!

          Vielleicht 30 Leute mit Kindern sind gekommen, ich kenne fast keinen. Es ist die fünfte Klasse, alles und alle sind neu füreinander, auch die Eltern. Ich liebe es, neue Leute kennenzulernen. So spannend, mit wem sich mein Sohn angefreundet hat. Wie ist das Kind, wie sind die Eltern? So viele Fragen. So viele glückliche Paare. Ich beginne das Fest mit einer leichten Frustration. Hält aber nicht lange, ich bin ja mit Exmann und Opa da, nicht allein. Ich wirke auch nicht allein. Was weiß ich, wie glücklich die ganzen Paare um mich herum sind. Der Schein trügt. Ganz sicher sind nicht alle kuschelwuschel unterwegs. Wer weiß, wer schon wie oft bei Eheberatung war, wer in zweiter Ehe schon verheiratet ist, wer kurz vor der Scheidung steht. Naja, diese Leute ziehe ich wohl magisch an.

          Eine hübsche Mutter von einem Klassenkameraden bekommt mit, dass ich mit Exmann da bin, und es geht los. Ich glaube, ich rede fast eine Stunde mit ihr. Sie ist sehr nett. Wie wir das damals gemacht haben mit den Kindern, wie es denn läuft. Sie ist erst seit einem Jahr getrennt, alles noch sehr frisch. Aber sie war über 20 Jahre mit ihm zusammen, krass! Solche Zeiträume mit einem Menschen kann ich mir gar nicht vorstellen. Mit meinem Exmann war ich knappe sieben Jahre zusammen, mit meinem Exfreund sechs Jahre. Ich finde schon solche Zeiten beeindruckend. Aber 20 Jahre? Die sind ja zusammen groß geworden. Sie ist erst 36, so wie ich bei der Trennung. Wahnsinn! Mit 20 kennengelernt. Sie hat sich bei einer Datingplattform angemeldet und ist wenig begeistert. Ich tröste sie, es ist am Anfang immer so. Natürlich fühlt es sich hohl an, mit einem fremden Menschen die erste Unterhaltung übers Internet zu führen. Keine Nähe, Wärme, kein Vertrauen, alles auf Null. Das Einzige, was du siehst, ist das fremde Foto. Dann ein Paar Textzeilen. Das ist wirklich nicht viel. Und es fühlt sich wirklich leer an. Ich kann es gar nicht anders beschreiben.

          Ich war nicht lange damals in diesen Datingforen. Vor ihm hatte ich gerade mal zwei Männer getroffen. Einer war nett, aber viel zu dominant und das Aussehen war nicht ganz überzeugend. Der andere war wirklich ganz anders als auf dem Foto und auch nicht mal nett. Er als der Dritte war perfekt! Ich werde seinen ersten Anblick nie vergessen – ich war geflasht! Meine Mädels werfen mir ein gleiches Jagdmuster vor. Na und! Ich wusste halt, was ich wollte. Nach dem ersten Treffen wollte ich mehr, er auch. Daraus sind es sechs fast durchgehend schöne Jahre geworden. Aber ja, der Anfang war schwer. Jedem immer wieder was über sich schreiben. Standardsätze des Kennenlernens. Es ist belastend und nervig. Da muss man schon durchhalten, auch damit leben, dass aus den meisten Kontakten nun mal nichts wird. Ich war noch nicht so weit, nach einer Woche verständlich. Sie war nach einem Jahr noch nicht wirklich bereit. Es waren nur halbherzige Versuche.

          Keine Ahnung warum, aber an diesem Nachmittag verstehe ich mich sehr gut mit meinem Exmann. Wir witzeln, schubsen uns spielerisch, wirklich normal und nett. So war auch unsere Beziehung damals gewesen, tiefe Tiefen und hohe Höhen, wobei die letzteren leider immer seltener wurden. Das war mir zu anstrengend, ich hatte keine Kraft mehr, ich bin gegangen. Mit ihm, dem letzten ihm, war es ganz anders. Wir hatten wahnsinnige Höhen, und dann stellte sich ein Hügel ein, dann vielleicht mal eine Ebene, aber ich habe nie ein Tal empfunden. So ging es aber wohl nur mir. Wie lange er wohl in diesem Tal unserer Liebe gewesen ist? Monate? Jahre wohl nicht, das hatte er selbst bestätigt. Mit meinem Exmann ist es aber heute auf der Höhe, gottseidank. Nochmal ein Abend wie gestern hätte ich nicht ertragen. Wir sitzen im Restaurant am Strand. Hier war ich auch mit ihm vor vielen Jahren gewesen, wie mich mein Herz freundlicherweise auch gleich erinnert hatte. Wir schauen den Kindern beim Spielen zu und philosophierten über neue Partner. Was das Problem bei der Partnersuche wäre. Ich bin ja eigentlich erfolgreicher als er. Immerhin eine sechs Jahre lange Beziehung. Er hat in der Zeit ein Jahr lang was versucht, was komplett nach hinten losging. Aber nun sitzen wir beide da, allein. Ich weiß nicht, ob es wirklich hilfreich ist, mit ihm zu philosophieren. Tatsächlich habe ich in Gedanken und Gefühlen nochmal geprüft, ob es irgendeine Chance für uns beide gebe und habe es – ich muss wirklich gestehen, angeekelt verworfen! Exmann ist Exmann, ich hatte ja meine Gründe und wir hatten nicht gerade harmonische sieben Jahre nach Beziehungsende hinter uns. Nein. Ich habe ihn nicht mal als Mann mehr gesehen. Das ging wirklich gar nicht. Er war nur Papi für die Kinder, maximal eine nette Unterhaltung für mich. Aber ganz ganz sicher nichts mehr! Wir fahren nachhause.

          Tag 8 - Sonntag


          1.Akt: Das Jubiläum


          Die Uhr zeigt eine vier davor, ich drehe durch. Gestern konnte ich erst um Mitternacht einschlafen. Heute kam mein Vater auf die Idee, im Wohnzimmer zu lüften, in der Nacht. Rollläden und Tür auf, ich wach. Normalerweise wäre ich um diese Zeit wieder eingeschlafen. Diesmal natürlich nicht. Natürlich läuft mein Kopf sofort auf Hochtouren. Gerade wach, schon zack, alles an, alles funktioniert. Heute ist Jubiläum! Wir haben uns vor einer Woche gesehen. Ich habe seine Stimme vor einer Woche gehört. Vor einer Woche habe ich ihn berührt und mehr. Alles war vor genau einer Woche. Vor einer Woche haben wir uns getrennt.

          „Unabhängig vom Geschlecht ist es laut Psycholog:innen besonders wichtig, nach einer Trennung, das Gefühl für dein “eigenes Ich” wieder zu erlangen. Je schneller du dein Selbstbild anpasst und dich als eigenständige Person – und nicht mehr als Partner:in von XY – wahrnimmst, desto schneller kannst du dich nach einer Trennung wieder innerlich zufrieden fühlen.“ (www.chrisbloom.de)

          Davon bin ich noch so meilenweit entfernt. Keiner erwartet von mir gerade was anderes. Ich schon! Ich bin doch so schnell, so aktiv, ich gehe es einfach an, diese Verarbeitung. Ich schaffe das.

