Tagebuch einer Trennung

Tagebuch einer Trennung - Drama in mehreren Akten

 

„Ein Akt oder Aufzug ist im Drama ein Hauptabschnitt der Handlung, dessen Schlussdurch das Fallen des Vorhangs gekennzeichnet wird.“ (www.wikipedia.de)


Beziehungen sind wichtig. Beziehungen sind was Wundervolles! Sie geben dir Kraft, machen glücklich, geben dem Leben einen Sinn. Beziehungen beruhen auf Emotionen, es sind Bindungen zu anderen Menschen, zu Kindern, zu einem Partner. Aus einer schönen Partnerschaft kann man unglaublich viel Energie ziehen. Aber das Ende einer Partnerschaft kann auch unglaublich viel Energie kosten, unglaublich viel Unglück über einen bringen. Und nicht immer kann man die Entwicklung einer Beziehung steuern. Manchmal enden sie leider in einem Drama. Und besonders dramatisch ist ein solches Ende vor allem dann, wenn es unerwartet kommt. Und es ist besonders schwierig und bitter, ein Beziehungsende durchleben zu müssen, wenn Kinder beteiligt sind. Auf dieser Seite möchte ich von meinen Erfahrungen erzählen, wie das Ende einer Beziehung aussehen kann, wenn die Trennung von einem neuen Partner ist, der nicht der Vater der eigenen Kinder ist.


Tag 1 - Sonntag


1.Akt: Der Auftakt


Ich liege auf dem Bett – weitgehend im Dunkeln, es ist sehr hell draußen und die Sonne knallt auf die Rollläden. Die Dunkelheit erzeugt automatisch eine gewisse Düsterheit – der Gefühle und Gedanken. Ich schreibe „… habe ein trauriges Gefühl“. Zu mehr komme ich nicht. Meine Tochter legt sich neben mich. „Was schreibst du denn? Kann ich mal sehen?“. Sonst interessiert sie das selten. Sie ist neun Jahre alt – kurz vor dem eigenen Handy. Medienaffin ist sie sicher, aber eigentlich wenig interessiert, wenn ich was rumtickere. Aber wenn ich die Kinder jeden zweiten Sonntag vom Vater übernehmen, dann sind die beiden eher gewöhnt, dass ich „bei der Sache bin“, dass ich geistig mehr anwesend bin. Heute ist das anders. Irgendwie spüren sie das – die Kinder und die Tiere. Die riechen das irgendwie. Irgendwas stimmt nicht. Und bei Hunden trifft es ganz sicher zu. Auch mein Hund gesellt sich zu uns. Leckt auf dem Boden stehend meine Füße ab. Schön schwitzig und salzig – herrlich eklig lecker. Ich ziehe meine Füße weg. „Leute! Könnt ihr mich mal fünf Minuten in Ruhe lassen? Ich bin gleich fertig!“. Meine Tochter rollt genervt davon und fängt an mit dem Hund zu spielen. Der Hund springt wie ein Irrer auf mein Bett, was eigentlich auf meiner Seite verboten ist. Die Stimmung eskaliert. Ich bin von meiner verwirrten Traurigkeit abgelenkt – und stehe auf. Ende des ersten Aktes von noch sehr vielen, die noch kommen werden, in einem Drama, was ich nicht erwartet habe, was ich mir nicht ausgesucht habe, was ich nicht beeinflussen konnte. Wie so meist bei Dramen in unserem Leben.

2.Akt: Die Interpretation


Er schreibt erst zwei Stunden später zurück: „das tut mir leid. Ich fühle mich gar nicht gut lass uns nachher telefonieren.“ Es sind die letzten Zeilen, die wir in unserer Beziehung miteinander austauschen werden – nach fast sechs Jahren zusammen. In diesem Moment weiß ich das natürlich noch nicht. Mir ist noch nicht bewusst, dass ich jetzt auf der großen Spielbühne des Lebens bin und Protagonist in einem großartigen Drama – in mehreren Akten. Mir ist auch noch nicht klar, dass er die Rolle des Antagonisten bekommt. Er ist der Gegenspieler der guten Heldin, mein Gegenspieler. Wir waren doch noch nie Gegenspieler! Sein Satz klingt merkwürdig. Eigentlich dachte ich, dass es nur mir schlecht geht, als ich ihm die Zeilen geschrieben habe. Ich dachte, er schreibt irgendwas oberflächlich Nettes zurück um mich zu beruhigen. „Ich fühle mich gar nicht gut“ – klingt sehr merkwürdig. Für seine Verhältnisse sehr negativ. Er ist doch der Sonnenschein. Versucht immer das Gute in der Situation zu erkennen. Ich bin sofort von meiner Traurigkeit abgelenkt – und verwirrt. Kurz nach sieben Uhr abends ist eine schlechte Zeit für mich zu telefonieren, wenn ich die Kinder übernommen habe. Ich treibe sie zum Duschen an, diskutiere über die Woche, es ist hektisch, der Hund versucht überall dabei zu sein. Ich kann echt nicht telefonieren. Aber gut. Ich setze die Kinder vor den Fernseher und sie dürfen länger schauen als sonst. Ich habe ein merkwürdiges Gefühl. Ich möchte sofort Klarheit, ich kann nicht länger warten – was ist denn da plötzlich los? Ich lege mich wieder aufs Bett im Dunkeln. Die Chancen, nun ungestört zu telefonieren sind größer. Ich erhoffe mir mindestens 30 Minuten am Stück – die Kinder sind ja beschäftigt. Ich rufe ihn an – und eröffne damit den dritten Akt.

3.Akt - 1.Teil: Das Telefonat


Er geht sofort dran, klingt normal, keinerlei Vorzeichen. Die Diskussion am Morgen fand ich etwas merkwürdig – mein Auftakt des Gesprächs. Er auch, er hat viel nachgedacht. Seine Antworten klingen nicht durchdacht und durchgeplant, eher wahllos, er greift nach Gedankenfetzen. „Immer müssen wir nach den Hausbesichtigungen streiten! Das ist anstrengend.“ – sein Auftakt. Ab diesem Moment muss ich gestehen, wird meine Erinnerung an die Situation lückenhaft. Wenn man nun ein paar Tage später Familie und Freunden erzählen möchte, was genau geschah, findet man sich im Nebel wieder. Hat er das wirklich so gesagt? Oder habe ich das gesagt oder verstanden? Habe ich was interpretiert? Was war in welcher Reihenfolge? Meine Mitmenschen wollen es schon ganz genau wissen. Ich weiß es gar nicht mehr. Kennt ihr dieses Gefühl, wenn es anfängt in den Ohren oder dem Kopf, ich weiß es gar nicht so genau, zu rauschen, zu dröhnen? Du hast dann das Gefühl, dass du plötzlich alles verzerrt und gedämmt wahrnimmst. Vielleicht ist das eine Schutzfunktion unseres Körpers. Ich habe diese Schutzfunktion gottseidank nicht oft testen müssen. Ich versuche also zu rekonstruieren, was und wie er was gesagt hat – aber sicher bin ich mir nicht. An dieser Stelle muss ich die Vorgeschichte aufgreifen, sonst wird es schwer sein, den kommenden Rest zu begreifen. Also – die Vorgeschichte – der Prolog!

Der Prolog

„Einführung zu einem Drama, zu einer Aufführung eines Dramas.“ (www.wiktionary.org)

 

Wir sind seit knappen sechs Jahren zusammen (gewesen), an das „gewesen“ muss ich mich nun anfangen zu gewöhnen. Er hat mich über eine Internetdating-Plattform angeschrieben, ich habe zurückgeschrieben, die Geschichte begann. Es war fast ein Jahr nach meiner Trennung von dem Vater meiner Kinder – ich war bereit. Nach einigen Monaten stellte ich ihm meine Kinder vor und dann folgten mehr als fünf wunderbare Jahre zusammen. Und nein, ich kann nicht sagen voller Höhen und Tiefen, da es für mich nach vielen Höhen aussieht, aber ich mich an Tiefen nicht erinnern kann. Er war das völlige Gegenteil von mir – und ich fand das wunderbar! Es war so mühsam mit dem Vater meiner Kinder, da wir so ähnlich waren und so oft aneinandergeraten sind. Mit dem Neuen lief alles wie am Schnürchen. Was will man da mehr nach einer mühsamen Beziehung und Ehe, wenn einer dich auf Händen trägt und deine Kinder ihn vergöttern. Wenn er dich auf ein Podest stellt, umgarnt und umwirbt, und das über Jahre.  Wenn er deine Kinder annimmt, sogar behauptet sie zu lieben. Wenn deine Familie und deine Freunde ihn mögen. Es läuft einfach - alles drumherum passt. Ich bin der aktive, laute, stolze, direkte, anstrenge Mensch. Er eher der passive, ruhige, nachdenkliche, empathische Mensch. Der perfekte Match – oder? Das könnte eine endlose philosophische Diskussion werden, was nun mehr passt: Ähnlich und Ähnlich gesellt sich gern, oder Gegensätze ziehen sich an – ich glaube, da gibt es kein falsch oder richtig.


Wir waren über drei Jahre schon zusammen, als der Wunsch, zusammenzuziehen immer konkreter wurde. Das Bedürfnis, einander noch näher zu sein. Das Bedürfnis, physisch mehr Alltag miteinander teilen zu können. Es ist nicht einfach im Wechselmodell mit den Wohnverhältnissen. Jeder hat für die Kinder einen eigenen vollständigen Haushalt. Der Vater hatte ein Haus, ich eine Wohnung und mein neuer Partner – nun Expartner – ein eigenes Haus, in einem anderen Ort, aber nur wenige Minuten weg von uns. Meine Ausgestaltung des Wohnmodells kennt ihr ja schon. Eine Woche sind die Kinder bei Papa, eine Woche bei Mama. In der Papa-Woche bin ich immer in das Haus meines Partners gezogen und wir haben so über Jahre sozusagen schon Wohnerfahrung miteinander sammeln können.

Aber als Patchwork-Familie zusammenzuziehen ist schon eine große Herausforderung! Seine Kinder sind schon älter, nun fünfzehn und neunzehn, meine gerade acht und zehn. Nichtdestotrotz wollte er immer ein eigenes Zimmer für jedes seiner Kinder, ganz egal ob die nur wenige Male im Monat überhaupt bei uns waren oder nicht. Ich habe es verstanden. So habe ihn so gekannt und geliebt – er liebte seine Kinder. Er war ein absolut liebenswerter Mensch für meine Kinder. Natürlich sollten die Kinder immer wieder zu uns kommen können, auch später nach dem Ausziehen, zur Besuch. Irgendwannmal auch mit ihren Familien, mit unseren Enkelkindern. Natürlich wäre es toll, ein großes Haus für alle zu finden. Toll, aber niemand hat EINFACH gesagt.


Wir haben uns wund gesucht und das locker über mindestens zwei Jahre. Der Markt war leergefegt, die Preise gingen ins Unermessliche. Aber wir haben gesucht und gesucht, unsere Ansprüche teils gesenkt, teils aber irgendwie doch erhöht im Laufe der Zeit. Ich hatte eher das Gefühl, dass wir anspruchsvoller wurden von Monat zu Monat. Und währenddessen ging fas Leben weiter. Der Alltag war nach wie vor harmonisch. Der Umgang liebevoll. Aber ja, natürlich, was soll ich denn anderes schreiben! Ich schreibe ja gerade meine Empfindungen auf – nicht seine! Ich kann nun mal nur aus meiner Perspektive erzählen und mich bemühen, seine zu verstehen. Nun versuche ich sehr viel zu rekonstruieren – und die Geschichte auch aus seiner Sicht zu sehen.

Leider ist es nun mal so, dass ich da viel raten muss und tatsächlich selbst akribisch rekonstruieren muss. Weil obwohl wir viel, sehr sehr viel geredet haben, waren das doch allgemeine Weltthemen, es war über uns bekannte Menschen, über unsere Kinder, über unsere Expartner, über Politik und Wissenschaft und und und – ach ja, und natürlich über meine Gefühle! Ich habe kein Problem über meine Gefühle zu sprechen, es sprudelt so heraus. Und ich hatte auch kein Problem, nach seinen Gefühlen zu fragen. Ich versuche und versuchte alles zu analysieren, alles richtig einzuordnen. Ich habe schon ein gutes Gespür, dachte ich zumindest. Ich habe ihm zwar seine Gefühle immer aus der Nase ziehen müssen, aber ich habe mich damit arrangiert. Er war für mich nach wie vor der Mensch, der unfassbar viel wusste und es auch unglaublich toll und witzig in Worte fassen konnte – alles! Außer seinen eigenen Gefühlen! Aber – wenn ich nun mal das Gefühl habe, es ist alles ok, dann muss ich auch damit leben, dass ich nicht 100% alles weiß und verstehe, was er empfindet. Und ganz ehrlich – wie jede Frau habe ich das sichere Gefühl gehabt, dass ich ihn bekehren und glücklich machen kann. Das ich das Beste seit geschnitten Brot für ihn – und wahrscheinlich jeden Mann bin. Dass er sich doch glücklich schätzen kannt, mit mir zusammen zu sein. Ich weiß, mir fehlt es nicht an Selbstbewusstsein. Da kann der Mann doch gar nichts verkehrtes denken und insbesondere fühlen – mit so einer großartigen Frau! Und wie toll ich hier und da war, das sagte er mir doch auch ständig. Daher habe ich die Analyse seiner Gefühle zwar von Zeit zur Zeit versucht durchzuführen, aber eher mit dem Ziel, ein wichtiges Thema zu verstehen – die Heirat! Wie stand er denn so dazu?

Und jetzt muss ich mich positionieren als alt und verkrustet – was ich immer im Witz zu ihm gesagt habe. Ich bin sehr klassisch drauf – ich mag die Ehe! Ich halte viel vom Ehebund – es ist nicht veraltet überholt und überflüssig. Es ist für mich nach wie vor der größte Liebesbeweis, den es gibt. Es ist das Comittment, eine Verpflichtung, ein Sich-Einlassen auf einen anderen ganz besonderen Menschen, der einzigartig für dich ist. Es ist der Ausdruck, dass zwei Menschen sich gefunden haben. Es ist der höchste Ausdruck der Gefühle, wenn ein Mann auf die Knie geht und dich um deine Hand bittet. Und es ist mir egal wieviel Klischee in dieser Vorstellung liegt. Ich bin romantisch drauf und ich wollte immer diesen einen Moment mit ihm erleben. Und ja, es ist auch unfassbar romantisch und emotional, wenn ein Mann ein Kind von dir möchte. Und ja, es ist noch bindender und sicherlich auch sehr sehr viel Wert. Aber dieses Thema war doch bei uns schon durch – scheinbar.


Einmal, da waren wir vielleicht noch keine zwei Jahre zusammen, da erzählte er mir im Restaurant eine Geschichte. Einer Sage nach soll Zeus die Menschen geteilt haben, die eins eine Einheit gewesen sind. Wir verbringen nun unser ganzes Leben lang damit, unsere andere Hälfte zu finden, um vollständig und damit glücklich zu sein. Den Mythos könnt ihr unter „Kugelmenschen“ in Wikipedia nachlesen. Seine fehlende Hälfte hatte er nun in mir gefunden! Diesen Abend werde ich nie vergessen. Ich war auf Wolke sieben, nein, eigentlich höher, es war gar nicht in Worte zu fassen, wie hoch. Diese Formulierung brannte sich bei mir ein. Ich war seine fehlende Hälfte! Damit gab es doch gar keinen Grund, weiter zu suchen. Oder?

Oder auch doch. Ich wartete und er wartete. Ich hatte nie verstanden, warum eigentlich. Jahre vergingen. Wir waren drei Jahre zusammen, dann vier – und es passierte nichts. Die Beziehung war perfekt. Und jetzt im nachhinein, konnte er nichts an der Beziehung aussetzen zum damaligen Zeitpunkt. Aber offensichtlich war ich mehr zur Ehe und Bindung bereit als er. Dazu muss man sagen, dass er im Gegensatz zu mir, nie verheiratet gewesen war. Die Beziehung zu der Mutter seiner Kinder war eine reine Katastrophe! Eine on-off-Beziehung, die ihm und wahrscheinlich allen Beteiligten viel Leid gebracht hat. Er hatte sich also noch nie überwunden und noch nie eine Frau gefunden, mit der er diesen Schritt gehen wollte. Ich dachte, ich muss ihn einfach nur reifen lassen. Ich muss ihm Zeit geben. Ich muss warten. Und ich wartete und wartete. Und nein, er war nicht prinzipiell gegen die Ehe aus irgendwelchen greifbaren Gründen. Er fand sie nicht grundsätzlich überflüssig. Ansonsten hätte ich mich gleich mit der Tatsache arrangieren müssen, dass er eine ganz bestimmte feste endgültige und vor allem greifbare Meinung gegen die Ehe hatte. Nein, das war definitiv nicht der Fall nach vielen Gesprächen zu diesem Thema. Sonst wüsste ich ja, worauf ich bei ihm bin. Ich könnte gleich transparent entscheiden, ob dieser Mann auch ohne Ehe für mich der Richtige war oder nicht. Und ich denke, ich hätte das akzeptiert, hätte er mit offenen Karten gespielt und die Ehe unabhängig von mir einfach grundsätzlich abgelehnt. Aber das tat er nicht, also alles gut, einfach weiter warten.

Ein Urlaub war besonders schön – und hart. Wir waren ungefähr zweieinhalb Jahre zusammen und waren das erste Mal auf Mauritius. Es war so wunderschön, die Natur, das Wetter – unsere Gefühle! Es war alles perfekt. Ich lauerte den ganzen Urlaub wie eine Blöde. Ich war mir zu 80% sicher, es muss doch hier geschehen. Wir waren uns noch nie so nah, so zum Greifen nah, so perfekt – und Zack, wir flogen nachhause und nichts ist geschehen. Ich schluckte tief und fand mich damit ab. Es war zu früh, nur zweieinhalb Jahre, viel zu früh. Aber - immer, wenn ich von Paaren hörte, die noch früher heirateten – dann traf es mich ab da immer wie ein Blitz. Jahr für Jahr verging, und es passierte nichts. Alles, was mit Ehe zu tun hatte, die ganze Thematik entwickelte sich langsam zu einer offenen Wunde bei mir. Jedesmal wenn dieses Thema irgendwo aufgegriffen wurde, fühlte ich 1000 kleine Stiche. Aus dem Kratzer wurde eine Wunde und diese begann zu bluten, sich schließlich zu entzünden.


Die ersten Jahre wartete ich. Dann versuchte ich mich diskret durchzufragen, was er von Ehe denn so hielt und ob und wann es denn so theoretisch für ihn relevant werden könnte. Ganz viele vielleicht und wenn, zartes vorsichtiges nachfragen, ja um nicht zu forsch zu klingen, ihm zu nah zu kommen. Ich wollte mich natürlich auch nicht anbiedern. Und auf gar keinen Fall wollte ich ihn selbst um seine Hand bitten. Hallo! Ich bin nicht so modern. Das ist immer noch eine hoch männliche Angelegenheit, die Frau auf dem Knie um ihre Hand zu bitten. Er hat mal angedeutet, dass für ihn die Reihenfolge so wäre: ein gemeinsamer Haushalt, dann Heirat. Ich glaube ein einziges Mal konnte ich durch diskretes Nachfragen diese Info ihm entlocken und dann – passierte wieder nichts, weder Haus noch Heirat.

In meinen Visionen und Träumen war ich schon 100mal mit ihm verheiratet – davon wusste er nur nichts😊 Ich heulte Freudentränen der romantischen Rührung, wenn ich wiedermal im Auto zu ihm fuhr, ein bestimmtes besonderes Lied anhörte und mir vorstellte, wie er im schwarzen Smoking vor dem Altar auf mich wartete. Mit Tränen in den Augen, in deinen wunderschönen großen blauen Augen. Der Augenblick gehörte nur uns. Wir sahen niemanden außer uns trotz der vielen Gäste um uns herum. Ich bin ein Twilight-Fan, ich muss mich outen! Er war mein Edward! Nicht Jacob. Nicht der heißblütige Latino Werwolf, das war nicht seine Art. Er war mein Edward! Er hatte mich auf ein Podest gestellt, mich auf Händen getragen, war edel und einbisschen altmodisch. Und das wichtigste von allem, er hat mich doch so sehr geliebt! Solche heftige Anfangszeit einer Beziehung, solche einfach nur unbeschreibliche Verliebtheit hatte ich noch nie gehabt. "Alle Zeit der Welt mit dir wäre nicht genug, aber beginnen wir mit für immer". Ich war mir sicher, dass ich diesen Satz irgendwann mal hören würde von diesem wunderbaren Menschen! Wenn ich diese Zeilen schreiben gehe ich weitgehend wieder in den flüssigen Zustand über, die Buchstaben verschwinden. Diese Vision als höchste der Gefühle trug ich im Herzen mit mir – und wartete und wartete, es war doch nur eine Frage der Zeit. Warten ist nicht meine Stärke. Geduld existiert bei mir generell irgendwie biologisch nicht. Aber dieses eine Thema ist das aller einzige in meinem ganzen Leben, was ich nicht beschleunigen konnte durch irgendeine Aktivität von mir. Einfach durch gar nichts. Einfach abwarten, die Hände im Schoss falten und warten. Lieb und nett schauen – und darauf vertrauen, dass er mich vom Herzen liebt und es nur eine Frage der verdammten Zeit ist.

Irgendwann mal fiel mir das Warten immer schwerer. Vier Jahre waren schon vergangen. Ich lass wie eine 16-Jährige im Internet nach, in Foren. Was ist denn so normal bei den Leuten? Nach welcher Zeit machen es denn die meisten. Wann sollte man sich Sorgen machen? Dann habe ich einen Artikel gefunden, um die Infos wiederholten sich auch auf anderen Webseiten, dass man nach vier Jahren einen Menschen weitgehend kennt, mit dem man zusammen ist. Danach kommt nichts mehr überraschend Neues. Die Verliebtheit vom Anfang ist vorbei. Es kommt die Liebe. Diese richtet sich dann dauerhaft ein, wenn man Glück hat. Und dann kann man auch beschließen, den Rest des Lebens miteinander zu verbringen. Zumindest weiß man dann alles nötige über den anderen, um diese Entscheidung treffen zu können. Diese Zeit hatten wir hinter uns. Er kannte und wusste alles über mich – und es geschah – nichts! Ich tröstete mich damit, dass wir einfach keine 30 mehr sind. Dass wir beide Kinder haben und in verschiedenen Haushalten wohnen. Dass das für ihn einfach nicht richtig war, in verschiedenen Haushalten zu wohnen und dann verheiratet zu sein. Das gehörte sich so einfach nicht, also mussten wir einfach zuerst zusammenziehen. Das war einfach seine Reihenfolge – das war die richtige Reihenfolge, so würden wir das ganz bestimmt irgendwannmal machen – wenn ich alt und grau bin. Der Zusatz drang sich mir immer häufiger auf. Aber dann hatten wir eine Ablenkung im Leben eine traurige, eine schöne, ich weiß es in Summe gar nicht, am Ende eine ziemlich elendige – eine Schwangerschaft.

Es war nicht geplant, um Gottes Willen, falls ich Gott in diesem Zusammenhang überhaupt erwähnen darf. In den ersten zwei Jahren haben wir schon mal darüber gesprochen und nachgedacht. Ich wusste, dass er keine Kinder mehr wollte. Klar, er warst fast 50 damals. Seine Kinder waren schon fast erwachsen. Die Zeit miteinander, die Urlaube, der Alltag, alles war so schön und vollkommen – ich habe doch eigentlich keine gemeinsamen Kinder vermisst. Und alles wäre doch viel komplizierter gewesen, wenn ich meine Kinder hätte und er seine und dann noch ein eigenes – Hallo! Fünf Kinder! Da kriegst du doch eine Gänsehaut vor der Komplexität des Konstrukts. Ich mache gerne Konstrukte und mein Wechselmodell mit meinem Ex läuft doch super! Es klappt alles, alle sind zufrieden, das Modell ist aufgegangen. Megaglücklich sieht anders aus, das ist mir klar. Aber man kann nicht alles haben. Also hätten wir doch locker auch das fünfte Kind integrieren können. Aber er war von der Idee nicht begeistert. Er war generell wenig von irgendeiner Idee von mir begeistert, aber weil es einfach nicht seinem Wesen entsprach, solch starke Gefühle zu äußern. Daher nahm ich das einfach mal so hin. Ab und zu mal, wenn die Liebe zu ihm wieder komplett überschwappte und ich platzen konnte vor lauter Gefühl, habe ich mir ein Kind gewünscht. So sehr gewünscht. Ich wollte ihm so gerne etwas schönes gemeinsames von mir geben. Ihm ein Kind schenken, was wir beide nicht Woche für Woche wegschicken mussten. Das hat ihn traumatisiert, seine Kinder nicht haben zu können, nichts in der Hand gegen seine Ex zu halten. Er hat seine Kinder vermisst, alles für sie getan, war der beste Vater, denn man sich vorstellen konnte. So wahnsinnig gerne hätte ich ihm ein Kind geschenkt, genauso meine ich das geschenkt, was nur uns gehört, was seine Augen hat, seine und meine Intelligenz. Was haben wir philosophiert, welch cleveres Kind das geworden wäre! Von uns beiden – der Hammer! Das Aussehen und die Intelligenz in der Kombination – der nächste Nobelpreis! Aber dann geschah es – und die Spirale ist verrutscht – und der Nobelpreis war zum Greifen nah!

Die Periode kam einfach nicht. Ich dachte mir nichts dabei. Ich war gerade 40 geworden – wer weiß, was dem Körper so eingefallen ist – vielleicht die verfrühte Menopause. Unwahrscheinlich, aber nicht unrealistisch. Ich machte einen Test – positiv. Ich machte noch drei weitere Tests – positiv durch und durch. Ich war sprachlos. Ich war ungläubig. Am nächsten Tag habe ich mir einen Termin beim Frauenarzt erjammert, ich konnte es nicht fassen und glauben. Ich habe ihm bis dahin noch gar nichts erzählt, da ich von einem Versehen meines Körpers und des Tests – von was auch immer – ganz fest ausging. Der Arzt bestätigte meine vier Schwangerschaftstests. Ich war seit ca. sechs Wochen schwanger – trotz Spirale, die meine Frauenärztin mit dem Finger rausziehen konnte, die leider sich sonst wo befand, aber nicht am Ort des Geschehens und das Geschehene nicht mehr verhindern konnte.


Eine unbeschreibliche Flut von Gefühlen erfasste mich. Jeder, der das schon mal erlebt hat, weiß was ich meine. Die Aussicht, mit dem geliebtesten Menschen der Welt ein Baby zu bekommen! Und nun mussten wir nichtmal diskutieren. Die Entscheidung war uns abgenommen worden. Das Baby war schon unterwegs! Klammheimlich eingeschlichen – aller Absprachen und Pläne zum Trotz! Wisst ihr, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, in unserem Alter noch ein Kind zu zeugen? Die Spirale muss in den letzten Wochen verrutscht worden sein und schwupp, war ich schwanger! Was für ein Schicksal! Was sollte uns diese Gegebenheit nur sagen? Unglaublich. Ich heulte mir die Seele aus dem Leib, als ich zu ihm gefahren bin. Ich kann mich an den Tag noch genau erinnern, obwohl das nun einige Jahre her ist. Er hatte eine Telco im Home Office. Ich kam rein und als er mein Gesicht gesehen hat, hat er sofort aufgelegt. Er wusste schon, dass ich zum Frauenarzt fahren wollte. Allein die Tatsache, welcher Arzt das war, hat für die Vorahnung gereicht.


Oh man – haben wir viel geweint auf dem Sofa uns in den Armen haltend. Versucht, die Lage zu rekonstruieren, Visionen ausgetauscht, wieder geweint. Ich hätte so wahnsinnig gerne ihm dieses Kind geschenkt. Ein Kinder der Liebe! Seine beiden Kinder waren nicht geplant gewesen. Die Beziehung laut ihm war eine reine Katastrophe und die Mutter seiner Kinder hatte sich – ja nicht ohne sein Zutun – selbst zur Mutter gemacht. Sie hat die Entscheidung getroffen und das zweimal. Und ja, er wusste, wie Kinder gezeugt werden. Er war so naiv! Die Frau hat ihn komplett übergangen und ihn vor vollendete Tatsachen gestellt. Ich wollte ihm so was niemals antun! Ihm einfach jegliche Entscheidung abnehmen. Ihn machtlos daneben stehen lassen. Ich könnte doch so etwas einem Menschen nicht antun, den ich über alles liebte. So sehr hätte ich mir gewünscht, dass es klappt. Und ja, ich habe so viele Probleme gesehen!

Ich war gerade 40 geworden, damit eine Risikoschwangerschaft. Wir wohnten nicht zusammen – wie sollte das denn gehen? Mit dem Kind zwischen zwei Haushalten ständig hin und herfahren? Und wir waren nicht verheiratet! Finanziell wäre es ebenfalls extrem sportlich gewesen, da wir nicht als Ehepaar steuerlich davon profitiert hätten, dass ich wenig oder kein Einkommen habe, wenn ich zuhause mit unserem Baby bin. So viele Gründe, die dagegensprachen. Aber eine solche Sehnsucht, dieses Baby zu bekommen! Ich habe mich für die Liebe und gegen unser Baby entschieden. Hätte er nur ein Wort gesagt, dass er möchte, ich wäre sofort dabei! Er war aber nur dagesessen, hat meine Hand gehalten, mit mir geweint und alles bedauert. Und ganz tief im Inneren hat er inständig gehofft, dass ich die richtige Entscheidung treffe und das Baby nicht behalte. Ich bin auf ihn eingegangen. Ich habe beschlossen, das Baby ihm zur Liebe wegzumachen. In dunklen Momenten habe ich das „auskratzen“ genannt, wenn es wiedermal so weh tat, die Erinnerung übermächtig wurde. Ich wusste, dass es auch ihm wehtat, aber ich konnte das nicht lassen. Mein Schmerz war größer! Es war mein Körper.


Der erste Versuch der Abtreibung – ja es gab mehrere Versuche – hat leider nicht geklappt, was wir erst Monate später erfahren haben. Der Eingriff verlief unauffällig, die körperlichen Schmerzen waren zu ertragen. Die seelischen weniger. Er war für mich da, hat mich getröstet. Ich dachte, es reicht mir. Ich wusste, er leidet genauso, so schien es zumindest. Ich dachte, wir haben das hinter uns. Ich habe mich geirrt. Nach dem Eingriff hatte ich merkwürdige Blutungen bekommen. Meine Migräne, die schon sowieso arg wütete, wurde noch schlimmer. Ich fühlte mich einfach nur merkwürdig. Wenn man seinen Körper kennt als Frau, dann spürt man irgendwannmal, dass was nicht stimmt. Es war so. Drei Monate nach dem ersten Eingriff stellte meine Frauenärztin fest, dass noch Gewebereste, ja auch Babyreste dramatisch formuliert, in meinem Körper waren. Winzig, aber ausreichend, um meinen ganzen Stoffwechsel und was auch immer total durcheinander zu bringen. Also – der zweite Versuch! Wieder die gleiche Prozedur von vorne. Wieder ein Krankenhaus, ein Eingriff. Diesmal die Hoffnung, dass es erfolgreich ist. Der gesamte Abtreibungsprozess kostete mich und uns in Summe sechs Monate der Ungewissheit, des seelischen Leids, der körperlichen Schmerzen auf meiner Seite - sechs Monate des Elends! Ich habe das nie verkraftet. Ich dachte es, wirklich! Ich dachte, ich bin eine starke Frau. Es war unsere Entscheidung. Es war die richtige.

Ich denke im Nachhinein, dass ich dieses Leid unterschätzt habe. Meine Mädels bewundern immer, wie ich mit Krisen umgehe, von deinen es leider oft welche in meinem Leben gibt. Ich dachte, ich bin darüber hinweg. Ich schaffe das. Ich kann mich abgrenzen, es hinter mir lassen. Der geliebte Mensch an meiner Seite war doch da. Es war doch so wundervoll mit ihm. Wir würden alles schaffen. Aber ich habe nicht erkannt, dass die bis dahin perfekte Fassade zu bröckeln begann. Ich wollte mir auch nicht eingestehen, dass ich immer noch so verletzt und traurig war. Was hätte ich dafür gegeben, dass er zu diesem Baby JA sagte, zu unserem Baby.


Ich wusste aber auch, dass mir ein anderes JA gereicht hätte, dieses JA hätte mir geholfen, alles gelöst. Ich wollte ein Zugehörigkeitsgefühl zu ihm, ein Baby wäre das! Das Zusammenziehen wäre das. Die Heirat wäre das. Wie sehr hatte ich damals mir gewünscht, dass er mir endlich diesen Antrag macht. Wir waren damals genau vier Jahre zusammen. Wir liebten uns, wir kannten uns in und auswendig. Was fehlte ihm denn nur? Die Wunde in meinem Bauch und meinem Herzen hätte er mit dieser kleinen bedeutenden Frage heilen können. Das NEIN zum Baby war auch ein NEIN zu einer Gemeinsamkeit, es wäre das von mir lang ersehnte Commitment zu mir gewesen. Ich hätte auch ein anderen Commitment akzeptiert und gebraucht. Ich habe wieder gewartet, diesmal nicht mehr stolz und stark – sondern zutiefst verwundet! Mit wortwörtlich blutender Wunde habe ich gewartet, bis er die lang ersehnte Frage stellt. Aber es kam nichts. Weitere schöne Tage folgten, weitere wunderschöne perfekte Urlaube, gemeinsame Feiertage, und und und. Und zwischen uns ging es nicht mehr weiter voran. Wenn ich ganz genau darüber nachdenke, habe ich mich zu diesem Zeitpunkt begonnen, zu distanzieren, mich innerlich zu schützen. Ich habe sein Zögern, sein Abwarten nicht mehr verstanden. Ich dachte immer, er will das Baby einfach nicht in dieser Lebensphase, das hätte ich verstanden. Aber manchmal kamen auch die Zweifel, dass er mit mir einfach kein Kind wollte, weil er sich der Beziehung nicht sicher war. Dann passte natürlich auch kein gemeinsames Baby!

Wir stagnierten – aus meiner Sicht ein schlimmer Zustand. Vier Jahre zusammen. Immer noch besuchte ich ihn als Gast in seinem Haus, als seine Freundin, ich besuchte ihn und ging zurück zu meinen Kindern. Ich bildete mir ein, dass es reicht. Ich versuchte, weiter zu machen. Es schien machbar. Und wir hatten doch tatsächlich endlich das Traumhaus gefunden, was wir haben wollten und uns leisten konnten. Wir waren da, es war zum Greifen nah und wir haben mit den Verkäufern gesprochen. Die Frau arbeitete in der gleichen Firma, was für ein Zufall! Das war doch bestimmt Schicksal! Und dann kamen andere und haben den Zuschlag bekommen, einfach so. Sie hatten mehr geboten, wir waren raus. Die Fassade bröckelte weiter! Meine Enttäuschung saß so tief, ich konnte nicht mehr. Die Babywunde war noch so frisch, nun kam der nächste Schlag und es ging weiter - dann kam der Krieg!


Ab Tag eins stand ich bei uns im Dorf zum Helfen bereit. Ein kleiner Verein hat sich gegründet, der Hilfslieferungen organisiert hat – und ich wurde Teil von ihm. Vor Ort haben wir die Geflüchteten mit Kleidung, Haushaltsgegenständen und vor allem Übersetzungen unterstützt und tun es immer noch. Ich war mit Leib und Seele dabei. Es war eine unfassbar emotionale Zeit. Ich war in einem emotionalen Ausnahmezustand. Es waren doch irgendwie meine Leute, meine Sprache. Es ging mir so nah! Diese Bilder, dieses Elend. Es passte durch Zufall ideal, dass ich zu dieser Zeit mir unbezahlte Elternzeit genommen hatte, bevor meine Tochter acht wurde. Diese vier Wochen wollte ich eigentlich dafür nutzen, in unser neues zuhause einzuziehen. Aber das Haus ging ja an uns vorbei, ich musste mich ablenken.


Also habe ich mich voller Eifer in diese Unterstützung gestürzt – mit Leib und Seele! Und ich habe viel Energie. Mir reicht es nicht, nur ein Rädchen im Getriebe zu sein. Ich bin das Getriebe, ich mache das Konzept dafür und entwickle Prozesse. Ich habe eine Gruppe in WhatsApp gegründet mit freiwilligen Übersetzern vor Ort, die helfen konnten. In der gemieteten Halle habe ich eine Kleiderkammer aufgebaut mit Kleidung und Haushaltsgegenständen. Über 200 Leute in der Verbandsgemeinde haben wir begleitet und tun das immer noch – aus vollster Überzeugung!


Er war stolz auf mich, oh ja. Immer wieder hat er meine Energie bewundert, meine Leidenschaft. Und ich habe mich auf diese Abwechslung gefreut! Mit Ausbruch des Krieges ist der Kreditzins bekannterweise in die Höhe geschossen. Vor lauter Unsicherheit blieb der Häusermarkt leer. Wir haben überhaupt keine Besichtigungen mehr gehabt. Ergo – konnte ich mich auf mein Projekt konzentrieren und alles geben – für eine gute Sache, für Menschen – wie wertvoll ist das denn!

Und ich habe diese Ablenkung so gebraucht! Denn ich habe nie aufgehört zu rechnen. Im März damals wäre unser Baby auf die Welt gekommen! Ganz knapp wohl auch ein kleiner Widder, wie meine Kinder. Ich hätte auch Windeln wechseln können, aber stattdessen verpackte ich diese Windeln für Hilfslieferungen. Es tat weh und lenkte ab und ich machte weiter. Ich habe meine ganze Energie darauf verwendet, diesem Verein zu helfen und JA, ich weiß, vieles blieb auf der Strecke! Ich habe weniger Zeit gehabt für meine Kinder, für Ausflüge und auch fürs Lernen. Mehrmals die Woche stand ich in dieser Halle und verpackte und räumte und organisierte. Und JA, auch ihn habe ich vernachlässig, meinen geliebtesten Mann auf der Welt. Er hat mich unterstützt ja, aber wir hatten nun mal weniger Zeit miteinander. Er hat sich nicht beklagt, irgendwannmal später ja, aber ganz sachte und vorsichtig, so wie er nun mal war. Wir waren in dieser Zeit auch eine Woche im Urlaub – naja, wenn man das so nennen konnte. Ganz offiziell ja, wir waren auf Rhodos. In Gedanken war ich aber zuhause, bei meinen Flüchtlingen

. Auf dem Bootsausflug habe ich für die Leute wichtige Medikamente für Kinder zusammengestellt, da mehrere Kleinkinder an furchtbarem Durchfall mit Erbrechen erkrankt waren und ich den Eltern die freiverkäuflichen Medikamente klar machen musste, so als Hobby Apothekerin. Ich war so eingebunden in diese Hilfe, dass ich dich neben mir kaum bemerkte. Und wisst ihr was! Ich war mir SOOO sicher, dass unsere Beziehung dem standhält. Hallo! 4,5 Jahre wunderschöne Zeit, keine Streits, Friede Freude Eierkuchen. Da kann man doch eine Durststrecke verkraften!

Mit der Zeit hat sich mein Einsatz reduziert und der normalere Alltag kehrte ein. Es war und ist leider nicht absehbar, dass der Krieg vorbeigeht. Irgendein Alltag musste ja einkehren. Und unsere damalige Aufgabe der Häusersuche kam wieder zurück. Die Zinsen sind zwar gestiegen, aber die Preise waren nicht genug gefallen. Wir fingen wieder mit den Besichtigungen an – ein Haus nach dem anderen. Irgendwie passte ihm nie was. An jedem Haus hatte er was auszusetzen. Es war zu klein, es war zu alt und der Klassiker – es war zu teuer. Am Anfang haben wir noch ältere Häuser angeschaut mit viel Renovierungsbedarf. Irgendwannmal haben wir beschlossen, dass sich das nicht lohnt, da wir beide nicht so viel Zeit reinstecken wollten und konnten mit Job und Kind. Wir haben Häuser mit nur fünf Zimmern angeschaut, aber irgendwannmal beschlossen, auch diese wegzulassen, da wir wegen der vier Kinder auch mindestens sechs Zimmer benötigt haben. Dein fester Wunsch war es, dass deine Kinder auch einen Platz im gemeinsamen Haus hatten – das war ja fair, auch wenn sie an weniger als vier Tagen im Monat bei dir waren. Immerhin war deine Tochter 18, machte das Abi und sollte ja demnächst komplett ausziehen. Aber egal – jedes Kind sollte ein Zimmer bekommen. Also suchten wir weiter. Wir haben sehr teure Häuser angeschaut, aber die gestiegenen Zinsen hätten uns das Rückgrat gebrochen – laut ihm. Naja, er könnte ja sein Haus verkaufen – fragte ich, warum auch nicht? Seine Reaktion war wechselhaft. Anfangs war es ja nicht nötig, die Zinsen waren noch gering. Dann hattest er sich mit Finanzmodellen beschäftigt, die andere Finanzierungsmethoden beinhalteten. Dann plötzlich kam die Idee vom Bausparvertrag auf. Dann wurde diese verworfen. Dann hat er argumentiert, dass das Haus emotional war, da seine Kinder hier aufgewachsen sind. Dann wechselte die Argumentation von weniger emotional auf rational – das Haus wäre ja im Wert gesunken und besser zum Vermieten gewesen. Würde sich mehr lohnen. Bei diesen Überlegungen war ich schon außen vor. Es hat mich gewundert, es hat mich verletzt. Er war irgendwie alleine mit diesen Überlegungen beschäftigt.