          Ich habe nun Zeit, alle schlafen. Ich denke plötzlich daran, ob ich seine Freunde jemals wiedersehen werde. Sie waren so nett, so lieb. Noch am Samstag vor dem großen Sonntag hatten wir einen sehr schönen Abend zusammen. Er war schon selbst überrascht warum auch immer, dass ich und alle anderen zusammen sich wohl gefühlt haben. Würde ich sie wiedersehen? Bei welchem Anlass? Wenn wir uns ganz ganz doll verstehen würde. Dann vielleicht mal beim Grillen. Vielleicht bei wichtigeren Ereignissen. Seiner Hochzeit? Blutendes Herz. Masochistische Gedanken! Was für eine Qual. Warum mache ich das? Ich kann es noch nicht verhindern. Es wird mir bestimmt bald gelingen. Er würde mich natürlich nicht zu seiner Hochzeit einladen. Wie makaber. Ich würde es bei meinem Ex-Ehemann tun. Er gehört zu meinem Leben. Allein durch die Kinder. Der neue Ex ist kein Teil meines Lebens mehr. Keine Überschneidungen, keine Kinder, kein Haus. Nichts. Einfach weg. Wir würden ganz sicher nicht auf solchen Festen der Familien auftauchen.

          Ich drehe mich eine unfassbar lange Zeit im Bett herum, stehe auf, schreibe weiter. Ohne das Schreiben würde ich eingehen.


            2.Akt: Das Familienmittagessen


            Kurz vor acht geht der Tag los, alle sind wach. Heute haben wir wieder was Spannendes vor. Essen mit meinem Bruder und meinen beiden Eltern. Das passiert nur alle Paar Jahre. Und das reicht mir auch vollkommen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie meine Eltern überhaupt nur einen Tag miteinander verbracht haben. Sie sind so verschieden. Haben sie sich so auseinanderentwickelt? In jedem Fall – kein schönes Erlebnis, maximal ein neutrales, mehr erwarte ich nicht.

            Gottseidank ist mein Bruder dabei, und der Hund, die Kinder sind abgelenkt. Mein Elend steht ausnahmsweise mal nicht im Mittelpunkt. Ich habe auch langsam keine Lust mehr alles wieder und wieder zu diskutieren. Mein Bruder erzählt von seinen Lebensplänen. Gerade wohnt er um die Ecke. Aber bald wird er wohl wieder ins Ausland ziehen, zu seiner Freundin. Wieder weit weg von uns. Das macht mich wieder unsagbar traurig, wie gerade eigentlich jede Veränderung, aber diese besonders. Er ist so lieb zu den Kindern. Sie hängen an ihm. Sie hangen auch an Mamas Partner, aber dieser ist nun weg. Wenigstens mein Bruder bleibt ihnen. Jetzt geht er wohl auch weg. Ich mische alles ineinander, ich weiß. Mein Bruder bleibt doch mein Bruder. Aber wenn er weit weg ist, dann ist er doch keine Bezugsperson mehr. Das ist so schade! Er ist ein guter anständiger Mensch. Er ist meinem Sohn einbisschen ähnlich, versteht ihn. Ich hätte ihn so gerne mehr in meinem Leben gehabt, vor allem jetzt, wo der andere weg ist. Ich kann es nicht beeinflussen, dass beiden gehen, jeder auf seine Art.

            3.Akt: Der Vereinsstress


            Die Meldungen laufen heiß. Die Vereinstätigkeit ruft. Ich bin gespannt. Oh man, Stress auf allen Fronten, warum nur alles auf einmal. Einer von sieben Vorstandsmitgliedern tritt aus. Ein lieber netter Kerl, ich mag ihn. Er und seine Frau waren beide im Vorstand. Er nun nicht mehr. Wir hatten viel Stress in der Gruppe in den letzten Wochen. Ein sehr dominantes neues Mitglied kam rein, der Hausfrieden hing absolut schief. Der neue, der schon mal im Vorstand war, und ausgetreten ist, ist voller Elan. Kommandiert, diktiert, organisiert – oder versucht zumindest. Keiner reagiert. Er fühlt sich vor den Kopf gestoßen, verbreitet miese Stimmung in der Gruppe – der Erste geht. Diese auf und ab der Emotionen, wenn Menschen zusammenarbeiten, ist schon ein Kapitel für sich. Ich habe diese Höhen und Tiefen die letzten Monate schon immer wieder mitgemacht. Mal war es unterhaltsam, mal nervig. Aber wirklich belastend ist es jetzt. Ich bin so dünnhäutig geworden. Ich kann ja gar nichts mehr abhaben. Die kleinste Veränderung wirft mich schon aus der Bahn. Ich möchte und kann nicht an mehreren Fronten kämpfen. Ich habe mich aus allen Diskussionen der letzten Tage rausgehalten. Ich habe keine Kraft dafür. Unser Vorsitzende ruft an, will reden. Ich erzähle ihm kurz von meiner Lage und dass meine emotionalen Kapazitäten ziemlich erschöpft sind. Er versteht es, bedauert es. Er ist auch am Ende seines Lateins, wie er vorgehen soll. Schwierige menschliche Beziehungen. Ich bin ihm leider gerade auch keine Hilfe. Keine Kraft.

            4.Akt: Das Abendessen


            Abends sind wir wieder total allein, ich und die Kinder. Es wäre eigentlich Wechsel-Sonntag, die Kinder würden um 16 Uhr zu Papa gehen und ich zu ihm, dem Ex. Ich möchte sie heute behalten. Der Vater ist einverstanden. Ich brauche sie. Ich kann noch nicht allein sein. Ich breche zusammen. Sie streiten und motzen, sie lenken mich aber ab. Ich liebe sie. Sie sind doch der Sinn im Leben. Sie machen die Beziehung zum Vater auch nicht umsonst. Sie sind ja das Ergebnis. Ich brauche sie.

            Wir sitzen am Tisch. Meine Tochter macht zum Spaß böse Bemerkungen nach dem Motto, sie wäre ja nun eigentlich lieber bei Papa. Einfach so zum Spaß. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Es tut so weh! Sogar mein Sohn ist verblüfft über ihren Spruch. Ich schaue sie entsetzt an. Sie schluckt, sie hat es übertrieben, das sieht sie. Mir laufen die Tränen übers Gesicht. Ich schluchze, schlucke und stehe auf. Ich muss weg. Ich gehe auf die Toilette, versuche es normal aussehen zu lassen. Am Tisch zurück ist sie nicht da, nur mein Sohn. Dann rennt sie in mein Zimmer, ich soll doch schauen. Ich esse weiter. Ich will nicht schauen. Sie setzt sich wieder zu uns. Ich schließe die Augen, die Tränen laufen wieder runter. „Sie weint“, sagt mein Sohn zu ihr, steht auf und umarmt mich, sie kommt dazu. Ich dachte ich bin nun gefasster, es geht aufwärts. Nichts ist besser. Ich heule wieder. Das erste Mal seit Montag wieder vor den Kindern. So sichtbar. So leidend. Ich will sie nicht belasten. Ich kann aber gerade nicht anders. Ich kann einfach nicht. Es ist Sonntagabend. Mein Lieblingstag mit ihm. Ich kam immer zu ihm. Er machte Essen. Begrüßte mich, umarmte mich, stelle mir das kalte Getränk hin. Wir redeten viel über unser Wochenende. Wir saßen lange am Tisch beim Abendessen, hielten Händchen. Bis zum bitteren Ende hatte sich das nicht geändert! Wo hätte ich das denn erkennen sollen? An was? An einem Blick, der wenige Sekunden kürzer war? An was? Ich konnte einfach nur Verzweifeln. Ich wollte nicht mehr. Migräne kam wieder. Sie machte mich schwächer. Alles schien so viel schwerer, wenn sie kam. Aber sie kam so oft. Alles war ein Kampf. Das ganze Leben ohne ihn war ein ziemlich bitterer einsamer Kampf. Erster Sonntag ohne ihn geschafft.

            Tag 9 - Montag


            1.Akt: Die Reise


            Auf der Uhr ist wieder eine vier davor, ich drehe durch. Irgendein verdammtes Geräusch hat mich schon wieder geweckt! Wie ich das hasse. Oh! Es war mein Magen, er knurrt! Ich glaube ich spinne. Jetzt werde ich schon von meinem eigenen Organ geweckt. Man, bin ich empfindlich was Geräusche angeht. Was würde ich dafür tun, dass ich das nicht wäre. Ich bin nicht glücklich damit. Dann hätte ich neben ihm ohne Probleme schlafen können. Vielleicht. Unfassbarerweise schlafe ich wieder ein.

            Ich werde wieder von Geräuschen geweckt. Diesmal die vertrauten von unten von den Nachbarn. Ich hoffe sehr, dass eine sechs davor ist. Super, eine sechs ist davor. Es ist halb sieben! Ich habe verschlafen! Unfassbar. Ich habe vergessen, den Wecker zu stellen! Ich weiß nicht, vor wie vielen Jahrzehnten mir das das letzte Mal passiert ist. Ich bin definitiv aus dem Takt. Verdammt! Ich hasse das zutiefst, was diese Trennung mit mir macht. Ich kann es nicht ändern. Ich stehe, besser springe, aus dem Bett.

            Nach einem hektischen Morgen mit den Kindern geht die Reise los. Das passt wie die Faust aufs Auge – mein Resilienz-durch-Wandern-Seminar! Eine Woche Bildungsurlaub im Odenwald. Wie cool ist das denn! Ich freue mich total, aus dem Alltag raus zu sein. Abstand zu allem zu bekommen. Das brauche ich. Ich werde mich einlassen, versprochen! Auf alle kommenden Entspannungsübungen. Auch jeden Käse, der mich rausbringt. OK ok, die Einstellung ist vielleicht gerade nicht optimal. Alles, was mit Entspannung zu tun hat, hat nichts mit mir zu tun. Ich google sicherheitshalber, was Resilienz genau bedeutet. Aha – ich mich geirrt! Hier steht was von innerer Widerstandskraft. Aha, es ist gar nicht Entspannung. Also mit Achtsamkeit wird es schon was zu tun haben. So genau will ich mich gar nicht informieren, ich höre ja gleich alles.


              2.Akt: Das Mittagessen


              Zuvor gibt’s noch das Mittagessen bei dem hiesigen Supermarkt meines Dorfes. Ich fühle mich wie ein Revolluzer! Es ist Montagmittag und ich bin draußen, kann es mir erlauben in der Sonne zu sitzen und Kaffee zu trinken. Wie cool ist das denn! Ich bin gut drauf. Dann kommen die Gedanken. Ich sitze ja allein. Ich bin allein. Wie lächerlich das ist! Ich habe früher das so genossen, auch mal allein was zu unternehmen, ohne ihn und die Kinder, einfach mal in Ruhe allein. Aber wenn man allein ist, dann fühlt sich das Alleinsein ganz anders an. Nicht so toll.

              Plötzlich kommen einem ganz merkwürdigen Fragen. Ich war nicht die Richtige für ihn, anscheinend. Ich habe mich irgendwie nie gefragt, ob er wirklich der Richtige ist für mich, nicht so bewusst. Warum? Ich fand den Gedanken daran schon unethisch, unmoralisch. Er war doch mein Typ, mein Partner, mein ein und alles. Schon merkwürdig die Einstellung! Ich bin selbst verwirrt. Hätte ich das hinterfragen sollen? Hätte es was gebracht? Ich ziehe mal den Vergleich zu meinen Kindern. Du fragst dich doch auch nicht, hätte ich bessere haben können. Das sind doch mit Haut und Haaren deine, dein Fleisch und Blut. Du überlegst zwar was deren Stärken und Schwächen sind. Aber du ziehst ja daraus nicht als Konsequenz, dass du sie vielleicht gegen deren Freunde austauschen möchtest, die sportlicher oder klüger sind. Ich spüre jetzt schon, dass meine Tochter wie ich ist. Oh je, ob ich das gut finde. Sie ist voller Energie, leider auch destruktiver. Sie ist spontan und erfasst Sachen schnell und urteilt - sehr schnell! Sie ist neun und entwickelt sich gerade rasant. In einigen Jahren, vielleicht sogar Monaten, wird es ein echter Kampf sein in ihrer Pubertät. Sie kann jetzt schon eiskalt mit Worten sein! Zieht auch mit Taten nach. Aber das alles, das ist doch meine Tochter. Ich werde mir ein Bein ausreißen, um sich mit ihr zu verstehen, an unserer Beziehung zu arbeiten. Ich kann sie ja nicht aufgeben, nur weil es mal keinen Spaß macht, weil ich gerade sie weniger liebe. Ich werde auch hochgradig von ihr und sie von mir genervt sein. Wir werden uns anbrüllen, uns versöhnen und wieder anbrüllen.

              Er hat mir nichts für die Ewigkeit versprochen, ich weiß. Aber kann man nicht nach mehreren Jahren erwarten, dass jemand eine Beziehung zumindest so ernst nimmt, dass man ihr die Chance gibt, daran zu arbeiten? Irgendwie muss ich das mit ihm vergleichen. Nein, es ist nicht gottgegeben, dass wir zusammen sind. Aber wir hatten eine solche Vertrautheit aufgebaut, dass ich das so empfunden habe. Ich habe die Probleme in unserer Beziehung als Teil des Weges betrachtet, den wir zusammen gehen müssen. Als unsere gemeinsame Aufgabe. Daher sitzt ja der Schmerz auch so tief, weil er die Entscheidung einfach allein und heimlich getroffen hat. Wie geht das? Ist das moralisch in Ordnung? Wie unglücklich muss er gewesen sein, um diese Entscheidung zu treffen? Spontan denke ich an seine letzte Trennung. Er hat seine Kinder verlassen. Er musste sich doch schützen, er war unglücklich. Diese Frau machte ihn kaputt. Es musste gehen. Natürlich hat er nicht die Kinder verlassen aus seiner Sicht, sondern die Frau. Aber ganz ehrlich, das Ergebnis war doch erstmal das gleiche! Natürlich konnte er mich genauso verlassen. Wenn er schon damals es geschafft hat, aus seiner Familiensituation auszubrechen, die ihn nicht glücklich gemacht hat. Warum wundert es mich dann. Es ist nicht das gleiche, würde er sagen. Natürlich nicht. Aber es sind beängstigende Parallelen, die sich aufdrängen. Diesen Wesenszug von ihm habe ich wohl irgendwie ausgeblendet.