Wir schauten und schauten weiter. Das Leben ging weiter. Das Leben ging vorbei. Unsere Kinder wurden größer und größer. Ich schaute das traurig von der Seite an. Ich wollte doch sie gemeinsam aufwachsen sehen! Miteinander. Als richtige Familie. Wie sehr habe ich mir das gewünscht – eine richtige Familie zu sein mit einem Zuhause. Alle Kinderabstimmung wäre einfacher. Wir müssten uns nicht danach richten, wann er die Kinder erlaubt bekommt oder nicht. Gemeinsam am Tisch essen, alle zusammen. Ein Teil von deren Leben sein. Das zog alles an uns vorbei. Warum kann man das nicht in zwei Haushalten machen, würde sich der aufmerksame Leser fragen. Oh ja, kann man, klar. Das haben wir auch ab und zu gemacht. Aber es ist mühsam, alles immer planen und einrichten zu müssen. Da fällt es schon mal runter einfach aufgrund der Komplexität. Er musste noch das Meeting zuende machen am Freitag Abend, schnell die Kinder abholen. Meine Kinder essen viel früher, gegen 18 Uhr. Seine sind größer, da ist 20 Uhr völlig normal oder später. Das alles über zwei Haushalte zu vereinbaren – sehr kompliziert. Ja machbar, aber sehr kompliziert. Ich habe einfach gewartet. Unsere Lebensplanung war schon kompliziert genug, ich hatte einfach nicht mehr Kraft zu mehr. Ich dachte, es ist doch nur eine Frage der Zeit. Wir sind doch bald zusammen. Bald wird es schon klappen mit dem gemeinsamen Haus, und dann können wir es richtig machen. Das schaffen wir bis dahin. Dann warten wir halt noch etwas und dann gibt es die gemeinsamen Mahlzeiten und Ausflüge und und und. Ich muss nur warten. Ich habe wirklich viel Zeit mit Warten verbracht. Das Warten belastet. Es belastete immer mehr.


Ich habe mich gefühlt wie ein Taucher – Luft anhalten und schwimmen, einfach weiter, gleich ist es vorbei, gleich kannst du wieder Atmen, noch nicht jetzt, jetzt musst du durchhalten, nicht links und rechts schauen, nicht ablenken lassen, das Überleben zählt, einfach weiterschwimmen, gleich hast du es geschafft, dann kannst du wieder atmen – dann kannst du wieder Leben! Das, was ich mache, mache ich mit 100% - Energie, Leidenschaft, Committment. Ich will es richtig machen, ich will es schnell erreichen. Ich verwende mein ganzes Tun und Denken dafür, dieses Haus zu suchen. Meine ganze Kraft. Alles andere bleibt auf der Strecke. Alles. Leider alles und jeder. Das Ziel verselbständigte sich. Das Ziel verliere ich nicht aus dem Auge – aber alles links und rechts, jeden links und rechts. Und dabei vergesse ich, wofür überhaupt das Ganze!? Zu welchen Zweck? Für wen? Doch eigentlich alles für uns! Wie konnte ich nur das UNS dabei vergessen.

Und dann belastete mich die Reaktion unseres Umfeldes. „Ihr sucht immer noch?“ – kam es immer öfter. Ich hatte gute Argumente. Wir haben noch nicht das Richtige gefunden. „Wie alt sind denn seine Kinder?“, war eine der Hauptfragen. „Ach, dann ziehen sie doch eh bald aus, warum noch ein eigenes Zimmer?“. Und auch diese Frage habe ich beantwortet – er war ein toller Vater, ihm war es einfach wichtig. „Aber dann ist es ihm wichtiger, als mit dir zusammen zu leben?“ – das war dann keine Frage mehr. Das war eine sehr schmerzhafte Anmerkung von einige Mitmenschen. Manche formulierten das höflicher. Aber das klang dann immer durch. Und es schmerze und schmerzte. Nicht besser waren anders geartete Fragen nach unserer Beziehung. „Na wie geht es dir und ihm. Du bist noch mit ihm zusammen oder?“, waren Fragen von Menschen, mit denen ich nicht so eng und nicht so oft Kontakt hatte. Hallo? Wir waren doch schon jahrelang zusammen! Fragte man jemanden, der verheiratet war, ob man denn NOCH verheiratet war oder schon geschieden? Hä? Warum dann bei einer Beziehung, einer Partnerschaft? Es ist doch nicht so, dass ich ständig Neue hatte. Diese Frage kam selten, aber hat mich hochgradig irritiert und maßlos geändert. Sie hat mir meine Situation immer wieder sehr deutlich vor Auge geführt.


Mit jedem umsonst angeschauten Haus kamen die Fragen. Die Blicke waren schlimmer, da waren wir schon die Fragen lieber, auf die ich antworten konnte. Es nagte an mir, die Zweifel wuchsen. Warum war er so unnachgiebig? Warum werden die Kriterien eher enger als weiter formuliert? Und die Hauptfrage – ja will er denn überhaupt noch wirklich mit mir zusammenziehen? Das war die bitterste Frage, die sich mir immer häufiger stellte. Will er denn überhaupt noch? Bilde ich mir ein, dass es irgendwie danach aussieht, dass er Zeit schinden will? Worauf wartet er denn noch?

Aus dieser Frage wurde dann, will er denn überhaupt noch mich? Will er ein UNS? Ist unsere Beziehung noch gesund? Ich wurde misstrauisch. Und JA, wir hatten Diskussion nach jedem Haus. Je mehr Häuser dazu kamen, desto mehr Diskussionen folgten. Die Diskussionen verzehrten uns. Sie vergifteten die Stimmung. War das Streit? Nein, nicht wirklich. Es waren eher stumme oder weniger stumme Vorwürfe in Monologform von meiner Seite. Er hatte manchmal Argumente, manchmal schwieg er einfach. Hat gewartet bis das Gewitter vorbeizieht. Sonnenschein kam ja immer wieder. Aber nach und nach siedelten sich unsere Gefühle wohl immer eine Ebene tiefer ein. Im Nachhinein sage ich „unsere“, damals dachte ich, dass es nur mir so geht. Ich war doch nicht schuld! Ich war einfach nur so zu tiefst enttäuscht nach und nach. Ich musste das doch loswerden. Ich dachte aber, dass er einfach zu kritisch ist, zu viel rumkritisiert an diesen Häusern. Er hatte doch auch den Wunsch, mit mir, seiner Traumfrau zusammenzuziehen. Ich war mir seiner Wünsche doch so sicher, dachte ich. Wir wollten doch das gleiche!


Nur ganz ganz selten zwischendurch kamen mir die Zweifel. Manchmal dann, wenn Kommentare von der Seite kamen von Freunden oder der Familie. Es nagte dann wieder an mir. Und dann kam das Thema mit der fehlenden Heiratsabsicht. Ich dachte mir die ganze Zeit verzweifelt, dass er diesen Wunsch bei mir versteht und nachvollziehen kann. Wenn denn schon nicht das Haus, was wir nicht direkt beeinflussen können, dann doch wenigstens diese Absicht von ihm. Und das wäre ja wirklich nicht als „wenigstens“ zu sehen. Ich wollte doch nur irgendein Zeichen, dass er das wirklich will, es mit uns ernst meint. Es passierte einfach nichts! Wir stagnierten das komplette fünfte Jahr an der gleichen Stelle! Es machte mich einfach fertig! Es musste irgendwie raus. Mein Bruder fragte mich immer wieder, warum ich ihn nicht selbst einfach frage. Aber ich wusste, er ist ein Mann, der großen Wert darauf legen würde, das selbst in die Hand zu nehmen. „Das ist so, als würde ich ihn entmannen, aber wortwörtlich!“ – war meine Ansage. Mein Bruder hat mich bis heute nicht verstanden. „Bist du sicher, dass er weiß, dass es dir wichtig ist?“, fragten meine Freundinnen. „Sprich das doch direkt an!“. Wie zur Hölle sollte man das als Frau ansprechen, ohne das Gesicht zu verlieren! Das ist doch jämmerlich! Das ist demütigend und anbiedernd. Also war meine Lieblingsstrategie, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass ich „nur die Freundin“ bin. Am Anfang habe ich hier und da fallen lassen. Irgendwannmal hatte ich das so fest eingebürgert, dass ich das sehr inflationär benutzt habe. Manchmal dachte ich, dass er das gar nicht versteht. Manchmal habe ich die Erkenntnis in seinen Augen gesehen. Es war sehr unterschiedlich. Es war sehr unangenehm. Ich fühlte mich immer mehr wie ein keifendes Marktweib! Ich fühlte mich irgendwie dreckig. Warum hatte ich das nötig, so aufzutreten? Ich hatte das Gefühl, dass der Rest der Welt uns anschaut, mich ansieht und sich nur die gleiche Frage stellt: „Warum heiratet er sie nicht?“. Ich fühlte mich schon paranoid!

Es gibt diesen einen Film, wirklich guter Hollywood-Klassiker: „Er steht einfach nicht auf Dich“. Sehr sperriger Titel, aber wirklich guter Film. Der Inhalt ist ganz einfach. Es geht darum, dass mehrere Frauen hunderte und tausende Ausreden dafür finden, dass irgendein Typ, je nach Beziehungsstatus, entweder nicht zurückruft, sich nicht von seiner aktuellen Beziehung trennt, sich nicht für das Zusammenziehen oder für die Heirat entscheiden kann. Und die Frauen sind ihr Leben lang beschäftigt, gute Argumente für sich und ihre Umwelt zu finden, warum das alles ganz normal ist und sie einfach nur warten müssen. Aber im Endeffekt mussten alle von Ihnen einsehen, dass der einfache Grund für dieses Verhalten der Männer der folgende ist – „er will sie einfach nicht!“. Diese eine bestimmte Frau, die wartet, ist einfach die falsche. Und das Warten – das lohnt sich einfach nicht! Der Mann wird sich nicht entscheiden, er wartet nur auf eine bessere Gelegenheit. Was für eine tollte Erkenntnis! Ich bin so tief gesunken, dass ich angefangen habe, aus diesem Film ihm zu zitieren. Ich habe den Film für ihn zusammengefasst und ich habe das immer und immer wieder offen zur Diskussion gestellt – willst du denn überhaupt? Bin ich die richtige? Wirklich und ganz ehrlich – wie oft habe ich das gefragt?


Ich bin doch nicht völlig auf den Kopf gefallen, dass ich das nicht sehen würde, dass ein Mann doch eigentlich kein Interesse an mir hat. Das würde mir doch verdammt nochmal auffallen? Er ist nie ein Mensch gewesen, der sein Herz auf der Zunge trägt – ganz sicher nicht. Aber dafür war ich doch da – ich konnte ihn ja ausfragen. Diese eine Frage hat er gehasst – starke Gefühle für ihn: „Auf einer Skala von eins bis zehn, wo siehst du unsere Beziehung gerade?“. Ehrlich gesagt, wusste ich die Antwort oft für mich selbst nicht sofort. Aber ich wurde ja auch nicht gefragt. Interessanterweise hat er NIE zurückgefragt – was mir jetzt im Nachhinein überhaupt so klar bewusst wird. Ich weiß gar nicht, was ich gesagt hätte hier und da. Wäre es meine ehrliche Antwort gewesen oder mein Wunschdenken? Wie sehr hatte ich mich damals schon innerlich distanziert, ohne mir das einzugestehen.

Damals im Rhodos Urlaub war die Antwort etwas schockierend – eine sechs bis sieben! Oh krass, ich bin aus allen Wolken gefallen! Das ist ja etwas mehr als die Hälfte. Alle Alarmglocken läuteten. Ich war ernsthaft entsetzt. Verdammt – ich hatte doch gefragt, um dem Thema Ehe näher zu kommen und dann bekommst du eine solche mittelmäßige Einschätzung. Hallo!? Damals hatte ich sehr intensiv versucht, aus ihm rauszubekommen, welche Probleme er denn sieht. Ja, wir hatten uns entfernt, auseinandergelebt. Ich hatte mich in die Arbeit mit und für die Flüchtlinge gestürzt und hatte ihn und unsere Beziehung vernachlässigt. Ich habe es eingestanden, wir haben geredet, uns in den Armen gelegen und versprochen, alles besser zu machen. So weit so gut. Ehrlich gesagt, hatte ich das aber gar nicht so richtig ernst genommen. Aus irgendeinem Grund war ich zutiefst von der festen Grundlage unserer Beziehung überzeugt. Eine solche solide perfekte Beziehung kann es doch mal abhaben, dass man weniger Zeit miteinander verbringt. Aber sicher doch. Ich war mir 100% sicher. Das verdammte Selbstbewusstsein aber auch! Es ist nicht so, dass ich es ignoriert habe. Ich habe gespürt, dass er unglücklicher geworden ist, irgendwie wir entfremdeter waren. Aber ich dachte, wir können das sofort in den Griff bekommen, wenn wir das nur aktiv angehen. Gesagt getan – naja gedacht.


Die nächste Eskalation folgte leider an Weihnachten. Was für ein Mist aber auch! An den Feiertagen liegen die Gefühle brach. Die Statistik der Besucher meine Website zeigt leider auch, dass das Interesse an dem Thema Wechselmodell enorm zunimmt im Laufe des Dezembers – wie zutiefst traurig ist das denn! Auch meine eigene zurückliegende Scheidung bzw. der Wunsch nach Trennung wurde Ende Dezember und dann wieder Anfang Januar formuliert. Es passte also ins Muster. Ausgerechnet vier Tage vor Weihnachten habe ich mich irgendwo mit Corona angesteckt – was für eine Katastrophe! Um die Kinder nicht anzustecken habe ich mich von allen ferngehalten. Ich wollte, dass sie ihre Großeltern treffen können und nicht mit mir in Quarantäne sitzen müssen. So konnten sie bei Papa schön Weihnachten feiern und ich saß alleine, naja mit Hund, zuhause und heulte – am 23. und am 24., heulte und bemitleidete mich. Er ist am 24. Nachmittags vorbeigekommen und wir sind draußen spazieren gegangen. Ich wollte ihn natürlich nicht in Gefahr bringen. Also warten wir den Abstand. Und der emotionale Abstand wuchs plötzlich! Es waren doch nur ein paar Tage, aber in dieser emotionalen Zeit. Und dann hat er sich erkältet. Kein Corona, aber irgendwie kam doch einiges zusammen und er lag mit seinem Sohn flach zuhause, mit Fieber und war fix und fertig.

Die nächste Eskalation folgte leider an Weihnachten. Was für ein Mist aber auch! An den Feiertagen liegen die Gefühle brach. Die Statistik der Besucher meine Website zeigt leider auch, dass das Interesse an dem Thema Wechselmodell enorm zunimmt im Laufe des Dezembers – wie zutiefst traurig ist das denn! Auch meine eigene zurückliegende Scheidung bzw. der Wunsch nach Trennung wurde Ende Dezember und dann wieder Anfang Januar formuliert. Es passte also ins Muster. Ausgerechnet vier Tage vor Weihnachten habe ich mich irgendwo mit Corona angesteckt – was für eine Katastrophe! Um die Kinder nicht anzustecken habe ich mich von allen ferngehalten. Ich wollte, dass sie ihre Großeltern treffen können und nicht mit mir in Quarantäne sitzen müssen. So konnten sie bei Papa schön Weihnachten feiern und ich saß alleine, naja mit Hund, zuhause und heulte – am 23. und am 24., heulte und bemitleidete mich. Er ist am 24. Nachmittags vorbeigekommen und wir sind draußen spazieren gegangen. Ich wollte ihn natürlich nicht in Gefahr bringen. Also warten wir den Abstand. Und der emotionale Abstand wuchs plötzlich! Es waren doch nur ein paar Tage, aber in dieser emotionalen Zeit. Und dann hat er sich erkältet. Kein Corona, aber irgendwie kam doch einiges zusammen und er lag mit seinem Sohn flach zuhause, mit Fieber und war fix und fertig.


Ich weiß nicht, warum das bei mir alles wieder eine emotionale Krise ausgelöst hatte. Aber irgendwie schwappten alle Gefühle hoch. Es ist so schlimm, wenn man einander nicht umarmen und küssen kann – nur um den anderen zu schützen, ihm wegbleiben zu müssen. Wir haben locker zwei Wochen am Stück diesen Zustand über die Weihnachtsfeiertage gehabt. Und wieder war nicht sicher, ob und wann wir uns sehen. Wann er seinen Sohn zurückbringt. Er wollte und durfte wieder nichts selbst entscheiden. Wieder waren wir von der Frau abhängig, die nicht erreichbar war. Wieder die gleiche Diskussion wie immer. Und irgendwie hatte ich das Bedürfnis entwickelt, wieder alles auf den Tisch zu legen und Bilanz zu ziehen. Leider telefonisch, da diesmal er erkältet war und ich die Kinder zuhause hatte – kurz vor Silvester. Und wieder ging die Initiative von mir aus! Ich habe ernsthaft wieder und wieder nachgebohrt, wie sein Commitment zu mir ist. Ich finde einfach kein besseres deutsches Wort dafür, was es ganz genau beschreibt. „Sich auf jemanden einzulassen, mit Haut und Haaren“ – das wäre meine Definition davon. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass da was fehlt. Und wieder redeten wir über unsere Gefühle. Irgendwie hatten wir die Entfremdungskrise, die die letzten Monate andauerte, nicht überwunden, sonst wären wir nicht wieder an diesem Punkt. Also nochmal von vorne – gesprochen, geweint, und nochmal geweint. Diesmal hatte ich ihn offen gefragt, wie es denn weitergehen soll – soll es überhaupt weitergehen? Schon komisch, so eine Frage stellen zu müssen. „Ich will doch nicht das alles wegwerfen“, war seine von vielen Tränen begleitete Antwort. Natürlich sollte es weitergehen, er liebte mich doch. Es hat sich mit dem Haus einfach nicht ergeben. Das ist doch nicht in seiner Macht. Es ist doch keine böse Absicht. Alles in Ordnung. Und was kam dann – naja, wieder einfach warten, wenn es nach ihm ginge. Ich hatte zwar über eine Pause gesprochen, aber nicht ernsthaft eine gewollt. Ich war einfach nur verdammt unzufrieden mit der Gesamtsituation und ich konnte und wollte so nicht weitermachen. Ich wollte ihn alleine durch das Androhen der Pause aufrütteln! Einige Tage Schweigen waren in meiner Vorstellung schon so grausam, dass wir uns sofort danach doch versöhnt hätten und uns wieder in der Armen liegen würden. Also mein Vorschlag – aktive Beziehungsmaßnahmen – „mein Marshall-Plan“.

Ich bin schon verrückt, könnte man behaupten! Hallo?! Das ist eine Beziehung, keine Wirtschaft. Das klang so steril, so merkwürdig. Du hast es belächelt. Aber hey, das ist doch egal wie man das nennt. Ja, man kann auch Beziehungsverbesserungsmaßnahmen dazu sagen, klingt nur nicht so schön. Wir haben über verschiedene Punkte gesprochen, die unserer und ich betone unserer Meinung nach uns auseinanderbringen. Und ich bin Punkt für Punkt durchgegangen und habe dahinter Maßnahmen formuliert, vereinbart, wie auch immer, ja es klingt so unemotional. Aber nur dann, wenn man das so steril betrachtet. Ich habe das sehr dynamisch formuliert. Es war ein Wiederbeleben einer guten soliden aber etwas eingeschlafenen Beziehung. Ein Neustart. Eine Initialzündung. Und Jahresbeginn war es ja sowieso, also auch Neujahrsvorsätze.


Aus meiner Sicht fehlte ja das Comittment, aus seiner Sicht führten folgende Punkte dazu, und diese wollten wir angehen. Ihm fehlte Nähe, der Punkt mit der Nähe wird hier nun öfter vorkommen. Wir schliefen in verschiedenen Zimmern. Mein einfacher Grund war sein Schnarchen, was er ganz objektiv nachvollziehen konnte. Sich aber emotional nicht damit abfinden konnte. Ich verstehe das – rein emotional, aber objektiv ist es ziemlich belastend, mehr als die halbe Nacht wachzuliegen neben einem sehr geliebten Menschen, der nach jeder Nacht weniger geliebt wäre. Aber ok, wir wollten es versuchen. Er hat ein größeres Bett in seinem Haus, unserem gemeinsamen zuhause, besorgt und der Versuch ging los. Einige Nächte ging es gut, dann wieder schlechter, dann haben wir uns wieder in zwei verschiedenen Betten wiedergefunden. Ich hatte keine großen Bedenken, in zwei verschiedenen Zimmern schlafen zu müssen. Mein Problem war ja vor allem, dass ich immer wieder wenige Tage bei ihm schlief, dann wieder bei den Kindern, dann wieder bei ihm. Ich wusste eigentlich nie, wo ich aufwache jeden Morgen und musste mich erst neu orientieren. Dadurch stellte sich nie eine Gewöhnung an den Schlaf und die Nähe des Anderen ein. Auch er hat mit mir an der Seite viel schlechter geschlafen, hast es aber in Kauf genommen. Da ich chronische Migräne habe und sowieso an mehr als zehn Tagen im Monat darunter leide, konnte ich das einfach nicht hinnehmen, dass auch noch Schlafprobleme noch mehr Migräne auslösen würden. Ein gemeinsames Haus wird das Problem lösen – sagte ich mir immer wieder! Das ist ein rein temporäres Problem, es wird sich lösen. Wenn ich jede Nacht neben ihm liege, dann wird es besser, nach nur wenigen Nächten viel besser. Im Urlaub schliefen wir auch zehn Tage ohne Probleme am Stück nebeneinander. Ich gewöhnte mich an das Schnarchen und die Bewegungen, es war kein Problem.

Nähe bedeutete aber auch, dass wir mehr zusammen unternahmen. Das musste man aktiv angehen, aktiv planen, sich bewusst vornehmen. Eine Beziehung muss man bewusst leben, sie bewusst pflegen, an ihr arbeiten. Das haben wir vernachlässigt – aber ganz ehrlich, wir beide! Nicht nur ich. Von ihm kamen nur keine Versuche, was zu ändern. Er hast das einfach so hingenommen und hat darunter gelitten, und nichts gemacht. Außer nachzudenken und zu leiden. Ich wollte es nun aktiv in die Hand nehmen. Wir planten gemeinsames Essen gehen abends. Wir wollten mehr mit Freunden unternehmen. Das lag ihm sehr am Herzen. Aber meistens scheiterte das an unserer Konstellation mit den Kindern. Es machte uns solche Aktivitäten sehr schwierig. Wieder aktiv einplanen, hinterher sein, bewusst steuern, habe ich getan. Mehr mit allen Kindern unternehmen war der Plan. Das Jahr davor war sehr schwierig. Seine Tochter machte Abi, war psychisch sehr labil. Täglich hat er befürchtet, dass sie alles hinschmeißt. Das war eine wirklich schwere Zeit, auch für uns als Paar. Emotional sehr belastend, nur ein Thema – ihr Abi. Dann war es Anfang des Jahres vorbei, sie hatte das, entgegen allen Erwartungen, geschafft. Und so konnten wir mit allen Kindern was planen, ohne dass ihr Lernen dazwischenkam. Auch das gingen wir bewusst an. Viel vorgenommen, einiges umgesetzt. Insgesamt ein positives Gesamtgefühl. Das Comittment war mehr spürbar. Wir beide waren zuversichtlicher und glücklicher – dachte ich.


Ich kann mich nun etwas schwerer an die nächste Skalendiskussion erinnern, einige Wochen später. Aus meiner Sicht passte nun alles weitgehend – nur das Thema Haus war leider nicht in den Griff zu bekommen. Aber das war ja nicht nur von uns abhängig, sondern auch vom Markt. Er hat gesagt, wir sind bei acht – Mega! Das ist doch ein toller Fortschritt! Wir haben uns weiterentwickelt. Er war positiv drauf, zuversichtlich, schien glücklich zu sein. Es war ein schöner Abend damals. Hat er gelogen? Mich belogen, aber auch sich selbst? Ich musste damals leider wieder die Freundin-Diskussion ins Spiel bringen, wieder darauf hinweisen. Darauf rumreiten. Der wunde Punkt war ja nicht gelöst und ich habe auch keinerlei Ambitionen in diese Richtung gesehen. Und dann kam ein ganz merkwürdiger Satz von ihm, den ich erst jetzt verstehe, nachdem alles vorbei ist. Er hat meine Anspielungen scheinbar nicht verstanden, vielleicht doch, das war für mich nicht erkennbar. Und er sagte, „Ich habe mich doch wirklich bemüht.“ So nach dem Motto, was willst du denn? Ich habe doch was gemacht, was unternommen. Ich habe die Bemerkung damals nicht verstanden. Ich habe mich nur gefragt, was mit Mühe den gemeint gewesen ist, welche Mühe? Ich wollte doch keine konkreten Maßnahmen von ihm. Ich wollte doch nur so greifbar geliebt werden, dass ich das auch glaubte und fühlte. Aber eigentlich sollte das keine Mühe sein. Das Wort Mühe irritierte mich massiv. Aber da der Abend schon fast vorbei war und wir uns zum Aufbruch bereit gemacht haben, habe ich nicht nachgefragt. Oh Schande, ich habe nicht nachgebohrt. Nachdem ich nun weiß, was damals in ihm vor sich ging! Wenn ich das damals geahnt hätte! Wenn ich das doch damals schon gespürt hätte, dass nichts in Ordnung ist. Acht auf der Skala – das war doch kurz vor dem Antrag! Was sollte ich denn bitte anders darunter verstehen? Acht hieß, wir sind so was von auf dem richtigem Weg und schon fast da!

Und wisst ihr was? Ich habe mich damals mit dem Punkt Ehe fast schon abgefunden, wirklich weitgehend, nicht komplett, aber weitgehend. Ich hatte viele Diskussionen mit Familie und Freunden. „Warum ist das denn so wichtig?“, hatte mein Vater gefragt. Ja warum denn auch? Ich bin doch mit dem Mann, den ich liebe, zusammen! „Das ist doch nur eine Formalie“, sagten Freundinnen. Wir sind doch modern, warum denn auch die Ehe. Ich hatte beschlossen, dass der Mann das Wert ist. Damals hatte ich verstanden, dass ich mich da verrannt hatte. Ich war zu fixiert darauf. Von so vielen Seiten kam, dass das doch wirklich egal ist. Hauptsache wir sind glücklich zusammen. Naja, irgendwie machte es mich doch etwas unglücklicher – aber ok, ich habe nachgedacht und hatte entschieden, dass es ausreicht. Erstmal. Dass ich das nicht so forcieren soll. Irgendwie schien er noch nicht bereit zu sein. Und die Anspielungen gingen mir selbst massiv auf die Nerven. Ich konnte sie nur kaum zurückhalten. Ich würde es versuchen. Wirklich versuchen.


Erst jetzt verstehe ich meine Fixiertheit. Es war nicht die Ehe an sich, nein. Es war eine wunderschöne Vorstellung, mit ihm vor den Altar zu treten. Aber nein, das war es nicht. Ich wollte mir einfach nicht eingestehen, dass ich eine gewisse nicht erklärbare Unsicherheit verspürt habe, dass ich doch nicht die Richtige für ihn bin. Wenn ich die Diskussionen mit Freunden hatte, warum es mir so wichtig ist, dann weiß ich noch, dass ich sagte, dass ich zu 95% weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Aber da waren diese 5% und irgendwie kommt mir der Wert verdammt hoch nun vor! Diese 5% standen für Zweifel, dass ich vielleicht doch nicht die Richtige bin. Zu diesen 5% hatte ich die Angst, dass er sich doch noch nicht entschieden hat, sondern sich noch ein Hintertürchen offen lässt. „Lächerlich“, sagten Freunde, die uns kannten. „Das glaubst du doch nicht wirklich?“. Nein, glaubte ich auch nicht. Diese Zweifel waren ganz ganz klein, aber sie waren da. Der Antrag wäre die Entscheidung, die Entscheidung für mich. Das wäre wirklich eindeutig. Davor musste ich mich auf das Gefühl verlassen, dass alles stimmt. Und zu 95% stimmte es doch. Warum dann nur diese 5% Restzweifel, die in mir den Wunsch hinterließen, Gewissheit zu haben. Es passte doch alles. Wir waren wieder auf Kurs. Dann haben wir in Mauritius wieder einen wunderschönen Urlaub miteinander verbracht. Da hatte ich schon mit keinem Antrag gerechnet. Ich habe mich damit abgefunden. Ich war bereit zu warten, ihm Zeit zu geben und die Zeit zusammen zu genießen. Man kann sich ja nicht mit diesem Warten verzehren, das war Gift. Hätte ich es doch damals besser gewusst. Das gewusst, was ich nun weiß. Was hätte ich nur dafür gegeben.

Wenn ich das alles selbst durchgehe, was ich aufschreibe, dann kam mir eben der Gedanke – so überraschend kann doch die Trennung gar nicht gewesen sein, oder? Jetzt habe ich schon zu viel verraten. Dazwischen liegen ja noch einige Tage, die ich im Einzelnen durchgehen will und muss – für mein Seelenheil. Die ich durchgehen muss, um diese schreckliche Situation zu verstehen, um nicht zu verzweifeln, nicht jeden Tag mit Weinen zu beginnen, um nicht zu zerbrechen! Aber ganz ehrlich – vom Herzen, ich habe uns nicht mal im Entferntesten bei einer Trennung gesehen. Jede Beziehung, verdammt nochmal, jede hat doch Höhen und Tiefen. Entscheidend ist es doch, wie man damit umgeht, oder nicht? Verstehe ich was nicht? Dass es nicht perfekt lief in den letzten Monaten, das wusste ich. Aber ehrlich gesagt, hatte ich einen völlig anderen Blick darauf als er. Aber an seinen Gedanken und Gefühlen hat er mich auch nicht teilhaben lassen – einfach formuliert. An meiner Verzweiflung hatte ich ihn aber auch nicht teilhaben lassen. Ich habe das Thema Baby nicht aus meinem Herzen bekommen, zu tief saß der Schmerz über diesen entgangenen und auch noch gewollten Verlust. Ich hatte das unterschätzt. Aber das Thema kam bei mir ständig wieder hoch. Ich rechnete nach und überlegte mir, wo wir mit diesem Kind denn nun stehen würden, wie alt wäre es? Wäre es ein Mädchen oder ein Junge? Wie würde diese Kombination aus uns aussehen?


Er hat mir oft von seiner kleinen Nichte erzählt, die so vernarrt in ihn war. Sie wäre gar nicht viel älter gewesen als unser entgangenes Kind. Er hat immer wieder begeistert erzählt, wie er mit ihr gespielt hat und sie ihn nicht losgelassen hat – und mir blutete jedes Mal das Herz! Das war falsch! Er hätte mit unserem Mädchen spielen sollen! Sie würde ihn anhimmeln! Ihre Hand sollte er halten, sie auf dem Schoss wiegen. Mein Mädchen hätte ich so gerne seiner Mutter vorgestellt, der Oma! Ich wäre damit Teil seiner Familie geworden, mehr als ein Teil. Ich würde auf die berühmte Wand von der Oma komme. Dort hangen Bilder von den vielen Söhnen und deren Partnern und den Kindern. Und wisst ihr, wer da noch hängt? Seine verhasste Ex, zusammen mit ihm und seiner kleinen Tochter! Nach über fünf Jahren mit ihm zusammen landete dort nie ein Foto von uns! Und ich wusste, es wird auch nie der Fall sein. Ich würde nie zu dieser Familie gehören, irgendwie war der Zug abgefahren! Er hat diesen Punkt nie verstanden, dass ich so empfinde. Ich würde mich doch bewusst raushalten, zurückziehen, das wäre mir alles zu viel, hat er gedacht. Ich kam einfach zu spät – alle anderen waren vor mir da. Es war kein Platz mehr.

Wie ich mich gefühlt habe nur nach diesen vielen Jahren. Zu Familienfesten zu kommen und die Freundin an deiner Seite zu sein. Die Ex mit der Tochter an der Wand hängend und ich mit dir zu Besuch. Kein gutes Haar hast du an den Beziehungen deiner Brüder gelassen. Die Frauen waren auch beim besten Willen keine Vorzeigeobjekte. Und ich? Ich war wie ein exotischer Vogel unter ihnen, mit meinem Alter und meiner Art. Du warst stolz auf mich, hast mich gerne vorgeführt – und hast trotzdem keinerlei Interesse verspürt, mich zu ehelichen, Jahr für Jahr nicht. Kein gemeinsames Kind, kein gemeinsamer Haushalt, keine Ehe – ich saß nach Jahren immer noch da und wartete und wartete. Auf dich, auf den richtigen Moment, und es kam nichts.


Ich weiß nicht, ob man das so sehen kann, ich denke, ich sehe das aber so. Nach vier Jahren waren wir glücklich, kurz nach dem absoluten Höhepunkt unserer Liebe. Und dann kam die Schwangerschaft, die Folgen habe ich nicht verkraftet und dann stagnierte alles. Hätte er damals, damals wo es doch perfekt war, diesen Schritt gemacht und wir hätten mit der Hochzeitsplanung begonnen, was wäre das für ein absoluter Auftrieb!? Nach diesem Tiefpunkt der Abtreibung – was wäre das für ein absoluter Liebesbeweis! Damals passte doch einfach alles, das hatte er doch die letzten elendigen Tage bestätigt. Hätte er damals mir seine Liebe in dieser Form gezeigt, wären die Wunden verheilt. Ich hätte auch beim Haus warten können mit diesem Gefühl, die Frau an seiner Seite zu sein. „Meine Ehefrau“, Gott wie sehr habe ich auf diesen Ausdruck aus seinem Mund gewartet. Es hatte so einen unheimlich warmen Klang und dieses Gefühl erst! Wie habe ich mir das gewünscht, als ich wieder auf der Liege nach der Abtreibung saß! Das er endlich sich bereit fühlt für diesen Schritt. Er war es nicht. Ich weiß nicht, ob er das versteht. Und ja, wenn er damals noch nicht bereit war – dann ist das so, das kann ich nicht ändern. Aber wenn er damals das einfach nicht verstanden hat, an welcher Abzweigung wir standen. Wenn er wirklich einfach gar nicht nachgedacht hat und einfach auch gar nicht wusste, wie er mich aus dieser Gefühlslage rausholen kann. Wie traurig ist denn diese Erkenntnis? Damals hätte wir das doch in der Hand gehabt, dass es aufwärts statt abwärts geht. Wäre das eine so große Überwindung, unserer wundervollen Beziehung an dieser Stelle diese Krone aufzusetzen? Es ging um keine Formalie, sondern darum, dass ich damals so verzweifelt einen Liebesbeweis von ihm gebraucht hätte mit einem leeren Bauch wie noch nie zuvor.

Ich wollte einfach, dass er sich entscheidet. Aber ihm fehlte Nähe, fehlte Zärtlichkeit – ab wann denn nur? Schon damals oder erst später? Welche Zärtlichkeit konnte ich geben, wenn ich immer das Gefühl hatte, dass er nicht mehr voll auf dem Gaspedal steht? Woher sollte diese kommen? Wenn ich das Gefühl habe, er ist nicht bei der Sache, er wägt ab. Früher war die Nähe doch auch nicht unser Problem. Aber mit der Zeit habe ich mich immer wieder gefragt, bin ich denn nun die Richtige? Da kapselt man sich nach und nach ab. Aber ich merke das erst jetzt so deutlich. Ich zog mich innerlich zurück, irgendwie unbewusst. Ich bin von mir selbst enttäuscht. Ich dachte, ich bin mir über alles im Klaren. War ich doch nicht! Sicher braucht er mehr Nähe als ich. Aber ich hatte genug Wärme zu geben, genug Nähe, sie war mal genug. Aber nicht im letzten Jahr. Da war ich wohl auf dem Rückzug, ohne das selbst wahrzunehmen. Ich dachte, er nimmt es auch gar nicht wahr. Ich habe mich geirrt.


Der normale Alltag reichte mir danach einfach nicht mehr. Ich habe mit der Abtreibung ihm alles bewiesen, was er haben wollte. Ich würde nie was gegen seinen Willen tun! Ich würde ihn glücklich machen wollen, ihn immer einbeziehen, gemeinsam entscheiden, für uns entscheiden, sich um seine Gefühle sorgen, ihn nie übergehen. Wieviel Respekt und Liebe hätte ich ihm noch zeigen können? Hat er das damals so verstanden? Nur einbißchen die Dimension gesehen? Ich glaube leider nicht. Es war ein medizinischer Eingriff, ein schlimmer ja, eine große emotionale Belastung. Es wäre dann irgendwann mal vorbei, für dich. Für mich nicht. Es war der eindeutige Auftakt zum Niedergang, der Auftakt zum Drama in mehreren Akten.

Tag 1 - Sonntag


3.Akt - 2.Teil: Das Telefonat


Das Telefonat geht weiter, leider genauso konfus. Ich habe das Gefühl, dass er gar nicht weiß, was er eigentlich sagen will. Irgendwie ist er traurig, irgendwie unglücklich. Wir hatten an diesem Sonntagmorgen eine unschöne Diskussion gehabt, die auch bei mir einen schalen Beigeschmack hinterlassen hat. Ich denke, er will sich darauf beziehen. Wir haben irgendwie das erste Mal so richtig konkret über die Finanzierung unseres Hauses gesprochen. Wer zahlt aus welchen Mitteln welchen Anteil. Welches Geld wird wohin überwiesen. Ganz konkrete Fragen. Und irgendwie waren wir auf die Frage gekommen, wie die Nebenerwerbskosten des Hauses zu teilen sind, 50% - 50%, oder in unserem Anteil am Haus im Grundbuch. Er hatte einen viel höheren Anteil, ich war der Meinung, dass er auch die höheren Kosten haben sollte. Aber eigentlich hatte ich nicht das Gefühl, dass es wirklich um Kosten ging und um die Prozente. Er feilschte mit mir wie auf dem Jahrmarkt. Meinte, dass er die Sache nur objektiv betrachten möchte. Für mich klang gar nichts objektiv, es klang eher so, als wollte er sich vor mir absichern. Ein ganz merkwürdiges Gefühl. Wir waren doch am Ziel unserer Träume endlich angekommen! Wir hatten endlich vor einigen Tagen das Traumhaus gefunden! Es passte alles, wirklich alles. Wir haben über das konkrete Angebot an die Maklerin gesprochen und nun über die Finanzierung. Und ich hätte schwören können, das wir eigentlich nicht das erste Mal, über all diese Dinge gesprochen haben. Aber diesmal fühlte sich das sehr sehr merkwürdig an. Das erste Mal hatte ich richtig das Gefühl, dass er sich irgendwie zurückzieht und versucht, sein Eigentum abzusichern, irgendwie vor mir. Im Nachhinein habe ich das Gefühl für mich selbst im Kopf formuliert. „Ich stehe auf dem Gaspedal, und du auf der Bremse, und es fühlt sich sehr mühsam an“. Ich hatte viel später dann mit dieser Empfindung ihn konfrontiert und endlich hatte er das bestätigt – nach so vielen Monaten der Nachfrage. Aber bei diesem Telefonat definitiv noch nicht.


Er ist einfach nur traurig. Und plötzlich, aus dem nichts, ist die Traurigkeit nicht nur auf das Haus bezogen. Er fühlt sich bei dem Gedanken unwohl. Bei welchem Gedanken, beim Haus? Nein, nicht nur beim Haus, bei unserer Beziehung – BAM! Der Schlag sitzt. Ich spüre, dass es der Auftakt für was Größeres wird! Ich wundere mich nur wahnsinnig, weil er solche Dinge niemals am Telefon besprechen will. Das findet er unpersönlich und nicht nötig. Und jetzt weiß er genau, die Kinder sind im Nebenzimmer und schauen fernsehen. Ich bin allein und kann nicht einfach weg. Und dann konfrontiert er mich mit diesen Zweifeln, aus dem Nichts heraus, aus dem reinen Garnichts!