              3.Akt: Die Autofahrt


              Bis zu den Achtsamkeitsübungen muss ich aber noch die Autofahrt bewältigen. Da habe ich schön viel Zeit allein zu sein. Na toll! Mein Kopf wird mich wieder jagen, meine Gedanken sich überschlagen. Ich bekomme Angst! Wirklich! Angst mit mir allein zu sein. In welche Richtung gleisen sie nun wieder ab. Ich höre sonst selten Musik im Auto. Ich nutze lieber die Zeit zum Nachdenken. Normalerweise. In meinem Leben ist nun nichts normal und gewohnt. Alles ist neu. Naja dann könnte ich auch mal Musik hören. Ein romantisches Lied kommt, das wars mit der Contenance. Die Erinnerung kommt zurück.

              Die Erinnerung an einen Abend vor wenigen Wochen. Es ist sicher nicht lange her, da die Erinnerung sehr frisch und besonders schmerzhaft zu sein scheint. Wir hatten uns auf dem Sofa geliebt. Es war unglaublich emotional – warum? Ich hatte mal wieder seit langer Zeit Musik zugelassen. Ich hatte das Bedürfnis, ihm nah zu sein, mit ihm intim zu sein, mit Musik. Das war ein bewusster Wunsch. Ich liebe Musik, habe besondere Lieblingslieder, die mich jedes Mal in eine andere Welt versetzen. Nur kann und will ich das nicht immer zulassen. Die Musik geht nach hinten los. Sie öffnet alle Pforten. Ich kann mich dann nicht beherrschen, die Emotionen nehmen dermaßen Überhand, dass ich immer weinen muss. Es dürfte etwas irritieren, wenn man mit einem Mann zusammen ist. Ich habe keine Schmerzen. Ich bin einfach so wahnsinnig berührt in diesem Moment. Das war ich an diesem Abend mit ihm. Berührt, dass ich bei ihm bin, mit ihm, so nah. Näher hätten wir uns nicht sein können. Ich glaube, da habe ich ganz bewusst und wahrscheinlich ist das das letzte Mal gewesen, gesagt, dass ich ihn liebe. Ich habe es geweint. Und er küsste meine Tränen weg, das weiß ich noch ganz genau. Er war immer sehr mitgenommen, wenn ich weinte, wenn es mir schlecht ging. Und glaube mich erinnern zu können, dass er diesen Satz erwiderte. Ich könnte es nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe nicht darauf gelauert. Aber eins weiß ich ganz sicher, diese Emotionen waren echt, unsere Emotionen, nicht nur meine. Es hat sich alles richtig angefühlt. Alles war in Ordnung. Was war geschehen?

              Ich weiß nicht, warum ich Musik immer seltener zulassen konnte. Früher habe ich mich bewusster auf sie eingelassen. Es akzeptiert, Gefühle stärker zu empfinden, auszuleben. Was war geschehen? Und hier glaube ich kommt eine andere Geschichte ins Spiel, die mit uns als Paar nichts zu tun hat. Zumindest nicht direkt. Aber alles, was in deinem Leben passiert, beeinflusst ja auch dein Leben als Paar. Man leidet alles gemeinsam durch. Unterstützt einander. Und so war es bei der Krankheit meiner Mutter, die damals keiner erwartet hatte. Es war auch streng genommen keine Krankheit, eher ein Vorfall mit Folgen. Sie hatte ein geplatztes Aneurysma im Kopf, eine Hirnblutung.

              4.Akt: Die Mutter


              Es war damals die schrecklichste Zeit in meinem Leben. So tief bin ich noch nie gefallen und ich hoffe so inständig, dass das auch nicht nochmal passiert, auch wenn ich nicht sehr zuversichtlich bin. Der Tod gehört leider zum Leben dazu. Aber damals war ich beim besten Willen noch nicht dazu bereit. Damals an einem Sonntagabend rief der Mann meiner Mutter an und erzählte mir, dass sie mit Kopfschmerzen und erbrechen vom Krankenwagen abgeholt wurde und nun behandelt wird. Es klang mysteriös und noch nicht dramatisch. Wahrscheinlich Magen Darm, habe ich mir gedacht. Die Sanitäter wusste auch nicht weiter, vermuteten das Gleiche. Sie war ja noch ansprechbar, sagte sogar noch, sie habe Kopfschmerzen. Ich habe dann meinen Bruder angerufen und ihm die Lage erklärt. Er war in der Nähe und sollte doch am besten direkt hinfahren und alles vor Ort klären.

              Was dann losging kann man nur als Alptraum bezeichnen, von dem ich mich nie erholt habe. Bis heute nicht. Mein Bruder rief mich nach zwei Stunden an und sagte, dass die Ärzte ein geplatztes Aneurysma im Kopf vermuten! Kein Magendarm! Oh mein Gott, was war das nur? Ich habe gegoogelt, Wahrscheinlichkeiten gesehen, die Gedanken überschlugen sich. Ich wusste nur, ich muss sofort zu ihr fahren. Die Wahrscheinlichkeit war sehr groß, dass sie die Nacht nicht überleben würde! Ich weiß nicht, wie ich diese drei Stunden Autofahrt geschafft habe. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel geweint, so viel geschrien vor Schmerzen und Angst. Ich konnte es nicht begreife, was hier geschah.

              Damals war ich mit ihm genau zwei Jahre zusammen. Wir waren auf dem absoluten Höhepunkt unserer Gefühle. Er war für mich da! Ich sagte auch, ich soll fahren. Nicht länger abwarten und spekulieren. Er hatte seinen Vater plötzlich verloren. Die Familie wusste noch nicht mal final, an welcher Krankheit. Das Herz schlug einfach mit mehr. Und er kam damals zu spät, konnte sich nicht verabschieden. Ich sollte fahren. Ich bin gefahren. Ich hätte die kommenden Tage und Wochen nicht ohne ihn überstehen können.

              Als ich im Krankenhaus ankam, war ich nur ein Schatten meiner selbst. Mein Bruder sah genauso aus. Wir haben uns gedrückt. Nur ich habe geweint, er nicht. War er stärker? Er sah so abgestumpft aus. So professionell als er mit dem Arzt gesprochen hatte. Ich konnte kaum reden. Ich dachte, ich war die rationalere von uns beiden. Aber mein Verhältnis zu meiner Mutter damals war so unbeschreiblich eng! Sie war meine beste Freundin! Sie, keine von meinen Mädels, auch nicht er stand an erster Stelle, sondern allein sie. Ich habe mit ihr alles geteilt. Ich hätte meine Scheidung ohne ihre Hilfe nicht überstanden. Alles wusste sie von mir und zwar sofort. So nah wie sie war mir kein einziger Mensch. Das, was gerade da im Krankenhaus passierte, kann ich gar nicht in Worte fassen, es war zu grausam.

              Die Ärzte sagten, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Nacht überleben würde, bei weniger als zwanzig Prozent lag. Sollte sie überleben, war sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit schwerst behindert. Das Gehirn hatte massive Schäden abbekommen. Sie gaben uns sehr wenig Hoffnung. Diese Nacht habe ich bei meinem Bruder in der Wohnung übernachtet. Ich glaube nicht, dass ich wirklich geschlafen habe, er sicher auch nicht. Es war ein solcher Schock! Mit fehlen wirklich Adjektive, um meinen Zustand damals zu beschreiben. Am nächsten Tag zumindest die Info: sie lebt noch! Die OP würde noch folgenden. Ein Stent würde an die gerissene Stelle eingesetzt werden um die Ruptur zu schließen. Eine gefährliche OP, bei der wieder alles passieren konnte. Wir lebten mehrere Tage auf der Intensivstation. Auch die OP hatte sie überstanden und lag im künstlichen Koma. Wir warteten wieder. Mit unseren Laptops saßen wir Tag ein Tag aus auf der Intensivstation, lauerten auf Ärzte, hofften, weinten und versuchten uns mit der Arbeit abzulenken. Ein absurder Zustand. Mein Partner war für mich da. Passte auf die Kinder auf. Gab mir unfassbar viel emotionalen Halt. Ich wäre zerbrochen ohne ihn an meiner Seite. Es war so unfassbar schmerzhaft!

              Sie hatte überlebt. Wir warteten auf das Aufwachen. Und auch das hat sie geschafft. Und sie redete! Ganz normal. Es waren keine Schäden zu erkennen. Überhaupt keine. Es war so unfassbar. Aber auch das war noch nicht alles. Nach der OP bestand die sehr große Wahrscheinlichkeit, dass Vasospasmen auftreten konnten. Das sind Verengungen von Gefäßen im Gehirn, die häufig nach Hirnblutungen auftreten, und die zum Tod oder zu größeren Behinderungen führen können. Die Wahrscheinlichkeit war so hoch, dass wir täglich mit dem Tod gerechnet haben. Ich glaube nicht, dass man sich das ausmalen kann, wenn man nicht in der gleichen Situation gewesen ist. Wie sich das anfühlt, wenn dein geliebtester Mensch mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit sterben kann, und du das jeden verdammten Tag weißt. Wenn man jeden Morgen und jeden Abend mit diesem Gefühl aufsteht und schlafen geht.

              Dieser Zustand ging über genau zwei Wochen. Zwei Wochen lang weinte ich mich durchgehend in den Schlaf. Ich habe angefangen, mich mit ihrem Tod abzufinden. Ich habe mir ausgemalt, wie ich ihre Sachen zusammenpacke, was ich damit mache. Ich habe mir überlegt, was ich den Kindern erzähle, wann und wie. Ich habe so viel gebeten, geweint, geschrien. Es war mit Abstand die schlimmste Zeit in meinem ganzen Leben. Es ist ganz viel in mir zerbrochen, was nicht mehr wiederkam. Dieser Tod auf Raten war so unglaublich grausam, dass mein Körper alles unternahm, um sich zu schützen. Ich habe gelernt, Gefühle zu unterdrücken, sie abzuschirmen. Ich bin abgestumpft. Ich wollte nicht mehr leiden, nichts mehr empfinden.

              Und leider kann man das nicht selektiv steuern, dieses Abstumpfen. Gegen die Mutter ja, aber gegen Kinder und Partner nein. So funktioniert das leider nicht. Es hat was mit mir gemacht, mich verändert, nicht zum Positiven. Ich konnte mich nicht wehren, sonst hätte ich diese Zeit damals nicht überstanden. Sie hat überlebt! Meine Mutter hat es schlussendlich geschafft, da rauszukommen. Ich nicht ganz. Die Narben blieben.

              Ich weiß nicht, ob es die Zeit war, wo ich aufgehört habe, Musik zu hören. Ich wollte Musik irgendwie nicht mehr in meinem Leben, meinem Alltag haben. Ich habe versucht, nicht auseinander zu fallen. Da war Musik nicht hilfreich und musste gehen. Ich habe mich nicht ganz von dieser Zeit erholt, das spüre ich nun. Die Zeilen tun immer noch wahnsinnig weh, auch wenn das mehr als drei Jahre schon her ist. Nach diesem Vorfall habe ich mich emotional von meiner Mutter entfernt. Natürlich hatte sie sich verändert durch diese Krankheit, aber auch ich habe mich verändert. Irgendwie hatte ich danach Angst, sie wieder so nah an mich ranzulassen, wieder so verletzt zu werden. Das ist völlig absurd, sie konnte ja nichts dafür. Aber irgendwie hat es mir ihre Zerbrechlichkeit so vor Auge geführt, dass ich mich zurückziehen musste. Sie war nicht mehr meine erste Vertrauensperson, das wurde nun er. Er hat mir in dieser Zeit so sehr beigestanden. Er wurde der wichtigste Mensch nach meinen Kindern. So nah wie damals waren wir uns nie. Vielleicht habe ich ihm dann zu viel emotionale Unterstützung abverlangt. Aber er hatte alles bereitwillig gegeben. Er hatte damals so viel Liebe zu geben und ich habe es gebraucht. War es ihm zu viel? Wurde es ihm dann zu viel? Ich hatte das Gefühl, dass er nicht nur Partner, sondern auch bester Freund wurde. War das gesund? Jetzt war ich in der Situation, wo ich nicht nur meinen Lebensgefährten verloren hatte sondern auch meinen besten Freund.

              5.Akt: Der Seminarbeginn


              Ich bin endlich angekommen. Emotional verdammt anstrengende Autofahrt. Besinnliche sonnige schöne Waldlandschaft! Da ist man ja schon entspannt beim Anblick allein. Herrlich! Ich bin nicht der Naturmensch, war ich nie. Ich gewinne ihr aber im Alter immer mehr ab. Mein Zimmer ist naja interessant. Ich stelle mit Entsetzen fest, dass es keine Rollläden gibt und auch keinen dicken Vorhang. Ich kann doch so nicht schlafen! Ich brauche die absolute Dunkelheit, jeder Lichtspalt macht mich wahnsinnig. Aber – ich bin entspannt! Warum? Naja erstens schlafe ich eh absolut mies in letzter Zeit. Ob jetzt das Licht einen Unterschied macht oder nicht, ist mir egal. Und zweitens ist das nun mal eine Herausforderung. So viel Neues im Leben, ich kann ja mal auch was anderes ausprobieren, vielleicht passt es ja. Es ist schon anstrengend, auf diese verdammte Dunkelheit immer Wert legen zu müssen. Aber diese Ähnlichkeit hat uns verbunden. Wir waren beide absolut schlafkompatibel, was das anging! So süß! Wir haben die vollständige Dunkelheit der frischen Luft absolut vorgezogen, ohne Diskussion. Hauptsache jeder Lichtspalt ist weg. Und das Vogelgezwitscher musste morgens auch nicht sein. Deswegen alles ganz dicht zu. Im Urlaub waren wir uns komplett einig. Zuhause war es nicht relevant, da wir getrennt geschlafen haben. Leider.

              Hier stand ist nun. Ich hatte nicht mal eine Schlafmaske dabei, sehr intelligent. Naja, eine Herausforderung, ich musste sie annehmen. Ansonsten war das Zimmer ok, puristisch, aber nett eingerichtet. Mein eigenes Kissen hatte ich dabei, auch meine Anpassungsfähigkeit hat Grenzen. Ich würde hier überleben.