Ich bin die ersten Sätze wie gelähmt. Dann kommt das Rauschen in den Ohren, das Blut schießt in den Kopf. Die Atmung geht ganz merkwürdig. Ich habe das Gefühl, ich bekomme keine Luft. Ich denke nur die ganze Zeit, dass ich was falsch verstehe. Dass ist hyperventiliere und mich irgendwo reinsteigere. Ich stehe kurz davor, meine Tage zu bekommen. Vielleicht bilde ich mir das alles ein? Spielte einfach meine Hormone verrückt? Was hat er überhaupt gesagt? Ich kann mich an die Wortwahl beim besten Willen nicht mehr erinnern, wirklich überhaupt nicht. Ich glaube, der Körper versucht, sich so zu schützen. Durch das Ausblenden. Das Kurzzeitgedächtnis wird einfach auf Null gesetzt. Der Kopf tut so, als würde er nicht verstehen wollen, weil das Verstehen so unendlich weh tut, dass es gar nicht im Kopf verbleibt. Das geht nur von Ohr zu Ohr, und dann wieder raus, und dann sind seine Worte wieder vergessen. Hat er überhaupt von Trennung gesprochen? Ich denke nicht. Ich glaube, das Wort ist eigentlich nie gefallen, oder? Aber ich weiß es wirklich nicht. Was verbleibt ist nur der Gesamteindruck, es klingt nach Problemen, ganz ganz vielen Problemen, aus dem Nichts heraus. Ich glaube, dass er über irgendwas schlafen wollte. Aber über was genau? Ich habe das allererste Mal auch das Gefühl, dass es telefonisch nicht geklärt werden sollte. Dass es keine Lösung geben würde, wahrscheinlich auch nicht persönlich, aber ganz sicher nicht am Telefon.


Ich schreibe auf WhatsApp parallel meiner Mutter, dass ich sie gleich abholen würde. Und ich sehe im Nachhinein, dass ich schrieb, dass er die Trennung will und ich sie brauche bei mir. Ich bin verwirrt, hat er das doch so gesagt? Wie kann ich etwas vergessen, was gerademal zwei Tage her ist? Oder habe ich aus seinen wirren Reden das zusammengereimt? Dann war ich aber schnell. Alles sehr verwirrend. Ich sage ihm, dass ich jetzt komme und lege auf. Ich denke, ich sagte auch, dass ich meine Sachen abhole. Das war aber echt schnell entschlossen, wollte ich das wirklich? Kann ich das? Es war schon kurz vor neun Uhr abends. Was wollte ich denn noch reißen an diesem Tag? Ich weiß das alles nicht mehr.  Ich fahre meine Mutter abholen. Die Kinder sind massiv verwirrt, warum jetzt? Dass ich zu ihm fahre ist nicht neu, aber so überraschend? Morgen ist der erste Tag nach den Pfingstferien, ich kann sie doch nicht allein mit Oma lassen. Ich kann nicht klar denken, nicht mit ihnen diskutieren.

Meine Mutter wohnt nur fünf Autominuten entfernt, die Sache geht schnell. Sie versteht auch nichts, aber ich weiß selbst nicht, was ich ihr erzählen soll. Ich schluchze krampfhaft. Sie sagt, dass sie nicht möchte, dass ich jetzt Auto fahre. Ich kann doch nicht ernsthaft in diesem Zustand ans Steuer. Doch, muss ich. Ich muss dorthin. Es sind ja nur fünfzehn Autominuten zu ihm. Ich schaffe das, ich werde mich sofort melden, wenn ich ankomme. Ich lasse sie aussteigen und zu den Kindern ins Haus gehen. Ich kann nicht mit hoch und mich von Ihnen verabschieden, dafür sehe ich einfach zu verheult aus, zu schrecklich. Ich würde sie total verstören und hätte noch nicht mal eine Erklärung. Ich weiß doch selbst nicht, was nun Sache ist. Ich muss noch viel mehr erfahren, es verstehen. Kann ich das überhaupt verstehen, was für ein Alptraum nun begonnen hat?


Wieder die Schutzfunktion des Körpers. Irgendwie fühle ich mich wie betäubt. Es rauscht wieder in den Ohren. Ich zwinge mich, jede Handlung bewusst auszuführen. Nichts geht mehr automatisch. Ich denke ans Schalten der Gänge im Auto. Ich atme ganz bewusst, aus und ein, aus und ein. Es bringt nichts, in Panik zu verfallen. Ich möchte nichts riskieren, die Kinder brauchen mich doch. Er irgendwie nicht mehr, aber die Kinder. Ich bin ja nicht alleine. Ich kann mich nicht einfach gehen lassen. Die Minuten vergehen irgendwie schnell. Ich bin nun vor seiner Tür – der 4.Akt beginnt.

4.Akt: Die Küche


Beim Aussteigen erinnere ich mich plötzlich an den Koffer im Auto. Wann zur Hölle habe ich an den riesigen Reisekoffer gedacht? Ich muss ihn doch aus dem Keller mitgenommen haben. Faszinierend – der Körper und der Kopf laufen im Notmodus. Durch die aufkommende Panik ist das Kurzzeitgedächtnis einfach gelöscht, nach nur wenigen Minuten. Warum? Macht sich der Körper für die kommenden Minuten bereit? Ich klingle, ich warte, er öffnet die Tür, ich gehe wortlos an ihm vorbei und schleife meinen riesigen Koffer hinter mir. Ich gehe an dem Tisch vorbei, an dem wir heute Morgen noch über das Haus gesprochen haben, was wir kaufen wollten. Die Situation ist absurd und unwirklich. Er steht wortlos da, regungslos. Er schaut betreten und traurig, irgendwie verzweifelt. Er überlässt mir wieder die Bühne. Er weiß nicht, was er tun oder sagen soll.


Irgendwie muss ich was machen. Ich fange im Wohnzimmer einfach an. Im Regal sehe ich die ersten Sachen, die mir gehören, einige Spiele, die ich für seine Kinder mitgebracht habe, ausgeliehen habe. Ich öffne einige Schubladen, hole Sachen raus, die ich mitgebracht habe, bei ihm einfach mal deponiert habe. Einige Dekoartikel springen mir ins Auge, ich stelle alle zusammen auf dem Boden an meine Sammelstelle. Ich weiß gar nicht wo er genau ist und was er macht, ich kann mich nun gar nicht mehr erinnern. War er vielleicht nach oben gegangen? Ich kann mich wage erinnern, dass wir zuerst am Tisch sitzen. Am gleichen Tisch, wie heute früh und Mittag, wo alles noch normal schien. Wer fängt an? Im Zweifelsfall ich, ich habe immer angefangen, die Initiative ergriffen.


Was sagst du einem Menschen, der dir gerade dein Leben zerstört hat? Damit auch seins, also unseres? Das Warum? Die quälendste Frage nach dem Warum? Er war sich nicht sicher. Diese Unsicherheit ist das Relevanteste, an was ich mich erinnern kann. Wie lange denn schon? Wann ging es denn los? Beim letzten langen Restaurantbesuch war doch noch alles ok, dazwischen ist doch nichts passiert, nichts was mir bewusst war. Seine Zweifel waren schon länger da. Aha. Ok, warum hat er mich nicht eingeweiht? Doch, hat er doch, wir haben über Probleme und Lösungen gesprochen. Aber die Zweifel blieben. Aber warum, warum den in Gottes Namen, warum suchen wir denn wie die Irren ein Haus seit Monaten und insgesamt schon über zwei Jahren, warum suchen wir denn weiter wenn er nicht mal sicher ist, dass die Beziehung dafür passt? Wie oft habe ich ihn gefragt, wie er sich fühlt? Wie oft habe ich gefragt, wo wir stehen. Es waren keine geschlossenen Fragen. Es war immer eine offene Unterhaltung gewesen, zumindest ein Angebot für eine Unterhaltung. Es sollte ein Dialog gewesen sein. Und ja ich weiß, ich redete mehr als er. Aber ich versuchte, Sachen zu beschreiben und zusammenzufassen und hoffte wenigstens, dass er dem zustimmt oder nicht. Es lief doch in letzter Zeit normal. Er war kein emotionaler Höhenflug, aber auch absolut ereignislos. Was ist denn passiert? Wo habe ich den Anschluss verloren? Was habe ich verpasst?

Kaum Antworten. Weitgehend führe ich wieder einen bitteren schmerzhaften weinenden Monolog. Die Diskussion am Morgen hat ihn zum Nachdenken gebracht. Es wäre bitter, über Prozente zu reden. Er hat sich gewundert, warum er das tut. Er hat sich gewundert, warum sich kein jubelndes Hochgefühl einstellt, wo wir dem Haus doch so nah sind. Er hat sich gewundert, dass er sich nicht freut, ein dunkler Schatten auf dem Ganzen liegt. Was ist nur los mit ihm, dass er mit mir über Geld fast schon feilscht? Das alles ging ihm durch den Kopf. Es fühlte sich nicht richtig an. Wenn die richtigen Gefühle da sind, durfte er diese Überlegungen nicht haben. Und ich habe ihn vor Tatsachen gestellt. Ich habe gesagt, dass wir das so und so machen. So würde er nie mit mir reden. Ja richtig, er würde nichts klar aussprechen und weiter drumherum reden. Ich musste es doch auf den Nenner bringen, wenn wir kurz davor sind, fast eine Million auszugeben, gemeinsam. Er fühlte sich nicht wohl. Seite Wortwahl war wage und schwach. Keine krassen Worte, keine Vorwürfe. Tränen! Tränen von seiner Seite! Ich hatte vorher noch nie einen Mann weinen sehen. Ich kannte das gar nicht. Ich fand das damals nicht schlimm, als wir um unser Baby getrauert haben. Da habe ich ihn das erste Mal weinen sehen. Das war berechtigt. Aber nun? Er hatte doch die Situation herbeigeführt. Er war doch derjenige, der anscheinend die Beziehung beenden wollte, aus dem nichts heraus.


War das nur die heutige Diskussion? War das der Auslöser? Nein, er hatte die Zweifel schon lange. Das ganze letzte Jahr war nicht gut. An Silvester hatten wir uns ja quasi schon gedanklich mit der Trennung beschäftigt. Und heute früh hat er sich an Silvester erinnert gefühlt. WOW – wir waren wie an zwei verschiedenen Orten! Ich habe die Diskussion heute früh als nicht schön empfunden, aber nicht so dramatisch. Ich wollte auch darüber reden, aber nicht in dieser Dimension.


Er hatte vor zwei Wochen die Schilddrüse entfernt bekommen wegen Knoten, die sich als gutartig herausgestellt hatten. Auch das hatten wir zusammen gemeistert. Aber irgendwas ist die letzten zwei Wochen passiert, was er ohne mich für sich verarbeitet hat. Ich hatte das alles überhaupt nicht mitbekommen. Er hat viel Zeit zum Nachdenken gehabt, im Krankenhaus. Hä? Er war doch nur zwei Tage dort! Ich habe für ihn den Koffer gepackt, ihn hingebracht und ihn abgeholt. Was habe ich in der Zwischenzeit verpasst? Ich war so unfassbar glücklich, als ich nach der OP seine Stimme am Telefon gehört habe. Wie schlimm die Stunden seiner OP waren, ohne zu wissen, wie es ihm geht und ob er danach normal reden kann. Was habe ich mir alles ausgemalt, was danach rauskommen kann? Und wenn er die Stimme verliert? Was machen wir dann? Egal, alles egal, Hauptsache zusammen, so können wir doch alles meistern. Was für ein Stein ist mir vom Herzen gefallen, als ich damals seine Stimme hörte.

Aber er hatte die Zeit dafür genutzt, über mich und über uns nachzudenken. Er übersteht diese OP und das ist das erste, was ihn beschäftigt? Gleich nach dem Aufwachen? Noch voll von Betäubungsmitteln? Was ist denn vorgefallen? Keine Streits, nichts was wir verarbeiten mussten. Es fühlte sich wirklich an, als hätte er den Zug genommen und ich bin auf dem Gleis einfach stehen geblieben. Aber irgendwie habe ich auch nicht gemerkt, dass der Zug abgefahren ist. Ich glaube, ich habe nicht mal den Zug wahrgenommen oder den Bahnhof. War ich so blind, so sicher? Ich grabe verzweifelt in der Vergangenheit und suche nach Anzeichen. Nach Anzeichen, die mir das ganze Elend, was über mich nun kommt, hätten andeuten können. Was habe ich übersehen? Wie konnte ich so naiv sein? Und wieder fängt man als Frau an, die Ursachen bei sich zu suchen. Warum?


Er hatte die letzten zwei Wochen seit der OP schon pausenlos über uns nachgedacht. In dieser Zeit, wo ich ihn gepflegt habe, wo ich seine Haare auf einer speziell gebauten Vorrichtung vor der Badewanne gewaschen habe, damit seine Wunde nicht nass wird. Während ich ihn hockend geduscht habe. Während ich für ihn gekocht habe, damit er versorgt ist. Da hatte er nachgedacht. Dann waren Pfingsferien und ich hatte die Kinder, musste ihn also einige Tage allein lassen. Kein Problem, er kam zurecht. Er konnte dann in Ruhe nachdenken. Das Ergebnis bekam ich nun. Mir wird übel, wenn ich an diese letzten Tage denke. Während für mich die Welt in Ordnung war, beendete er innerlich gerade unsere Beziehung. Er kündigte innerlich, ohne mir was zu sagen. Ich bekam nur das Endergebnis. Das, was er entschieden hatte, nun das Beste für ihn ist, für uns sein soll.


Irgendwann mal landen wir in der Küche auf dem Boden. Nein, nicht so wie es klingt. Wir haben uns an diesem Abend nicht ein einziges Mal berührt. Ich dachte, ich ertrage das nicht. Ich zerbreche, wenn er mich nur anfasst. Die Blicke waren schon zu viel. Ich musste mich zusammenhalten. Soviel Nähe konnte ich nicht zulassen. Ich fühlte mich wie betäubt. Ich dachte, ich habe nichts mehr zu verlieren in diesem Moment. Ich schäme mich vor keiner Frage. Ich frage nach der Ehe. Ob er mich denn nicht verstand, überhaupt nicht die Anmerkungen erfasste. Warum er denn einfach nicht verstehen wollte oder doch einfach nicht wollte? Warum? Doch, oh doch - da spürte ich das erste Mal die Genervtheit. Doch, er konnte es nicht überhören, wie ich mich immer als NUR die Freundin bezeichnete. Und dann kam das schmerzhafteste, was er von allen Sätzen sagen konnte. Er erinnerte sich an den letzten Mauritius Urlaub. Die wunderschöne Umgebung, die schöne Stimmung, der perfekte Ort für diesen Antrag. Und er fragte sich verzweifelt und haderte mit sich, warum er sich nicht dazu überwinden konnte. Diese Formulierung – oh man Gott, das erste Mal habe ich verstanden, dass jeglicher Kampf, jegliches Wort, alles umsonst wäre! Er saß hier und entschuldigte sich, dass er nicht genug fühlte. Er sprach es das erste Mail so aus! Meine fünf Prozent - mein Gott, es waren bei mir nur fünf Prozent dieser quälenden Unsicherheit. Und er bestätigte sie! Es wurden 100%! Er fühlte nicht genug, um diese Frage zu stellen. Und wie schlecht er sich dabei fühlte! Wie leid es ihm tat! Wie wichtig ich ihm doch sei. Und es war einfach nicht genug! Ich war nicht genug! Ich kann nicht in Worte fassen, welchen Schmerz ich in diesem Moment empfand. Die Trennung von meinem Exmann war kein Vergleich, da hatte ich mich innerlich schon getrennt, ich war bereit, es gab ja nur Streit. Hier saß nun ein Mann vor mir und weinte und entschuldigte sich, dass er nicht genug für mich empfand. Er war nicht unglücklich mit mir, aber er war auch nicht glücklich genug, um einfach weiterzumachen.

Ehrlich, ganz ehrlich, man kann keinem einen Vorwurf daraus machen, wenn Gefühle sich verändern, wenn sie weniger werden. Das ist eine grausame Wahrheit, die aber ständig passiert. Aber wie kann man denn???? Wie kann man denn seelenruhig mit mir Monat für Monat nach Häusern schauen und so tun als wäre alles in Ordnung???? Wie kann er mir das denn antun? Nach verdammten fast sechs Jahren Beziehung??? Wie kann man überhaupt einem Mitmenschen so etwas antun?? Ich schreie diese Frage heraus, ich weine sie heraus. Wie konnte er mir das antun? Einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen Monat für Monat? Teilweise kamen die Häuser doch von ihm! Er wollte Häuser besichtigen, in denen ich schon gar keinen Sinn sah. Er regelte die Finanzierung. Voller Inbrunst engagierte er Sachverständige, die die Häuser aus der Ferne bewerten sollten. Informierte sich über Kredite, ließ sich beraten, diskutierte mit Fachleuten. Nicht nur ich trieb die Sache voran, das war doch er! WARUM nur? Warum sucht er über ein Jahr voller Zweifel ein Zuhause mit einer Frau und ihren Kindern, wenn er doch im Inneren zweifelt, das ich die Richtige bin? Warum?


Er wollte mir nicht weh tun!!! Was für eine scheiß Antwort eines erwachsenen Mannes von 53 Jahren, der hier weinend auf dem Boden sitzt, nachdem er unsere Welt innerhalb von wenigen Stunden zerstört hat! Er selbst. Er wollte mir nicht weh tun und uns die Chance geben, Probleme anzugehen? Es anzusprechen, daran zu arbeiten, vielleicht sogar professionelle Hilfe zu suchen? Als ich in dieser Nacht über Beziehungen googele und deren Ende, sind die Hauptinhalte vor allem, wie man wieder zueinander findet. Die Leute diskutierten, wie sie Probleme angegangen sind, wenn alles auf dem Tisch lag. Er sieht aber darin gar keinen Sinn! Die Unterhaltung ist gar kein Auftakt für eine Diskussion, wie es weitergeht. Es scheint einfach nur das Ende zu sein, nachdem er seine Bedenken und seine Unsicherheit über seine Gefühle geäußert hat! Kann man sich das vorstellen? Wenn ich das aufschreibe, dann bin ich einfach nur sprachlos! Dieser Mann, den ich als den besten integersten korrektesten Menschen der Welt auf ein Podest gestellt habe. Dieser Mann sitzt hier nun weinend auf dem Boden und vermittelte mir das Ende unser Beziehung – irgendwie, aber nicht so richtig. Vielleicht habe ich wieder hier zu viel reininterpretiert. Er erzählte mir ja nur von seinen sich geänderten Gefühlen und dass er dachte, dass das nicht reicht, nicht reicht für einen Hauskauf, natürlich auch nicht für eine Heirat und auch nicht fürs Weitermachen. Aber auch ohne den kleinsten Versuch zu unternehmen, irgendwas an unsere Beziehung zu ändern. Nicht den kleinsten. Nach sechs Jahren gemeinsam, davon fünf Jahren ohne Probleme und einem schwierigen Jahr mit Herausforderungen. Nichts.

Wie fühlt es sich an, wenn der Kopf nicht begreifen will, was rein akustisch geäußert wurde? Das Herz spürt es, das Herz blutet. Ich sitze weinend auf dem Küchenboden neben dem genauso weinenden schluchzenden Mann, der nicht genug Gefühle hat, um weiterzumachen, genug Gefühle hat, um bitterlich zu weinen, nicht genug Gefühle, das alles auf den Tisch zu bringen, während noch irgendwas zu retten war. Was machst du dann? Ich verspürte wieder Übelkeit. Welch faszinierenden Reaktionen eines Körpers. Warum Übelkeit? Eigentlich ist die Übelkeit ein Schutzreflex des Körpers, um sich von schädlichen Inhalten zu befreien. Mein Körper wollte das Gehörte herausbrechen. Was für eine schlimme Empfindung. Wie sehr doch Körper und Geist – und auch noch das Herz, zusammenhängen, einander so intensiv beeinflussen. Zudem verspüre ich Eckel. Ebenfalls ein überraschendes Gefühl. Ich verspüre Eckel, ihm gegenüber! Er zerstört gerade unsere Lebenspläne und sitzt auf dem Boden uns weint. Warum? Er ist doch schuld! Er hat doch gerade alles in der Hand. Warum die Tränen? Es könnte doch auch ein konstruktives Gespräch sein über seine Bedenken. Ein Gespräch, wie unsere Beziehung weitergehen soll, verändert, verbessert. Dafür ist er zu schwach! Er hat noch nie im Leben um irgendwas gekämpft! Nicht um seine Kinder und damit ganz sicher auch nicht um unsere Beziehung. Er ist schwach! Ich verspüre Abneigung! Das ist ein gutes Gefühl. Ein Gefühl, was zielführend ist. Es wird mir helfen. Ich halte an diesem Gefühl fest. Ich stehe auf und verlasse die Küche, verlasse ihn.


Es ist schon Nacht, kurz vor Mitternacht. Ich nehme eine Schlaftablette, sie wirkt. Ein wolliges warmes Scheiß-egal-Gefühl stellte sich ein, eine Schlaftrunkenheit. Ich gehe ins Bad, um mich bettfertig zu machen. Ich nehme meine Kosmetikartikel aus dem Schrank und sammele sie auf dem Boden an einer Sammelstelle meines Lebens bei ihm. So viele Dinge, die über die letzten Jahre zusammenkamen. Ich weiß gar nicht, wo noch was steht. Ich war überall, in diesem Haus, in seinem Leben. Aber heute ist der Tag gelaufen. Noch mehr kann ich nicht ertragen. Ich wanke ins Schlafzimmer, in mein Bett, gottseidank hatten wir das Konstrukt als Normalität. Nur ist es das erste Mal, dass er mich nicht „ins Bett bringt“. Es war unser Ritual. Ich ging eh immer früher ins Bett als er. Und er kam immer an mein Bett und sagte mir gute Nacht, gab mir ein Gute Nacht Kuss, insgesamt drei, und ging in sein Bett oder zurück aufs Sofa. Heute kann ich nur noch die Tür hinter mir schließen. Ich schlafe dank der Pharmaindustrie sofort ein.

Leider nicht sehr lange. Um drei Uhr nachts ist die Nacht vorbei. Die Gedanken kommen wieder - mit voller Wucht! Ich gehe auf die Toilette und erschrecke mich vor den Sachen, die auf dem Boden stehen. Das ist ja mein vorbereiteter Vorrat, alles gut. Den Rest der Nacht versuche ich einzuschlafen. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelang. Aber egal, ich muss mich eh für den nächsten Tag krank melden auf der Arbeit in meinem Zustand. Irgendwie werde ich die Nacht schon überstehen.


Ich schreibe an meinen Exmann, dass ich nun getrennt bin und dass ich morgen die Kinderklamotten vorbeibringen müsste, die ich hier gelagert habe, als Vorrat. Ich sage das gemeinsame Grillen mit meinen Mädels bei ihm in zwei Wochen ab. Ich schreibe ihnen nur kurz, dass wir uns getrennt haben. Ich habe zu mehr weder Lust noch Kraft. Ich schriebe an meinen Exfreund, Viech genannt, von vor über 20 Jahren, dass ich ihn brauche. Wir sind inzwischen sehr gut befreundet und ich war noch vor einigen Monaten viel für ihn da, als seine Ehe zu scheitern drohte. Er schreibt sofort zurück, was er machen kann. Es ist schon morgens. So lieb von ihm. Es ist so schön, Menschen zu haben, denen du was bedeutest! Wenn du zerfällst, dann sind sie da! Sie sammeln dich wieder auf! Allein der Gedanke hilft schon! Ich werde mich später melden. Was ausmachen.


Irgendwie schaffte ich es noch bis sieben im Bett zu bleiben und mache mich dann bereit für den nächsten aufregenden Tag in meinem und den letzten in „unserem“ Leben bereit.

Tag 2 - Montag


1.Akt: Der Morgen danach


Der Morgen begann für mich um sieben Uhr. Wach war ich sowieso schon fast durchgehend. Dann konnte ich auch loslegen. Meine Mutter schickte mir ein Bild. Oh oh oh, mein Sohn hatte einen Zahn verloren, gleich nach dem Frühstück! Oh wie süß, eine kleine Zahnlücke. Das muss ich ihm gleich erzählen! Wem? Ihm? Warum? Er hatte sich von uns abgewandt. Unser Leben war nun unser Leben und das waren nun meine Erlebnisse und Gefühle. Das ging ihn nun gar nichts mehr an. Einfach weitermachen. Nächster Punkt.


Zuerst frühstücken. Er schläft noch. Ich frühstückte oft bei ihm alleine, da ich einfach ein Frühaufsteher bin und einen dynamischen Morgenstart bevorzuge. Ich setzte mich aber immer zu ihm, wenn er runterkam und trank meinen Kaffee mit ihm. Es störte mich überhaupt nicht. Eine Andere würde sich vielleicht allein fühlen, unwohl, wie unpartnerschaftlich, wie unromantisch. Ich glaube am Anfang hatte er immer versucht, früher aufzustehen, sich zu mir zu setzen. Aber wofür? Mir war es wichtiger, dass jeder von uns er selbst sein konnte, ohne sich für den anderen zu verbiegen. Denn auf Dauer geht sowas nie gut, wenn man solche grundlegenden Eigenschaften oder Gewohnheiten für den Partner ändert. Wir sind erwachsen und erfahren genug, um zu wissen, was uns ausmacht, was uns wichtig ist. Und das war einfach ich – dynamischer Morgenstart! Er die Eule, der Nachtmensch. Völlig ok für mich. Wäre es mehr Nähe, wären wir gleich? Ja, natürlich! Aber hatten wir auch so genug Nähe? Aus meiner Sicht ja. Da nimmt man sich vor, den anderen nicht zu ändern. Und das ist der Preis! Toll! Hat ganz toll geklappt!


Diesmal bleibe ich allein. Ich bin ruhig. Wie die Ruhe nach dem Sturm, aber auch vor dem Sturm. Überraschend ruhig. Ich führe alle Vorgänge das letzte Mal durch. Ich mache es bewusst, wie als Abschied von all den Gegenständen, die mich fast sechs Jahre begleitet haben hier. Das letzte Mal mache ich die Spülmaschine an, seine Spülmaschine. Ich will ein bestimmtes Schüsselchen von mir mitnehmen. Wie lächerlich. Auf welche Details man plötzlich achtet. Warum? Ist es wieder ein Schutzmechanismus des Körpers, um von großen elendigen Details abzulenken? Ich weiß es nicht. Das gemeinsame Intermezzo am Morgen ist recht kurz. Guten Morgen – guten Morgen. Er fährt zum Arzt, um sich weiter krankmelden zu lassen nach seiner Schilddrüsen-OP. Und nun hat er ja noch mehr Gründe, so kann er auch in Ruhe die Wunden lecken. Er geht weg. Ich bin allein, das letzte Mal in meinem seinen Haus. Meinem zweiten Zuhause! Ich habe ihn ja nur wenige Monate nach dem Auszug aus meinem Exhaus kennengelernt, lieben gelernt. Ich habe auch sein Zuhause geliebt.


Ich sage aber auch bewusst zuhause, wie er es für sich eingerichtet hatte, nicht einfach Haus. Dieser Duft, der in der Luft lag, wenn ich das Haus betrat! Es war so berauschend. Eine Kombination aus Haus und ihm. So warm und gemütlich. Wie habe ich dieses Zuhause geliebt. Mich geborgen gefühlt in dieser Atmosphäre ab Tag eins. Ich hätte das nicht für möglich gehalten, sich mit einem neuen fremden Menschen so zu fühlen. Wie schnell wurde alles so vertraut. Ich blicke mich um. Es ist nun einfach eine Hülle. Ich sehe nur die Regale, in denen meine Sachen stehen. Wir ein Roboter hole ich diese raus. Dekogegenstände, die er sicher nicht vermissen wird, die ich gebastelt hatte.

Aber vor allem natürlich meine eigene Kleidung. Ich habe ja hier gelebt, meinen zweiten Haushalt gehabt. Ich hatte so unfassbar viele Klamotten bei ihm. Aber insbesondere die Kinderklamotten machen mir nun Probleme. Alles, was ich auf Vorrat für meine Kinder gekauft hatte auf Basaren, alles liegt hier. Wir hatten bei ihm Platz ohne Ende, ich konnte mich breit machen. Das war ihm völlig egal, und ich hatte eine Beschäftigung mit dem Sortieren und Organisieren. Ich weiß, dass es ein ganzes Auto voll von Kinderklamotten sein wird. Ich weiß gar nicht wohin damit, ich habe nur eine übersichtliche normal große Wohnung. Vor seiner Existenz, da lag alles bei meinem Exmann in dem großen ehemaligen gemeinsamen Kleiderschrank. Der stand dann ja leer nach meinem Auszug. Also machte ich dort mich mit den Vorräten unserer Kinder breit. Jetzt stehe ich vor der gleichen Option, die relativ alternativlos ist. Über zehn große Kisten packe ich voll. Da sind auch zu kleine Sachen der Kinder dabei, die ich verkaufen wollte. Bisschen ärgere ich mich, dass ich alles alleine schleppen darf. Wo bleibt er? Er ist schon drei Stunden weg. Ich denke, er ist zu seinem besten Freund gefahren, um sich auszusprechen. Ich bin mir sicher, dass er nicht auf den Austausch mit mir scharf ist. Zu feige! Und er will sicherlich nicht meinen Auszug weiter anschauen. Soll er doch! Die Geister, die er rief, soll er ruhig anschauen. Aber er ist noch nicht da. Ich schleppe die Kisten selbst ins Auto, bin nicht aus Zucker. Das macht mich eh für das weitere Leben alleine bereit, härtet ab.


Bei der letzten Kiste kommt er an. Tolles Timing! Er hat beim Arzt solange gewartet, aha.  Und was hat der Arzt gesagt? Krankmeldung für eine weitere Woche ok, Schilddrüsenwerte zu niedrig wohl im Blut, aber würde noch weiter abwarten. Eine winzig kleine, wirklich kleine Hoffnung keimte damals noch in mir auf, dass der Arzt was anderes sagen würde. Dass der Arzt ihm dramatisch eröffnen würde, dass die Schilddrüsenhormone überhaupt nicht ausreichen und dringend erhöht werden müssen. Die letzten zwei Wochen nach der OP hätte er mit einer starken Unterfunktion gelebt, die ganz viele Nebenwirkungen hatte, unter anderem: Depressionen! Und zwar akute! Und der Arzt hätte gesagt, dass er hoffe, dass mein Partner in der Zeit doch keine wichtigen Entscheidungen getroffen hatte, die letzten zwei Wochen. Da er eigentlich emotional nicht zurechnungsfähig wäre. Wie krass wäre das denn gewesen! Das ganze Drama nur wegen fehlender Hormone! So gehts mir vor jeder Periode. Da bin ich auch nahezu nicht zurechnungsfähig! Das kenn ich doch, den Zustand. Wir haben schon Witze darüber gemeinsam gerissen. Jetzt wäre er auch in einer solchen Lage.


Aber nein, der Wert ist nicht dramatisch niedrig. Der Arzt erzählte nichts von Depressionen. Und die Hormone sollten erst in mehreren Wochen durch die Uniklinik angepasst werden. Erstmal alles einfach beobachten und warten. Warten konnte er. Ich nicht mehr. Ich verabschiede mich für einige Stunden, und kündige an, dass ich nochmal zurückkommen muss für meine restlichen Sachen. Ich fahre weg.

2.Akt: Der Exmann


Ich habe mit meinem Exmann ausgemacht, dass der Vorrat an Kinderklamotten wieder zu ihm kommt. Ich habe keine andere Alternative, auch wenn er kein Bock darauf hat, dass ich „ihm wieder alles zustelle“. Er hat sonst nie Hemmungen, mich durch und durch für alles zu kritisieren. Aber in solchen Zeiten, wo ich eh am Boden liege, da tritt er nicht noch nach. Hat er noch nie. Er ist dann wirklich bemüht, für mich da zu sein! Ich komme rein – und heule zur Abwechslung wieder los. Ich bin ja schon mindestens fünfzehn Minuten trocken gewesen, das reicht. Ich drücke ihn. Ich drücke ihn sehr fest und halte ihn fest. Die Erinnerung an damals kommt zurück. Vor sieben Jahren tat ich das gleiche, ich drückte ihn und heulte, wegen ihm, und ging, verließ das Haus, zog aus. Jetzt war ich wieder da! Was für ein Schicksal doch es alles ist. Er ist nun für mich da, mein Exmann, und tröstet mich über meinen Ex-Traummann hinweg, wie absurd ist das denn? Was für eine merkwürdige überflüssige Situation.

Er beschwert sich über die Kisten, spielerisch. Er tastet sich langsam vor, wie weit er gerade gehen kann. Es sieht bei mir gerade nach nicht sehr weit aus. Ich heule alle paar Minuten, eigentlich fast durchgehend. Ich frage mich wirklich, ob man irgendwann mal austrocknen kann? Oder werden diese Dreckstränen unaufhörlich nachgebildet? Er hatte recht, muss ich ihm eingestehen. Er hat schon vor einigen Wochen gefragt, ob alles gut zwischen mir und meinem Partner sei. Klar, war meine Antwort, warum nicht. Er frotzelte auch gerne herum, wenn ich wieder von einem Haus erzählt habe, was wir nicht genommen hatten. „Ey wirklich, er will doch einfach kein Haus mit dir kaufen. Da passt doch was nicht!“, war sein Lieblingsspruch. Blödsinn! Ich ignorierte das. Das war ja nicht das einzige Thema, um mich zu ärgern, es gab für ihn so viele. Ich erzähle die ganze Story, was alles in den letzten zwölf Stunden geschah, heule und erzähle weiter. Es ist irgendwie hilfreich. Er kennt mich sehr gut! Er hat mich mal sehr geliebt. So sehr, dass er mich um meine Hand bat, dass er Kinder mit mir haben wollte, dass er ein Haus mit mir gekauft hat. Es war genug für viele Jahre. Leider irgendwann dann doch nicht mehr. Er hat sich sehr verändert, dass in mir für ihn nichts mehr übrig blieb. Außer einer gewissen Vertrautheit, einer Restwärme wie bei einem Kamin. Darauf konnte man aufbauen. So gerne hätte ich ihn als Freund gehabt, als guten Freund, Gesprächspartner, nicht nur Vater unserer Kinder. Wie schön wäre das denn? Es war leider nicht möglich. Dafür waren wir zu weit voneinander entfernt. Aber in solchen Momenten war er für mich da, hielt meine Hand. Mehr konnte ich nicht erwarten. In einigen Tagen spätestens würden wir wieder über das nächste Thema streiten. So ist es halt zwischen uns.

Ich schaffe es sogar, ein Stück Brot mit irgendwas bei ihm zu kauen. Aber nicht ohne es vorher ein paar Minuten anzustarren. Ob ich wenigstens das Glück haben würde, in diesem Elend einbisschen abzunehmen? Wahrscheinlich nicht. Wir packen das Auto aus, verteilen die Kartons in meinem Exhaus, in meinem Exschrank und ich fahre davon, zurück in die Hölle.

3.Akt: Die letzte Kiste 


Als ich bei ihm zurück bin, beim ihm, den Verursacher meines Leids, fällt es mir besonders schwer, aus dem Auto zu steigen. Die Füße fühlen sich so bleischwer an. Ich würde keine Überraschung von ihm bekommen, vor was habe ich Angst? Ich weiß einfach, dass es das Ende ist. Ich will an diesem Ende alles ganz bewusst machen. Ich mache was ganz Verrücktes. Ich hebe die Hände über meinen Kopf und richtete mein Krönchen und sagte es auch laut vor mich hin „Krönchen richten, weitermachen!“ Ich bin stolz auf mich! So eine bewusste Geste kann doch so viel Kraft geben, unglaublich! Ich klingele – das letzte Mal. Ich presste sogar ein Hallo raus, er auch, ich gehe an ihm vorbei. Er sieht so alt, krank und erschöpft aus! Oh je, wo ist der hübsche blauäugige Schelm, den ich geliebt habe? Wo ist dieser allerliebste Mensch der Welt, der mich auf Händen trug? Wann habe ich den Fall aus seinen Händen zu Boden verpasst? Ich weiß es nicht.

Wir verbringen knappe zwei Stunden im Haus. Nicht wirklich nebeneinander, da er meist das Zimmer wechselt, wenn ich meine Sachen ausräume. Die meiste Zeit verbringe ich in „meinem“ Zimmer mit den Kleiderschränken. Ich fülle nach und nach meine Koffer und unzählige riesige Tüten. Die Kleiderflut will nicht enden. Wieviel hatte ich die letzten Monate und Jahre nur zusammengekauft! So nach und nach komme ich zu dem Entschluss, dass es Frustkäufe waren. Wollte ich mir damit was ersetzen? Wohl ja. Ich hatte das nie so gesehen, warum denn auch. Ich hatte einfach zwei Haushalte und musste in beiden zurechtkommen mit der Kleidung.


Ich habe eine Eingebung. Das darf ich nicht vergessen. Das nächste emotionale Highlight – sein Hausschlüssel. Sauberer Cut beinhaltet alles, auch Kleinigkeiten. Es war eine symbolische Kleinigkeit mit richtig großer Tragweite. Er steht im Flur. Ich gehe auf ihn zu. Er schaut irritiert, als ob er gleich einen Schlag bekommen würde. Ich nehme seine offene Hand und lege den Schlüssel in die Handfläche und schließe die Hand. „Zum Herzen“, das waren auch die Worte damals, als ich ihm meinen Schlüssel gab. Er atmet betroffen aus, schnaubt, klingt wie ein verletztes Tier. Aber kein Tier verletzt sich selbst bewusst, das wäre dumm. Er ist der Mensch, der diese Situation bewusst herbeigeführt hat. Es soll sie ruhig spüren! Ich gehe wieder packen.


Dann kommt die „Übergabe“, wie ich das für mich nenne. Ich bitte ihn mitzukommen in mein Zimmer. Ich zeige ihm die leeren Schränke, erkläre die übriggebliebenen Sachen, ob seine oder meine. Ein großer Haufen steht noch neben meinem Bett, größere Elemente, Schränkchen, Kisten. Ich brauche diese nicht dringend und habe auch erstmal keine Ahnung, wohin mit den Sachen. Zwar will ich den sauberen Abschluss, bin aber nach dem Tag einfach überfordert und müde. Ich kann langsam nicht mehr. Ich erkläre ihm, dass dieser eine Haufen noch aus meinen Sachen besteht, und dass ich das extra alles zusammen gestellt habe. So muss ich die Sachen auch nicht selbst abholen, sondern kann meinen Bruder oder meinen Exmann vorbeischicken, um selbst den erneuten Kontakt zu vermeiden. Es ist ihm natürlich alles recht. Er fühlt sich so unendlich fremd an, wie er so dasteht. In diesem Haus, in dem wir so glücklich gewesen sind. Ich kann mir diesen Kommentar nicht verkneifen. „Ich bin so froh, dass du in letzter Zeit fast gar nicht bei mir gewesen bist. Ich habe nur eine winzige Tüte Kleidung von dir. Aber hier, in deinem Haus, hier wird jede Ecke nach mir schreien, überall wird mein Einfluss, meine Hand zu erkennen sein.“ Er atmet wieder dramatisch aus. Stimmt mir zu. Was sollte er auch anders machen.

Ich stehe mit meiner letzten gepackten Tasche vor der Tür und schaue ihn an. „Hast du gedacht, dass wir heute hier stehen und es so endet?“ – will ich wissen. „War das dein Plan?“. Nein, so hatte sich sich das nicht vorgestellt. Die Ereignisse der letzten Stunden haben ihn vollkommen überrannt. Er wollte doch erstmal nur darüber sprechen, dass er sich schlecht fühlte. Er wollte vielleicht eine Pause vorschlagen. Eigentlich wusste er gar nicht, was er wollte und wie es nun weitergehen sollte. Er musste einfach seine Gefühlwelt mit mir teilen, leider in dieser groben und aggregierten Form statt der Gespräche über Gefühle in den letzten Monaten. Ich stehe nun einfach vor dem gebrochenen Traum einer gemeinsamen Zukunft. „Du kennst mich doch! Du hast doch nicht wirklich erwartet, dass ich nach dieser Ankündigung für einige Tage oder Wochen verschwinde, wiederkomme und dann die Diskussionen weitergehen? Dass ich abwarte, ob du dann Mut genug haben wirst, sich von mir zu trennen? Oder ob es so weitergehen soll wie bei deiner Ex? On off, wieder versuchen, leider wieder gehen?“. Er schüttelt den Kopf, er wusste gar nichts. Mir wurde wieder übel, körperlich übel. Muss wohl wieder eine Schutzfunktion des Körpers sein. So viel negative Energie, so viel Leid, wie ich verspüre, es ist zu viel. Es muss raus. Daher die Übelkeit. Der Körper will sich dieser Belastung entledigen. Mein armer Körper. Was wird er in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten noch ertragen müssen! Er tut mir leid.