              Dann lerne ich die Teilnehmer kennen – wie spannend. Ich liebe neue Menschen. Neue Lebensgeschichten, neue Schicksale, Erkenntnisse über das Leben, und und und. Ich fand es toll, mit neuen Menschen zu kommunizieren, die auch genau zu diesem Zweck zusammenkamen – um sich bewusst kennen zu lernen und gemeinsam was zu erarbeiten, sich fortzubilden. Das klingt alles so aufgeschlossen und nett. Aber das bin ich nicht wirklich nein. Glaube ich. Ich bin wahnsinnig kritisch und schnell in der Bewertung. Ich packe Menschen ganz schnell in Schubladen und bin nach wenigen Minuten, spätestens Stunden sicher, wen ich mag und nicht mag, wer eine Unterhaltung Wert ist oder nicht. Und – das zeige ich auch. Diesmal werde ich mich zusammenreißen, gebe allen eine Chance, es ist ja mein NEUES Leben. Da sollte man sich was vornehmen!

              Der Seminarleiter ist schon mal auf den ersten und auch den zweiten Blick toll. Ich mag ihn. Er ist schon 60, aber optisch immer noch ein Hingucker! Er erinnert mich sofort an ihn. Riesengroß, attraktiv, aus einer Managementkarriere, hat nun den Sinn des Lebens erkannt und gibt es an andere weiter. Sehr interessanter Mensch. Den muss ich näher kennenlernen. Ich glaube, er kann mich voranbringen. Ich gebe ihm eine Chance. Ansonsten scanne ich die Menschen gleich ab nach Ähnlichkeiten zu mir, zu meiner Lebenssituation. Ich bin das Vorgehen schon aus meinen Mutter-Kind-Kuren gewohnt. Wenn man geschieden ist und nun auch getrennt, Kinder hat, einen anspruchsvollen Job, dann ergeben sich schon viele Themen. „Gewöhnliche“ glückliche Menschen aus perfekten Beziehungen aus perfekten Jobs interessieren mich nicht. Aber von denen gibt es auf der Welt nicht wirklich viele. Dann kommt es auf den Unterhaltungsfaktor und die Nettigkeit der Menschen an. Ich wühle mich durch.

              Meine erste Ansprechpartnerin, die ich bei der folgenden Wanderung kennenlernen und abends vorstellen darf, ist schon vielversprechend. Um die 60, Ärztin, Fisch, sieht toll aus – und ist lesbisch. Interessanter Mensch, nach meinem Geschmack viel zu lieb. In ihrem Leben scheint es wenig Reibung gegeben zu haben. Sie ist mit ihrer Partnerin schon seit über 30 Jahren zusammen. Wäre es zu stereotypisch zu sagen, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen länger halten als bei Heteros? Ich kenne dazu keine Statistiken. Aber die wenigen gleichgeschlechtlichen Paare, die ich kenne, erzählen immer von einer ewigen Beziehungsdauer. Wie bewundernswert. Warum ist das so? Ich könnte mir vorstellen, dass es nun mal schwieriger ist, einen neuen Partner zu finden, da es ja einem nicht auf der Stirn geschrieben steht, auf welches Geschlecht man steht. Vielleicht denkt man da mehr nach, bevor man alles hinwirft. Ich beneide sie.

              Ein anderer Mann um die 60, Autoproduktionstechniker, Schütze, scheint eine interessante Lebensstory zu haben. Noch kenne ich nicht viel von ihm. Aber er erzählt, dass er Kinder hat, getrennt von deren Mutter ist und seit knapp vier Jahren eine neue Partnerin hat, mit der er seit einem Jahr zusammenwohnt. Irgendwie klingt es nicht danach, als wäre er so richtig mit dieser neuen Situation zufrieden. Ich glaube, wir finden Berührungspunkte.

              Ein Herr um die 50, Jungfrau, ITler, wird automatisch zum Gesprächspartner, da seine Exfrau eine Kollegin ist. Die Welt ist echt klein! Krass! Wir haben nicht so viel miteinander zu tun, aber nach über 16 Jahren in der Firma kennt man sich halt. Der Mann ist interessant. Seine Art ist interessant, ich glaube wir finden Ähnlichkeiten. Aber Mist, ich muss nun aufpassen, was nach außen dringt, sie ist ja Kollegin und sie haben einen guten Kontakt miteinander. Er sagt, sie fahren sogar manchmal alle in den Urlaub zusammen. Er und seine neue Frau, das gemeinsame Kind, und die gemeinsamen Kinder mit der Exfrau und sie selbst. Krasse Konstellation. Ich finde es bewundernswert. Ich muss da mehr von ihm erfahren. Wer weiß, wie mein Leben weitergeht. Die Wahrscheinlichkeit, einen Mann kennen zu lernen, der schon Kinder hat, ist sehr groß. Mal sehen, was ich daraus lernen kann.

              Eine Ergotherapeutin, Skorpion, klingt wahnsinnig herzlich und sehr einnehmend. Ich kann ihren Gedankengängen gut folgen, sie verstehen. Sie strahlt eine unheimliche Wärme aus. Wirkt so in sich ruhend. Sie sagt, sie ist getrennt, nun Single und wohnt allein. Eine solch tolle Frau? Das muss ich näher verstehen.

              Mit den anderen kann ich nicht so viel anfangen. Sie meisten Menschen, die zu solchen Seminaren kommen, müssen lernen sich abzugrenzen, Nein zu sagen. Ich kann denen das gerne beibringen. Ich kann sehr gut nein sagen. Ich muss eher lernen, höfflich JA zu sagen, Sachen anzunehmen. Nicht chronisch genervt und gestresst auszusehen. Ich weiß nicht, ob mir das gelingt. Schauen wir mal, die Woche hat ja gerade erst begonnen. Ich gehe in mein noch dunkles Zimmer und bin gespannt auf den Morgen.

              Tag 10 - Dienstag


              1.Akt: Die Migräne


              Die Nacht war hart. Beim Aufwachsen ist wieder eine fünf davor, aber fast sechs, immerhin. Die Verdunklung ist mir mäßig gelungen. Die Sonnenstrahlen wecken mich. Ich habe weiterhin Migräne, wie schon gestern Abend. Cortison muss her! Schon wieder! Ich nehme es so häufig in letzter Zeit. Die Prophylaxe hilft nur mäßig. Ich muss wieder was anderes versuchen. So kann es nicht weitergehen. Sie nimmt mir so viel Kraft. Das tut so weh, das zu erkennen. Ich habe über zehn Mal Migräne im Monat. Ich tue schon mein Bestes, dass meine Umwelt wenig davon mitbekommt, nicht darunter leidet. Ich bin nie krankgeschrieben. Ich schlucke die Tabletten und arbeite weiter und spiele und lerne weiter mit den Kindern. Ich bleibe aktiv. Aber abends habe ich dann keine Kraft mehr. Ich kann nur liegen und nichts tun. Wenn wir verabredet waren, bin ich meist trotzdem mit, da die Gelegenheiten mit seinen Freunden so selten waren. Aber nicht immer. Manchmal fehlte mir die Kraft. Aber ich dachte, er versteht es in seiner warmen emphatischen Art. Ich weiß nicht wieviel er wirklich verstand oder es nur sagte. Ich hinterfrage ja nun alles. Es tut weh. Ich habe mir diese Krankheit nicht ausgesucht.

              Bei der heutigen ersten Übung am Morgen sollen wir eine Postkarte aussuchen mit verschiedenen Motiven und erklären warum. Ich wähle die Himbeere. Sie ist matschig und ich mag sie nicht als Beere, nicht besonders. Mein Kopf ist gerade matschig. Aber sie ist rot. Ich liebe rot. Das steht für Energie. Ich brauche Energie.

                2.Akt: Der Schütze


                Wir laufen zeitig los. Ich bin auf Cortison – und tschakka, ich schaffe alles! Ich habe schon Berge im Yosemite Park erklettert mit Cortison, als wir uns damals im Urlaub im Weg geirrt hatten. Das ist eine im Nachhinein krasse Erinnerung, unsere Erinnerung. Und davon gibt es so viele! Ich verdränge sie, konzentriere mich auf meinen Ansprechpartner, den Schützen.

                Die Sternzeichen errate ich oder erfrage ich im weiteren Gesprächsverlauf. Es passt oft wie die Faust aufs Auge. Ich fühle mich bestätigt. Ja Schubladendenke, aber ich bin auch offen, die Leute da wieder rauszunehmen. Das muss ich aber meistens nicht. Der erste Eindruck täuscht nur selten. Er ist im Automobilsektor in der Produktion tätig, 58 Jahre alt und sieht noch älter aus. Aber ich spüre Parallelen im Denken und Fühlen. Interessant. Der Schütze und der Widder sind Feuerzeichen und ähnlich. Er erzählt mir seine Lebensgeschichte – in Kürze. Das können Schützen, kurz und knapp, aber mit den nötigen emotionalen Details, dass das Zuhören leichtfällt. Er war nie verheiratet. Hat aber eine Tochter und einen Pflegesohn seiner damaligen Freundin. Dazwischen war er sehr lang allein und ist nun seit vier Jahren zusammen mit einer Frau, mit der er seit einem Jahr zusammenwohnt. Er scheint der Abenteurer und Womanizer gewesen zu sein. Seine Beziehungen sind nicht von langer Dauer gewesen. Das Zusammenziehen hätte er nun auch nicht gebraucht, aber die Frau hatte es sich gewünscht. Ok ok, er hat eingewilligt, es passt gerade. Ich frage ihn nach der Ehe. Er weiß nicht wofür, kein Bedürfnis. OK, ein Mann, ein Wort. So hat er das seiner Freundin auch klar gemacht, sie scheint einverstanden zu sein. Er spielt mit offenen Karten. Es ist forsch, nicht auf den Mund gefallen, kann das äußern, was ihn bewegt, kann sich beschweren. Er scheint nun zu wissen, was er will. Er ist auch kein Mensch der großen Gefühle, damit muss man bei ihm leben. Es muss aufpassen, dass er Menschen nicht vor den Kopf stößt mit seinen Äußerungen und seinem Verhalten. Ich fühle mich verstanden. Ich bin genauso wie er. Er fühlt sich verstanden.

                Ich denke, als Freunde würden wir uns super verstehen, wenn man so ähnlich denkt. Aber als Partner? Möchte ich einen Partner, der so ist wie ich? Einen kleinen Mini-ME? Der Gedanke ist nicht gerade schön. Wenn beide so knallhart offen mit den Gefühlen umgehen, ist das gesund? Mein Exmann war mir ähnlicher als mein Expartner. Ich empfand das nicht als ideal. In gewissen Lebenslagen ja, aber der Alltag war ein Kampf. Mit einem ähnlichen Mann wäre der Alltag eine Herausforderung. Ich will aber keine täglichen Herausforderungen in der Partnerschaft. Ich möchte aus ihr Kraft schöpfen. Ich möchte einen Vertrauenspartner und einen Ruhepol. Ich habe genug Bedrohung von außen. Das reicht. Ich hatte das in ihm, in meiner letzten Jungfrau. Den Ruhepol. Den emphatischen Mann, der dich fragt, ob du einen Tee haben möchtest, wenn du in Arbeit untergehst. Ich möchte das. Ich weiß, ich konnte nicht alles schätzen, was er zu geben hatte, aber fast alles. Der Rest war einfach zu viel. Aber es störte mich nicht. Ich möchte keinen Mini-ME. Das ist nicht gesund.

                Diese Frage nach dem idealen Partner für mich beschäftigt mich viel. Soll er ähnlich genug oder verschieden genug sein? Ich kann sie mir noch nicht so richtig beantworten. Es gibt bestimmt auch Kombinationen aus meinem Exmann und meinem Exfreund. Im Moment ist es mir aber zu mühsam, zu fern darüber nachzudenken. Zu warm ist noch sein Platz. Zu tief sitzt der Schmerz. Ich bin noch lange nicht so weit.

                3.Akt: Die Jungfrau


                Faszinierender Unterschied, der Jungfrauen ITler in der Gruppe. Der Kontrast zu dem Schützen. Der Kontrast zu mir. Aus dieser Unterhaltung verspreche ich mir vieles. Ich kann IHN vielleicht verstehen! Hoher Anspruch! Und ja, er würde sagen lächerlich, welche Gemeinsamkeit ist schon ein Sternzeichen! Ich lauere auf jedes Wort von dem ITler, gleich kommt die Aufklärung. Und siehe da, sie kommt! Er ist mit meiner Kollegin – was für ein Zufall – schon einmal verheiratet gewesen, hat von ihr zwei Kinder und ist geschieden. Die Beziehung hielt 20 Jahre lang. Sie sind gute Freunde, der Kinder auch zuliebe. Nun ist er seit 15 Jahren mit einer anderen Frau zusammen, auch seit einigen Jahren verheiratet und hat ein drittes Kind mit ihr. Ich frage, wie seine erste Ehe auseinanderging. Er erzählt bereitwillig. Völlig anders als der Schütze, mit einem Bruchteil der Emotion, aber er erzählt. Man wird sich im Leben nie wieder begegnet, warum auch nicht. Sonst wäre es eher keine Eigenschaft einer Jungfrau, sein Herz auszuschütten.

                Ich erkenne grausame Parallelen, am Ende werde ich ihn noch als Stellvertreter aller Jungfrauen hassen. Ich ahne es schon. Er sagt, dass er sich damals von seiner ersten Frau entfernt hatte. Es lief nach einer langen Beziehung nicht mehr rund, er hat viel nachgedacht und ist dann gegangen. Sie war überrascht, hatte keine Anzeichen erkannt. Irgendwie hätte er aber auch nicht darüber reden können, das wäre nicht seins. Er zog einfach aus. Zack – war er weg! Es kam mir so vieles bekannt vor. So schmerzlich bekannt. Warum denn nicht reden? Das kann er gar nicht mehr so wirklich rekonstruieren, er weiß nur, dass er ging und sie es nicht erwartet hat, nicht wahrhaben wollte. Aha.