Ich sehe aber meine Entscheidung so klar und richtig wie noch nie. Dieser saubere Schnitt war für mich seit dem Telefonat der einzige mögliche Schritt. Ich bin selbst gerade noch von dieser Sicherheit überwältigt, wie ich das so durchziehen kann. Ich muss gestehen, ich bin noch in dem Prozess des Verstehens, wie das gehen konnte. Ich bin einfach zu verletzt. Ich bin und war so sehr verletzt, dass mir wieder übel wurde bei dem Gedanken, wie er mir diese Zweifel präsentiert hat gestern. Nach so langer Zeit mich so fallen zu lassen. Mit keinem Wort, keinem Satz, kein einziger Versuch, es wieder irgendwie hinzukriegen. Kein Vorschlag, sich professionelle Hilfe zu holen. Kein Austausch, keine Diskussionen. Einfach nur Ende. Aber das hatte er ja gar nicht ausgesprochen. Von ihm kam nur die Darstellung seiner Gefühle, sein Weinen, seine Verzweiflung – das Ziehen der Konsequenzen hat er wieder mir überlassen! Wie grob, wie dreist, wie unmenschlich! Wie kann mir dieser Mensch das einfach nur antun? Wie konnte ich mich nur so in ihm geirrt haben?

Es erinnerte mich schockierenderweise an etwas. Etwas was er mir erzählt hatte vor langer langer Zeit. Sein letzter Abgang bei der letzten Beziehung. Es klang nun so wie ein blueprint von meinem eigenen Beziehungsende mit ihm. Unglaublich! Diese Frau damals hatte ihn so oft verletzt, seine Gefühle und Wünsche ignoriert, ihn so schlecht behandelt, ihm die Kinder jahrelang vorenthalten, ihn schikaniert. Aber plötzlich dachte ich – wusste sie das überhaupt, was er wollte und fühlte? Wusste sie von deren Problemen? Hatte sie die Chance gehabt, an diesen Problemen zu arbeiten? War ihr das alles bewusst, was ihn bewegte? ODER. Oder - war das nun wie bei mir? War sie auch aus allen Wolken gefallen, als er ging? So überrascht und hilflos wie ich? Er hatte nie ein gutes Haar an ihr gelassen und sie hat ihm auch wirklich genug mit den Kindern angetan in den darauffolgenden Jahren. Aber konnte man ihr das übel nehmen? Er hatte sie mit dem letzten Aufbäumen seiner Kräfte verlassen, als er absolut nicht mehr konnte. Er lag schon psychisch und physisch am Boden, und konnte nur noch wegkriechen. Er hat sie mit einem Baby in der Krippe verlassen. Sein Sohn war gerademal fünf Monate alt. Seine kleine Tochter war keine vier Jahre alt. Und er konnte einfach so gehen? Er musste seiner Darstellung nach gehen, weil er komplett eingegangen wäre. Aber wie lange hatte er denn davor die Chance dazu? Hatte er denn wirklich versucht, was zu ändern mit ihr? Hatte er irgendwas konstruktives rechtzeitig vorgeschlagen? Hätte er denn wenigstens nicht die Intimität mit ihr einstellen können, wenn er doch so unglücklich war? Und einfach noch früher gehen, bevor die Kinder kamen, bevor das Schicksal seinen Lauf nahm?


Oder war das ganz einfach genauso wie mit mir jetzt? Aus dem heiteren Himmel sitzengelassen. Ich hatte kein Baby, das hatten wir ja noch rechtzeitig entfernt. Wir hatten kein gemeinsames Haus, ganz knapp verpasst. Da muss man doch die allerletzte Gelegenheit einer Ausfahrt noch nutzten. Fast war das Haus gekauft, und wir wären naja fast auf immer und ewig aneinander gebunden! Es war schleunigste Zeit zu gehen, statt sich noch tiefer zu verstricken. Daher das letzte aber auch das erste schmerzhafte Aufbäumen und Gehen. Wie schwach ist das denn? Wie schwach war er denn nur? Solange das Ganze schweigend hinzunehmen, und dann einfach alles hinschmeißen, einfach optionslos und endgültig?

In meinem ganzen Leben hat mich keiner so verletzt wie er in den letzten 24 Stunden. Ich hatte ihm gesagt, dass ich nicht an dem verletzten Bein herumdoktern würde. Die einzige Alternative für mich war die komplette Amputation – und dann konnte ich mich voll auf das Leben mit der Prothese konzentrieren. Ich musste gehen, sofort und vollständig. Es war die Kombination aus verschiedensten Gefühlen. Der Schmerz über diese Behandlung, die ich nicht von meinem schlimmsten Feind erwartet hätte. Der komplette und vollständige Vertrauensbruch, den ich von diesem einen Menschen im Leben nicht erwartet hätte, nicht in 1000 Jahren. Der Stolz! Wie konnte er mich so sitzen lassen! Was dachte er sich nur dabei? Gab es eine Bessere? Irgendwo, irgendwann? Im Leben nicht! Aber der Stolz war mein kleinstes Problem. Ich habe gespürt, dass es für mich die einzige Lösung war, mit der Situation umgehen zu können. Gestern haben wir gemeinsam noch das Haus geplant, heute stand ich vor den Trümmern unserer Beziehung – in nur 24 Stunden waren wir dort angekommen. Ich bin – im Gegensatz zu ihm – nicht in den letzten Monaten dorthin gereift. Ich bin eiskalt getroffen worden. Der Unterschied zwischen der greifbaren gemeinsamen Zukunft und diesem Moment jetzt war so groß, dass mein Körper gerade einfach nur alles verdrängen und hinter sich lassen wollte. Ich stand wohl unter Schock.


Seit mehreren Monaten, seit es mühsamer wurde zwischen uns, habe ich als größten Wunsch einfach die Gewissheit gewollt, wo ich dran bin. Das Haus, die Ehe, das wäre alles dieses Commitment gewesen, was ich so dringend gebraucht habe. Das Schlussmachen, der Auszug – das war das andere Ende der Fahnenstange, aber denen gemeinsam war die Sicherheit. Das erste Mal nach langer Zeit lag die Entscheidungskraft wieder bei mir! Ich musste nicht mehr warten. Ich würde mich keinen einzigen verdammten Tag mehr auf das Warten auf ihn einlassen. Das erste Mal verspürte ich Hass! Wie konnte nur ein Mensch, der dich liebte, nur leider jetzt nicht genug, aber ja doch, und irgendwie nicht, wie konnte dieser Mensch, der dein ein und alles war, dir aus der nächsten Entfernung einen Dolch in die Brust stoßen! Wie konnte ich mich in diesem Menschen so täuschen?


Ich konnte ihn in diesen 24h nicht berühren, ihn kaum ansehen. Aber bevor ich gehe, muss ich das nochmal machen – ich kann dann ja gleich zuhause zusammenbrechen, nur nicht vor ihm. Wir halten uns lange fest, im Flur stehend, fest verschlungen. Wir stehen, wir schluchzen. Er drückt mich so unfassbar fest, ich fühle, es ist der Abschied. So drückt man einen Menschen, von dem man nicht mehr davon ausgeht, ihn zu sehen, ihn nochmal im Arm zu halten. Ich küsse ihn das allerletzte Mal auf den Mund. Ich lasse los. Ich gehe zum Auto. Ich bestimme nun die letzten Takte unserer Beziehung.

Wir haben aber noch einen Akt des Dramas vor uns. Ich will einfach alles für längere Zeit abschließen. Es passt nicht alles in mein Auto. Ich muss zwar sowieso noch Sachen bei ihm lassen, die ich in nächster Zeit nicht brauche und für die ich keinen Platz habe.  Aber er hat meinem Sohn Lego ausgeliehen, was sehr groß ist und ich will nicht, dass er bei mir in der kleinen Wohnung für die nächsten Wochen und Monate herumsteht. Er will es uns schenken. Nein. Ich will es nicht behalten, ich will nichts von ihm behalten! Ich muss mich also überwinden, ihn um Hilfe bitten. Er packt auch sein Auto, wir fahren gemeinsam los zu meiner Wohnung.

4.Akt: Der Abschied


Wir kommen fast gleichzeitig bei mir vor dem Haus an. Unterwegs habe ich mir noch Gedanken gemacht, wie er in dieser Verfassung überhaupt fahren kann. Er fühlt sich ja so schlecht, mindestens so schlimm wie ich. Aber wir haben es geschafft. Ich habe meine Mutter von unterwegs angerufen, und gesagt, sie soll runterkommen. Ich hatte die ganze Zeit überlegt, wie ich das am besten mache, meine Familie so gut es geht schütze. Aber kurz davor hatte ich irgendwie keine Lust, IHN vor der Konfrontation zu schützen. Und da ich meiner Tochter eh nichts mehr verheimlichen konnte, habe ich es darauf angelegt.


Ich parke, sie kommen sofort beide raus, meine Mutter und meine Tochter. Meine Tochter weiß wohl noch wirklich von nichts, da ich meiner Mutter bis zuletzt nicht sagen konnte, wie ich das Auspacken machen würde. Sie kommt zum Auto. „Mama, du klangs so krank am Telefon, bist du krank?“, fragt sie naiv. Sofort heule ich los! Verdammte Scheiße, aber wirklich. Keine Sekunde sich zusammenreißen zu können, wie anstrengend ist das denn! Wir schwach bin ich denn. „Schatz, ich bin auch irgendwie krank, weißt du“, presse ich irgendwie hervor. Der Kofferraum geht auf. „Mama, was ist das alles?“, frage sie verblüfft. Das Auto ist bis zur Decke voll. „Klarabär, ich muss dir was sagen. Mein Freund und ich sind nicht mehr zusammen und ich habe meine Sachen bei ihm gepackt.“ Sie schaut mich verständnislos an. Ein intelligentes „Hä?“ entringt sich ihr. „Wie meinst du das? Warum denn?“. In diesem Moment steigt er aus seinem Auto aus und kommt mit den ersten Kisten näher. Normalerweise läuft sie sofort zu ihm und hängt sich um seine Hüfte. Heute nicht. Intuitiv merkt sie, dass das nun nicht angebracht ist. „Das kann ich dir leider nicht sagen, Baby. Ich weiß es nicht. Irgendwie liebt er mich nicht mehr so.“ Er stellt schweigend die Kiste ab und geht zurück zum Auto.

Wie ein geschlagener Hund schaut er zu Boden und sagt nichts. Meine Mutter und meine Tochter sagen auch nichts. Sie tragen stumm eine Kiste nach der anderen hoch. Der Hund schießt raus und springt an seinem Bein hoch und will ihn begrüßen. Der Kleine erfasst die Situation nicht so schnell wie meine Tochter. Er wird einfach ignoriert. Einen kleinen Zwergspitz mit vier Kilo kann man leicht ignorieren, er tut nicht viel. Aber auch von ihm war er der „Papa“ gewesen, meine Güte stimmt! Wir hatten Puschel damals vor über zwei Jahren gemeinsam abgeholt bei der Züchterin, da war er gerade vier Monate alt, ein Babywelpe. Aber es war ja mein Hund für meinen Haushalt. Er konnte sich leider nie für ihn erwärmen. Da war er wenigsten transparent, wenigstens etwas. Seine fehlende Liebe zu Tieren war kein Geheimnis. Er war von ihm nicht begeistert, aber er hatte auch nicht mit mir diskutiert und versucht, mich von der Idee abzubringen, trotz der Aussicht, auch mal mit dem Hund sein zukünftiges Haus teilen zu müssen. Oder wusste er schon damals, wie es mal endet? Nein, damals nicht, bestimmt nicht. Er konnte einfach nichts mit ihm anfangen. Wollte so wenig wie möglich ihn anfassen, ekelte sich gewissermaßen vor ihm. Das störte mich nicht weiter. Klar wäre ein bisschen mehr Gefühl schön, aber was solls. Er sollte ja auch nicht ihn heiraten. Das Zusammenleben würden wir schon hinbekommen, da war ich zuversichtlich wie bei allen anderen Dingen, die das Haus betrafen.


Der Hund wird von meiner Mutter wie ein Paket weggetragen. Keiner spricht weiterhin nur ein Wort. Ich gebe nur hier und da Anweisungen, was Oma und Tochter nach oben tragen können. Das Ende ist nah. Die Autos sind leer. „Klarabär, er fährt nun. Wenn du ihm noch was sagen möchtest, kannst du es jetzt machen. Oder wenn du einfach nur Tschüss sagen willst?“ Sie geht wortlos und sehr stolz mit erhobenem Haupt an ihm vorbei ins Haus – mit ihren knapp neun Jahren. Sie hat es jetzt schon drauf, ihr Krönchen zu richten. Meine Mutter tut das gleiche. Ich stehe am Auto. Es ist alles durch. Er kann fahren. Er schaut noch einmal kurz zu mir. Ich schaue an ihm vorbei, wartend, dass der unsäglich elendige Moment einfach vorbeigeht. Ich glaube, er macht noch eine merkwürdige Bewegung. Will er mich hier auf der Straße umarmen? Ganz sicher nicht, wir haben uns schon verabschiedet. Mehr kann und will ich nicht. Mehr würde ich definitiv an einem Tag nicht mehr ertragen können. Er steigt ein und fährt einfach davon. Das Ende.


Ich schleppe die letzten Kisten ins Haus. Wir kommen alle zusammen durch die Tür. Ich habe Angst vor den Reaktionen. Vor der Reaktion meiner Tochter. Ich will gute Stimmung machen. „Aber Klara, weißt du denn, mit wem ich mich nun wieder gut verstehe?“, fange ich an. Sie schaut mich misstrauisch an. „Mit Papa?“. Wie kommt sie nur drauf? Kluges Kind. „Ja! Ich war heute bei ihm Kaffeetrinken, er hat mir geholfen, mit mir geredet.“ „Ziehst du nun wieder zum Papa?“, kommt es plötzlich aus ihr geschossen. Hä? Wo bin ich denn jetzt gelandet. „Nein, natürlich nicht. Aber wir haben uns wieder versöhnt! Das ist doch schön?“ Am Tag davor hatten wir einen kleinen, nennen wir es mal Wasserdisput. Es war ja schon ok, nass gespritzt zu werden, ich bin ja nicht aus Zucker. Aber irgendwann mal wurde es zu viel. Er verstand es wiedermal nicht. Es gab Ärger. Aber jetzt lief es ja wieder. Wir haben uns ausgesprochen, aber es war ja eh keine große Sache. Die „Sache“, die nun lief, war größer und schlimmer.

5.Akt: Die Kinder


Welche Angst hatte ich nur davor, was ich den Kindern sagen soll! Ich kann es gar nicht in Worte fassen! Mein Leid war noch so frisch! Ich konnte es nicht vermeiden, dass sie es sehen. Wohin sollte ich denn auch weg? Und wie hätte ich weg können, sie waren doch jetzt mein ein und alles. Alles, was mir jetzt übrig blieb. Zuerst dachte ich, dass ich versuchen würde, sie da einfach rauszuhalten. Ich würde das Thema Haus nicht mehr erwähnen. Sie würden irgendwann mal nachfragen, ich würde einfach sagen, war wieder nichts – das hatte ich doch so oft die letzten Male schon gemacht. Auch ihre Enttäuschung ist immer geringer geworden. Meine Tochter schrieb am Anfang noch immer glühende Haussuch-Inserate, wollte diese an Bäumen aufhängen, an Freunde verteilen. Jahr für Jahr und Monat für Monat ließ es nach. Auch die Kinder spürten, dass irgendwas doch einfach nicht stimmte. „Will er mit uns nicht zusammenwohnen, Mama?“ – kam oft die Frage. Blödsinn, war meine Antwort, wir haben einfach das richtige Haus nicht gefunden, es dauert halt. Ich wollte einfach das Thema nicht mehr erwähnen, und abwarten. Ich konnte doch schon richtig gut warten, hatte eine endlose Erfahrung darin. Ich dachte, ich erwähne ihn selbst einfach nicht mehr. Ich achte einfach darauf, was ich sage, lasse ihn aus meinen Erzählungen raus und er verschwindet einfach leise und heimlich aus unserem Leben. Wir haben in letzter Zeit eh nicht viel miteinander zusammen unternommen. Er war kaum bei uns zu Besuch, wir sowieso kaum bei ihm. Der Alltag war stressig, so viele Krankheiten, so viel los – und dann das Haus. DAS HAUS. Das kostete doch so viele Mühe, keine Zeit für Unternehmungen. Viel Zeit für Diskussionen. Er würde einfach nicht mehr erwähnt werden, weder er noch das Haus, und es würde in Vergessenheit geraten.


Eine Kleinigkeit bereue ich plötzlich zutiefst. Aber auch darüber kommen wir hinweg. Ich mache für meine Kinder Fotobücher im Internet, die dann als richtiges Buch gedruckt und verschickt werden. Jedes Kind bekommt jedes Jahr ein Jahrbuch von dem vergangenen Jahr. Schön kompakt und hübsch anzusehen. Irgendwann mal vor fünf Jahren hatte mein Exmann mich gebeten, wahrscheinlich eher in einem bösen Kommentar, dass mein neuer Macker nicht in den Büchern erscheinen sollte. Kein Problem. Ich habe das respektiert! Es waren unsere Kinder. Mein Exmann fühlte sich unwohl. Und vor allem am Anfang hatte ich volles Verständnis dafür, es war ja alles so frisch! Es sollten Familienbücher bleiben. Aber mein Neuer gehörte doch immer mehr zur Familie! Er war so ein fester Bestandteil davon geworden. Ich hatte das Bedürfnis, auch ihn zu integrieren. Ich hatte inzwischen mehr Bilder von ihm mit meinen Kindern als von meinem Exmann mit unseren Kindern. Also gesagt, getan. Vor nur wenigen Wochen habe ich das erste Mal die Bücher mit seinen Bildern drucken lassen. Das allererste Mal – und damit auch das allerletzte Mal. Ich hätte meine Strategie nicht ändern sollen. Aber gut, was solls.

Aber zurück zu den größeren Problemen. Die Kinder hatten also ihren Vater, ihre Oma, ihren Onkel, so viele wichtige Menschen in der Nähe, er war doch nur einer von denen, es würde schon gehen. Ich habe nie – und im nachhinein – gottseidank!! – nie als Vaterersatz für sie gemacht! Von Tag eins hatte ich Angst! Genau vor diesem heutigen Tag Angst! Eine Scheiß-Angst, dass sie wieder eine Trennung durchleben müssen. Damals als ich ausgezogen bin aus dem gemeinsamen Haus mit ihrem Vater, damals war es schon der emotionale Tiefpunkt meines Lebens. Wie sie als Babies, Kleinkinder gelitten haben! Natürlich war das nicht die gleiche Situation. Ich war die Mutter, ich ging, der Vater blieb, ich hatte eine neue Wohnung für uns drei. Es war anders. Aber es war eine Trennung! Wenn du in deren traurige Äuglein blickst, und du weiß, du bist machtlos gegen diese Gefühle der Erwachsenen, die sie nicht verstehen. Die man selbst nicht versteht.


Ich wusste, und hatte gehofft, dass ich immer irgendeinen Umgang mit meinem Exmann pflegen würde. Und ich hatte recht, wir haben einen guten, keinen perfekten, aber einen soliden Umgang miteinander bei der Erziehung der Kinder. Aber bei einem neuen Mann, der nicht der Vater meiner Kinder ist, er wäre doch unweigerlich einfach weg aus meinem Leben! Ich könnte dann gar nichts retten, ihn nicht als Freund für die Kinder behalten, das ginge doch gar nicht. Man könnte es versuchen, die berühmte Freundschaft, aber das kann man ja nicht steuern. Vielleicht ergibt sich das, vielleicht auch nicht. Das war mir zu gefährlich. Er sollte kein Vaterersatz für sie werden. Die Kinder hatten einen Vater und das war auch richtig so.


Mein Partner selbst hat es verstanden. Er kannte die leidige Trennungssituation aus der Perspektive eines Vaters. Niemals hätte er versucht, diesen Platz einzunehmen, ihm wegzunehmen. Dafür war er zu anständig, zu respektvoll. Wir haben viel gemeinsam unternommen – in der Anfangszeit, in der Mittelzeit – nicht mehr in der Endzeit. Er war ein wichtiger Teil meiner Familie. Irgendwie waren wir auch eine Familie. Er hatte so viel Wärme zu geben. War so verständnisvoll und lieb zu meinen Kindern, das war unbeschreiblich! Ein absoluter Jackpot, wie oft habe ich mir das gedacht. Was für ein perfekter Familienmensch! Und auch da kam wieder das Thema Baby auf. So gerne hätte ich eine „richtige“ Familie mit ihm gegründet, so gerne ihn zum Vater unserer Kinder gemacht. Eine unfassbar bittere Erinnerung kommt wieder hoch. Das Thema habe ich nie verwunden und ich werde auch nicht so schnell überwinden. Sie liebten ihn, vor allem mein Sohn. Gleich bei der ersten Begegnung schloss er ihn in sein Herz. Ich hatte das noch nie so bei ihm erlebt. Er ein sehr zurückhaltendes Kind wenn es um Gefühlsäußerungen ging. Aber meinem neuen Freund flog sein kleines Herz gleich zu. Die Kinder sind da wie Tiere. Sie spüren intuitiv, wer gut zu ihnen ist. Sie spüren einen guten Menschen, das ist wirklich faszinierend. Und auch sie hatten sich am Ende doch in ihm geirrt!

„Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“ — Antoine de Saint-Exupéry, der kleine Prinz. So oft habe ich in diesen Tagen an diesen Satz gedacht. Nicht nur ich war ihm vertraut, nein. Auch meine Babies hat er doch angenommen, sich um sie gekümmert. Es sagte sogar einmal, dass er sie liebt, was ich schwer glauben konnte. Aber meine Tochter war ja damals auch erst drei Jahre alt, mein Sohn fünf. Sie waren noch so klein und haben ihn aufgesaugt mit Haut und Haaren. Ihm vertraut, ihre kleinen Händchen gegeben, um mit ihnen über die Straße zu gehen. Wo war seine Verantwortung für diese Gefühle? Wie konnte er nur? Nicht nur mich, sondern die Zwerge, wie er alle unsere Kinder nannte. Wie konnte man denn die Zwerge verlassen? Aber was wundert mich denn bitte dabei? Er hatte auch seine eigenen Zwerge verlassen können, und es war sein eigenes Fleisch und Blut! Wie sehr muss man nur dafür gelitten haben unter der Ex. Es muss sehr schlimm gewesen sein damals, habe ich mir immer gedacht. Welch eine schlimme Frau sie gewesen sein muss. Und nun war ich dran und meine Kinder! Gab es Parallelen? War ich am Ende in seiner Empfindung genauso schlimm wie sie damals? Wie sehr muss er unter mir gelitten haben, um diesen einschneidenden Schritt gehen zu können.


Mein Plan geht nicht auf! Ich habe unterschätzt, wie kaputt ich sein würde. Ich lag da in Scherben und sollte den Kindern was anderes vormachen? Es unter den Tisch fallen lassen? Das ging ja gar nicht! Unter dem Tisch waren ja die ganzen Klamotten, die ich von ihm mitgenommen hatte und die das Zimmer blockierten, egal wohin der Blick fiel. Ich heule alle paar Minuten. Ich muss mich selbst umarmen, um mich zusammenzuhalten, um nicht auseinander zu fallen. Ich kann das doch nicht verbergen. Was für ein blödsinniger Plan.


Die Szene vor dem Auto hatten wir hinter uns gebracht. Das wäre dann soweit die letzte Begegnung zwischen meiner Tochter und ihm. Als ich nach oben komme mit den letzten Taschen aus dem Auto, ist ihre Zimmertür verschlossen. Ich traue mich nicht, reinzugehen. Ich setz mich in mein Zimmer und überlege, was ich nun tun soll. Ich hatte eine solche Angst vor ihrem Anblick. Weinte sie? Was hat sie gemacht? Die Tür war geschlossen. Das ganze Elend, was ich schon die letzten 24 Stunden erlebt habe, das musste nochmal kindergerecht aufgewärmt und aufgearbeitet werden. Krönchen richten, aufstehen, auf in den Kampf.

Meine Mutter sitzt schon im Zimmer auf ihrem Bett. Sie weint nicht – Gottseidank! Sie starrt nur an die Decke. Ich setze mich zu ihr, der Hund springt aufs Bett, meine Mutter sitzt neben mir. „Schatz“, beginne ich. Ich denke, ich versuche es mit einem nützlichen Elternvortrag. „Schatz, so sieht ein gebrochenes Herz aus.“ Natürlich laufen mir dabei die Tränen runter. „Aber das wird uns noch oft in unserem Leben passieren, dir und mir, weißt du. Das ist normal, wenn Menschen lieben, sich entlieben, traurig sind. So sind Beziehungen. Wir haben ja auch die Trennung von Papa damals geschafft, wie schaffen das auch. Und auch mit dir werden ich noch oft hier liegen und dich trösten, wenn dich ein Junge traurig gemacht hat.“ So weit so gut, ich bin stolz auf mich. Ok, es ist keine flüssige Rede am Stück. Es ist von Weinen und Schluchzen überlagert ok, so richtig gut habe ich das nicht gemacht. Ich kann leider nicht anders. Sie weint nun. Sie weint aber wegen mir, da ich weine, sie umarmt mich, drückt mich und wir weinen, zusammen – als Auftakt für viele weitere Tröstaktionen in unserem Leben. Ich weiß dann gar nicht mehr was ich sagte. Ich glaube ich frage, ob sie nur wegen mir traurig ist, da ich traurig bin. Sie ist ein so kluges Mädchen für ihre neun Jahre. Sie sagt sofort ja, sie ist traurig, weil ich weine. Sie denkt aber nochmal nach. „Nein Mama, ich bin auch traurig wegen ihm.“ Sie weint. Ich weine.


Es klingelt an der Tür – mein Sohn kommt von der Schule nachhause. Fröhlich ausgelassen trifft er auf unsere Trauergemeinde auf dem Bett meiner Tochter. Küsschen Küsschen, hmm, irgendwas stimmt nicht. Alle sehen irgendwie verheult aus. Er fragt nicht. Klara ist schneller: „Mama und ihr Freund sind nicht mehr zusammen. Sie haben sich getrennt!“, schießt es aus ihr heraus! Naja, Mama heult ja auch schon wieder, sie kann nichts sagen. Der Hunde leckt mich wie ein Gestörter ab. Er hat ja auch so viele Antennen. Er spürt das Drama.


Mein Sohn ist nicht so schnell. Er tut sich schwer, Dinge zu begreifen, Situation zu erfassen. Er hat ADS, sein Leben ist schon eine Herausforderung für ihn selbst. Alle Einflüsse von außen verarbeitet er extrem schwierig und langsam und mühsam. Ich bin wirklich gespannt, wie er die Lage auffasst. Wie unterschiedlich die Kinder doch reagieren, was sie fragen. Jedes Kind völlig anders. Ich weiß nicht mehr, was seine erste Frage ist. Die Reaktion ist eher Verwunderung. Es sieht so aus, als hätte er die Aussage gar nicht verstanden. Aber eine der ersten Fragen ist recht pragmatisch praktisch: „Mama, wenn wir dann bei Papa sind, wo wirst du denn schlafen?“ – Hä? Zuhause, wo denn sonst? „Mit wem fliegst du dann nächstes Jahr in den Urlaub?“ – naja, dann halt gar nicht, da geht doch die Welt davon nicht unter. Warum soll ich denn auch jedes Jahr in den Urlaub mit einem Mann ohne euch fliegen? „Wer wird denn in deinem Zimmer bei ihm schlafen?“ Naja, keiner, außer er findet dann eine neue Freundin, die ebenfalls nicht so gut an seiner Seite schlafen kann. Echt merkwürdige Fragen.


Er kann einfach gar nicht begreifen, wie das Leben konkret, wie der Alltag ohne den Freund der Mama weitergehen soll – für die Mama. Er kennt es nicht anders. Ich bin zwischen Auszug aus dem gemeinsamen Haus und dem Treffen meines nun Expartners ungefähr sechs Monate in meiner Wohnung allein, in meinem Leben allein – mehr nicht. Dann habe ich ihn schon getroffen, mich verliebt und dann ging das gemeinsame Leben los. Ich kann das erst gar nicht verstehen, dass die Kinder das Ganze nicht erfassen können und mein Sohn solche Fragen stellt. Aber sie kennen einfach gar kein anderen Leben, als mit ihm in unserem Alltag. Seit fast sechs Jahren ist er an meiner, an unserer Seite. Es ist so selbstverständlich für uns wie das tägliche Atmen. Er ist unser Leben, mein Leben, meine Liebe. Es ist unmöglich, ein Leben ohne ihn so schnell zu erfassen, weder für mich noch für die Kinder.

Klara hat nun tiefsinnige moralische emotionale Aspekte, die sie beschäftigen. BÄM – das Thema Haus kommt auf. Sie schaut sehr ernst und streng: „Mama, aber weißt du, was ich nicht verstehe, wirklich nicht verstehe. Warum sucht er dann mit uns die ganze Zeit ein Haus? Und jetzt sagt er dir heute, dass er dich nicht mehr liebt? Warum hat er dann das Haus mit uns gesucht?“ Sie erwartet eine gute Antwort. Was solle ich ihr denn sagen? Kinder spüren ja, wenn man sie belügt. Aber was zu Hölle sollt ich den meiner neunjährigen Tochter sagen auf diese Frage, die auch meine Hauptfrage war, und die mir keiner beantworten konnte, niemand! „Schatz, ich weiß es nicht. Es tut mir leid, das kann ich dir leider nicht sagen. Ich weiß es nicht.“ Sie ist nicht zufrieden, sichtlich nicht zufrieden. Aber sie wird wütend. Das ist gut! Wut heilt auch Wunden, und zwar schneller, als die Zeit ihr Werk verrichtet.


Erik wirkt weiter etwas lethargisch, verwirrt, aber nicht traurig. Klara holt wieder aus: „Mama, weiß du was, das hat jetzt auch Vorteile!“ Aha ich bin gespannt. „Du bist jetzt viel öfter bei uns!“. Naja Leute, ich bin doch eigentlich immer bei euch, wenn ihr hier seid, nur sehr selten bei ihm und dann passt die Oma auf euch auf. Naja, es war ein Versucht von ihrer Seite. Da müssen wir beim Trösten noch üben für unsere künftigen Diskussionen über zerbrochene Beziehungen.

Jetzt fällt auch meinem Sohn was Nützliches ein, was er einwerfen will: „Klara, denk doch nur an die Catcars! Die werden wir nie wieder fahren!“ Oh Mann, der kleine Materialist! Wie goldig, dass sowas ihm als erstes einfällt. Die Diskussion ist nicht entgleist, so weit so gut. „Kaufen wir jetzt kein Haus mehr zusammen?“, fragte er dann. Natürlich nicht mehr, nein. Jetzt ist auch Erik sauer. Klara wechselt zu enttäuscht. „Warum nicht? Kannst du das Haus nicht allein kaufen?“ „Nein mein Schatz, das kann ich mir nicht leisten und ich will es mir nicht leisten, da wir das Haus zusammen mit ihm und seinen Kindern kaufen wollten, nicht einfach nur für uns.“ Schweigen, das müssen sie erstmal verdauen.


„Mama, ich werde ihm schreiben, wie blöd ich ihn finde. Ich werde ihn beleidigen“ ereiferte sich mein Sohn, der sein eigenen Handy hat. „Schatz, das macht keinen Sinn. Mach das nicht! Ich möchte nicht, dass dich auf so ein Niveau einlässt. Das macht dich selbst traurig. Wenn du ihm was schreiben willst, ist es deine Sache. Aber keine Beleidigungen!“ Das ist schon interessant, wie Kinder in diesem Alter denken. Für sie ist die höchste Strafe untereinander die gegenseitige Beleidigung, abgesehen von der Steigerung zur körperlichen Gewalt, die Mama dann doch unterbinden würde. Er wollte mich verteidigen, der kleine Mann. Irgendwie süß. Und unendlich traurig, dass er die Mama nun beschützen soll, wo doch die Mama dafür verantwortlich ist. Mein Junge! Ich bin gespannt, ob er das durchhält. Hätte meine Tochter schon ein Handy gehabt, sie hätte den bösen Ex der Mama nach allen Regeln der Kunst fertig gemacht, verbal und sehr emotional! Mein Mädchen! Aber mein Sohn ist dafür kein Spezialist. Er schweigt. „Können wir Minecraft spielen“ kommt von ihm. JA – erste Unterhaltung abgeschlossen. Auf in die nächste Runde.

6.Akt: Die Chefin


Diesen Gang nach Canossa muss ich noch machen. Ich habe ja auch einen Job, den ich gerade nicht ausüben kann. Ich hatte mich am Sonntagabend per Mail kurzfristig krankgemeldet mit Migräne, die ich ja auch erwartet habe. Was zur Hölle soll man den auch noch reinschreiben – „Liebe Chefin, ich muss mich morgen krankmelden, da ich nicht mehr kann. Mein langjähriger Freund hat sich gerade von mir getrennt, da wir kurz vor dem Hauskauf standen und er kalte Füße bekommen hat. Da ich durchgehend heule, meine Hände zittern und ich auf dem Bildschirm eh nichts sehen würde, muss ich mich für morgen leider abmelden. Und wahrscheinlich auch für den Rest der Woche, da ich die Scherben meines Lebens zusammenkratzen muss. Liebe Grüße, Paulina“. Jetzt will ich sie lieber persönlich anrufen. Sie ist eine Frau, ich kenne sich schon seit über fünfzehn Jahren, sie wird es verstehen. Es ist nur so unermesslich peinlich! Ich weiß noch, wie ich damals meiner anderen Chefin vor sieben Jahren von meiner Trennung erzählen musste! Damals war es mein Exmann, es waren Kinder im Spiel, es war also noch komplizierter und dramatischer. Und darin liegt auch das Problem – jetzt war es NUR eine Beziehung, keine Ehe! War es überhaupt was Ernstes? Keine Kinder, kein gemeinsamer Haushalt. Wer wusste, wie es um uns steht? Leider wussten meine Kollegen schon etwas mehr Bescheid. Sie wussten, dass wir ein Haus suchen, das war kein Geheimnis. Aber einige wenige wussten auch, dass ich auf den Ehering warte und mich schon etwas wunderte, gelinde ausgedrückt. Das habe ich teils im Witz teils im Ernst immer wieder mal erzählt, warum auch nicht. Ich rede über meine Gefühle. Jetzt muss ich angekrochen kommen, aber irgendwie doch mit stolzem Haupt erscheinen und eingestehen müssen, dass es vorbei ist. Dass ich mich geirrt habe. Dass er doch nicht einfach nur Zeit braucht, sondern dass er mich gar nicht ehelichen wollte, dass die Liebe nicht stark genug war! Wie demütigend ist denn das? Das ist doch meine verdammte Arbeit, da will ich doch professionell erscheinen! Selbst schuld, du blöde Kuh, muss ja auch davon erzählen von dieser verdammten Besessenheit von der Ehe. Wirklich einfach nur selbst schuld. Ich rufe sie über Teams auf dem Laptop an, sie geht sofort ran.


Zack, ich heule los noch bevor ich ein Wort sagen kann. Mir geht es offensichtlich nicht gut, das ist ihre erste Frage und damit auch Antwort von meiner Seite. Mit dem weiteren Verlauf des Gesprächs hat sie nicht gerechnet. Echt? Ich auch nicht. Ich habe mit dieser Wendung in meinem Leben auch nicht gerechnet. Ich konnte es also noch nicht so gut den Mitmenschen verkaufen, erklären, wie auch immer. Ich habe keine Strategie, wie ich das jemanden erzählen soll. Ich wusste es damals bei der Scheidung auch nicht wirklich. Mir war nur eine Sache wichtig – Transparenz. Wenn ich am Boden zerstört bin, dann möchte ich und muss ich mein Umfeld involvieren und informieren. Das finde ich fair. Ich habe damals vor sieben Jahren meine Chefin beim Kaffeetrinken angeheult, versucht mich irgendwie in der Öffentlichkeit so gut es geht zu verbergen. Aber ich wollte, dass mein Umfeld erfährt, dass es mir nicht gut geht. Ich war geistig und körperlich gerade ziemlich am Ende. Ich war traurig und gereizt, habe kaum geschlafen und gegessen. Fehler konnten so sehr schnell passieren. Ich wollte nicht, dass jemand mich mit Kleinigkeiten angeht, während mein Leben in Trümmern liegt. Ich wollte, dass die Leute Bescheid wussten und zumindest die Chance hatten, darauf Rücksicht zu nehmen.


Meine jetzige Chefin schweigt weitgehend, ist ebenfalls verlegen. „Das tut mir aber leid.“ Den Satz würde ich noch ganz ganz oft hören müssen, das weiß ich. Ich erzähle – natürlich unter weiterem Heulen - die Kurzfassung. Er war sich seiner Gefühle nicht sicher, wollte irgendwas wie Pause, ich zog aus, wir waren getrennt, ich liege gerade am Boden, muss mich sammeln, es wird schon wieder. Ich hatte versprochen, mich mit der Arbeit abzulenken, dann komplett da zu sein. Ich würde noch einen Tag brauchen, den Dienstag, da wäre ich noch nicht einsatzfähig, dann würde ich durchstarten. Sie hat Verständnis, das ist lieb. Sie sagt sogar, dass sie es super findet, wie konsequent ich in der Situation reagiere. Ihre Schwester war wohl in einer ähnlichen Lage, und das Trauerspiel zog sich über Monate hin und vergiftete alles. Und – war am Ende sowieso umsonst. Sie wünscht mir alles Gute, wir legen auf. Ein weiterer Punkt abgehackt. Krönchen richten, weitermachen!

7.Akt: Die Freundin


Ich warne die Kinder gleich vor, dass ich kurz vor sechs verschwinden und die Oma sie ins Bett bringen wird. Ich will eine von meinen besten Freundinnen treffen, die Britta. Sie hat spontan Zeit gehabt heute Abend, wie unendlich lieb von ihr! Wo kommen die ganzen lieben Menschen nur her? Ich dachte schon schuldbewusst, dass ich alle brüskiert haben müsste in den letzten Monaten auf der verdammten Suche nach dem Haus. Aber sie ist da. Ich fahre einfach zu ihr nachhause, um weg aus meinem Heimatdorf zu sein. Ich will nicht auf offener Straße heulend gesehen werden. Es ist so peinlich! Wie vielen Leuten musste ich nun erzählen, dass wir kein Haus mehr suchen! Ich weiß nicht, wer in meinem Umfeld das noch nicht wusste. So grenzenlos peinlich, so demütigend! In welche Lage hat er mich nur gebracht und warum? Wie konnte er nur? Natürlich war dann allen klar, dass die Trennungsentscheidung nicht von mir ausging, wenn ich doch so fleißig das Haus weitersuchte. Das alles ist zwar im Moment mein geringstes Problem, aber wie demütigend und schlimm würden sich die nächsten Wochen noch anfühlen.


Daher müssen die Felder in einem anderen Dorf herhalten für unseren kleinen Ausflug zum Wundenlecken. Als ich reinkomme ist Britta mit ihrer Familie da, wie denn auch sonst. So normale Dinge fallen mir nun bewusst auf. Ihr Mann liegt in ihrem Garten neben ihrem Haus auf der Liegewiese und winkt mir zu. Egal welche Probleme die beiden auch mal hatten, sie waren zusammen, sie hatten es geschafft. Würde ich in Zukunft nun wieder alle Paare beneiden? Hassen? Paranoide Gedanken! Warum nicht ich? Warum konnte ich nicht so da sitzen mit allen meinen Lieben? Warum hatte das Schicksal für mich was anderen ausgedacht.


Es ist bestimmt nicht immer Gold was glänzt. Ich weiß, auch sie hatten genug Probleme gehabt. Wir laufen durch die Weizenfelder und ziehen Parallelen. Ich habe viele kluge Menschen in meinem Freundeskreis. Wie schön ich das denn? Zwei Mädels kannten mich seit der Geburt unserer älteren Kinder. Sie wusste alles von dem Ex, von dem Exfreund, von der Haussuche. Ich musste nicht ausholen, wir waren sofort bei dem Punkt angekommen. Ich war schon die letzten Wochen und Monate nicht mehr glücklich, sie wussten das. Zu viel habe ich mich aufgeregt über den schleppenden Verlauf der Haussuche. Und dann erst das Thema mit der Heirat! Sie waren meine Hauptzuhörer bei diesem Aspekt. Aber irgendwie waren sie auch die Falschen. Sie selbst hatten erst viel später ihre Männer geehelicht, erst nach der Geburt der Kinder. Heiraten ist nicht wichtig, warum denn auch. Was besonderes haben beide darin nicht gesehen. So scharf darauf wie ich waren sie nicht gewesen. Aber sie verstanden den Punkt, dass es mir wichtig war, darauf kam es ja an. Ich dachte irgendwann mal dass mir bald keiner mehr zuhören kann, bei diesem leidigen Thema. Ich kaute denen echt einfach nur noch das Ohr ab, echt schlimm!

Aber was tut man nicht als guter Freund? Man hört zu, nickt, diskutiert, und wieder von vorne. Das haben sie wirklich toll und geduldig gemacht. Und auch jetzt in den Feldern war Britta das Verständnis in Person. Ich weiß nicht, ob die Menschen mir extra zustimmen müssen, weil ich deren Freundin bin? Oder vielleicht doch, weil ich im Recht bin, weil ich unfair behandelt wurde, ich das Opfer bin. Ich werde es final wohl nie erfahren und an jeder Wahrheit ist was dran. Wie schäbig er sich doch mir gegenüber verhalten hat! Wie konnte er nur! Ich habe nichts geahnt, keine Hinweise? Als ich heute bei ihm gefahren bin, war ich noch voller Mitgefühl auch für ihn, seine Traurigkeit. Jetzt entdecke ich meine Zähne, Wut kommt hoch, übernimmt mehr die Kontrolle.


Wir reden über meine Lieblingsthematik die Skala der Liebe, von eins bis zehn. Was ist denn Liebe? Was ändert sich im Laufe der Beziehung? Britta und ihr Mann sind schon so lange zusammen, haben ein Kind zusammen und sind verheiratet. Wie haben sich die Gefühle verändert? Und die wichtigste Frage – was ist normal? Welche romantisierte Vorstellung hat er denn von einer guten Beziehung? – fragt sie mich. Was für ein Idealist ist er? Es ist nicht genug? Für jeden ist das „normal“ anders, das ist die Quintessenz unserer Unterhaltung. Ich begreife nun langsam, dass ich ihn wohl überhaupt nicht mehr geliebt habe als er mich in diesem Trennungsdrama. Mir hat das nur irgendwann mal gereicht, ihm aber nicht. Ich ziehe immer Vergleiche zu meinen anderen Beziehungen. Er lehnte das immer ab. Er kann das auch absolut betrachten, er braucht keine Vergleiche, er weiß es auch so. So oft kam diese Einstellung von ihm durch. Kann ich das hinterfragen, dass es ihm nicht reichte? Jeder hat da seine eigene Vorstellung, seine persönliche Skala. Ich habe seine wohl nie verstanden. Er hat sie mir nicht mitgeteilt. Seine Gedanken gehörten nur ihm. Ich habe durchaus gemerkt, dass es weniger wird, natürlich. Aber immer schwebte der gemeinsame Haushalt über uns und ich wartete und dachte, es ist einfach nur eine Frage der Zeit und alles löst sich in Wohlgefallen auf. Während er an der Exitstrategie arbeitete, im Untergrund seiner Gefühle.


Er arbeitete völlig allein daran! Wie kann es denn sein, dass ein erwachsener Mann, der fest im Leben steht, gut sozial integriert ist, viele Freunde hat, wie kann es denn sein, dass genau dieser Mann keinen, aber absolut keinen seiner Freunde in seine Überlegungen einbezogen hat? Er hat das zumindest selbst bestätigt. Während ich meine Sorgen mit Gott und der Welte teilte, behielt er alles für sich! Ich habe es schätzen gelernt, die gleiche Situation aus der Perspektive von anderen Menschen zu betrachten, von meinen Freunden, dich mich gut kennen. Ich reflektiere gerne in den Gesprächen mit ihnen. Ich gewinne neue Erkenntnisse, verstehe Situationen besser. Er ist das absolute Gegenteil! Das geht aus seiner Sicht niemanden was an! Warum hat er über seine Gedanken und Gefühle nie mit seinen Freunden gesprochen? Keinen Rat geholt zu seinen Zweifeln? Vielleicht hätte er davon erzählt, wie sich seine Gefühle verändert haben, und sein bester Freund, ein empathischer Skorpion, hätte ihm gesagt: „Mein Lieber, was erwartest du in einer langjährigen Beziehung? Die Liebe reift nun mal. Die Verliebtheit geht, die Aufregung auch. Es stagniert. Aber es bleibt die Wärme, die Vertrautheit, die Nähe. Es ist alles normal!“. Aber das hat er nicht! Er hat seine Gefühle selbst nicht verstanden und auch mit niemanden geteilt. Aus heutiger Sicht hat es echt die Dimension eines Verbrechens. Eines Verbrechens gegen unsere Beziehung! Das war er doch uns schuldig! Wie konnte er schweigen? Für sich im Geheimen Erkenntnisse ziehen, und niemanden was sagen? Was ist denn Liebe? Was ist genug? Was ist normal?


Die Erkenntnis, dass wir auf der Skala gar nicht so weit auseinander lagen, ist irgendwie tröstlich. Ich bin nicht diejenige, die verzweifelt und blind ergeben liebt, ich bin nur diejenige, die mit „dem weniger“ auch leben konnte, er nicht. Aus dem gleichen Zustand können Menschen nun mal unterschiedliche Erkenntnisse ziehen, so ist das halt nun mal. Ich habe alles als eine Frage der Zeit gesehen, des Zusammenziehens, der Nähe, die dann automatisch vermehrt entstand. Er wohl nicht.

Ich fühle mich ein bisschen besser. Das Gespräch war gut, wichtig, nützlich – ich bin Britta so dankbar! Wir gehen zurück, sitzen noch wenige Minuten Apfelschorle schlürfend auf ihrer Terrasse und ich fahre heim.

8.Akt: Der Bruder


Ich komme zuhause an. Bringe die Oma in ihr zuhause, komme zurück. Die Kinder stehen im Flur und schauen mich beide an. Es ist neun Uhr abends! „Leute! Ab ins Bett, morgen ist Schule!“. „Wir konnten alleine nicht einschlafen!“, protestieren beide! Ok, egal, ab ins Bett, ich bin nun da, physisch zumindest, seelisch woanders. Ich bringe meinen Sohn zuerst ins Bett. Er ist müde. Ich erwarte keine große Diskussion. Er fragt auch nichts. Gute Nacht Küsschen, ich gehe raus – zu Klara. Hier erwarte ich eine längere Diskussion, für die ich weder Kraft, noch Lust noch Zeit habe. Ich will gleich mit meinem Bruder telefonieren, der sich Sorgen macht. Der Auftakt macht mich gleich fertig: „Mama, weiß du was? Du hast jemand Besseren verdient, der dich liebt!“. WOW – heul, wie kommt sie zu solchen Aussagen! Echt jetzt, mit neun Jahren! Sie schaut zu viel Serien. Ich heule, sie mit. Sie vermisst ihn auch. Erik kommt rein – er kann nicht schlafen. Hund kommt rein, kann auch nicht schlafen, zu viel Emotionen im Spiel. Sitzen wieder zusammen zu viert auf dem Bett und reden. Ich weiß gar nicht über was, ich bin schon zu fertig. Aber sie haben noch das Bedürfnis zu reden. Ich werde gefasster. Wir reden über Schulthemen. Die Stimmung normalisiert sind. Ich spüre, sie haben nun ein besseres Gefühl, ins Bett zu gehen. Ich bringe Erik wieder ins Bett. Die Nacht geht für sie los. Ich hoffe nur inständig, dass uns allen in dieser Nacht Träume erspart bleiben.

Ich rufe meinen Bruder an, oder er mich, keine Ahnung. Das Kurzzeitgedächtnis ist total kaputt. Er fummelt erstmal fünf Minuten an irgendwelchen Kabeln, bis die Verbindung steht, ich ihn höre und sehe, ein klassischer IT-Nerd, wir sind in einer Telco mit Video. Ich erzähle - leider wieder heulend -  was passiert ist, nun zum weiß ich nicht welchen Mal schon. Ich habe öfter zwischen meinem Bruder und meinem Expartner Parallelen gezogen, warum auch immer. Das offensichtlichste war der Beruf, beide IT-Spezialisten, gleiches Fach. Aber die Ähnlichkeit bestand vor allem in ihrem Wissensstand. Ich finde, Wissen einfach unfassbar toll! Immer wieder war es beeindruckend, wieviel mein Bruder wusste! Zu welchen Themen er alles mitreden konnte. Woher kam das alles? Genauso ging es mir bei meinem Expartner. Er war der klügste Mensch, den ich kannte, mein Bruder der zweitklügste.

Ich kriege die Unterhaltung nicht rekonstruiert. Es dreht sich ja immer wieder um das gleiche Thema. Interessant ist nur der Blickwinkel der Menschen auf die Gesamtsituation. Ich bin mit vielen klugen, menschlich und emotional klugen Menschen befreundet und verwandt. Sie kennen mich. Sie verstehen mich. Es ist so schön und hilfreich, diese Unterhaltungen zu führen. Aber auch so bitter!

Mein Bruder hat selbst keine reine Weste, wie traurig! Wie oft er seine Beziehungen recht unerwartet beendet hat. Aha, darüber haben wir noch nie gesprochen. Auch seine Freundinnen konnten das nicht ahnen, was Ihnen bevorstand. Na toll, so einer bist du! Ich versuche ja zu verstehen, wie ich das alles hätte ahnen können. „Konntest du nicht!“, seine Behauptung! Bei ihm hat es auch keiner geahnt und gedacht. Warum? Warum ein solches Verhalten? So richtig schlau bin ich nicht daraus geworden. Seine Behauptung – mein Partner ist einfach zu schwach dafür gewesen. Er hat sich nicht getraut, mir die Wahrheit zu sagen. Welche Pause? Das ist doch sowieso ein Quatscht! Mit 53 und 42 eine Pause, von der Beziehung? Blödsinn, er wollte nur höfflich sein, es mir sanfter verkaufen. Es gibt keine Pausen. Eigentlich in keinem Alter, aber ganz sicher nicht als Alternative, wenn man kurz davor steht nach sechs gemeinsamen Jahren ein Haus zu kaufen. Und dann über Nacht getrennt ist.

Ich heule. Man klammert sich an jeden Strohhalm. Warum gibt es keine Pausen? Er wollte sich doch nicht trennen, mir nur von seinen Gefühlen erzählen. Wer hat sich denn nun getrennt, ich oder er? Ist das wichtig? Ich hatte die fixe Idee, mich sofort auf einer Datingplattform im Internet anzumelden. Was für ein Schwachsinn, meinte mein Bruder! Viel zu früh, was sollte das bringen. Ich wollte die Wunde ausbrennen, ich wollte nicht warten, bis diese verheilt. Blödsinn, sagte er, ich musste da durch, es ertragen, es verarbeiten. Warum zur Hölle? Ist doch meine Entscheidung! Endlich waren es meine Entscheidungen!

Der Tag war lang, es ist nach zehn Uhr abends. Ich kann nicht mehr. Mein Bruder will mit mir verreisen, Ausflüge machen zumindest, mich rausreißen aus dem Trott. Das ist so lieb von ihm! Ich kann gerade nicht planen, nicht klar denken. Ich mache einen Schritt nach dem anderen. Sogar ans Atmen muss ich gefühlt denken, so anstrengend. Ich sage Gute Nacht. Ich falle ins Bett. Die erste Nacht bei mir zuhause in dem Wissen, dass alle Nächte nun hier stattfinden werden, allein, für eine ganz ganz lange Zeit. Ich umarme mich, krümme mich zusammen, weine, schlafe irgendwann dann ein.

Tag 3 - Dienstag


1.Akt: Die Exfrau


Der erste Morgen als Single beginnt, recht früh gegen fünf Uhr morgens, mit Migräne. Ich habe sie schon vermisst! Am Sonntag und Montag war nichts, ich habe mich schon sehr gewundert. Ob sie mir einbisschen Ruhe lässt in der aktuellen Verzweiflung. Nein, doch nicht, meine Periode müsste bald beginnen, ich schlucke die Tabletten und warte.


Dynamischer Morgenstart um sechs Uhr! Die alltäglichen Routinen lenken sehr gut ab. Sohn wecken, frühstücken, Essensboxen packen, Tochter wecken, Sohn in die Schule verabschieden, Tochter einpacken, zur Schule fahren, davor den Hund bei der Oma absetzen. Fertig.


Und dann habe ich mich auf eine interessante Hilfsaktion eingelassen, ich habe ja nun Zeit. Mein Exmann hat gleich die Vorteile meiner Situation entdeckt und mich gefragt, ob ich ihn zu einer OP in die nächste Großstadt fahren kann. Es soll was Kleines am Auge gemacht werden, daher kann er dann nicht selbst fahren mit seiner Augenklappe. Natürlich fahre ich ihn gerne! Ich muss mich auch am Dienstag krankmelden. Der Kopf platzt vor Migräne, ich heule, es wird nicht mein Tag. Wir fahren zusammen los, reden, alles klingt entspannt. Ich setze mich in die Sonne in ein Café und warte auf ihn.


Mein wichtigster Begleiter in diesen Tagen: die Sonnenbrille! Ich freue mich nun das erste Mal über den Sonnenschein. So kann ich unauffällig heulen, ohne gleicht im Mittelpunkt zu stehen. Ich sitze im Café, allein. Das Elend kommt hoch. Das ist so faszinierend! Wenn man gar nicht allein ist, und jemand zuhause auf einen wartet, da kann man auch allein im Café sitzen, ohne sich vor Trauer zu winden. Die gleiche Tätigkeit ist zutiefst frustrierend, wenn man wirklich allein und alleinstehend ist. Das gleiche fühlt sich völlig anders an! Seelische Täuschung!


Meine Gedanken und Erinnerungen kommen ganz plötzlich. Ich traue mich manchmal, sie aufzugreifen- wie ein Roboter auf einer Produktionsstraße ziehe ich den Gedanken raus und untersuche ihn, ob ich den schon verdauen kann oder nicht - ohne Tränen, ohne dass die Übelkeit wieder kommt, ohne zu zerbrechen. Aber schon jetzt gelingt es mir, manche Gedanken noch vor dieser Untersuchung abzulegen - weil ich spüre, ich bin noch nicht bereit. Schöne Formulierungen kommen mir in den Kopf, die kluge Mitmenschen in den letzten Stunden zu mir gesagt haben. Meine eigenen Schlussforderungen beschäftigen mich, ich hinterfrage und grüble. Und plötzlich fällt mir es ein! Ich schreibe einige Ideen ins Notizbüchlein im Handy. Einige Wortfetzen, Gedanken. Warum nicht? Warum nicht alles mal aufschreiben? Ich habe so auch meine Trennung mit Kindern überwunden. Das Schreiben hat mich unfassbar viel weitergebracht, mich richtig rausgezogen aus dem Sumpf des Elends. Und dann konnte ich auch noch anderen nach einer Trennung weiterhelfen. Warum nicht wieder versuchen? Gesagt getan, ich schreibe mir die Erinnerung ins Handy rein – „Gedanken schriftlich formulieren“.


Ich muss mir eh gerade alles aufschreiben, das Kurzzeitgedächtnis war ja ständig leer, warum auch immer. Vielleicht liegt es am mangelnden Schlaf! Ich kam die letzten Tage auf maximal vier vielleicht fünf Stunden am Stück. Entweder konnte ich nicht einschlafen, oder nicht durchschlafen oder einfach beides. Es ist sehr schwer, überhaupt klare Gedanken zu haben. Ein Gedanke verschwindet einfach sofort. Das bin nicht ich. Mein Gehirn geht sehr kritisch mit meinen potenziellen Gedanken um. Eine falsche Regung, zack, doch blöder Inhalt, sofort verdrängen, vergessen, weg. Wenn ich durch die Wohnung laufe, dann vergesse ich sofort nach wenigen Schritten wohin und wozu. Habe ich den Hund heute eigentlich gefüttert? Wie war das mit dem Mittagessen bei meiner Mutter? Hatte sie mir was gesagt, wann nochmal? Das bin echt nicht ich, echt, sowas von nicht ich! Ich habe normalerweise wunderschöne Excel-Tabellen für meine Familienmitglieder als unsere Lebensplanung. Dort steht einmal alles glasklar formuliert und geht sofort in meinen Kopf über. Das ist auch nötig, wenn man Kinder und Hund zwischen zwei Haushalten ständig aufteilt. So bleibt alles im Blick. Im Moment hatte ich keine Kraft, ich selbst zu sein. Das tat weh. Was hat er mir angetan? Ich will mich zurück!


Mein Ex kommt schneller als gedacht wieder. Doch keine OP, Beule am Auge war schon geplatzt, er musste nur warten. Damit kenne ich mich aus – mit Warten. Wir reden. Die Gespräche werden wieder normaler, nicht wie gestern. Kein erneutes Durchkauen der verletzten Gefühle. Er fragt, wie es die Kinder aufgenommen hatten. Sie waren recht gefasst. Aha. Wir fahren zurück.

2.Akt: Freundin - die zweite


Das Erste, was ich zuhause tue, ist diese schriftliche Ausführungen zu starten. Ich habe ein unfassbares Bedürfnis entwickelt, das alles aufzuschreiben. Das ist so befriedigend. Ich fülle in wenigen Minuten und Stunden ganze Blätter. Einfach so. Es sind meine unmittelbaren Gedanken und Gefühle. So frisch verletzt ich bin, so authentisch kommt es hoffentlich auch rüber! Ich fühle mich richtig gut. Das Schreiben hilft ungemein. Ich bin einfach nur baff, wie gut das hilft!

Meine zweite beste Freundin, Steffi, ruft an. Wir sind schon für den Mittwochabend verabredet, aber sie macht sich Sorgen, will mal früher Hallo sagen. Wie lieb das doch ist! In dieser emotionalen Lage, wenn du dich schon wir ein geschundenes geschlagenes Tier fühlst und am Boden liegst, da ist jede so kleine Geste, jedes liebe Wort so viel Wert! Ich heule. Ich heule sie ausführlich voll. „Ach Mensch, Paulina!“. Da schwingt so viel Mitgefühl mit. Sie kennt mich. Sie hat mir schon bei der Bewältigung meiner Ehe geholfen. Als ich damals meinem Mann gesagt habe, ich möchte mich trennen, dann bin ich einige Stunden später zu ihr gefahren mit den Kindern. Wir waren eh verabredet und ich zog das einfach mal so durch. Sie war für mich da, sie ist wieder für mich da. Ich wünschte, ich könnte mich irgendwie revanchieren. Aber ich hoffe so sehr, dass sie eine solche Hilfe nicht brauchen wird. Sie hat andere Baustellen. Ich tue mein Bestes, um sie da zu beraten, mit ihrem Job, ihren Berufsplänen. Jetzt bin ich aber erstmal an der Reihe, am Boden liegend.

Sie bekommt eine Sneak preview auf das morgige Treffen. Wir greifen uns einige Szenen raus und diskutieren. Sie ist so emphatisch, so menschlich einfach clever. Gegen meine beiden Mädels fühle ich mich immer wieder wie ein emotionaler Versager! Ich glaube nicht, dass ich besonders emphatisch bin. Und was sagt sie? „Paulina, ich bewundere dich total! Wie du mit solchen Situationen fertig wirst! So oft wünsche ich mir, einbisschen was davon zu haben, einbisschen Paulina sein zu können.“ WOW – das sitzt, ich heule wieder! So viele liebe Worte. Von Freunden. Von Menschen, die ich mag und schätze, die aber nicht täglich um mich herum sind. Denen liege ich am Herzen. Warum denn nicht dem eigenen Partner, der mich lieben und beschützen sollte? Wann habe ich denn diesen Zug verpasst, es zu begreifen? Ich heule. Wir reden. Sie muss weiterarbeiten, wie sehen uns ja morgen.

3.Akt: Meine Wohnung


Ich laufe zwischen den gepackten Sachen, Tüten, Kisten aus seinem Haus herum. Es sieht schlimm aus in meinem Wohnzimmer, ein Chaos. Ich hasse solche Unordnung, das bin nicht ich, ich fühle mich wie ein Versager. Aber dann schlägt die Stimmung plötzlich um. Ich merke, dass ich das genieße! Hä? Ich fühle mich wie ein Revoluzzer! Es liegt alles rum, na und? Ist mir egal, das ist doch nicht Basis für mein Glücklichsein! Die besten Mütter sind die mit dem schmutzigen Zuhause, hatte ich irgendwann mal gelesen. Diese Mütter nehmen sich dann mehr Zeit für die Kinder oder so. Naja, ich dachte, ich könnte beides erreichen. Ordnung im Leben war mir in jeder Lage essenziell. Im Moment ist mein Leben ein Chaos. Das Wohnzimmer ist ein gutes Abbild dieses Chaoses, damit fühlt sich das irgendwie wieder richtig an, es passt zueinander. Ich lasse alles stehen, steige drüber. Ich kann und will auch noch nicht aufräumen. Ich protestiere stumm weiter gegen meine eigenen Ansprüche.

Ist das aber vielleicht ein Festhalten an der Vergangenheit? Will ich das nicht wahrhaben, was passiert ist? Denke ich, dass ich diese Taschen einfach wieder mitnehme und zurückgehe? Weil ich nicht anders kann? Weil er mich rufen wird? Zeige ich mit diesen Taschen, dass ich nicht loslassen will? Oh nein, das soll nicht so sein! So soll es nicht wirken. Es sieht zwar keiner, das ist mir aber egal, ich sehe das! Ich belüge mich doch nicht selbst, ich weiß, was ich will! Ich packe die erste Tasche aus.

4.Akt: Der Suchauftrag


Nicht willkommene Ablenkung vom Auspacken – ich schaue meine Mails durch. Achtung – ein neues Haus ist auf dem Markt. Immoscout-Suchauftrag ist aktiv. Ich bin ja auf der Suche nach Häusern. 1000 kleine Stiche. Tränen. Übelkeit. Lege das Handy weg. Es ist „unser“ Haus, es ist nun auf dem Markt. Wir hatten das Haus vor einer Woche besichtigt, es super gefunden, wollten es kaufen – bis zum Sonntag. Damals hatte die Maklerin das erstmal nur uns angeboten, da sie wusste, dass wir ein großes Haus gesucht haben mit über sechs Zimmern, das brauchte wirklich nicht jeder. Nun war es auf dem freien Markt. Er hatte Bescheid gesagt, es abgesagt. Was hat er ihr erzählt? „Lieben Dank für Ihr Angebot. Aber wir brauchen es nicht mehr, da ich mich von meiner Partnerin spontan getrennt habe. Ich habe sie die letzten Monate über meine schwindenden Gefühle belogen. Nun musste ich es ihr erzählen. Sie ist nun weg. Wir brauchen das Haus nicht mehr. Geben sie es einer anderen glücklicheren Familie. Mit freundlichen Grüßen.“ Nein, ganz sicher nicht, das ist mir schon klar. So viel Offenheit war ganz sicher auch nicht nötig. Aber ich denke, er hat auch nicht den Bruchteil davon erzählt. Ob sie mir nun wieder Angebote schicken wird, da sie weiß, dass wir noch suchen? Bestimmt.

Ich muss meinen Suchauftrag in Immoscout sofort ändern. Diese Mails machen mich krank. Jedes Mal diese 1000 Stiche, die Gedanken, das Leid. Ich lösche den Suchauftrag. Aber – ich lege einen neuen an, Kauf einer Wohnung! Warum denn auch nicht. Ich habe nicht so viel Kapital wie er, aber ich habe genug. Eine Wohnung könnte ich mir leiste, wenn ich diese wirklich wollen würde. Ehrlich gesagt, ich will es aber gerade gar nicht. Ich wollte nicht ein Haus, ich wollte unser Haus! Ich wollte unser zuhause, mit ihm. Ich will nicht einfach nur umziehen. Ja, meine Wohnung ist mir nicht gerade ans Herz gewachsen. Aber ich wollte ein Heim mit ihm. Egal, ich lasse den Suchauftrag laufen. Es gibt eh kaum Wohnungen auf dem Markt, hier in meinem Dorf.

Zu spät. Eine Bekannte meldet sich und schickt mir die Anzeige „unseres“ Hauses weiter. Voll lieb von ihr! Wir haben über unsere Jungs früher Kontakt gehabt, nun sind die beiden nicht mehr befreundet. Aber sie dachte immer an mich bei diesen Anzeigen, echt lieb. Soll ich nun lügen? Es ist so demütigend, anderen es zu erzählen. Von der ganzen Trennung zu erzählen. Ich entscheide mich dennoch für die Wahrheit. Sonst kriege ich die Anzeigen noch Jahre weitergeleitet. Sie ist schockiert, es tut ihr leid. Ja, was sollen die Leute auch sagen. Ich glaube, sie kannte ihn gar nicht. Gottseidank. Weniger Beziehungsstränge zu entkoppeln. Ob ich mal reden will, Hilfe brauche? Das ist echt nett. Unser Verhältnis war eigentlich nie wirklich eng. Ich mag sie, aber irgendwie haben wir nicht weitergemacht. Sie ist aber mit meinem Exmann befreundet. Sie ist nett. Und sie hat auch eine interessante Beziehungskonstellation. Ihr Partner ist nicht ihr Mann. Er wohnt in einer völlig anderen Stadt, 200 km weit entfernt. Sie haben einen Sohn zusammen. Sie haben wohl auch ein gemeinsames Haus hier in Bodenheim. Wirklich krasse Kombination. Wie das wohl bei Ihnen so passt? Sie sind sehr lange schon zusammen. Er ist auch um einiges älter als sie. So viele Parallelen. Waren sie glücklich? Sind sie glücklich trotz dieser Herausforderungen? Ich muss mal auf ihr Angebot eingehen und mich mit ihr treffen. Das wäre sicher interessant.

5.Akt: Das Umfeld


Meine Tochter kommt von der Schule nachhause. Plötzlich ist sie da, es ist 15 Uhr. Der Tag ist echt schnell vergangen. Das Schreiben ist so hilfreich. Ich hatte die letzten Stunden fast gar nicht geweint, ich war beschäftig.

Meine Tochter schaut traurig. Schatz, was ist passiert. „Ich habe in der Schule geweint?“ Oh nein, warum? Ich kann es mir denken, aber man muss sich ja nicht als Mittelpunkt der Welt sehen. Sie kann ja auch andere Probleme gehabt haben. „Ich war traurig wegen dir und deinem Freund“. Na gut, doch das gleiche Problem. Natürlich, wie müssen das noch verarbeiten. Wir sprechen darüber, wem sie das alles erzählt hat und wie die Mädels reagiert haben. „Matilda hat dann meine Hand genommen und gesagt, sie versteht das sooo gut.“ Wir lachen“ Aha, eine Neunjährige versteht die großen Gefühle der Erwachsenen, ok. Ich frage sie aus, welche Mädels denn noch zugehört haben. Leider sehr viele, alle Freundinnen. Ok. Innerlich gehe ich dann alle Eltern durch, die nun informiert sind. Wir sind keine Freunde, kennen uns nur über die Kinder. Aber ja, einige kannten ihn auch. Ich wollte ihn ja immer mehr in mein Leben in meinem Dorf einbinden, ihn überall vorstellen, als Paar präsent sein.

Ich werde mir bei dem nächsten Treffen, dem nächsten Klassenfest eine Erklärung überlegen müssen. Ich freue mich vom Herzen über alle intakten Ehen. Soweit ich denken kann, sind alle Ihre Freundinnen aus intakten Familien, Eltern sind nicht getrennt. Ich sage nicht glücklich, das weiß man nicht so genau. Aber zumindest muss sich keiner erklären. Nur eine einzige Freundin von meiner Tochter kennt die Situation, pendelt zwischen Mama und Papa. Die Stimmung ist nicht schön. Diese Mutter wird mich verstehen. Wir hatten schon über unsere beiden Scheidungen gesprochen.

Der restliche Nachmittag verläuft unauffällig. Keine Fragen von meinem Sohn. Meine Mutter kommt auch wieder vorbei, um sich um mich zu kümmern. Die Stimmung ist gut, ich schreibe weiter. Migräne dauert leider an, wird schlimmer, ich muss eine zweite Tablette nehmen. Dann endlich ein positives Highlight – meine Periode kommt! Ich blute, ich weine, ich freue mich. Es ist wie ein physischer Abschluss meiner Beziehung. Noch die Reste von ihm rausgewaschen, physisch und psychisch. Ich bin nicht schwanger, gottseidank. Warum auch, er hatte eigentlich schon Maßnahmen ergriffen, die das unmöglich machen sollten. Aber wer weiß! Mit welcher Wahrscheinlichkeit haben wir damals unser Bab gezeugt? Fünf oder zehn Prozent? Mehr waren es auch nicht. Aber – es ist alles ok, das Elend geht nicht von vorne los. Damit schon mal ein definitiv anderes Ende als bei seiner Exfreundin, die ihm die zwei Kinder, naja angedreht hat, anders kann man das leider nicht sagen. Natürlich liebt er die beiden. Aber gewollt hat er sie nicht und auch natürlich nicht geplant. Seine on off Beziehung ging wegen der Kinder immer weiter und weiter, bis er nicht mehr konnte. Das wird uns nicht passieren, mein Blut wäscht alles raus, es ist vorbei!

6.Akt: Der männliche Freund


Am Abend war das nächste Seelen-Striptease geplant, diesmal ein Telefonat mit meinem Ur-Ur-Ur-Exfreund, Viechi genannt. Wir waren vor über 20 Jahren mal zusammen gewesen und haben es irgendwie geschafft, den Kontakt zu bewahren und Freunde zu bleiben. Ihm hatte ich schon gleich am gleichen Abend Bescheid gesagt. Er stand sofort Gewehr bei Fuß, wollte sofort telefonieren, ich musste ihn erstmal irgendwo unterbringen. Viele liebe Menschen wollten helfen.

Ich habe ihm selbst beigestanden vor nur wenigen Monaten. Seine Ehe stand vor dem Aus, nach über sieben Jahren! Sie hatte ihn betrogen, er wollte ihr verzeihen, sie wollte trotzdem gehen! Was für ein Chaos! Sie war viel jünger, wollte irgendwann mal Kinder, ihm passte es gerade nicht, sie war enttäuscht. So hat er sie wohl in die Arme eines Kollegen getrieben, der genug Zeit und Aufmerksamkeit geben konnte. Sie nahm es dankbar an, er war am Boden zerstört. Es war wirklich schlimm, ihn so zu sehen. Ein stolzer erfolgreicher gutaussehender Mann, Mitte 40, Mitten im Leben, und dann so am Boden zerstört. Er wollte sie unbedingt zurück, trotz Seitensprung. Sie wollte eine Pause. Oh da war wieder das Wort Pause! Sie zog tatsächlich aus der gemeinsamen Wohnung aus. Sie nahm sich die Pause – UND: sie kam zurück. Sie wollte ihn zurück. Sie sind wieder zusammen, haben ihren Eheschwur erneuert, wie süß! Wie beeindruckend, wirklich! So viel Tiefgang hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Ich kannte ihn als einen eiskalten Pragmatiker! Da lief einem ein kalter Schauer den Rücken runter.

Er konnte so unglaublich viel nachvollziehen, so richtig körperlich nachfühlen. Er hatte das alles durchgemacht und noch viel schlimmer. Ich erzählte ihm, dass mich der Gedanke quälte, wie wir die letzten Monate parallel nebeneinander existiert haben und gefühlt haben. Ich gehe Szenen durch und ordne sie neu ein. In den Momenten, wo wir uns nah waren, war das dann nur meine Wahrnehmung? Er lag neben mir und dachte an das Ende, an seine schwindenden Gefühle. Auf Mauritius dachte ich an unser gemeinsames Leben in einem gemeinsamen Haus. Er dachte, dass ihm das Gefühl nicht reichte, um meine Hand anzuhalten. Es lief alles parallel ohne Überschneidung, bis zu dem Sonntag vor drei Tagen. Da prallten unsere Realitäten aufeinander. Ich fühlte mich so zutiefst betrogen! Nicht körperlich, aber seelisch, emotional. Ich bin in einer ganz anderen Realität als er gewesen die letzten Monate. Und er hat das nie aufgelöst, nicht korrigiert, bis jetzt. Ist das Vertrauen in einer Beziehung? Kann man denn sich nicht darauf verlassen, dass man nach fast sechs Jahren spürt, was den Anderen bewegt, was der Andere denkt. Viechi konnte das so gut nachvollziehen, nur dass er wirklich physisch betrogen worden ist. Da sie physisch bei einem Anderen war, während er auf einer Geschäftsreise unterwegs gewesen ist. Sie hat ihm was anderes erzählt, als sie mit dem anderen essen ging. Wie schmerzhaft, wie demütigend. Er sagt, sie haben das verarbeitet, darüber geredet, es geklärt, ausgesprochen, abgelegt – und einen Neuanfang beschlossen. Warum nicht wir? Warum hat er seine Karten nie auf den Tisch gelegt? Nie mit mir gesprochen, aber so richtig, nicht auf meinen Zwang hin, wenn ich wieder mal meine Skalendiskussionen hatte?

Darauf hat Florian auch keine Antwort. Das ist aber auch nicht das Ziel. Es geht um den Austausch, das Philosophieren. Es gibt keine Lösung, die dabei entsteht. Es hilft einfach nur ungemein, die Situation aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Es hilft, dass er da ist, zumindest telefonisch. Ich muss ins Bett, morgen die Kinder wieder um sechs Uhr früh für die Schule fertigmachen. Der Alltag geht weiter. Ich wünsche ihm eine gute Nacht – neben ihr.

Tag 4 - Mittwoch


1.Akt: Der Liebestest


Der Tag beginnt um fünf Uhr, ich bin hellwach. Eigentlich schlafe ich erst seit ein Uhr - egal, dynamischer Morgenstart - ich schaffe das, so kennt man mich! Ich wache mit der Frage auf, was das Wort Liebe denn bedeutet. Ich frage Google. Ich weiß, es ist lächerlich. Aber ich bin gerade so drauf. Das erste Suchergebnis ist dieses: https://lovomi.de/liebe-ich-ihn-noch/. Keine Ahnung, wie qualitativ das nun ist – schauen wir mal durch.

„Liebe ich ihn noch? 18 Anzeichen, die es dir verraten“


1.) Du kannst dir keine Zukunft ohne ihn vorstellen:

Konnte ich nicht, nicht vor fünf Tagen. Ich habe mir oft ausgemalt, wie wir alt miteinander werden. Ich konnte es mir richtig greifbar vorstellen. Da unser Alltag so harmonisch war, wusste ich, es wird so weitergehen. Wenn die Leidenschaft weg ist, das Körperliche zurückgeht, was ja bereits der Fall war, dann bleiben die Gespräche, die Nähe, die Vertrautheit. Und dann kommt es darauf an, welches Team wir sind, wie die täglichen Kleinigkeiten funktionieren, und sie funktionierten ja. Haben wir die gleiche Vision von der Zukunft gehabt? Ja, ich dachte schon! Wir haben genug darüber gesprochen. Ich wusste das! Wir wollten das Gleiche. Natürlich ist diese Fragestellung nun eine andere. Jetzt stelle ich mir diese Zukunft ohne ihn vor. Es sind noch sehr destruktive schmerzende Gedanken, die sofort eine Weinpause nach sich ziehen. Aber ich muss es doch! Ich muss doch da raus! Ich habe meinem Bruder gesagt, ich möchte die entstandene Wunde ausbrennen, damit es schneller geht, einfach ein Höllenschmerz und dann vorbei! Er sagt, es ist falsch. Ich muss mich mit den Gefühlen und der Trauer auseinandersetzen – da die ausgebrannte Wunde sich entzünden könnte! Es ist nicht der richtige Weg. Egal - Hauptsache, ich habe irgendeinen Weg. Ich muss was tun. Ich bin noch nie herumgesessen und habe gewartet, bis das Leben für mich entscheidet, bis sich was ergibt. Das ist nicht meine Art.


2.) Eure Streitereien sind dir nicht egal:

Irgendwie blödsinniger Aspekt, wie sollte es denn je egal sein in einer Beziehung! Natürlich nicht! Waren sie nie. Wir haben aber eigentlich auch gar nicht gestritten, es waren eher die genervten Monologe von mir, zu den Lieblingsthemen wie der Haussuche. Er schwieg dabei fast immer! „Was soll ich denn nur sagen?“, war seine schlimmste Frage, wenn er überhaupt was sagte. Ich dachte so oft, ich rede an ihm vorbei. Er wartete meist einfach nur ab, bis der Sturm vorüberzog, und er tat es, ich war schnell auf 100%, aber genauso schnell runter. Nachtragend sein ist nicht meine Art, bilde ich mir zumindest ein. Ich weiß im Moment bei vielen Sachen nicht, ob er das auch so empfand. Er ist kein Mensch zum Streiten, braucht Harmonie. Hätten wir haben können, wenn wir rechtzeitig unsere Beziehung gepflegt hätten und die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit gefallen wären – aus meiner Sicht.


3.) Bei Neuigkeiten denkst du zuerst an ihn:

Das ist der grausamste Punkt im Moment, der mich am meisten krank macht. Alles, wirklich alles was ich im Leben erlebe, alles will ich mit ihm teilen. Er ist der Mensch Nr.1 für mich, für jede noch so kleine Kleinigkeit! Jedes freudige Erlebnis, jede Erkenntnis, alles muss zu ihm. Manchmal bin ich am Platzen, wenn ich bis zum Abend warte, wenn wir uns sehen oder telefonieren, und ich ihm alles erzählen kann. Klingt irgendwie einseitig. Natürlich will ich auch vom ihm jede Kleinigkeit wissen. Und er erzählt alles, weniger proaktiv und euphorisch, aber ich denke ja, das ist ihm auch wichtig. Ich rede halt lieber als er – vielleicht ist es bei allen Frauen so. Ein guter Verkäufer kann besser reden als zuhören – habe ich in meinem Beruf im Vertrieb gelernt. Kann ich zuhören? Ich denke schon, kritisch aber, ich hinterfrage seine Wahrnehmungen und Erzählungen, das ist doch normal. Ich denke aber, dass er sich zu oft kritisiert fühlte. Er kann das bei mir nicht machen. Er kann mich nicht kritisieren, sagte er mal in diesem schlimmen Urlaub auf Rhodos. Ist das normal? Ich habe mich vor dieser Aussage ziemlich erschreckt. Was trägt er den alles im Herzen, was er eigentlich gerne sagen würde, kritisieren würde, aber es nicht tun kann? Wie meint er das? Das ist doch gesund, sich auch kritisch mit dem geliebten Menschen auseinander setzen zu können. So hat man keine Überraschungen, wenn man am Ball bleibt. Und siehe da, ich stehe nun überrascht und allein da, nicht kritisiert, bis zuletzt nicht genug ausgesprochen. Hat sich das gelohnt, meine Gefühle vor der Kritik schonen zu wollen? Ich würde so gerne ihm erzählen, dass mich jemand gerade unheimlich schlimm verletzt hat, dass ich kaputt bin, dass ich ihn brauche, seine Hilfe, seine Nähe und seine Wärme. Upps – das war ja er selbst! Er hat das getan. Er weiß also schon Bescheid.

    4.) Das Gefühl vom Vermissen:

    nächste Frage! Weinpause. Nachdenken. Natürlich muss man wieder unterscheiden zwischen damals und jetzt. „Denn jemanden vermissen ist unglaublich aussagekräftig. Das heißt nicht, dass du die ganze Zeit an ihn denken musst.“ – ist die Erklärung der Website. Natürlich war es in den ersten Jahren eine ganz andere Sache. Das Vermissen war unerträglich! Wie zwei Teenager, frisch verliebt. Körperliche Abwesenheit tat physisch weh. Die Verliebtheit ging, die Liebe kam, sie blieb, sie veränderte sich. Ich sehnte mich nach ihm, wenn wir uns nicht sahen, aber ich konnte die Zeit auch normal ohne ihn gestalten. In meinem Alltag gab es so viel zu tun, zu erledigen. Ich hatte auch Abende ohne ihn allein zuhause, vor dem Fernsehen, in meinem Haushalt, auch wenn die Kinder nicht da waren. Ich fand solche Tage auch ganz nett. Ich habe wohl ein anderes Verhältnis zu Nähe und Abstand als eh. Er brauchte die Nähe viel mehr als ich, das war sein Eindruck und darunter hatte er gelitten. Wir sind nun im Jetzt, vermisse ich ihn jetzt? Ich glaube, die Frage macht im Moment keinen Sinn. Ich lasse mich auf keine Gefühle in diese Richtung ein. Ich blende Gefühle aus, ich will mich das im Moment gar nicht fragen. Es fühle mich betäubt. Ich bin zu verletzt und enttäuscht, so tief gekränkt, ich kann nicht mehr. Ich vermisse ihn gerade nicht.