                Was ist nun mit der zweiten Frau? Warum hat er sie geheiratet. Naja, die Frau wollte es, dann hat er das irgendwann mal ihr zuliebe gemacht. So richtig einen Sinn hat er auch in der ersten Ehe nicht gesehen. In der zweiten noch weniger. Aber er hatte auch nicht soviel dagegen, der Frau war es wichtig, also hat er sie geheiratet, als der gemeinsame Sohn schon sieben war. Aha, natürlich sind die Parallelen Zufall, klar! Auch in dieser Ehe läuft es nicht perfekt, sie müssen schon daran arbeiten, was sie aber auch tun. Vielleicht und sogar sehr wahrscheinlich ist es in jeder Ehe so. Aha. Er empfiehlt mir ein gutes Buch über Beziehungstypen, was ich mit sofort im Internet besorge. Die Ausführungen klingen interessant. Ich mag es, wenn mich Mitmenschen inspirieren, auch wenn es Jungfrauen sind. Es geht um verschiedene Beziehungstypen und dabei einen bestimmten Test, den seine Frau und er gemacht haben. Dabei kam raus, dass er der Berührungstyp ist und sie der Kommunikationstyp. Diese eine Eigenschaft ist denen am wichtigsten. Ich bin sprachlos. Seine jetzige Frau ist nur wenige Tage nach mir geboren. Er ist wenige Tage nach meinem Expartner geboren, gleiche Konstellation! Es macht Angst. Es macht Hoffnung. Kleiner Hoffnungsschimmer. Diese Parallelen machen Angst. Es ist genauso bei uns, zumindest das hatten wir die wenigen Stunden vor der Trennung nochmal klären können. Mein Kommunikationsbedürfnis war befriedigt, sein Berührungsbedürfnis wohl nicht. Ich habe es mir eingefordert, er nicht.

                Wow, nun, was macht man denn mit dieser Erkenntnis? Verschiedene Beziehungstypen. Sie arbeiten daran. Das Wichtigste war die Erkenntnis, dass es so ist. Dann geht man bewusster mit den Dingen um. Man kann bewusst versuchen, auf den anderen zuzugehen. Ich habe keine Probleme mit Nähe, keine Probleme mit Berührung (außer sie passiert in meinem Nacken, das ist eine andere Problematik, medizinische Problematik). Aber ich habe nicht so ein großes Bedürfnis nach dieser Nähe wir er. Er war mir durchs Reden nah. Ich war zufrieden. Aber wenn ich so bewusst wahrnehme, dass die Nähe einen so hohen Stellenwert hat für ihn, dann habe ich doch kein Problem, diese zuzulassen! Es geht nur um das Einfordern, das Äußern seiner Bedürfnisse. Ich wusste, es ist ihm wichtig, aber ich hätte das nicht als annährend als so wichtig erachtet, wie er das ganz am Ende dargestellt hat. Es tut so weh, das nicht früher bewusster vernommen zu haben. Hallo! Ich habe doch diesen Mann geliebt! Da tut doch Nähe nicht weh! Ich bin ein kleines Trampeltier, von Zeit zur Zeit. Ich dachte, er schätzte trotzdem genug dieser Eigenschaften an mir oder akzeptierte sie genug, um mit mir glücklich zu sein. Anscheinend nicht.

                Aber das Wichtigste dabei ist tatsächlich das Einfordern, was eine Jungfrau einfach nicht liegt. Das zeigt mir später in der Gruppenstunde eine weitere Äußerung der ITler-Jungfrau. Er regte sich darüber auf, dass die Kollegen auf der Arbeit seine Grenzen nicht respektieren. Es ging um die Redeanteile bei den Telcos, er fühlte sich übergangen. Das Thema im Seminar war dabei „Grenzen setzen und einfordern.“ Wissen es denn die anderen, was ihn stört, war die Frage. Naja, das wusste er nicht so genau. Aber die Menschen in Europa wären ja genug auf die gleichen Werte sozialisiert. Also gehörte sich einiges einfach nicht. Ich dachte, ich falle vom Glauben ab! Er ging davon aus, dass die anderen das einfach mal erkennen, wie er sich fühlt und es respektieren. In welchem Film war er denn? Der Konsens in der Gruppe war als Antwort eindeutig, es ist eine Bringschuld! Er muss das aktiv einfordern, dass man ihm zuhört, darüber reden, was schiefläuft. Und dann kam der Satz und ich möchte ihn wörtlich zitieren: „Ich mag es nicht, die ganze Zeit Kritik zu üben. Das gehört sich so nicht.“ WOW, ich dachte, ich falle vom Stuhl. Ich habe diesen Satz von meiner Jungfrau so wortwörtlich gehört. Er könne mich nicht kritisieren, das fällt ihm schwer, das gehört sich irgendwie nicht in einer Beziehung. Ich war schon damals schockiert, jetzt noch mehr, den gleichen Satz von einem wildfremden Menschen zu hören, der zufälligerweise das gleiche Sternzeichen hat. Alles Zufall. Das einzig Positive ist die Erkenntnis, dass es anscheinend nicht an dem mangelnden Interesse an der Beziehung lag, sondern tatsächlich an seiner jungfrauengegebenen Unfähigkeit, diese Kritik an mir und unserer Beziehung zu äußern und sich seine Bedürfnisse aktiv einzufordern.

                Ich wusste, was er wollte, aber nicht wie sehr. Er hat nie oder kaum Vorschläge gemacht, wie wir denn dazu kommen sollen, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Ich verstehe nun warum kein Haus oder Ehe, ich begreife es mit jedem Tag immer mehr. Ich akzeptiere es. Ich verstehe aber nicht, wie man die Vertrautheit aufgeben konnte. Worauf habe ich gewartet, immer weiter gewartet? Ich ticke anders, ich fordere mehr ein, was ich möchte, was ich brauche. Ich habe auf mehr Aufforderung von seiner Seite gewartet. So hätte ich verstanden, was und wie stark er das braucht. Ich habe gewartet, bis er sagt: „Lass uns doch an diesen coolen Ort fahren. Ich hätte richtig Lust dazu.“ Aber alle Vorschläge für den Urlaub kamen von mir. Er hat zu allen JA gesagt, und alle waren super schön, fast alle. Aber nie kam es vom ihm. „Komm doch bitte mit zu dieser Familienfeier. Ich hätte dich gerne an meiner Seite dabei!“ Dieser Satz kam nie. Und jetzt werde ich spitzfindig. Ja, er sagte, „du bist auch mit eingeladen.“ Aber nicht, „es wäre mir wichtig, dass du mitkommst.“ Da sind Welten dazwischen!

                Wenn ich was wollte, klang es so: „Mir wäre es wichtig dich dabei zu haben auf diesem Fest. Ich möchte nicht ständig hier und da alleine erscheinen." Das habe ich ihm oft gesagt. Ihm mein Interesse an ihm gezeigt, Interesse als Partner, und vor allem auch als Mann. Jegliche Initiative ging von mir aus. Fast immer. Ich war müde! Ich kann nicht ständig alles wollen und zu allem eine Meinung haben. Ich bin dominant, möchte aber auch mal mitgerissen werden, begeistert werden von Aktivitäten, Orten, Unternehmungen. Wenn ich diese Begeisterung und Bedeutung von ihm nicht spüre, dann kann ich es mir ja aussuchen. Ich kann nicht ständig reinhorchen in ihn, ihn mich, interpretieren, analysieren, diskutieren. Ich hätte gebraucht, dass er das einfach ausspricht. Und es betont, wie wichtig dies und das für ihn ist. Ich habe ihn doch geliebt, es wäre ein leichtes, es zu berücksichtigen. Stattdessen dachte ich oft, dass er Abstand brauche, Zeit für sich. Ich wollte diese Zeit nicht mit meinen Kindern füllen oder mit anderen Aktivitäten. Ich wollte ihm Ruhe gönnen. Sein Job war hart, seine Zeit so wertvoll. Ich dachte, ich mache das Richtige. Ich habe mich geirrt.