    5.) Neugierde, mit wem er seine Zeit verbringt:

    Natürlich! Immer wenn er sich mit Freunden traf, Männerabende hatte, wenn seine Kinder da waren – ich war immer gespannt auf seine Geschichten! Ich finde es wichtig, immer was Neues in die Beziehung reinzubringen, darüber zu sprechen, seine Gefühle und Gedanken darüber auszutauschen, für sich was daraus zu ziehen. Ich hatte mal eine Beziehung, da hatte mein Exfreund kaum anderen menschliche Kontakte, es war ihm einfach nicht wichtig. Ich fand das ganz schlimm. Es war langweilig, er war nur auf mich fokussiert! Es war mir nicht genug, ich bin gegangen. Also ja, ich interessierte mich für alles, was er tat.


    6.) Er ist deine Anlaufstelle für alles:

    Respekt und Vertrauen - ein unglaublich wichtiger Teil der Beziehung: Für alles, mein Gott, für alles! Und das an allererster Stelle. Er war meine mit Abstand innigste Vertrauensperson überhaupt. Nicht meine Mutter, zu der ich früher ein sehr enges Verhältnis hatte, keine Freundin, niemand wusste mehr als er, oder erfuhr es früher als er. Durch seine Augen habe ich die Situationen neu bewertet, ich habe gelernt, damit umzugehen. Ich habe die Freude verspürt, wenn er diese zurückspiegelte. Ich habe durch seine Augen die Sachen betrachtet. Er ist so klug! Der klügste Mensch auf der Welt! Er wäre mein Telefonjocker bei „Wer wird Millionär?“ Wie kann der Mensch nur so viel wissen? Er ist ein Nerd, ein Streber, der klassische Junge mit der Brille, damals aus der Schule. Schüchtern und klug, viel mehr, als man an seiner zurückhaltenden Art erkennen kann. Ich habe das geliebt, diesen Nerd habe ich geliebt. Nicht der Womanizer, ich wollte auch keinen, ich hatte genug, ich wollte meinen Nerd!

    7.) Gemeinsame Pläne:

    Naja, die langfristigen Zukunftspläne sind allen ja nun bekannt, also ja, wir hatten so einige. Aber auch kurzfristige, Urlaube, Ausflüge, Treffen mit Freunden. Er unterstellte mir in den wenigen kritischen Momenten, ich treffe mich nicht gerne mit seinen Freunden. Unser Alltag war einfach so verdammt schwer zu planen! Ich plante ja schon einiges, fast alles, aber vor allem wenn es um seine Freunde ging, da konnte ich doch nicht auch noch die Initiative ergreifen! Es war mühsam! Sie hatten so selten Zeit, auch wenn die zwei engsten Paare nicht mal Kinder hatten. Und trotzdem war es immer so schwierig, mit denen Termine zu finden, warum? Ich hatte oft das Gefühl, die haben was gegen mich. Warum? Hatten sie schon damals gedacht, wir passen nicht zueinander, haben sie das gesehen? Oder habe ich mir das eingebildet? Sie sind doch so gute korrekte Menschen gewesen, sie wusste doch sicher Bescheid, was gut für ihn ist. Mein Problem mit Ihnen wurde nur das folgende – ich wurde ja paranoid, was das Thema Heirat anging. Seit dem letzten Jahr hatte ich immer mehr das Gefühl, dass sie, im Prinzip alle Menschen um uns herum, uns als Paar immer weniger für voll nahmen. Wenn er denn wollte, dann wären wir doch nun ein Ehepaar, also wollte er dann doch nicht und ich war die Lebensabschnittsgefährtin, also auf der Durchreise. Dieses Gefühl setzte sich immer mehr fest. Irgendwie schämte ich mich einfach für dieses Dasein. Dafür, dass andere sich fragten, was denn nun ist mit uns. Dass sie sahen, dass ich nur wartete und wartete. Vielleicht paranoid ja, vielleicht war aber auch viel Wahrheit dran, die er sich nicht eingestehen wollte.


    8.) Du kannst dir nichts mit jemand anderes vorstellen:

    Nach so vielen Jahren, nein, ich hatte keine Vorstellung mehr, dass es jemand anderen hätte geben können als ihn. Warum auch? Warum sollte man das wollen? Der Alltag war schön, harmonisch, die Urlaube perfekt, wir hatten eine Zukunftsvision. Es passte doch alles. Nein, ich hatte keine Gedanken in diese Richtung, nicht im Ernst. Ja, es gab sehr selten mal Männer, die in mein Leben kamen und mir auffielen, die ich wirklich als Männer wahrnahm. Ein Mann war ihm sehr ähnlich, in vielen Dingen. Ich fand ihn charmant, und ja, ich glaube ich flirtete. Er war nicht der große Flirter, da kam auch nicht wirklich was zurück. Es passte so. Die Gedanken vergingen. Sollte das eine Schwärmerei gewesen sein, so war sie so schnell vorbei wie sie gekommen war. Ich war damals auch irgendwie stolz darauf, wie das einfach an mir vorbei zog und unsere Beziehung in keinster Weise tangierte. Warum? Naja, als junge Frau hatte ich schon gerne Regungen nachgegeben, Interessen weiter verfolgt. Ich hatte mich getrennt, wenn ich jemand anderen, besseren kennengelernt habe. Ich hatte genug Erfahrung mit Männern. Ich wurde ruhiger, naja älter, die Kinder kamen, das Leben veränderte sich komplett. Als ich ihn kennengelernt hatte, wusste ich, wo ich im Leben stehe, was ich suche. Ich wusste es genau und ich dachte, ich hatte das in ihm gefunden. Ich weiß, ich hatte schon einen Versuch gehabt, die Liebe meines Lebens zu finden. Ich war ja schon verheiratet gewesen. Es hatte nicht geklappt. Er war so anders als mein Exmann! So viele Dinge, die er mir geben konnte, nach denen ich mich so sehr gesehnt habe. Zärtlichkeit, Respekt, niveauvolle Unterhaltung, er trug mich auf Händen. Ein reifer Mann, der wusste, was er wollte. Und er wollte mich, nur mich! Ich wollte sowas von zurück – mit Haut und Haaren! Ich hatte mich damals mit meinem Exmann immer gefragt, wie man nach einigen Jahren noch an der Seite des gleichen Mannes aushalten kann. Wir hatten so viel gestritten, der Alltag war richtig schlimm. Ich konnte es nicht aushalten. Und dann kam er! Jedes Jahr war eine Bereicherung. Der Respekt blieb. Die Verliebtheit wurde zu Liebe. Ich war stolz darauf, mich mit ihm zu zeigen, wie er war, wie er aussah, was er sagte, was er alles wusste, wie er mich behandelte, wie wir miteinander harmonierten – es passte doch alles! Ja, das letzte Jahr stand das alles unter einer sehr dunklen Wolke, die ich lange Zeit nicht wahrhaben wollte. Aber ich wiederhole mich gerne, ich war mir so sicher, dass das Fundament unserer Beziehung das alles schaffen würde! Das Haus war doch so stabil! Es musste nur ab und zu gereinigt werden, und die Deko ausgetauscht werden. Aber unser Gefühlshaus war doch so sicher gebaut, genau auf den richtigen Aspekten, auch einem so starken Fundament. Ich hatte nicht geahnt, dass die Situation in unserem Gefühlshaus eher der aktuellen Energiekriese ähnelte und wir vor einer Kernsanierung standen mit mindestens einem kompletten Austausch des Heizsystems. Solche Häuser kamen nicht für ihn in Frage, waren zu kompliziert. Er war nicht bereit, an einem Haus so viel machen zu müssen. Welche Parallelen ich nun ziehen kann! Krass! Er war auch nicht bereit, an unserem Beziehungshaus zu arbeiten.

    9.) Dir ist es wichtig, was dein Partner von dir denkt:

    Was für eine Frage! Natürlich ist das mir wichtig gewesen. Aber es war wie schon mehrmals geschrieben, so wahnsinnig schwer, zu verstehen, was er wirklich denkt! Ein Penny für seine Gedanken – und Gefühle! Am Anfang sah ich das, spürte es! Diese krasse Dimension von Liebe in der höchsten Verliebtheitsphase, so etwas habe ich noch nie erlebt! Klingt vielleicht blöd und naiv, aber ich dachte, dass man das in einem gewissen Alter nicht mehr erleben kann. Das es biologisch physisch wie auch immer, einfach nicht mehr funktioniert. Und dann war es da. Am Anfang muss man nicht viel reden. Es war so offensichtlich überwältigend schön. Aber im Laufe der Beziehung muss man auch an seine Gefühle und Bedürfnisse denken, und Dinge einfordern, wenn das Bedürfnis da ist. Ich dachte immer, ich weiß, was er denkt, was er von mir denkt, was er über uns denkt.

    Ich war wohl noch so sehr von der letzten Beziehung geprägt, wo Streit auf der Tagesordnung stand. Irgendwie hatte ich damals anscheinend immer was falsch gemacht. Immer gab es Kritik, Diskussionen, Vorwürfe, über jede Lappalie! Was für ein Balsam für meine Seele war der Umgang mit dem Neuen. Es schien immer mit allem zufrieden zu sein. Endlich hatte ich anscheinend den Menschen gefunden, der einfach matchte. „Er kuscht einfach unter dir“, hatte mein Exmann öfter gehässig gesagt, wenn ich ihm das unter die Nase gerieben habe. Es passte halt einfach nicht mit ihm, mit dem Neuen schon. Er schätzte mich, so wie ich war. Ich hatte nicht das Gefühl, zumindest ganz ganz lange Zeit, dass ich irgendwas an mir ändern sollte. Ich war anders als er. Ging Dinge anders an. Aber ich dachte, dass fand er gut.

    Die ewige nicht zu lösende Diskussion ist doch immer, was besser ist. Sollen sich die Partner ergänzen oder sich ähnlich sein? Wann klappt es am besten? Mit meinem Exmann dachte ich, sind es die Ähnlichkeiten. Wir waren uns sehr ähnlich vom Wesen, daher der Streit, war die Schlussforderung. Vom Neuen hätte ich nicht verschiedener sein können, in bestimmten Aspekten, in unsere Art. Er ist der Harmoniemensch schlechthin. Sucht den Konsens, gibt nach, ist versöhnlich, vermittelnd, emphatisch, verständnisvoll. Das sind alles so positive Begriffe, da will man gar nicht das Gegenteil sein. Aber harmonisch und entspannt drauf war ich nun mal nie. Ich war nicht auf Ärger aus, aber mit meiner Art zog ich Ärger an. Ich ging Konflikten nicht aus dem Weg. Ich trug gerne meine Kämpfe aus und vermied nichts. Es wurde zwar besser im Alter, aber die Energie sprudelte aus mir heraus. Ich war so selbstbewusst, so überzeugt von mir. Scheidung hin oder her, war halt einfach nicht der Richtige gewesen. Der nächste Versucht würde perfekt sein, er würde perfekt für mich sein. Und ich für ihn.

    Sicherlich war ich das auch am Anfang, ganz lange. Mir fiel auch am Anfang dies und das auf, was nicht passte an ihm. Ich habe immer offen über meine Punkte gesprochen. Er war anscheinend mit allem an mir zufrieden. Er kritisierte nie etwas. Wenn er mal eine Winzigkeit anmerkte, dann war ich schon durch den Wind. Oh mein Gott, wie konnte er? Was war denn so schlimm? Nicht dass ich seine Kritik zu persönlich nahm oder damit nicht umgehen konnte. Aber ich war einfach nichts gewöhnt. Aber das kam nun mal sehr sehr selten vor. Einmal hatte er sich gewundert, warum ich denn das Kaffeeabwasser aus den Kapseln der Kaffeemaschine quer über alle Fächer des Mülleimers verteilt hatte. Ich glaube es passierte nicht nur einmal. Ich war total verblüfft, was er den meinte. Ich war mir keiner Schuld bewusst! Er hatte das aber so humorvoll formuliert, dass wir darüber noch oft gelacht haben. Mensch, ist der toll, dachte ich mir damals, sogar Kritik klingt bei ihm nach Liebe. Das muss doch Liebe sein.

    Nur irgendwas hatte sich ja in den ganzen Jahren verändert. Unsere Beziehung, wir, das Umfeld. Es wäre mehr konstruktive Kritik von seiner Seite nötig gewesen, um die Beziehung in die richtigen Bahnen zu lenken. Aber er sagte weiterhin nichts, einfach nur nichts. Und ich fühlte mich bestätigt, dass alles gut lief. Warum sollte ich was ändern? Ein mehr emphatischer Mensch als ich hätte feinere Antennen gehabt und sicherlich was gespürt – vielleicht! Laut meinem Bruder ja nicht unbedingt, wenn man es als Mann darauf anlegte. Ich weiß es nicht. Das allererste Mal schockierte er mich auf Rhodos, in dem Urlaub vor einem Jahr, mit der Aussage, er können gar keine Kritik an mir üben! So war er nicht sozialisiert! Oh mein Gott, wie meinte er das denn? Das war doch hochgradig ungesund, über seine Gedanken und Gefühle dem anderen gegenüber sich nicht zu öffnen. Dem eigenen Partner, der einem doch näher stand als jeder andere. Niemals hätte ich doch vom ihm erwartet, mich mit allen meinen Fehlern akzeptieren zu müssen, genau so! Dafür müsste man aber ganz genau wissen, was dem anderen nicht passt. Menschen sind verschieden. Was meinem Exmann missfiel war doch vielleicht was ganz anderes, als es bei ihm der Fall sein würde. Ich weiß bis heute nicht, ob er einfach erwartet hätte, dass ich das erspüre. Und damit hätte ich ja automatisch versagt, dass ich seine Gedanken nicht erraten habe und seine Gefühle nicht richtig interpretieren konnte.

    10.) Ein schönes Gefühl, wenn er da ist:

    Aber wie denn auch nicht? Sonst würde die Beziehung doch keinen Sinn machen! Das ist doch der Inhalt der Beziehung, dass dein Leben zu zweit schöner ist als allein. Und im besten Fall viel schöner. Seine Nähe war immer schön, im schlimmsten Fall ok, aber niemals unangenehm. Nur ein oder zweimal nach stärkeren Streits oder eher Diskussionen hatte ich das Bedürfnis, einfach nur zu gehen. Der Situation zu entfliehen. Aber die konnte ich an einer Hand abzählen. Nur ein einziger Vorfall kam mir in den Sinn, der ihn wahrscheinlich damals massiv verwirrt hatte. Wir waren nur wenige Monate zusammen und hammermäßig verliebt. Ich hatte damals immer einige Tage bei ihm verbracht und einige Tage zuhause, auch wenn die Kinder nicht da waren. Es war einer dieser Tage allein zuhause bei mir geplant, nur ich allein nach der Arbeit. Wir hatten unterwegs telefoniert und er wollte unbedingt vorbeikommen. Ich sagte nein, ich wollte nicht. Irgendwie war ich müde, gereizt von der Arbeit, fühlte mich nicht schön. Vielleicht hatte ich auch meine Tage und war emotional nicht ganz zurechnungsfähig, ich weiß es nicht mehr. Auf jeden Fall wusste ich, dass ich ihn heute nicht sehen wollte. Er ließ irgendwie nicht locker. Ich kam zuhause an und wollte schnell ins Bad. Und plötzlich klingelte er an der Tür. Ich bin dann bisschen ausgerastet! Wenn ich mich daran erinnere, erschreckt es mich selbst. Ich war einfach nur hochgradig genervt, dass er da war! Ich freute mich, ihn zu sehen. Aber mich wurmte die Tatsache ungemein, dass er mich einfach ignoriert hatte. Wie ein Junkie, der zu seiner Lieblingsdroge musste. Er schlief auch mit meinem Nachthemd um den Hals, weil er meinen Geruch so schlimm vermisst hatte. Es war schon überwältigend, welche Gefühle im Raum standen. Aber ich hatte kein Verständnis dafür! Ich hatte ihn angekeift, angemotzt, na dann sollte er nun bleiben, aber ich ging trotzdem duschen! Meine Pläne wollte ich mir nicht kaputt machen lassen. Als ich rauskam, war er weg. Die Leere und der Schmerz über den Streit waren überwältigend. Ich weiß nicht, was mich getrieben hatte. Ich rief ihn an, ich entschuldigte mich, aber die Erinnerung blieb. Auch bei ihm hat sich das sicher ins Gedächtnis gebrannt, dieser eine Vorfall. Danach ist niemals so etwas passiert. Er hatte verstanden, dass er mein NEIN ernst nehmen muss, dass ich mich nicht einfach nur ziere. Aber trotz dieses unangenehmen Vorfalls, konnte er zumindest bei mir sicher sein, dass ein JA ein JA war und ein NEIN ein NEIN. So hatte ich das auch gemeint. Vielleicht untypisch für normale Frauen. Aber so war ich halt. Sehr schwer waren meine Gedanken und Gefühle nicht zu lesen. Umso mehr seine.


    11.) Sein Lächeln versüßt dir den Tag: u.a. er bringt dich zum lachen! Oh man, wie sehr hat er mich zum Lachen gebracht! Wir hatten genau denselben Humor. Das dachte ich eigentlich bis zuletzt. Wie schön es war, über die gleichen Dinge lachen zu können. Wie intelligent seine Witze waren, wie anspruchsvoll und dennoch witzig. Es ist so ein Standardsatz, über den Männer wahrscheinlich nur lächeln können und keiner daran glaubt. Aber natürlich! Wenn ein Quasimodo dich zum lachen bringt, dann bist du hin und weg, sicher! Naja, er war ja kein Quasimodo! Ich musste keinerlei Kompromisse eingehen für dieses Lachen. Mit ihm hatte ich alles aus einer Hand! Wir konnten miteinander lachen und übereinander lachen. Ich fühlte mich nie verletzt oder bloßgestellt durch seine Witze, seinen Humor. Wie oft ging es mir so mit meinem Exmann! Wie oft betonte ich auch den Kindern gegenüber, dass „wenn man alleine lacht, es kein Witz ist“. Das war oft der Fall, wenn er auf meine Kosten immer wieder auch vor den Kindern irgendwelche schwachsinnigen Witze über mich riss. Natürlich hatte ich irgendwann mal auch mit ihm lachen können. Ich konnte mich aber beim Besten Willen nicht mehr daran erinnern. Mit dem Neuen war alles besser. Das gemeinsame Lachen, war die Grundlage jeder Beziehung, unserer Beziehung.

    12.) Du willst, dass es ihm gut geht

    Will ich das? Es sind nun einige Tage vergangen. Ich denke, mit jedem Tag wird es mir egaler, während die Wut wächst, die Enttäuschung, die Wunde blutet. Aber wir sprechen ja eigentlich über den Zustand vor der Krise, vor dem Ende. Naja, dann kann man diese Frage nur mit JA beantworten. Aber es kommt ja auf die Details an, oder? Ich mache alles, damit es ihm gut geht? Dann suchen wir mal nach den Beispielen. Wie oft habe ich um sein Seelenheil gekämpft auf sein Umfeld bezogen, wie oft nur! Ich weiß nicht, ob ich mir damit Freunde gemacht habe, auch bei ihm selbst. Nehmen wir mal seine Brüder. Vor einigen wenigen Jahren wütete ein elendiger Erbstreit in der Familie. Die liebe alte Mama wollte nur mit warmen Händen das Erbe den Söhnen überlassen. Drei spielten mit, einer nicht. Welchen nervlichen Aufwand wir damals hatten! Von diesem Geld hing ja auch unser Haus ab. Solange alles nicht geklärt war, konnten wir nichts kaufen, lohnte es sich nicht, zu investieren. Er hat so viel versucht, sich so bemüht, aber ein Bruder spielte einfach nicht mit. Mein Herz blutete, wenn ich ihn gesehen habe. Es war so fertig! Ich hatte wirklich schon Angst, dass das aufs Herz geht, er war ja auch nicht mehr der Jüngste! Wie habe ich ihn nur unterstützt, moralisch, seelisch, körperlich. Wie ich nur konnte. Aber ja, auch ich hatte dann schlimme Momente, wo mir auch alles zu viel wurde, wo ich so frustriert war, dass es nicht voranging. Da habe ich ihm auch Vorwürfe gemachte, dass er das nicht anders angeht, damit es klappt. Irgendwann mal war alles gelöst, nach über 1,5 Jahren denke ich, in denen wir auch viele Federn gelassen haben, auch als Paar.

    Oder nehmen wir seine Kinder, die er abgöttisch liebte. Lieben sie zurück? Natürlich, auf ihre Art und Weise. Aber ihre Mutter tat alles, damit die beiden so negativ wie es nur geht gegen den Vater eingestellt waren. Gratulierten sie ihm zum Geburtstag? Schenkten sie ihm was? Ich habe nie was gesehen. Es tat mir in der Seele weh, weil ich spürte, dass es ihm wehtat. Er sagte natürlich nichts. Was sollte er auch? Er nahm alles so hin, es sind doch die Kinder, seine Kinder, inzwischen übrigens 19 und 15, fast komplett erwachsen. Was sollte ich hier schon tun? Kleinigkeiten, nur Kleinigkeiten. Ich habe mal einen Jahreskalender mit Fotos von uns allen gemacht, uns als Paar, mit meinen Kindern und mit seinen Kindern. So etwas hatte er nie von jemanden bekommen. Natürlich nicht von seiner Ex, aber leider auch nicht von den Kindern. Wenn ich sehe, was meine kleine Tochter für ihren Papi mache! Da werde ich sogar eifersüchtig! Bilder, Briefe, Geschenke, die sie vom eigenen Geld kauft. Sie liebt ihren Papi über alles und will ihn glücklich machen. Ich kann das nur unterstützen, ihr helfen, sie kommt selbst auf die Ideen. So sehr hätte ich ihm das gegönnt, diese sichtbare greifbare Kinderliebe, von seinen Kindern. Ich habe mir immer vorgestellt, wie wir zusammen wohnen würden. Ich hätte dann Zugriff auf seine Kinder, könnte mich mit denen zu seinem Geburtstag abstimmen, was gemeinsam machen, ihn überraschen, glücklich machen. Dazu kam es aber nicht. Meine Tochter, und teilweise auch mein Sohn, schenkten ihm oft Sachen. Sie schrieben wunderschöne emotionale Briefe, Geburtstagswünsche, Genesungswünsche, alles Mögliche. Ich habe ihm alles überbracht, wusste aber, dass es die falschen Kinder waren, die das verfassten. Von seiner eigenen Tochter oder seinem Sohn hätte er sich das gewünscht. Aber ich konnte nicht alles beeinflussen, leider sogar nur das allerwenigste.

    Und dann hätten wir die zahlreichen Kleinigkeiten, die das normale Alltagsleben schöner machen. Kleine Gesten, dass der andere an dich denkt. Kleine Gesten, große Wirkung. Er hatte immer die liebe Angewohnheit entwickelt, mir eine kalten Faßbrause zum Trinken rauszustellen, wenn ich abends zu ihm kam nach der Arbeit. Mein Willkommensgeschenk zuhause. Wir schrieben uns kleine gelbe Zettel mit Herzchen und Guten Morgen Grüßen, wenn wir uns morgens verpasst haben. Früher mehr, später weniger. Noch vor ein paar Tagen jammerte er plötzlich, dass sein geliebtes Duschgel zu Ende sei, wie schlimm. Ich war dann später einkaufen und zack, spontan dachte ich an dieses Duschgel. Er hat sich so über sein Orangenduschgel gefreut, was plötzlich wie von Zauberhand sich im Bad nachgefüllt hatte.

    Ja, in der Anfangszeit hatten wir mehr dieser Gesten. Mehr Blumen, mehr Geschenke zwischendurch, mehr von allem. Aber verdammt, das ist doch normal! Wir waren über fünf Jahren zusammen, es konnte doch nicht immer so weitergehen wie bei der ersten Verliebtheit? Was hat er denn erwartet, als er mir auf dem Küchenboden weinend erklärt hat, dass er sich nicht zu noch mehr überwinden kann? Ich wusste gar nicht so richtig, was er meinte. Wie merkwürdig ist das denn? Ich konnte nicht sagen, dass mir was fehlte, nicht von diesen Gesten. Ich wollte eine Bestätigung, dass ich die Frau seines Lebens war, durch das Haus, durch die Ehe, durch ein Kind, durch eine große Verbindlichkeit. Ich wollte nicht mehr Blumen, die mir eh nicht besonders viel bedeutet haben. Ich wollte keinen Schmuck, den ich eh nicht trug oder Schokolade, die ich nicht aß. Ich glaube, er hatte bis zuletzt auch nicht verstanden, was ich eigentlich wollte.

    13.) Eifersucht

    Oh ja, ich war eifersüchtig! Das ist einfach meine Art, ich bin leidenschaftlich, sehr emotional. Nicht dass er mir jemals einen Grund gegeben hätte, nein, wirklich nicht. Aber er sah doch so gut aus! Jede wollte ihn doch haben, bestimmt! Ab und zu kabbelten wir uns hier spielerisch. Es gab um Gottes willen hier keine Szene von mir oder so, nein nein. Aber manchmal steigerte ich mich hier oder da einfach bisschen rein. Ich denke, dass er das durchaus genossen hat, diese Diskussionen. Er wollte doch auch sich geliebt fühlen, spüren, dass ich ihn wollte.

    Zweimal hatte ich mal ganz ganz merkwürdige Träume über ihn. An einen kann ich mich noch sehr gut erinnern. Er hatte mich irgendwie nach der Erlaubnis gefragt, was mit einer anderen Frau anzufangen. In seiner sanften lieben Art. Ganz merkwürdige Situation. Und irgendwie hatte ich wohl nicht richtig nein gesagt, und er hat das als Ja interpretiert und schien, was mit dieser Frau gehabt zu haben. Ich bin aus diesem Traum heulend aufgewacht, das Kissen war nass. Ich habe noch nie so lebensecht geträumt, so real. Das Entsetzen und die Trauer hatte ich gleich mit in die Realität beim Aufwachen mitgenommen. Ich habe so gelitten, so real war das. Er hatte das nicht mit Absicht gemacht damals. Er wollte mich nicht verletzten. Irgendwie hat sich das im Traum ergeben, dass er es so verstanden hatte, dass ich damit einverstanden bin. Das war so ein merkwürdiges Gefühl. Und ich habe unter der Vorstellung gelitten, dass er anscheinend diese Frau wollte, und nur meine Erlaubnis brauchte. Ich bin schon verrückt, welche Träume!

    Ein anderer Aspekt, naja eine andere Frau, die machte mich auch manchmal eifersüchtig, vor allem in der Anfangszeit. Seine griechische Karatefreundin! Sie sah Hammer aus. Machte den gleichen Sport wie er. Kannte ihn seit Jahren. Hatte einen kuschelwuschel Umgang mit ihm, Küsschen hier, Küsschen da. WOW, das war schon herausfordernd. Sie waren beide hübsch, groß gebaut und hatten die gleichen Hobbies. Ich hatte mich immer gefragt, warum sie nicht zusammen kamen, damals, aber irgendwie war er an ihr nicht interessiert, sagte er. Sie war so viel jünger als er. Naja, ich bin jünger als sie, aber damals fiel der Altersunterschied natürlich mehr auf, wenn man um die 20 und 30 war.

    Unsere Gefühle wuchsen und ich hatte die Sicherheit, dass er nichts von ihr wollte. Ich wusste und spürte das. Sie war kein Problem. Ich glaube, sie hatte bis zuletzt sehr vorsichtig sich mir gegenüber verhalten. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, als wäre da was, als gebe es irgendwas Intimes zwischen ihnen. Sie war glücklich verheiratet. Ich hätte das auch nicht gedacht. Aber ich habe ihr Verhalten verstanden. Ich kannte diese Situation. Auch ich sah wahrscheinlich nicht schlecht aus und ich war gerne mit Männern befreundet, einfach platonisch befreundet. Ich fand den Umgang mit Männern einfacher als mit den meisten Frauen. Es fiel mit leichter, sie zu verstehen. Und immer wieder kam es zu Situationen, in denen diese Männer, meine Freunde, Frauen kennengelernt hatten, die rasend auf mich eifersüchtig waren! Wie lästig! Ich habe auf diese Weise einen wirklich guten Freund verloren! Ich habe verstanden, in welcher Situation sie war. Ich war also nicht eifersüchtig auf sie.

    Naja, fast nicht. Auf eine Sache war ich SCHON eifersüchtig, auf ihre Freundschaft mit ihm. Sehr merkwürdig, wie ich das damals schon so empfand. Ich hatte doch eigentlich mehr, ich war die Frau an seiner Seite. Aber eine Liebesbeziehung ist schwieriger zu pflegen und hegen. Es gibt Streits, die es unter Nur-Freunden natürlich nicht gibt. Eine Freundschaft braucht nur Zeit, ganz vereinfacht gesagt. Eine Beziehung so viel mehr. Egal was sie tat, er würde ein Leben lang an ihrer Seite bleiben, und umgekehrt. Sie könnte es gar nicht riskieren, ihn zu verlieren, wie denn auch? Diese Ewige hat mich so eifersüchtig gemacht. Es klingt vielleicht paranoid, aber irgendwie war ich auf diese Wärme und vor allem mit der Aussicht auch die Ewigkeit so eifersüchtig. Die Ewigkeit mit ihm war auch mein größter innigster Wunsch. Und nun? Ich hatte recht, sie durfte ihn für immer „behalten“, ich ging leer aus. Sie würde ihn jetzt trösten dürfen, umarmen, drücken. Ihn in seiner Trauer unterstützen, wo ich nun weg war. Wir absurd eigentlich, er hatte das doch selbst gewollt.

     

    14.) Du freust dich, ihn zu sehen:

    „Achte mal ganz genau auf deinen Körper. Wie reagierst du, wenn du nach einem langen Tag deinen Freund siehst? Bleibt dein Körper komplett gleichgültig? Oder lächelst du sofort? So Glücksgefühle sind ein Zeichen dafür, dass du deinen Partner noch liebst.“

    Natürlich tue ich das, aber natürlich auch nicht mehr so wie früher, wie am Anfang. Der Anfang war grausam! Jede Minute ohne ihn war schlimm. Ich hatte den ganzen Sonntag mit ihm verbracht, bin dann die Kinder um 16 Uhr abholen gefahren. Und habe ihm wieder um 18 Uhr geschrieben, ob er vorbeikommen könnte, weil er mir so fehlte. Das ist Verliebtheit in der krassesten Form! Das hielt sehr lange bei uns. Ich denke locker zwei Jahre waren wir auf dem Höhepunkt der Gefühle. Daher hatte ich ja so sehr auf einen Antrag bei der ersten Mauritius Reise gehofft, da waren wir etwas mehr als zwei Jahre zusammen und so was von glückselig! Ich habe es nicht so stark gemerkt, wie es weniger wurde. Es kam ja nach und nach, nicht plötzlich. Es gab keine schlagartige Änderung durch irgendeinen Vorfall. Herausforderungen kamen dazu. Schicksalsschläge. Traurigkeit. In der Zeit nach der Abtreibung freute ich mich weniger ihn zu sehen. Es tat einfach weh! Als Mann steckt man nicht so tief drin in der Emotion. Es ist mein Bauch. Ich fühlte mich immer an unseren freiwilligen Verlust erinnert. Ich konnte die schönen von den schlechten Gefühlen nicht mehr so gut trennen. Dann verheilte es langsam, dachte ich. Aber es kam nichts weiteres neues Positives dazu. Das elendige Hausthema ging los, zerfraß uns, vergiftete die Stimmung, zerstörte uns. Ich habe mich immer gefreut, ihn zu sehen. Ja, ich freute mich nach einem langen Arbeitstag auf ihn, auf sein Zuhause, auf meine Faßbrause. Jeder Tag war schön, oder zumindest gewöhnlich neutral mit ihm. Es gab nur wenige schlechte Tage, aus meiner Sicht.

    Ich frage mich die ganze Zeit, wie es dann für ihn war. Als die Gefühle nachließen. Es scheint darüber mehr gelitten zu haben als ich, offensichtlich. Ich habe mehr als normal empfunden, er nicht. Er der Idealist! Ich der Realist. Fand er die Zeit mit mir schlimm? Ich kann mich in dieses Gefühl gar nicht so reinversetzen. Es ist mir nicht fremd. Mit meinem Exmann war der Alltag eine Belastung. Irgendwann mal wollte ich auch nicht nachhause kommen nach der Arbeit. Ich wollte keinen Streit, Diskussionen, Vorwürfe. Es war belastend. Ich freute mich damals definitiv nicht, ihn zu sehen, meinen Exmann. Aber bei meinem Partner, das war ganz anders! Ich könnte das nicht mehr ansatzweise vergleichen, das wäre nicht auf einer Skala abbildbar. Ich wieder mit meinen Skalen, ich weiß! Ich sehe alles relativ. Ich weiß, was ich wollte und was nicht. Ich weiß, was mir guttut oder nicht. Ich kann es auch aussprechen. Er offensichtlich nicht.

    15.) Dir bedeuten seine Geschenke etwas

    Er war der kreativste Mensch, den ich kannte, was dieses Thema anging. Wie hat er sich übertroffen mit Geschenken für mich, nicht nur in der Anfangszeit. Welch coolen Ausflüge wir unternommen hatten, auf welche Ideen er nur kam, so viel Dynamik, so viele Unternehmungen – in der Anfangszeit! Wunderschöne Blumen bei jeder Gelegenheit! Herrliche Karten, die er wundervoll beschrieb und die so schön waren, dass meine Kinder jedes Mal mit offenem Mund staunten. Wo er sie überhaupt her hatte? Die Karten wurden weniger. Ich Schwein wusste sie nicht zu schätzen, ich weiß. Ich fand es tatsächlich zwar wunderschön, aber einfach nicht nötig. Ich glaube, dass hat ihn verstört. Und dann kam Corona! Alles war zu, keine Ausflüge, keine Veranstaltungen, kein Leben, zumindest mit Mitmenschen. Aber auch in dieser Zeit sind wir wunderbar zusammen ausgekommen, weit weg vom Rest der Welt in den eigenen seinen oder meinen vier Wänden. Kein Streit, alles absolut kuschel wuschel. Dann halt keine Ausflüge, na und?

    Zu meinem 40sten Geburtstag hat er mir eine Reise nach Dubai geschenkt, der Hammer! Er war so großzügig, für ihn war ich unbezahlbar, jedes Geld der Welt wert. Was für ein schöner Gedanke! Schmuck bekam ich ohne Ende. So süß, er hatte mir eine Geschichte mal erzählt, wie er im Flugzeug im Produktkatalog eine Kette gesehen hatte, die ihm so gefallen hat. Aber er hatte dafür keine Frau. Diese Kette, in drei verschiedenen Ausführungen, hatte er mir dann mit dieser Geschichte überreicht. Wie romantisch! Er war so aufmerksam! Meine Mädels mussten mich gehasst haben. Deren Männer waren nie so gewesen, auch nicht in der Anfangszeit. Wenn überhaupt Geschenke, dann nur nach fester Absprache, bestimmte Wünsche, die sie fast schon selbst gekauft hatten. Oder es gab einfach gar keine Geschenke mehr nach Jahren zusammen. Es war leider so normal, so entwickelten sich halt Beziehungen, normale Beziehungen. Ihm war es nicht genug. Es war nicht normal, wenn er in sich nicht mehr den Wunsch verspürt hat, sich ein Bein für mich auszureißen. Das durfte so nicht sein! Die Beziehung war dann krank, seine Gefühle wohl nicht stark genug, Konsequenz: das Ende.

    Ich weiß nicht, ob ich an den Geschenken das Ende hätte erkennen können, wohl eher nicht. Für mich war ja die Entwicklung normal im Laufe der Zeit. Meine Mädels konnte das bestätigen aus ihrer leidvollen Erfahrung. Bei den letzten Gelegenheiten wurden die Geschenke für seine Verhältnisse tatsächlich immer naja gewöhnlicher, einfacher. Keineswegs billiger, das war ihm schon wichtig. Aber einfallsloser. Zalando wurde unser Helfer. Am Anfang ging es tatsächlich darum, ein Kleidungsstück zu finden, was ich irgendwie aus irgendwelchem Grund wollte, irgendwas in diese Richtung erwähnt hatte. Was kuscheliges Schönes, aus Kaschmir oder so. Leider passten die Sachen meistens nicht und gingen zurück. Und bei der Gelegenheit wurde das Modell auch mit ausgetauscht, da ich doch irgendwie wie ein Sack darin aussah. So richtig den gleichen Geschmack hatten wir da wohl nicht. Aber es entwickelte sich eigentlich zu einem running gag zwischen uns, dass er immer mehrere Runden gebraucht hat, um das passende Teil zu finden, was ich im Endeffekt fast 1zu1 selbst ausgesucht habe. Ich hatte kein Problem mit dem Prozess, es war irgendwie süß.

    Nur bei dem letzten Geburtstag vor ein paar Monaten, da muss ich gestehen war ich von dem weiteren Kaschmirkleid etwas enttäuscht. Ich wollte mehr. Ich war denke ich an einem Punkt angekommen, wo ich was Materielles überhaupt nicht mehr von ihm wollte, naja doch, einen Ring. Alles, was in den letzten Monaten von ihm kam, war bei meiner Erwartungshaltung einfach nicht genug. Es fühlte sich so leer an.


    16.) Äußerlich willst du ihm gefallen:

    Natürlich, dafür war ich auch eitel genug, ich wollte sexy hexy liebenswert und habenswert sein. Aber ja, auch diese Aspekte nehmen im Laufe der Zeit ab. Für mich ist das Schminken immer sehr wichtig gewesen im Leben. Aber in der Corona Home Office Zeit hat sich sehr vieles verändert. Ich hatte keine Zeit und Motivation, mich für Telcos zu schminken, ich habe es gelassen, es ging auch so. Und ja, manchmal hatte ich auch keine Lust mich für Treffen mit Freunden zu schminken, zumindest nicht in seinem Garten. Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen deshalb. Aber der praktische Aspekt dabei ganz ehrlich – auch meine Migräne! Wenn dir der Kopf platzt, dann betrifft es auch die Augen. Der Augendruck ist so unangenehm, dass ich die Schminke gerne in diesen Momenten wegließ. Naja, ich bin halt pragmatisch. Aber was war mit ihm? Wenn wir schon beim Analysieren sind – ich glaube, er hatte sich da auch verändert. Am Anfang roch er immer so himmlisch! Natürlich waren es anfangs die Hormone. Er hätte auch nach Kuhmist riechen können, ich hätte es nicht erkannt. Aber zusätzlich zu seinem Duft nahm er Cool Water als After Shave und auch als Duschgel. Ich habe diese Kombi aus ihm selbst und dem After Shave geliebt! Wenn ich mal einkaufen war, dann habe ich das bei jeder Gelegenheit in der Drogerie auf meinen Ärmel gesprüht. Und den ganzen Tag daran geschnuppert, bis wir uns wiedergesehen haben. Es fühlte sich an wie eine Droge. Und nach und nach hat er das After Shave einfach weggelassen, das schlich sich einfach ein. Ich habe das gar nicht bemerkt. Das wird mir jetzt so richtig bewusst, wenn man sich mit allem auseinandersetzt. Das war kein Zufall. Ich glaube, von seiner Seite wurde es ihm einfach unwichtiger, wie er ankam. Er war immer tipp topp gepflegt, da kann ich nichts sagen. Aber dieser eine Aspekt mit dem After Shave verschwand. Der andere Punkt waren die Shirts. Es hat mich echt irritiert. Wir haben unfassbar viele schöne Polohemden und Shirts miteinander gekauft, den Kleiderschrank so richtig aufgefüllt. Und wenn er im Home Office saß, dann trug er plötzlich fast immer stink normale weiße Shirts. Ich fand das nicht schön. Ich sprach ihn auch darauf an, da ich das einfach nicht verstanden habe. Er war pragmatisch. Dann kann man so schön alles zusammen in der Weißwäsche waschen, muss nichts trennen, auf nichts achten – war seine Antwort. Aha! Dann habe ich ihm mal kurz erläutert, dass an der Erfindung des BHs nichts Praktisches ist und auch ein String bei einer Frau im Winter nicht als Wärmemittel dient, und und und. Meine Kleidung war doch auch nicht nur pragmatisch für die Waschmaschine. Wir haben zusammen gelacht. Ich hatte gesagt, er kann ja mal daran denken, die Shirts bewusster auszusuchen. Ich habe auch ehrlich gesagt die letzten Monate nicht mehr darauf geachtet, was er gemacht hat.

    17.) Die Zeit mit ihm genießt du:

    Natürlich, sonst würde ich sie nicht mit ihm verbringen. „Wenn du dich mit Freunden triffst, bringst du ihn gerne mit. 5 Stunden vergehen gemeinsam wie im Flug“ – das waren die Anregungen von der Website. JA verdammt, ich war immer so stolz auf ihn, auf alles, was ihn ausgemacht hat. Alles, was wir unternahmen, war schön. Es war nicht immer himmelhochjauchzend, natürlich! Der Alltag kehrte auch bei uns ein. Alles wurde „normaler“. Nicht jede Begegnung war ein Highlight. Ich habe aber nichts vermisst! Ich glaube, er aber schon. Er sagte so was Interessantes im Laufe des zweiten Trennungstages. Früher hat er soviel Ideen gehabt und soviel Energie dafür aufgebracht, mich zu überraschen, Dinge vorzubereiten. Da hatte er Recht! Was für eine Dynamik er am Anfang versprüht hat! So viele Ideen, die er hatte, was wir unternehmen können. Er hat mich einfach irgendwohin „entführt“. Und damit ging es sicher nicht um das reine Geld, es ging tatsächlich um die Dynamik, solche Pläne zu machen! Er war einfach toll. Nicht nur mit mir, sondern auch den Kindern versuchte er die besten Ausflüge zu arrangieren. Wow – einfach Wow. Da war er voller Elan. Ich hatte so was nicht bei meinem Ex erlebt. Ich war hin und weg. Aber es war die Zeit des Verliebtseins! Alles war perfekt, jahrelang. Ich habe es gar nicht gemerkt, wie es weniger wurde, es war einfach schleichend. Wir haben immer noch was unternommen, aber die Initiative ging fast Null mehr von ihm aus. Keine Vorschläge, zu irgendeiner Veranstaltung zu gehen. Keine Fragen, was wir am Wochenende machen würden. OH Gott, wenn ich das so aufschreibe, wird es mir so richtig bewusst! Ich dachte, es war normal. Ich hatte mich daran gewöhnt. Das einzige Thema war das Haus! Das verdammte Haus! Mir wird übel, wenn ich das so begreife! Die ganze Beziehung bestand einfach nur noch aus diesem Haus! Ich habe nicht mehr links und rechts schauen wollen. Aber wenn du so kurz vor der Zielgeraden bist, dann sprintest du doch nochmal verdammt! Da brauchst du doch deine ganze Kraft! Ich hatte keine Kraft für das tägliche Leben mit ihm, weil der Gedanke an das Haus mich wie aussaugte.

    Und er saß in der Küche auf dem Boden und bedauerte aus tiefstem Herzen, dass er diese Energie und die Motivation gar nicht mehr besaß, mit mir und für mich Dinge zu planen, schöne Ausflüge zu planen, Ideen zu haben. Er wurde einfach nur stumpf! Ich habe es das erste Mal jetzt gerade verstanden, was er überhaupt meinte. Wir lebten nur noch vor sich hin – mit der Belastung Haus! Und er hatte ein schlechtes Gewissen, dass er dieses Gefühl nicht mehr empfand, diese Pläne für Unternehmungen überhaupt machen zu wollen. Dieses Gefühl meinte er – das fehlte! Ich verstand gerade! Das Schreiben hilft so unendlich, das ganze Revue passieren zu lassen. Ich verstand seine Gedanken – nicht damals in der Küche, da tat alles einfach nur weh. Ich verstand sie jetzt.

    Ich hatte diese Motivation auch nicht mehr. Ich habe einfach nicht mehr darüber nachgedacht. Ich muss gestehen, ich habe das zwar vermisst, aber nicht so bewusst. Ich dachte, es ist einfach normal nach langer Zeit gemeinsam. Das wird der Alltag nun mal übermächtig. Dafür hatte ich genug mit meinen Mädels an Austausch gehabt, um das zu wissen. Der Alltag mit Kindern, Arbeit und Haushalt war nicht himmelhochjauchzend.


    18.) Du versuchst, eure Beziehung zu retten

    Das ist die einzige Frage, die ich leider mit nein beantworten muss. Jetzt nicht mehr. Ich hatte noch vor einigen Tagen nicht das Gefühl, dass ich irgendwas retten muss. Jetzt nach den vergangenen Tagen, vielen Überlegungen, viel Leid, vielen Gesprächen sehe ich, dass ich keine Motivation und keine Kraft mehr habe, irgendwas zu retten. So wie er mich behandelt hat in dieser Situation! Es war nicht einfach das Schluss machen. Die Art und Weise, der Zeitpunkt. Das alles war so schmerzhaft und erniedrigend! Aber das schlimmste war, dass er das schon Monate wusste und nur nach einem Weg suchte, es mir mitzuteilen. Warum hat er nicht seine Energie darauf verwendet, die Beziehung zu retten, die offensichtlich rettungsbedürftig war? Aus seiner Sicht hatte er das vielleicht – einseitig, ohne dass ich was von den Versuchen wusste! Wie konnte er mich vor vollendete Tatsachen stellen? Nach fast sechs Jahren Beziehung, von denen auch seiner Antwort nach die ersten fünf Jahre einwandfrei waren, wie konnte er nicht mal über Lösungsmöglichkeiten sprechen? Nicht mal ansatzweise es versuchen? Wie schwach nur, wie feige, wie ging das denn? Ich hatte keine Motivation, irgendwas oder irgendjemanden zu retten. Ich habe schon genug gewartet und gewartet, ohne dass was geschah – wegen seiner Unsicherheit, die er doch so spontan erkannt hatte. Woher sollte ich irgendeine Motivation nehmen, um diese Beziehung retten zu wollen?

    „Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir - für immer.“ (Konfuzius). Das klingt so edel, so wunderschön. Aber die Frage nach der Liebe, war es noch Liebe, wieviel noch davon. Wollte ich darauf warten, was kommt? Ganz sicher wollte ich nicht mehr kämpfen nach all dem, was er mir die letzten Stunden angetan hatte.

    Hmm, was sagt mir nun der Test nun? Ja, ich vermute, dass ich ihn irgendwie noch liebe. Und er mich? Naja Gefühle waren nicht komplett weg, sonst würde es sich nicht so schrecklich alles anfühlen. Aber er sagte ja, dass es weniger ist. Wieviel denn weniger? Er war nicht unglücklich, aber auch nicht glücklich genug, um meine Hand anzuhalten. Und am Ende nicht glücklich genug, um das Haus mit mir zu kaufen.
    Wir hatten oft die Diskussion über absolut und relativ. Ich habe einige auch längere Beziehungen hinter mir - und ich verglich! Ich analysierte und wollte alles im Vergleich zu meinen bisherigen Erfahrungen im Leben sehen. Ich habe mit Freunden und meiner Familie gesprochen, mir Rat geholt. Ich befragte auch das Internet in Lebensfragen - er tat das nie!
    Es irritiert mich! Er sagte, er brauch keine Vergleiche, er weiß, was er will und was er fühlt. Er googelte ganz sicher nicht zu Liebesfragen! Er redete auch nicht mit Freunden oder seinen Brüdern über die intimen Fragen zum Thema Beziehung. Er vertraute auf sein Urteil. Wie edel, dachte ich manchmal, das kann ich nicht! Bin ich so unsicher, dass ich Mitmenschen dafür benötige. Wie vermessen, denke ich nun oft. Wie reflektierst du denn das eigene Verhalten, wenn du mit den wichtigsten Menschen solche tiefsinnigen Fragen nicht teilst? Woher weißt du denn dann, was so "normal" ist? Weil du es einfach fühlst? Redest du denn mit Menschen und weißt, wie sich eine Beziehung nach sechs Jahren anfühlt? Wie verändert sich die Verliebtheit zu Liebe - und dann vielleicht weiter - zur Gewohnheit? Ist es denn noch Liebe?
    Ich frage mich gerade, ob er sich inzwischen Freunden geöffnet hat? Er kann doch unmöglich die letzten Tage allein überlebt haben? Das wäre übermenschlich. Oder ich habe mich doch komplett geirrt und er ruht in sich und freut sich über den fehlenden Ballast. Das kann ich mir nicht vorstellen - da ist mein Ego wohl immer noch zu groß.
    Was sagen seine Freunde nun? Natürlich stehen sie ihm bei. Seine besten Freunde kennt er schon seit Jahrzehnten. Es sind liebevolle Beziehungsmenschen, die den eigenen Partner auch schon ewig kennen. Herzensgute Leute. Werden Sie mit ihm darüber philosophieren, wie sich Liebe nach einigen Jahren anfühlt? Werden sie ihm den Kopf zurechtrücken und sagen - du Idiot, was hast du getan? Ihr hattet doch alles, warum hast du das getan? Nein - das glaube ich nicht, sie sind lieb und nett. Sie werden Verständnis zeigen, ihm zuhören, ihn unterstützen in seinen Entscheidungen.
    Meine Freunde wussten die letzten Jahre und Monate um meine Gefühle und meine Zweifel. Sie sind den Weg mit mir mitgegangen und sind nicht überrascht, wo ich nun stehe. Sie haben mich reflektiert, zurechtgerückt, beraten, mich begleitet. Sie sind nur schockiert über sein Verhalten.
    Seine Freunde werden die meisten Dinge das allererste Mal hören. Sie werden aus allen Wolken fallen! Sie werden entsetzt sein. Er wird unsere Geschichte von vorne beginnen müssen. Er hatte sich keinen Rat geholt, er wusste alles besser und allein Bescheid.

    2.Akt: Das Auspacken


    Jetzt aber wirklich! Ich muss endlich mit den Kisten und Tüten beginnen. Diese stehen immer noch wahllos im Wohnzimmer herum. Am Wochenende ist mein Vater zu Besuch eingeplant. Ja, ich könnte so auf mein innerliches Drama, auf mein Leid hinweisen, aber das würde mein Vater mir auch so abnehmen. Also – Auspacken!

    Ich habe zu viele Schuhe! Ich weiß, es gibt nie zu viel Schuhe, nur zu wenig Schrank! Dann habe ich zu wenig Schrank! Viel zu wenig. Wo sollte das alles hin? Ich habe viele Dinge doppelt und dreifach. Ich habe fünf Jahre lang mindestens in zwei Haushalten gelebt. Wir wohnten zwar nur 20 Minuten voneinander entfernt, aber man kann ja nicht für ein Paar schwarzer Ballerinas 40 Minuten Hin- und Herfahren. Also hatte ich alles Mögliche tatsächlich doppelt. Und damit viel zu viel. Das meiste war unemotional. Aber einige Kleidungsstücke taten höllisch weh! Das weiße Kleid mit den Blumen, was er mir in der kleinen Boutique gekauft hatte bei unserer USA Rundreise vor vielen Jahren. Ich kann mich noch an das Anprobieren erinnern, seine bewundernden liebevollen Blicke. Komisch, ich spüre nun automatisch so einen Schleier über diesen schmerzhaften Erinnerungen. Der Körper fängt an, diese Schutzfunktion zu entwickeln, wie nützlich, endlich, es wird bald alles besser.

    Aber nicht alle Gedanken kann man steuern. Sie überfallen einen aus dem Nichts. Würde mich jemals wieder ein Mann so anschauen? So liebevoll? So bewundernd? Wie albern, ich denke ja, irgendwann mal ja. Das Leben ist doch nicht vorbei. Ich denke wieder an meinen Plan, sich bei der Datingplattform anzumelden. Wie dumm! Ich bin noch nicht bereit, die anderen hatten recht verdammt! Der Gedanke, dass es jemand anderen geben könnte, zerreißt mich. Der Abdruck von ihm an meiner Seite ist so frisch, da würde keiner reinpassen, außer er, eins zu eins. Ich will nicht mal daran denken, es könnte jemand anderen geben, der das alles ersetzt. Ich weiß, es ist machbar. Ich bin eine selbstbewusste, kluge und ja gutaussehende Frau, ich würde bald einen Neuen finden, einen jüngeren, einen, der selbstsicher ist, der weiß, was er will. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch. Und dann diese tolle Phase des Verliebtseins – herrlich! Wieder die Migräne für einige Monate weg nur wegen der Endorphine, die meinen Körper fluten. Das Ende vom Lied – der Gedanke an einen Anderen ekelt mich körperlich an. Ich habe es versucht, tut mir nicht gut, weggelegt.

    3.Akt: Das Abendessen


    Meine Freundin Steffi kommt heute zu Besuch, wir wollen Abendessen und spazieren gehen. Ich freue mich! Es ist mein erster Abend allein. Die Kinder sind beim Vater an unserem Wechsel-Mittwoch. Ich bin ganz allein. Früher war es nichts Besonderes. Klar war ich mal auch allein in meiner Wohnung. Aber da gab es ihn ja noch! Er war irgendwo, nicht weit weg. Und im Herzen doch ganz nah, so nah. Da bist du nie allein. Wir haben jeden Abend telefoniert, wenn wir uns nicht gesehen haben, außer einer war abends mit Freunden weg oder seine Kinder waren da. Ich war nicht allein, ich fühlte mich nicht allein – er war da. Jetzt nicht mehr! Jetzt fühlte ich das Loch wieder mehr. Ich war so froh, dass Steffi kam.

    Es klingelte. Der Hund flippte aus. Sie kam kurz hoch, wir gingen. „Ach Paulina, wie geht es denn dir?“. Wir oft ich diese Frage in letzter Zeit gehört habe. „Steffi, gerade richtig gut, wirklich!“ Sie schaut suspekt. Na klar, sie macht hier einen auf mutig und stark, dachte sie bestimmt. „Nein wirklich! Das Schreiben macht so eine Freude! Ich therapiere mich gerade selbst! Das tut so gut! Und kostet nichts!“ Wir lachten. „Ach Paulina, so kenne ich dich!“, so war ich halt. Wir saßen im romantischen Restaurant draußen. Hier hatte er seinen 50sten Geburtstag vor einigen Jahren gefeiert. Es war eine sehr schöne Party! Alle seine Freunde, seine Familie und ich! Er hielt eine Rede. Er war wirklich gut. Er dankte seiner Mama. Und er dankte – mir! Er kam zu mir, umarmte mich und küsste mich, und überreichte mir eine Rose! Es war so Hammer romantisch! Wolke sieben! Wie wahr. Ich verdrängte die Erinnerung.

    Es gab hier nicht sehr viel in meinem Dorf, was mich an ihn erinnerte, gottseidank! Hier konnte er mir auch nicht durch Zufall über den Weg laufen. Auch Gottseidank. Getrenntsein ließ sich ohne Probleme durchziehen. Ich schaute mich um, ob ich die Leute um mich herum vielleicht kannte. Ich wusste ja, dass das Heulen wieder losgeht. Es wäre peinlich. Hier war ich schon ganz gut integriert, und vielen ein Begriff, auch aus meiner Tätigkeit im Verein. Es war keiner da, der mich kannte. Wieder Gottseidank.

    Ich hatte schon über alle möglichen Themen gesprochen. Es gab einfach nicht viel Neues mehr zu besprechen. Immer die gleichen Sachen. Schon damals nach der Scheidung musste ich aufpassen, den Leuten nicht auf die Nerven zu gehen mit der ständig gleichen Leier meines Leids. Ich nerve und langweile Leute nur sehr ungerne. Wir sprachen über unser letztes Treffen vor einigen Wochen mit Britta. Ich war schlecht drauf, das weiß ich, ich hatte schlimme Migräne und nahm noch beim Abendessen mit ihnen die Tabletten. Ich war absolut mies drauf. „Weißt du, Paulina, als wir damals deinen Gesichtsausdruck gesehen haben, als du über das Thema Ehe gesprochen hast, da haben wir schon gedacht, das geht nicht gut! Sie meint es ernst.“ Oh echt, ich konnte mich gar nicht mehr erinnern. Wir hatten schon so oft über dieses Thema gesprochen, da kam es auf das ein oder andere Mal nicht mehr an. Muss ich damit genervt haben, oh je. Das tut mir so leid. Aber ok, wofür sind Freunde da! Ich glaube, sie müssen tatsächlich einiges aushalten können.

    Steffi ist die emotionale Analytikerin. Sachlich, aber empathisch. Es klingt alles so logisch aus ihrem Mund. Hätte er doch mit ihr gesprochen. Dann hätte er sich selbst vielleicht besser verstanden. Sie sieht vor allem seinen mangelnden Austausch mit seinen Freunden als das Hauptproblem. Wie kann man denn sonst reflektieren, seine Gedanken, sein Verhalten. Ich habe ihn immer für so einen klugen Menschen gehalten. Und ja, er wusste alles, aber wohl nichts über die Welt der Gefühle. Immer dieser Anspruch, alles selbst lösen zu können. Er hat sich immer so aufgeregt über seine Ex, die nie Hilfe annahm. Und nun? Er hatte selbst nie um Hilfe gebeten, nicht mal seine besten Freunde um Rat gefragt. Warum nur? Waren wir das nicht Wert, sich diese Mühe zu machen, diese Blöße zu geben und sich anderen zu öffnen?

    Wir zahlen. Es ist schon zehn Uhr abends. Ich friere. Innerlich und äußerlich. Wir gehen nach Hause, sie fährt, ich bin wieder allein.

    Tag 5 - Donnerstag


    1.Akt: Die Fotos


    Ich bin wieder früh wach und wieder ist eine fünf davor – super! Das Gedankenkarussell geht sofort an. Wie eine Lampe – zack! Voll da, voll wach. Ok, nutzen wie die Gunst der frühen Stunde für einen Test. Wie reagiere ich auf seine Fotos? Ich bin total überrascht! Ich dachte ich würde sofort losheulen - aber nein das Krönchen sitzt. Natürlich wird sofort die Erinnerung an die damaligen Zeiten, damaligen Urlaub lebendig. Ich lasse es zu. Die Fotos der letzten Monate sind am einfachsten. Da weiß ich ja nun dass er so viel Zweifel empfand und von der Liebe nicht mehr genug da war, zumindest von seiner Seite. Ich suche nach Anzeichen dafür, in seinem Gesicht, seiner Körperhaltung, der Art wie er mich umarmt. Hätte ich darin was erkennen können? Nein. Ich komme immer wieder zu gleichen Entschluss. Was ist mit den älteren Fotos, gehen die auch? Da waren wir zu 100% glücklich. Die werden sicher schmerzen. Es geht. Ich sehe einen anderen Menschen vor mir. Es ist nicht mehr der Mensch von damals, den ich so abgöttisch geliebt habe. Es ist nun auch der grausame Mensch, der mir und meinen Kindern das alles angetan hat die letzten Tage.
    Ich liebe immer noch sein Aussehen. Es passte einfach. Damals vor einigen Monaten in Mauritius im Urlaub. Da hatte ich ihn mit anderen Männern dort verglichen. Er hatte immer gewonnen. Ich konnte mir selbst immer ganz objektiv bestätigen, dass er ein schöner attraktiver Mann war. Mir fehlte nichts, ich fand ihn immer noch Hammer attraktiv wie am Tag 1. Das war ein schönes Gefühl der Bestätigung.
    Aber diese wunderschöne Hülle war leer! Ich schaute durch ihn durch. Als wäre es so, dass ich das nun sehen konnte, dass er diese Gefühle für mich in der Form nicht hatte.
    Verliebt in die Liebe. War ich das? Es war so überwältigend, wie er mich am Anfang geliebt hat. Das hat mich mitgerissen. Es war so unfassbar viel Gefühl. Warum hatte er das nach vier gemeinsamen Jahren damals, nach der Abtreibung, in unserem schönen Urlaub in Dubai nicht genutzt? Da waren die Gefühle doch perfekt?
    Ich konnte die Bilder anschauen, ohne zu weinen. Als würden die Gefühle für ihn in einer Art Schutzhülle verschwinden, von dieser abgeschirmt werden. Vom Rest des Körpers isoliert, in dem sie nur Schäden anrichten konnten. Ich konnte dort diese Gefühle betrachten, ohne dass sie mir sofort das Herz brachen. Ich könnte sie untersuchen und warten. Warten, bis ich mit ihnen umgehen konnte. Irgendwann mal würde ich die Schutzhülle nicht mehr brauchen. Irgendwann mal.

      2.Akt: Der Einkauf


      Ich gehe schon sehr früh einkaufen beim Rewe um die Ecke. Ich traue mich doch tatsächlich, ohne Brille aus dem Auto zu steigen – krass bin ich mutig! Ich bin auch ganz spontan einkaufen, ich habe überhaupt kein Brot. Das passiert mir nie! In meiner Wochentabelle steht genau, wann ich einkaufen gehe. Es ist alles kaputt, der ganze schöne Plan, von der Woche, vom Leben. Essen muss ich trotzdem, ich gehe einkaufen.

      Plötzlicher Gedanke – habe ich noch sein Foto im Geldbeutel? Ich krame. Ist nichts da. Ich bin wohl auf digital umgestiegen. Hmm, ich hätte es gerne zerrissen. Digital ist da nicht so befriedigend.

      Ein merkwürdiger Gedanke kommt mir als ich an der Kasse stehe. Ich bin da meistens genervt, da ich ja immer an der falschen langen Kasse lande. Ich bin so ungeduldig, dass es für mich schon anstrengend ist mit mir selbst. Jetzt bin ich entspannt. Es ist zwar kurz vor neun Uhr, ich müsste am Rechner sitzen. Aber die Welt geht nicht unter. Naja, sie ist schon für mich untergegangen, aber ich lebe ja trotzdem noch, oder so ähnlich. So schlimm wird es schon nicht sein, ein paar Minuten nicht erreichbar zu sein für die Kollegen. So viele andere Dinge sind gerade viel schlimmer.

      Ich bin bewusst höflich zu der Kassiererin, auch wenn wir kaum was austauschen. Ich nehme sie wahr. Er hatte sich manchmal beschwert, dass ich so grob zu den Servicekräften im Hotel bin oder auch in Geschäften. Wenn jemand nicht gleich sputet, dann bin ich ziemlich schnell aggressiv, ich weiß! Oft können die Leute nichts dafür, ich weiß! Manchmal schon, haben das aber von mir trotzdem nicht verdient. Ich bin kein ausgeglichener Mensch, ich weiß. Es ist schon besser geworden. Aber für einen so harmonischen Menschen wie ihn war ich wohl immer eine Stressnudel an seiner Seite. Sicherlich war es früher einfacher zu ertragen, wenn man total verliebt war. Wurde es dann immer belastender?

      Ich denke über dieses ICH nach. Oft bin ich selbst damit nicht glücklich. Man könnte es doch angehen, wenn man schon am Anfang eines neuen Lebens steht. Ich fahre nächste Woche in einen Bildungsurlaub, auf ein Resilienz-Seminar, wie der Zufall es will! Dass das alles so zusammenpasst, ein Traum. Da werde ich sicherlich was darüber lernen, wie man resilient ist, ausgeglichen, höfflicher. Und dann kommt der merkwürdige Gedanke. Wie wäre es denn, wenn man bewusst versucht, für die Leute einen Unterschied am Tag zu machen? Das klingt merkwürdig, ich muss das ausführen. Manchmal begegnen einem Menschen, die durch einen Satz, eine Geste, irgendeine Handlung, einen positiven Unterschied an deinem Tag erreichen. Heute zum Beispiel hat mich ein Mann im Auto vorgelassen an einer engen Stelle, genau in dem Moment, wo ich mich eh vordrängeln wollte – Schande über mich! Das hat mich positiv überrascht! Wie wäre es denn, wenn man mit so einer Einstellung durch Leben gehen würde? „Sei selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“ (Mahatma Gandhi). Der Spruch kam mir einfach geraden in den Sinn. Das bin eigentlich nicht ich. Dafür bin ich zu gehetzt, zu gestresst. Ich bin eher das negative Highlight für meine Menschen an ihrem Tag. Vielleicht doch zu negativ? Ich weiß es nicht.

      Aber ich bin kein Gutmensch. Er war das immer in meinen Augen. Er hielt sich auch selbst dafür, einen unverbesserlichen Gutmenschen. Er konnte keiner Fliege was zu Leide tun. Seiner Ex hat er auch nie Paroli geboten, dafür hatte er auch zu viel Angst wegen der Kinder. Er stand mit niemandem in einem Konflikt. Er war höflich und beliebt bei Mitmenschen, Freunden und Kollegen. Der perfekte Gutmensch. Der Mensch, der meine Welt vor vier Tagen zerstört hat, mit nur wenigen Sätzen, in nur wenigen Minuten. Wie ein Gutmensch es halt so tut.

      3.Akt: Die Haussuche


      Ich gehe mit dem Hund spazieren. Bin dann noch später am Rechner, oh je, egal. Wir spazieren in der Nähe des Neubaugebiets, aber da hindurch, das kann ich noch nicht! Hier standen unsere Traumhäuser, die einem den Atem verschlugen. Individuelle Villen, wo das Auge hinfällt. Charmant, ländlich, wohnlich, einfach toll! Von denen war er immer schnell begeistert. Aber von denen wurde kaum was angeboten. Wir konnten diese nur beim Spazieren anschauen. Die meisten Häuser, die wir angeschaut hatten, waren eher sanierungsbedürftig und alt. Wir hätten eine riesige Baustelle vor uns gehabt mit viel Investment. Am Anfang schauten wir auch diese Häuser an. Im Laufe der Zeit aber immer weniger und weniger. Ich verstehe, er wollte immer weniger investieren, an Zeit und Geld, und an Gefühlen. Nach und nach.

      Ich hätte ja bei jedem Haus ja gesagt, hat er sich beschwert. Ja, fast bei jedem. "Weil es mit dir wäre", war meine einfache Antwort. Wir könnten alles schaffen, Hauptsache zusammen. Ich wollte doch endlich anfangen, ein Nest zu bauen. Da ging es nicht um ein Haus. Es ging um ein Zuhause, ein gemeinsamer Haushalt, endlich für alle Kinder und uns unter einem Dach. Ich hatte Fantasie. Ich war überzeugt davon, dass wir als Einheit alles schaffen würden. Da hatte ich wirklich nicht die geringsten Zweifel. Er schon. Es war so mühsam, ein Haus nach dem anderen vorbeiziehen zu sehen. Ich hatte ihn nie zu dieser Suche gedrängt. Es war doch unser gemeinsamer Wunsch damals, nicht meiner. Da bin ich mir zu 100% auch sicher, auch wenn ich das nun öfter analysiere. Es war unser Wunsch.

      Ich musste mich nun einfach abgewöhnen, das Häuser suchen mir abgewöhnen. Ich konnte nicht mehr normal durch mein Dorf laufen, ohne die Häuser gleich zu „checken“. Ich habe schon von weitem Wärmepumpen gesichtet, wie ein Junkie die Fassade gescannt, nach Mängeln gesucht. Das passierte einfach automatisch. Ich habe das mal mit dem Frauenarzt verglichen. Wenn er Frauen immer professionell anschaute und untersuchte, konnte er seine Frau noch „normal“ betrachten? Ohne den Blick eines Arztes, nur als Mann? Ich muss mir den Blick einer Immobilienkäufers abgewöhnen. Ich war nun eine Normalsterbliche in einer Wohnung. Ich habe nicht mehr mit niemanden gesucht. Ich ging einfach nur mit meinem Hund spazieren. Der Hund machte seinen Haufen, vor einem wirklich hübschen Haus. Sehr symbolisch! Danke Pusch.

      4.Akt: Der Hund


      Wir kommen nachhause. Ich bin schon fix und fertig von dem Tag. Es ist erst halb zehn. Toll! Mein erster Arbeitstag beginnt und der Hund legt sich schlafen. Ich schaue meinen schlafenden Hund an. Und lächele automatisch. Das entspannt. Dieses kleine haarige Lebewesen, was nur aus Pelz und Liebe besteht. Er ist so niedlich. Mein kleiner Zwergspitz Pusch, Puschel oder Puschi, er hat so viele Namen. Er muss gar nichts tun, nur da sein. Was für eine Wärme er verbreitet. Ich sehe ihn so selten so tief schlafen. Normalerweise ist er ein ganz nervöser kleiner Mann. Er spürt so viel, noch mehr als Menschen. Er riecht meine Trauer, er ist ein Tier, er kann das! Und was er alles kann! So viel Liebe kann er nur durch einen Blick spenden. Als würde er dir in die Seele schauen, ganz tief in deine traurige Seele. „Mama, ich weiß, dir geht es nicht gut. Ich verstehe nicht warum. Aber ich bin für dich da!“, sagen diese Augen. Dann kommt er mich abschlecken. Ich mag das eigentlich nicht. Ich nehme alles an. Es ist so viel anders geworden. Ich bin so zerbrechlich geworden, so emotional. Ich brauche das jetzt.

      5.Akt: Die Arbeit


      Ich sitze das erste Mal an meinem Geschäfts-PC für die Arbeit. Ich muss arbeiten. Einiges ist aufgelaufen. Ich habe gerade einen neuen Job übernommen, das ist meine erste Woche ohne meine Vorgängerin. Ganz toller Start! Gottseidank bin ich seit Jahren in der Firma, ich kenne Gott und die Welt. Die Leute kennen mich, sie wissen, ich bin sehr gewissenhaft, verlässlich. Ich muss diesen Ansprüchen gerecht werden. Ich muss schnell ins Leben zurückfinden. Zu meiner alten Form!

      Ich mag meinen Job. Lieben wäre zu viel gesagt. Dafür bin ich schon zu, hmm, alt? Ich weiß auch andere Dinge zu schätzen. Ich mache auch gerne Sport, treffe mich mit Freunden, beschäftige mich mit Kindern. Arbeit war mal mein ein und alles, es ist nun Mittel zum Zweck. Es ist ein gutes Mittel. Eine sehr gute Beschäftigung. Der Tag startet schon gleich mit massiven Problemen. Meine Chefin ist ratlos, sie bittet mich um Hilfe. Juhu, ich werde gebraucht! Das eine Problem kostet mich vier Stunden meines Tages – aber ich löse es! Echte Detektivarbeit! Wie praktisch. Ich fühle mich richtig am Leben! Ich komme zurück – Alltag, ich komme!

      6.Akt: Die Tante


      Und wieder steht ein Telefonat an – mit meiner Tante! Ich habe ewig nicht mehr mit ihr gesprochen, locker über ein Jahr. Ich mag sie. Sie war mir immer so ähnlich. Vor Jahrzehnten waren wir sogar in Clubs abends zusammen weg auf der Suche nach Männern. Wie peinlich! Ich war Single. Sie ist nur zehn Jahre älter und auch Single gewesen. Oh je. Ihr Leben war auch nicht 08/15, da war viel Stress drin. Eine Scheidung, eine Beziehung mit einem verheirateten Mann, auf den sie umsonst jahrelang gewartet hat. Aber sie hat es geschafft. Ist nun sesshaft und seit über zehn Jahren wieder glücklich verheiratet. Und sie mag mich. Ich bin ihre einzige Nichte. Sie hat einen erwachsenen Sohn, leider keine Enkelkinder. Ihr ist schon hier und da langweilig. Und sie therapiert gerne! Gerne auch mich! Ok, heute bin ich wieder fällig.

      Ihr absoluter Fokus ist das Materielle. Gut, dass ich rechtzeitig den Absprung geschafft habe. „Stell dir vor, er wäre gegangen, wenn das Haus schon gekauft wäre!“ Was für eine Katastrophe! Wahrscheinlich, das hätte mich dann nicht nur emotional sondern auch finanziell ruiniert. Alle Kosten wären für die Katz. Tausende von Euro. Das ist ihm ja auch am letzten Sonntag bewusst geworden. Und er ist den Rückzug angetreten. Wir haben über Geld nie gestritten, es gab keine Diskussionen. Er war ein sehr großherziger großzügiger Mensch. Wer was zahlt und wie, das war immer einfach. So empfand ich das zumindest. Ich weiß nicht, was er alles dann doch für sich zerdacht hat. Ich war zu allem bereit am Haus. Klar, wir würden die Besitzverhältnisse festlegen, im Grundbuch, meinetwegen im Partnerschaftsvertrag. Was es alles gab! Wir hatten dann über die Nebenerwerbskosten das erste Mal eine ernsthafte kritische finanzielle Diskussion gehabt. Der Ton war echt nicht schön. Ich war so absolut angenervt, auf der Zielgeraden noch ein Fass aufbekommen zu kriegen. Warum? Ich wäre wie ein Drache gewesen, hatte ich in der berühmten Küchendiskussion erfahren. Aha, ich glaube das war die härteste „Anschuldigung“ überhaupt, die ich je von ihm gehört habe. Ich hatte aber nun mal das Gefühl damals, als würde sein Besitz vor mir sichern wollen, aber so richtig. Um Gotteswillen würde ein Cent irgendwie mir zugutekommen können, unberechtigterweise. Er sinnierte vor sich hin, ich würde ja davon profitieren, dass ich mit ihm zusammen war und mir so das Haus leisten konnte. Ja, ich habe nie was anders behauptet. Ich würde mir kein Haus für eine Million Euro leisten können. Er sich aber eigentlich auch nicht. Diese Bereicherungsdiskussion war so schlimm. Wir waren doch ein Paar. Wir haben uns doch geliebt. Wir konnte das nur sein, dass ich das Gefühl hatte, er will mich irgendwie ausschließen, finanziell weghalten von sich. Das ging doch nicht bei so einer wichtigen finanziellen Entscheidung fürs Haus. Naja, die Entscheidung hatte er ja für sich schon getroffen.

      Ich glaube nach wie vor, hätten wir das Haus gekauft, hätte sich alles nach einigen Monaten komplett eingerenkt. Es tut so weh, so kurz davor gewesen zu sein. So wahnsinnig weh! Über Gefühle kann man mit meiner Tante nicht wirklich diskutieren. Sie ist übrigens Jungfrau, genau wie er, nur wenige Tage auseinander geboren und auch vom Alter fast gleich alt. Interessant. Wir kommen auf ein anderes gemeinsames Thema, meinen Vater, ihren Bruder. Damals war sie unsere große Stütze gewesen, von mir und meiner Mutter. Mein Vater hat damals vor bald 20 Jahren meine Mutter verlassen, wegen einer anderen Frau, kurz vor Weihnachten. Damals war es der absolute Tiefpunkt meines Lebens gewesen. Meine Mutter psychisch labil und am Boden zerstört hat dann mehrere Monate in der psychiatrischen Klinik verbracht. Sie hatten nur wenige Monate davor ein Grundstück gekauft, wollten ein Haus bauen. Ich weiß noch wie ich mit ihr auf dem Sofa lag und die Baupläne diskutierte, wo welches Fenster bei mir ins Zimmer kommen sollte. In dieser Zeit war er wohl schon bei der anderen Frau. Und dann ging er einfach. Es muss die Hölle für meine Mutter gewesen sein. Ich kann es mir nun noch besser vorstellen. Du stehst vor dem ein und alles, und plötzlich hast du nichts. Nur dass meine Eltern damals über 20 Jahre auch davor zusammen waren, ich ja „nur“ sechs Jahre und keine gemeinsamen Kinder. Mein Vater wollte dieses Haus nie wirklich, meinte meine Tante. Aha, toll dass er sich entscheiden konnte, bevor das Grundstück gekauft war. Bevor so viel Geld und vor allem Emotionen geflossen sind. Männer!

      Ich bin durch und durch und muss schlafen gehen. Wieder neue Erkenntnisse gewonnen, wieder ein lieber Mensch mehr in meinem Leben, dem ich was bedeutet. Ich habe im Laufe des Lebens verstanden, wie wertvoll diese Menschen sind. Natürlich in schlimmen Phasen mehr als in guten. Aber auch in guten sollten man einen vernünftigen Kontakt miteinander bewahren, sonst war der Fall in den schlechten sehr tief. Ich bin ihr dankbar, dass sie darüber hinwegsieht, dass ich sie in den guten Zeiten weniger kontaktiere. Familie halt. Ich fahre sie bald mit meiner Mutter besuchen. Ich lege auf. Wir halten fest – der erste Tag ohne Weinen geht vorbei! Ich bin stolz auf mich.

      Tag 6 - Freitag


      1.Akt: Die Sternzeichen


      Ich werde grob geweckt, wieder eine fünf davor. Die Nachbarn sind wach und schieben wieder fleißig irgendwelche Möbel direkt unter mir. Ich glaube, ich hasse inzwischen meine Wohnung! Der erste Gedanke gilt wieder ihm! Wird es jemals besser? Bestimmt! Wann nur? Er kann so froh sein dass wir nicht in einem Bett geschlafen habe. Wieviel grausamer wäre es jetzt - für uns? Ich weiß es war ihm so wichtig! So wichtig, neben mir zu schlafen. Ich habe mich bemüht, wirklich! Aber ich musste doch zwischen unseren zwei Haushalten ständig wechseln. Mal hier bei den Kindern schlafen, mal bei ihm. Ich habe maximal drei Tage am Stück neben ihm schlafen können, dann musste ich wieder weiter. Irgendwie hat sich da nie eine Gewöhnung eingestellt. Ich hörte jedes noch so winzige Geräusch. Das Aber vor allem das Schnarchen war richtig schlimm. Wir haben das sogar mit einer App aufgenommen. Er hat sich selbst total erschrocken! Und doch – das Verständnis, dass ich mir dann schwer damit tue, das kam nicht! Naja, beziehungsweise vielleicht schon, aber es fehlte ihm so sehr! Ja, er hatte das geäußert, ja ich hatte das immer wieder versucht. Auch im Urlaub ging es doch halbwegs. Aber da haben wir 10 Tage mindestens einfach am Stück nebeneinander geschlafen. Ich habe mich dann gewöhnt, weniger gehört. Außerdem konnten wir ausschlafen. Ich habe einfach nur gewartet auf den gemeinsamen Haushalt. Dann würden wir doch natürlich in einem Bett zusammen schlafen, in unserem Ehebett! Wie denn sonst? Diese Aussicht hat ihm aber nicht gereicht. Weitermachen. Nicht die Bilanz des Weinens versauen. Nicht wieder nachgeben.

      Einbissen Anlauf, schon sprühte ich wieder vor Energie und Tatendrang! Ich muss meine Wochenpläne durchschauen, mehr Verabredungen einplanen. Ich muss hier noch sortieren. Ich werde mich mal mit dem Nachbar versöhnen, ihn zum Kaffee einladen. Ich muss noch die Kinder für die Sommerferienkurse anmelden. Und das und dies! So viele Ideen! Es war erst sechs Uhr morgens. Das ist ja schon krank! Ich muss immer was machen, was verbessern, was verändern, vorankommen. Ich bin ein Widder. Er war Jungfrau. Ein Konflikt. Ich wusste es schon von Tag eins. Es würde nicht einfach werden. Wie oft hatte ich damals am Anfang die Websiten gecheckt. Ich tue nun auch am Ende das Gleiche.

      „Auch das eher streitlustige Temperament des Widders ist für die Jungfrau eine Herausforderung. Dem Widder fällt das Gemächliche und Geordnete der Jungfrau hingegen nicht ganz leicht. Aus seiner Sicht steht sie „auf der Bremse“ und hemmt seinen Unternehmungsdrang. Wenn Widder einer spontanen Eingebung folgen will, packt Jungfrau den Rechenblock und die Kontoauszüge aus und rechnet nach, ob das alles überhaupt machbar ist.“ (https://www.sternregister.de/sternzeichen/jungfrau/jungfrau-widder)
      Er war ja auch noch Aszendent Jungfrau! Oh mein Gott. Er sagte damals, es klingt wie eine Krankheit aus meinem Mund: „Jungfrau mit Aszendent Jungfrau!“. Wir haben gelacht. Sternzeichen – wer glaubt schon daran? Naja, ich und zwar schon immer sehr stark! Wir hatten uns in einem Datingportal im Internet kennengelernt. Er hatte mich angeschrieben – als Jungfrau! Durch mein Raster war er damals gefallen – über 12 Jahre älter UND Jungfrau! Nee, das war echt nicht meine Zielgruppe. Er hatte mich mit einem Gedicht angeschrieben, seiner Meinung nach nett und romantisch. Naja, ich fand es total befremdlich! Aber er sah so toll aus und ansonsten schrieb er auch so nett, so interessant. Aber das Sternzeichen! Das passte wirklich nicht. Ich habe so viel gesucht und gelesen, aber keine einzige Website wollte was Positives über Widder und Jungfrauen schreiben, keine! Schon faszinierend! Es sind nur Sternzeichen, Mythen! Aber es traf den Nagel auf den Kopf, aber so richtig! Als würde man wortwörtlich über uns beide schreiben. Und immer wenn man was ansatzweise positives gefunden hatte, dann kam schon wieder das Erwachen.

      „Dass der Widder in dieser Liaison die treibende Kraft ist, liegt auf der Hand. Dennoch ist er von der Jungfrau beeindruckt, denn die ist geistig flink und dennoch so herrlich aufgeräumt. Das Feuerzeichen kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie sie es anstellt, immer so beherrscht zu sein. Umgedreht wird das Erdzeichen von der Leidenschaft des Widders mitgerissen und befindet sich plötzlich in einer Achterbahn, für die sie nie ein Ticket gelöst hat.“ (https://www.bildderfrau.de/horoskope/)

      Diese Achterbahn der Gefühle hat er wohl nicht ganz überstanden. Das Ende kennen wir ja.

        2.Akt: Der Papa


        Mein Vater kommt heute zu Besuch, aus Wien, weit weg von uns. Er kommt nur zweimal im Jahr mich und seine Enkelkinder besuchen. Irgendwie klappt es öfter nicht, und die Kosten. Was für ein Zufall, dass es genau in der Woche ist, wenn seine Tochter nach sechs Jahren Beziehung über Nacht Single wird. Ich glaube heute wird es ohne Sonnenbrille nicht funktionieren, das ist doch mein Papa. Da wird mir allein von seiner Nettigkeit und Zärtlichkeit emotional ganz schlecht. Das öffnet die Pforten, die ich die letzten Tage verschlossen halten konnte. Wir schauen mal.

        Ich hole ihn von Flughafen ab. Der Einstieg ist vielversprechend. Ich freue mich, ich will nicht weinen. Irgendwie habe ich mit allen anderen so viel schon gesprochen, ich verspüre keinen großen Mitteilungsdrang, komisch. Wir philosophieren so vor sich hin. Wir haben Zeit, stehen im Stau. Er ist überrascht, dass ich so gefasst wirke. Er wollte mich eigentlich vom Boden aufkratzen. Hatte das schlimmste befürchtet. Gerade geht es. Ich weiß auch nicht warum. Ich habe viele Punkte schon so oft in den letzten Tagen genannt, dass sie mir leicht von der Zunge gehen. Es hört sich schon routiniert an. Routinierter Single.

        Nach einem kurzen Intermezzo zuhause mit meiner Tochter, bringen wir diese zum Tanzen und Trinken was in einem netten Lokal. Schon wieder das gleiche Restaurant, wie am Mittwoch schon mit meiner Freundin Steffi. Schon wieder kommt die Erinnerung an seine damalige Geburtstagsfeier hoch. So viel Liebe! Wie hat er mich nur angeschaut, vor allen andern mit mir gesprochen – der Hammer! Ich weiß nicht, ob sich ein Mensch mehr geliebt gefühlt haben konnte, ich glaube nicht. Ich blicke kurz in den Feiersaal, als ich auf die Toilette gehe. Dort waren wir noch so glücklich vor wenigen Jahren. Wie destruktiv sind denn schon wieder diese Gedanken!

        Wir reden über Männer. Aha, aus der Sicht eines Mannes. Wir reden gar nicht mehr über die vergangene Beziehung, wie philosophieren über die Zukunft. Wer passt denn so zu mir? Welcher Typ? Ich bin gefasst, rede mit. Das Thema trifft mich gerade nicht so arg. Ich würde auch gerne verstehen, wer nun zu mir passt. Der dominante anstrengende Typ von meinem Exmann, der mir selbst ähnlich ist. Oder der nette Gutmensch, der mich gerade verlassen hatte. Ich weiß es nicht. Damals mit meinem Exmann fand ich jeden Tag einfach nur mühsam am Ende, ich konnte nicht mehr. Ich musste die Reißleine ziehen. Mit meinem Gutmenschen hätte ich aus diesem Grund niemals brechen können. Dazu hätte er mir nie eine Veranlassung gegeben. Ich dachte, vielleicht würde unsere Beziehung eher mal an Langweile scheitern. Ich war einfach aktiver, dynamischer, agiler als er. Aber er erdete mich so schön, so vernünftig, so warm. Es war nicht langweilig, weil er so klug und unterhaltsam war. Er war kein heißblütiger Casanova. Aber das Wissen, das Reden war sexy! Ich fand das schön. Ich war nicht gelangweilt. Vielleicht habe ich aber einfach diesen Gutmenschen als Kontrast zu meinem Exmann gebraucht. Es war so einfach mit ihm, am Anfang. Bevor destruktive Hausdiskussionen gekommen sind, hatten wir keine Differenzen, keine Diskussionen, keine nennenswerten, hätte ich gesagt. Wann er seine Kinder bekommt, und wie wir dann unser Leben planen, das war glaube ich jahrelang der Hauptstreitpunkt bei uns. Nein ich korrigiere, Diskussionspunkt. Er konnte ja eigentlich nichts dafür. Die Ex war böse. Bei den Erbstreitigkeiten mit den Brüdern war ein Bruder böse. Nun war ich ja die Böse. Als Gutmensch hat man wohl nur böse Antagonisten im Leben. Die Diskussion mit meinem Vater war wieder eine Abwechslung, ein Blick in die Zukunft. Bisher hatte ich eher die Vergangenheit versucht durchzukauen, womit ich aber langsam fertig war. Wir zahlten.

        3.Akt: Die Patchworkfamilie


        Ich hätte es nicht machen sollen. Zu spät. Mein Exmann hatte mir von einem Straßenfest bei sich in der Straße erzählt, meine Exstrasse. Warum auch nicht, dachte ich. Ich hatte ja Zeit, ganz viel Zeit. Der Opa war da. Meine Tochter wollte hin, warum nicht. Ich dachte, unter Leuten zu sein, tut mir gut. Naja, wohl nicht mit Migräne. Mein Kopf platze leider. Die Tabletten machen mich eher zum Zombie, als dass sie was bringen zur Zeit. Ich kämpfte mich durch. Mein Sohn war auf einem Geburtstag eingeladen und sollte bald zurückgebracht werden. Und dann – lieferte ihn die Mutter bei der falschen Adresse ab, meinem Zuhause. Er rief genervt an, wo wir denn seien. Ich sagte, er solle zu Papa kommen und lief ihm entgegen. Tolle Idee.

        Ich war für zehn Minuten allein. Unterwegs zu Fuß in seine Richtung. Wir wollten uns in der Mitte treffen und dann zum Straßenfest zurücklaufen. Ich war allein, nur zehn Minuten. Verdammte Migräne. Ich weiß nicht, was die Tabletten aus mir gemacht haben. Es war schon Tag 3 in Folge und irgendwie war ich durch. Die letzten Tage waren definitiv nicht so schlimm. Aber diese zehn Minuten allein! Die Gedanken kommen mit voller Wucht zurück. Warum ausgerechnet jetzt? Ein Phantomschmerz. Das amputierte Bein tut weh. Hat er meine Bettwäsche schon abgezogen? Lächerliche Fragen. Ich denke nicht. Er ist so behäbig. Ich würde es machen. Ich habe es gemacht. Ich bin gegangen. Keine halben Sachen. Kein Warten mehr.

        Vor einigen Minuten hatte ein „Opa“, wie die Kinder alle älteren Männer nennen, auf dem Straßenfest zwei kleine Kinder „Zwerge“ genannt. Es war wie ein Stich – Zwerge! Mein Exfreund nannte seine und meine Kinder immer Zwerge! Meine ok, seine waren schon mehrere Köpfe größer als ich. Zwerge! Für ihn waren es immer Zwerge. Er bemutterte sie in einer Art und Weise, die mir schon nicht mehr normal vorkam. Gefühlt ging er mit seinem Sohn auf die Toilette. Wofür? Es hatte so viele Jahre auf sie verzichten müssen, sie so vermisst. Nur ein Tag in der Woche. Bei Teenagern ist es noch ok. Aber bei Vierjährigen ist das unvorstellbar grausam, sie nicht öfter knuddeln zu können. Wie schlimm muss das gewesen sein für ihn. Ich habe so geblutet innerlich, wenn er mir solche Sachen erzählte. Er ist so sensibel, so gut, ein Gutmensch. Wie konnte eine Frau ihm sowas antun! Natürlich hatte er das nicht verdient! Natürlich nicht. Er wollte doch nur die Zwerge sehen. Sie kam offensichtlich mit seinem Schlussmachen nicht klar. Wie muss sie sich damals gefühlt haben. So oft denke ich daran. Jetzt, wo ich in der gleichen Situation bin. Wie schlimm muss es gewesen sein, von einem Gutmenschen verlassen worden zu sein. Hat sie das erwartet? Hat sie den Schlag in die Magengrube gesehen? Hatte sie damals was geahnt? Sie hatte ein Baby, sein Baby, und er war einfach weg. War er denn wirklich so gut? War er! Damals war ich davon überzeugt! Und um diese Wunden zu heilen, wie hätte ich gerne ihm ein eigenes Baby geschenkt. Unser Baby! Es war doch schon unterwegs! Wir hätten doch nur zugreifen müssen! Wir haben es nicht getan. Und dann kam dieses Haus.

        Ich laufe am falschen Haus vorbei. Und es wird noch schlimmer. Hier wohnt meine Hass/Neid-Familie! Eine Patchwork-Familie. Wir hatten das Haus auch damals gesehen. Aber es war zu alt, zu renovierungsbedürftig und viel zu nah beim Exmann. Für die andere Familie hat es aber genau gepasst. Schön für sie. Sie waren schon eine bunte Mischung. Sie, eine wunderschöne Frau in meinem Alter, hatte drei Kinder mit ihrem Exmann. Er, viel älter als sie, hatte ebenfalls zwei Kinder aus der Beziehung davor. Und wisst ihr was? Sie hatten trotzdem ein verdammtes gemeinsames Baby! Ein Patchwork-Baby! Im Vergleich zu den anderen Kindern, war es winzig. Zu den ältesten Geschwistern bestand ein Altersunterschied von fast 18 Jahren – wie krass! Aber – es war ihr GEMEINSAMES Baby! Egal, wie viele Kinder sie schon hatten, egal, wie alt er als Vater war, egal wie alt sie schon war, egal wie kompliziert das Leben damit wurde – sie hatten ein gemeinsames Baby! Und dann ging es ja noch weiter. Sie waren auch noch verheiratet! Kann man sich das vorstellen? Als zweiten Versuch tatsächlich miteinander verheiratet! Und dann als Krönung ihrer Liebe, ihrer Familie, hatten sie dieses große Haus für sich erworben, für ihr Glück. Mir war wieder übel! Diesmal vielleicht von Migräne, vielleicht auch nicht. Ich konnte diese Kombi gerade nicht ertragen. Ich hatte damals schon mit meinen Gefühlen zu kämpfen, da es so viele Parallelen gab. Aber ich war ja glücklich, ich hatte ihn. Jetzt hatte ich nur dieses riesige Loch in mir und sonst nichts, absolut nichts. Die Tränen liefen unter der Sonnenbrille runter. Wie klebrig. Wie schlimm, jemanden zu beneiden.

        Mein Sohn kam mir strahlend entgegen. Eine schöne Geburtstagsfeier war es, toll! Wenigstens einer war glücklich. Er erzählte mir von seinem Lasergame. Er rede und redete. Ich hörte komplett an ihm vorbei. Ich habe nur an ihn gedacht. Warum jetzt? Ich war doch schon einen Trag trocken. Warum?

        4.Akt: Das Straßenfest


        Keine gute Idee, es war keine gute Idee. Dieses Fest endete in einem Desaster. Verdammte Migräne. Ich war komplett zerlegt. Ich hätte mich auf den Tisch legen können. Mein Sohn legte sich neben mich. Sein Tag hatte auch schon um sechs Uhr früh begonnen, er war durch und durch. Die Schule, der Geburtstag, er wollte nur noch heim. Ich auch. Die Tochter nicht. Sie war in ihrem Element, Party hier, Party da, Kinder in den Garten eingeladen, gespielt. Ich wollte heim. Alle anderen wollten heim. Sie nicht.

        Und dann habe ich mit meinem Exmann das gemacht, was uns bis jetzt in sieben Jahren nur zwei/dreimal passiert ist – wie ließen den Kindern die Wahl, zu Mama oder zu Papa. Das haben wir vermieden, wirklich vermieden und aus einem guten Grund. Meine Tochter mäkelte rum, brach in Tränen aus, wollte bleiben. Aber irgendwie auch nicht, der Opa war ja da. Sie war gespalten. Ich war kaputt. Und dann mischte sich der liebe Papa ein, ob sie vielleicht doch bleiben wollte, dann bei ihm. Vielleicht für zwei Stunden, vielleicht gleich übernachten. So viele Alternativen. Das ging noch nie gut! Ich war genervt, absolut abgenervt. Sie war verwirrt, müde, aber spielwillig. Aber dann war auch noch der Opa da. Sie ist neun und wirklich sehr klug. Aber eine solche Entscheidung zwischen Papa und Mama war sie immer noch nicht in der Lage zu treffen. Ich habe das verstanden. Daher war immer klar, wo die Kinder sind und wer verantwortlich ist. Bei wem sie bleiben. Die wenigen Male, wo sie die Wahl hatte, hatte sie sich mehrmals umentschieden, um keinen zu verletzten und irgendwie die beste Alternative rauszuholen. Hat noch nie funktioniert.

        Irgendwie haben wir noch die Kurve gekriegt und konnten aufbrechen. Mein Exmann musste mir aber natürlich nochmal reindrücken, dass er mein Verhalten nicht in Ordnung fand und das ganze Theater überflüssig war. Und und und. Ich habe nur gewartet, bis er mir telefonisch dann noch schreibt, dass er das ja voll versteht, warum ich nun verlassen wurde. Das wäre so unter der Gürtellinie. Aber das hätte ich ihm zugetraut. Wir liefen nachhause. Ich heulte den ganzen Weg – unter meiner Sonnenbrille.

        An diesem Abend hat er mir so wahnsinnig gefehlt! So schlimm.  So war es seit Tagen nicht mehr, oh ja, zwei Tagen! Ich hatte einen Konflikt, die Kinder waren schwierig, der Exmann böse. Wem sollte ich das abends erzählen? Wen würde das interessieren? Dass es mir schlecht ging nach der Diskussion. Dass ich die verdammte Migräne hatte seit drei Tagen, die einfach nicht aufhören wollte. Wer würde mir zuhören, mich trösten, mich aufbauen? Jeden Abend haben wir telefoniert, jeden Abend. Wie hat er mir heute nur gefehlt! Warum heute!? Ich war doch schon einen Tag trocken. Rückfall!

        Tag 7 - Samstag


        1.Akt: Die Halle


        Schon Tag sieben, wir haben nun eine ganze Woche! Und wieder stand eine sechs vorne auf der Uhr als ich aufgewacht bin. Es ist Samstag. Wochenende. Gottseidank bin ich nicht allein. Die Kinder. Mein Vater. Ich bin nicht allein. Ich fühle mich allein. So allein. Ich stehe auf. Zumindest physisch muss ich heute nicht allein sein.

        Ein positives Erlebnis – die Waage! Sie zeigt eine 62, ok, mit Komma, aber 62 davor! Krass! Es ist nicht mal eine Woche vorbei! Wie geil ist das denn, wenigstens abgenommen. Zwei Kilo in einer Woche. Ich weiß, ich weiß, das hält nicht. Kommt schon wieder alles drauf, wenn das Elend weniger wird. Ich freue mich trotzdem! Ein positiver Nebeneffekt, endlich mal was Gutes vom ganzen Elend.

        Heute ist mein Hallentag, wie schön! Ich bin jeden Samstag in „meiner“ Halle mit den Ukrainern. Ich nehme spenden an, sortiere, räume auf. Ich werden gebraucht! Ich liebe meine Samstage. Ich bin gerne aktiv und beschäftigt – und einfach nützlich. Diese Tätigkeit ist so sinnstiftend, so erfüllend. Ich bin kein Gutmensch. Ich bin nie einer gewesen. Ich glaube, ich kann nicht gut zuhören, bin nicht sehr emphatisch. Aber ich bin ein Macher! Ich nehme die Menschen an der Hand und sage, „du schaffst es!“ Und ich mache alles dafür, dass der Mensch es schafft. Damals, ich mein Vater meine Mutter sehr grausam verlassen hatte, da war ich für sie da, natürlich. Aber ich war da, um ihr Leben neu zu organisieren, um die Finanzen zu klären, um den neuen Alltag aufzubauen, für praktische greifbare Dinge im Leben. Mein Bruder war da, um ihre Hand zu halten. Natürlich habe ich auch mit ihr geredet, viel geredet. Aber das ist nicht meine erste Stärke, emotional für den Leidenden da zu sein. Ich gehe Probleme an, ich mache was, ich bin aktiv. Daher war auch der Vereinsname für mich so symbolisch ansprechend: „Nicht reden, Machen!“

        Hier bin ich nun im Vorstand, wow, klingt cool. Ich bin im Vorstand. Mit geht es nicht um Titel, ich will was machen, helfen. Wenn man in sich diese Kraft verspürt, wenn man spürt, dass mein Wissen und Können einen Unterschied machen kann, dann fühle ich die innere Verpflichtung, es auch einzusetzen. Ich kann nicht anders. Als der Krieg anfing, das Elend losging, da war ich zumindest hier in Deutschland an der vordersten Front. Wir haben die schockierten Neuankömmlinge aufgenommen, sie angekleidet, gefüttert, Unterkünfte organisiert, übersetzt wo es ging. Hammer! Ich habe noch nie was Nützlicheres im Leben gemacht! Mein Job ist toll und meine Firma verbessert zumindest nach ihrem Firmenmotte jeden Tag das Leben von Menschen und berührt deren Leben. Aber wenn ich nie da wäre, ich glaube nicht, dass es wirklich auffallen würde. Aber hier! Ich bin die PAULINA. Alle kennen mich, kommen zu mir, mögen mich, naja hoffe ich doch. Ich bin zumindest meistens nicht für ihre Tränen zuständig, das ist nicht meine Stärke. Aber ich gehe mit Ihnen zu Ärzten und in Schulen, ich organisiere deren Umzüge, plane deren Sprachkurse, erkläre Ihnen die deutsche Kultur, das Leben hier. Ich sorge dafür, dass sie ein Leben haben, einen Alltag, der sie auffängt. Die Hand halten müssen andere. Ich mache – ich will nicht nur reden.

        Aber heute werde ich auch reden. Eine Ukrainerin kommt vorbei, die ich lange nicht mehr gesehen habe. Eigentlich ist sie sogar Russin, in die Ukraine ausgewandert. Wir verstehen uns. Sie hat beschlossen, mit ihrer kleinen neunjährigen Tochter zurückzugehen. Zurück in den Krieg. Sie hat ihren Mann schon seit mehr als einem Jahr nicht gesehen, hält es nicht mehr aus. Allein mit Kind in einem fremden Land. Den Mann sieht sie nur am Telefon. Sie will nicht mehr. Sie wollen es zumindest versuchen trotz Krieg wieder unterzukommen, irgendwie den Alltag zu bewältigen, Hauptsache zusammen. Es klingt so unendlich traurig und unendlich romantisch. Gemeinsam den Krieg aushalten, Hauptsache zusammen. Das muss Liebe sein! Ich beneide sie um dieses Gefühl. Für die Ewigkeiten, bis der Tod uns scheidet. Das klingt so bedeutend. Solche Gefühle wollte ich erleben. Ich dachte, dass ich sie erlebe. Ich habe mich geirrt.

        Aber gut, heute muss ich noch mehr reden, zumindest einige einweihen in mein Leid. Zwei andere Frauen sind mir besonders ans Herz gewachsen, sind Freundinnen geworden. Ich mag sie total. So emphatisch und lieb, wenn auch beide recht unterschiedlich sind. Ich hatte bisher viel zu wenig Zeit für sie. Meistens treffen wir uns in der Halle, sehr sehr selten bei mir zuhause. Ich muss mit Kindern lernen oder fahre immer zu ihm. Die zwei Haushalte kosten Kraft. Ich hätte ihn sonst kaum gesehen. Sie kennen einiges von mir, ich von ihnen. Sie kannten ihn, zumindest kurz vom Sehen, ein- oder zweimal. Sonst hielt er sich aus meinem Leben in der Halle komplett raus. Kein Interesse? Ja, würde ich sagen. Es war meine Welt. Klar, ich rede ja auch russisch hier. Aber so oder so hat er sich als Helfer nie aufgedrängt. Und ja, ich habe auch nicht gefragt. Warum? Ganz einfach, damit er Zeit für sich hat. Er hat eine 60h Woche, 1 Tag am Wochenende hat er die Kinder und ist voll und ganz für sie da. Und dann blieben ja wirklich nur wenige Stunden für ihn. Ich habe das vollkommen verstanden, vollkommen. Ich habe immer darauf geachtet, mehr als er, dass er diese Zeit bekam. Er nahm sie sich diese Zeit nie selbst, dafür war er nicht der Mensch. Er hätte ein viel zu schlechtes Gewissen. Also habe ich das für ihn entschieden, und erst gar nicht gefragt. Vermieden, ihn auch zu viel mit meinen Kindern zu belasten. Ich wollte, dass es ihm gut ging. Diese Welt hier in der Halle ging also an ihm vorbei. Naja, nicht ganz, da ich für ihn fehlte und mich für diese Tätigkeit aufopferte.

        Ich dachte immer, er hat es verstanden, es akzeptiert. Er war doch der Gutmensch. Und ich bin hier zu einem geworden, wie schön. Jetzt waren wir uns doch ähnlicher, näher, oder nicht? Nein, waren wir nicht. Diese Tätigkeit hat definitiv wohl zu viel meiner Energie genommen. Die Energie, die ich für die Beziehung gebraucht hätte. Es war für mich eine willkommene Ablenkung damals von den vielen Tiefschlägen in unserem Leben. Das entgangene Baby. Das entgangene Haus. Als der Krieg losging, wurde ich hier gebraucht. Ich hatte ihn gebraucht, aber irgendwie war er nicht genug da. Also habe ich mir eine Ablenkung gesucht – hier war sie.


          2.Akt: Das Mittagessen


          Heute muss ich früher gehen, mein Vater ist da und das Klassenfest meines Sohnes steht bevor. Ich fahre los, muss noch bei meiner Mutter vorbei und ihre Einkäufe nachhause bringen. Ich bin wieder allein. Und wieder geht es los. Als würde mein Verstand oder ein anderes Organ, das Herz, lauern, wann ich denn allein bin und dann loslegen – mit den Gedanken an ihn! Ich sehe im Handy unsere Unterhaltung in WhatsApp nicht mehr. Ich habe den Chat gleich ent-pinnt von den Favoriten, damit er weiter runterrutscht. Ich gehe zur letzten Unterhaltung: „habe trauriges Gesamtgefühl“, war meine Nachricht. „das tut mir leid. Ich fühle mich gar nicht gut lass uns nachher telefonieren“. Danach Stille. Seit nun einer Woche. Er wollte solche Themen nie telefonisch besprechen. Wie konnte er das machen? Schlussmachen am Telefon? Nach sechs Jahren Beziehung? Wir sind doch keine 20 mehr, keine 30? Ich habe ihm doch nichts angetan, dass ich sowas verdient hätte. Warum? Wenn ich das so schreibe und lese, bin ich immer noch so sprachlos. Ein anderer Mensch, eine andere Frau, die würde doch sofort zerfallen, zerbrechen nach einer solchen Behandlung. Das ist so unbeschreiblich schmerzhaft, aber ich lebe! Ja, es ist noch keine Woche her, ich habe die Kinder, muss funktionieren. Aber ich glaube, ich werde es überleben. Ich bin stark. Vielleicht hat er ja darauf gesetzt, da er mich ja kannte. Er wusste, dass ich da rauskomme, irgendwann mal. Ich versuche es.

          Ich bin bei meiner Mutter angekommen. Der Hund bellt sich einen ab, als er nur das Auto draußen hört. Aha, sie hat ihn ja toll im Griff. Das würde er bei mir nicht machen – denke ich! Das ist so eine Diskussion, die wir immer hatten und immer noch haben. Wie erzieht man ein Tier? Sie macht es mit wahnsinnig viel Liebe und Verständnis, gibt ständig nach, lässt sich auf der Nase herumtanzen. Es ist ein Tier! Egal wie sehr ich ihn liebe, es ist ein Tier. Ich bin nicht gleichrangig, ich bin das Frauchen. Ich will, dass er auf mich hört, mich respektiert. Das tut er! Bei mir bellt er nicht. Er hört auf mich, wenn ich sage, „sitz und bleib. Du bleibst.“ Das ist unser Codewort. Dann gehe ich, er bellt nicht. Er respektiert mich und liebt mich. Aber meine Mutter liebt er mehr! Viel mehr! Sie ist so lieb zu ihm, ich bin streng. Toll! Ist das der Preis, wenn man Stärke zeigt? Ich könnte es auf so vieles übertragen.

          Ich fahre zu den Kindern. Sie habe mit Opa zusammen Pizza gemacht. So selbständig, fast allein. Meine Tochter will mir dringend was mitteilen. Sie hat irgendwelche Gedichte über den Krieg, warum auch immer, rausgeschrieben aus irgendeiner Serie, alles klingt wirr. Ich bin müde und will essen. Ich höre zu. Meine Nachfrage, ob es „nur“ abgeschrieben ist, löst ein mittelschweres Drama aus! Sie schluchzt und zieht sich ins Zimmer zurück. Ich bin baff, keine Ahnung was das war. Ich denke, die Kinder sind genau wie ich diese Woche etwas gereizter, nervöser. Nach dem wir fast fertig sind mit dem Essen, kommt sie großzügig zu uns an den Tisch. Ich bekomme einen Vortrag. Ich kritisiere gleich los, ich muss ja nur sagen, ist schön gemacht. Aber nein, ich muss ja auch gleich sagen, was noch besser sein könnte, das ist so anstrengend. Die Augen sind wieder mit Tränen gefüllt. Was für eine schlimme Mutter. Ich setze wieder zu einem elterlichen Vortrag an – oh je. Ich muss ja auch wirklich jeden Vorfall dafür nutzen, schon anstrengend. Ich versuche ihr zu erklären, dass Kritik wertvoll ist. Dass man durch Kritik wächst und sich verändert, sich verbessern kann. Kritik ist ein Geschenk, natürlich wenn sie gut verpackt ist. Nur Menschen, denen du was bedeutest, würden sich auch die Mühe dieser wertigen wertvollen Kritik machen. Die anderen sagen einfach ohne nachdenken „schön“, vergessen es und gehen weiter. Man muss Kritik annehmen können. Sich dafür bedanken. Man wächst daran. Ich halte inne – krass, die Parallelen wieder! Er konnte nie Kritik üben. Wo sind wir jetzt angekommen? So viel habe ich ihm bedeutet, dass er diese Kritik nicht äußern konnte? Monate und Wochen davor? Kein Interesse, dass sich was ändert? Einfach innerlich kündigen und gehen? Ich bin wieder in einer anderen Welt des Elends. Aber da hilft mir meine Tochter raus. „Ich möchte nicht mehr diskutieren. Du musst einfach nur sagen, es ist toll gemacht und das wars.“ OK, wir müssen noch an ihrer Kritikfähigkeit arbeiten.

          3.Akt: Das Klassenfest


          Wir brechen wieder auf. Man ist das ein volles Wochenende! Klassenfest von Sohn. Wir holen Papi ab, der hoffentlich wieder gut drauf ist seit der Diskussion gestern. Das ist gerade eindeutig zu viel Kontakt. Aber gut, wir versuchen es erneut. Es wird ein super Nachmittag!

          Vielleicht 30 Leute mit Kindern sind gekommen, ich kenne fast keinen. Es ist die fünfte Klasse, alles und alle sind neu füreinander, auch die Eltern. Ich liebe es, neue Leute kennenzulernen. So spannend, mit wem sich mein Sohn angefreundet hat. Wie ist das Kind, wie sind die Eltern? So viele Fragen. So viele glückliche Paare. Ich beginne das Fest mit einer leichten Frustration. Hält aber nicht lange, ich bin ja mit Exmann und Opa da, nicht allein. Ich wirke auch nicht allein. Was weiß ich, wie glücklich die ganzen Paare um mich herum sind. Der Schein trügt. Ganz sicher sind nicht alle kuschelwuschel unterwegs. Wer weiß, wer schon wie oft bei Eheberatung war, wer in zweiter Ehe schon verheiratet ist, wer kurz vor der Scheidung steht. Naja, diese Leute ziehe ich wohl magisch an.

          Eine hübsche Mutter von einem Klassenkameraden bekommt mit, dass ich mit Exmann da bin, und es geht los. Ich glaube, ich rede fast eine Stunde mit ihr. Sie ist sehr nett. Wie wir das damals gemacht haben mit den Kindern, wie es denn läuft. Sie ist erst seit einem Jahr getrennt, alles noch sehr frisch. Aber sie war über 20 Jahre mit ihm zusammen, krass! Solche Zeiträume mit einem Menschen kann ich mir gar nicht vorstellen. Mit meinem Exmann war ich knappe sieben Jahre zusammen, mit meinem Exfreund sechs Jahre. Ich finde schon solche Zeiten beeindruckend. Aber 20 Jahre? Die sind ja zusammen groß geworden. Sie ist erst 36, so wie ich bei der Trennung. Wahnsinn! Mit 20 kennengelernt. Sie hat sich bei einer Datingplattform angemeldet und ist wenig begeistert. Ich tröste sie, es ist am Anfang immer so. Natürlich fühlt es sich hohl an, mit einem fremden Menschen die erste Unterhaltung übers Internet zu führen. Keine Nähe, Wärme, kein Vertrauen, alles auf Null. Das Einzige, was du siehst, ist das fremde Foto. Dann ein Paar Textzeilen. Das ist wirklich nicht viel. Und es fühlt sich wirklich leer an. Ich kann es gar nicht anders beschreiben.

          Ich war nicht lange damals in diesen Datingforen. Vor ihm hatte ich gerade mal zwei Männer getroffen. Einer war nett, aber viel zu dominant und das Aussehen war nicht ganz überzeugend. Der andere war wirklich ganz anders als auf dem Foto und auch nicht mal nett. Er als der Dritte war perfekt! Ich werde seinen ersten Anblick nie vergessen – ich war geflasht! Meine Mädels werfen mir ein gleiches Jagdmuster vor. Na und! Ich wusste halt, was ich wollte. Nach dem ersten Treffen wollte ich mehr, er auch. Daraus sind es sechs fast durchgehend schöne Jahre geworden. Aber ja, der Anfang war schwer. Jedem immer wieder was über sich schreiben. Standardsätze des Kennenlernens. Es ist belastend und nervig. Da muss man schon durchhalten, auch damit leben, dass aus den meisten Kontakten nun mal nichts wird. Ich war noch nicht so weit, nach einer Woche verständlich. Sie war nach einem Jahr noch nicht wirklich bereit. Es waren nur halbherzige Versuche.

          Keine Ahnung warum, aber an diesem Nachmittag verstehe ich mich sehr gut mit meinem Exmann. Wir witzeln, schubsen uns spielerisch, wirklich normal und nett. So war auch unsere Beziehung damals gewesen, tiefe Tiefen und hohe Höhen, wobei die letzteren leider immer seltener wurden. Das war mir zu anstrengend, ich hatte keine Kraft mehr, ich bin gegangen. Mit ihm, dem letzten ihm, war es ganz anders. Wir hatten wahnsinnige Höhen, und dann stellte sich ein Hügel ein, dann vielleicht mal eine Ebene, aber ich habe nie ein Tal empfunden. So ging es aber wohl nur mir. Wie lange er wohl in diesem Tal unserer Liebe gewesen ist? Monate? Jahre wohl nicht, das hatte er selbst bestätigt. Mit meinem Exmann ist es aber heute auf der Höhe, gottseidank. Nochmal ein Abend wie gestern hätte ich nicht ertragen. Wir sitzen im Restaurant am Strand. Hier war ich auch mit ihm vor vielen Jahren gewesen, wie mich mein Herz freundlicherweise auch gleich erinnert hatte. Wir schauen den Kindern beim Spielen zu und philosophierten über neue Partner. Was das Problem bei der Partnersuche wäre. Ich bin ja eigentlich erfolgreicher als er. Immerhin eine sechs Jahre lange Beziehung. Er hat in der Zeit ein Jahr lang was versucht, was komplett nach hinten losging. Aber nun sitzen wir beide da, allein. Ich weiß nicht, ob es wirklich hilfreich ist, mit ihm zu philosophieren. Tatsächlich habe ich in Gedanken und Gefühlen nochmal geprüft, ob es irgendeine Chance für uns beide gebe und habe es – ich muss wirklich gestehen, angeekelt verworfen! Exmann ist Exmann, ich hatte ja meine Gründe und wir hatten nicht gerade harmonische sieben Jahre nach Beziehungsende hinter uns. Nein. Ich habe ihn nicht mal als Mann mehr gesehen. Das ging wirklich gar nicht. Er war nur Papi für die Kinder, maximal eine nette Unterhaltung für mich. Aber ganz ganz sicher nichts mehr! Wir fahren nachhause.

          Tag 8 - Sonntag


          1.Akt: Das Jubiläum


          Die Uhr zeigt eine vier davor, ich drehe durch. Gestern konnte ich erst um Mitternacht einschlafen. Heute kam mein Vater auf die Idee, im Wohnzimmer zu lüften, in der Nacht. Rollläden und Tür auf, ich wach. Normalerweise wäre ich um diese Zeit wieder eingeschlafen. Diesmal natürlich nicht. Natürlich läuft mein Kopf sofort auf Hochtouren. Gerade wach, schon zack, alles an, alles funktioniert. Heute ist Jubiläum! Wir haben uns vor einer Woche gesehen. Ich habe seine Stimme vor einer Woche gehört. Vor einer Woche habe ich ihn berührt und mehr. Alles war vor genau einer Woche. Vor einer Woche haben wir uns getrennt.

          „Unabhängig vom Geschlecht ist es laut Psycholog:innen besonders wichtig, nach einer Trennung, das Gefühl für dein “eigenes Ich” wieder zu erlangen. Je schneller du dein Selbstbild anpasst und dich als eigenständige Person – und nicht mehr als Partner:in von XY – wahrnimmst, desto schneller kannst du dich nach einer Trennung wieder innerlich zufrieden fühlen.“ (www.chrisbloom.de)

          Davon bin ich noch so meilenweit entfernt. Keiner erwartet von mir gerade was anderes. Ich schon! Ich bin doch so schnell, so aktiv, ich gehe es einfach an, diese Verarbeitung. Ich schaffe das.

          Ich habe nun Zeit, alle schlafen. Ich denke plötzlich daran, ob ich seine Freunde jemals wiedersehen werde. Sie waren so nett, so lieb. Noch am Samstag vor dem großen Sonntag hatten wir einen sehr schönen Abend zusammen. Er war schon selbst überrascht warum auch immer, dass ich und alle anderen zusammen sich wohl gefühlt haben. Würde ich sie wiedersehen? Bei welchem Anlass? Wenn wir uns ganz ganz doll verstehen würde. Dann vielleicht mal beim Grillen. Vielleicht bei wichtigeren Ereignissen. Seiner Hochzeit? Blutendes Herz. Masochistische Gedanken! Was für eine Qual. Warum mache ich das? Ich kann es noch nicht verhindern. Es wird mir bestimmt bald gelingen. Er würde mich natürlich nicht zu seiner Hochzeit einladen. Wie makaber. Ich würde es bei meinem Ex-Ehemann tun. Er gehört zu meinem Leben. Allein durch die Kinder. Der neue Ex ist kein Teil meines Lebens mehr. Keine Überschneidungen, keine Kinder, kein Haus. Nichts. Einfach weg. Wir würden ganz sicher nicht auf solchen Festen der Familien auftauchen.

          Ich drehe mich eine unfassbar lange Zeit im Bett herum, stehe auf, schreibe weiter. Ohne das Schreiben würde ich eingehen.


            2.Akt: Das Familienmittagessen


            Kurz vor acht geht der Tag los, alle sind wach. Heute haben wir wieder was Spannendes vor. Essen mit meinem Bruder und meinen beiden Eltern. Das passiert nur alle Paar Jahre. Und das reicht mir auch vollkommen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie meine Eltern überhaupt nur einen Tag miteinander verbracht haben. Sie sind so verschieden. Haben sie sich so auseinanderentwickelt? In jedem Fall – kein schönes Erlebnis, maximal ein neutrales, mehr erwarte ich nicht.

            Gottseidank ist mein Bruder dabei, und der Hund, die Kinder sind abgelenkt. Mein Elend steht ausnahmsweise mal nicht im Mittelpunkt. Ich habe auch langsam keine Lust mehr alles wieder und wieder zu diskutieren. Mein Bruder erzählt von seinen Lebensplänen. Gerade wohnt er um die Ecke. Aber bald wird er wohl wieder ins Ausland ziehen, zu seiner Freundin. Wieder weit weg von uns. Das macht mich wieder unsagbar traurig, wie gerade eigentlich jede Veränderung, aber diese besonders. Er ist so lieb zu den Kindern. Sie hängen an ihm. Sie hangen auch an Mamas Partner, aber dieser ist nun weg. Wenigstens mein Bruder bleibt ihnen. Jetzt geht er wohl auch weg. Ich mische alles ineinander, ich weiß. Mein Bruder bleibt doch mein Bruder. Aber wenn er weit weg ist, dann ist er doch keine Bezugsperson mehr. Das ist so schade! Er ist ein guter anständiger Mensch. Er ist meinem Sohn einbisschen ähnlich, versteht ihn. Ich hätte ihn so gerne mehr in meinem Leben gehabt, vor allem jetzt, wo der andere weg ist. Ich kann es nicht beeinflussen, dass beiden gehen, jeder auf seine Art.

            3.Akt: Der Vereinsstress


            Die Meldungen laufen heiß. Die Vereinstätigkeit ruft. Ich bin gespannt. Oh man, Stress auf allen Fronten, warum nur alles auf einmal. Einer von sieben Vorstandsmitgliedern tritt aus. Ein lieber netter Kerl, ich mag ihn. Er und seine Frau waren beide im Vorstand. Er nun nicht mehr. Wir hatten viel Stress in der Gruppe in den letzten Wochen. Ein sehr dominantes neues Mitglied kam rein, der Hausfrieden hing absolut schief. Der neue, der schon mal im Vorstand war, und ausgetreten ist, ist voller Elan. Kommandiert, diktiert, organisiert – oder versucht zumindest. Keiner reagiert. Er fühlt sich vor den Kopf gestoßen, verbreitet miese Stimmung in der Gruppe – der Erste geht. Diese auf und ab der Emotionen, wenn Menschen zusammenarbeiten, ist schon ein Kapitel für sich. Ich habe diese Höhen und Tiefen die letzten Monate schon immer wieder mitgemacht. Mal war es unterhaltsam, mal nervig. Aber wirklich belastend ist es jetzt. Ich bin so dünnhäutig geworden. Ich kann ja gar nichts mehr abhaben. Die kleinste Veränderung wirft mich schon aus der Bahn. Ich möchte und kann nicht an mehreren Fronten kämpfen. Ich habe mich aus allen Diskussionen der letzten Tage rausgehalten. Ich habe keine Kraft dafür. Unser Vorsitzende ruft an, will reden. Ich erzähle ihm kurz von meiner Lage und dass meine emotionalen Kapazitäten ziemlich erschöpft sind. Er versteht es, bedauert es. Er ist auch am Ende seines Lateins, wie er vorgehen soll. Schwierige menschliche Beziehungen. Ich bin ihm leider gerade auch keine Hilfe. Keine Kraft.

            4.Akt: Das Abendessen


            Abends sind wir wieder total allein, ich und die Kinder. Es wäre eigentlich Wechsel-Sonntag, die Kinder würden um 16 Uhr zu Papa gehen und ich zu ihm, dem Ex. Ich möchte sie heute behalten. Der Vater ist einverstanden. Ich brauche sie. Ich kann noch nicht allein sein. Ich breche zusammen. Sie streiten und motzen, sie lenken mich aber ab. Ich liebe sie. Sie sind doch der Sinn im Leben. Sie machen die Beziehung zum Vater auch nicht umsonst. Sie sind ja das Ergebnis. Ich brauche sie.

            Wir sitzen am Tisch. Meine Tochter macht zum Spaß böse Bemerkungen nach dem Motto, sie wäre ja nun eigentlich lieber bei Papa. Einfach so zum Spaß. Ich weiß nicht, was in sie gefahren ist. Es tut so weh! Sogar mein Sohn ist verblüfft über ihren Spruch. Ich schaue sie entsetzt an. Sie schluckt, sie hat es übertrieben, das sieht sie. Mir laufen die Tränen übers Gesicht. Ich schluchze, schlucke und stehe auf. Ich muss weg. Ich gehe auf die Toilette, versuche es normal aussehen zu lassen. Am Tisch zurück ist sie nicht da, nur mein Sohn. Dann rennt sie in mein Zimmer, ich soll doch schauen. Ich esse weiter. Ich will nicht schauen. Sie setzt sich wieder zu uns. Ich schließe die Augen, die Tränen laufen wieder runter. „Sie weint“, sagt mein Sohn zu ihr, steht auf und umarmt mich, sie kommt dazu. Ich dachte ich bin nun gefasster, es geht aufwärts. Nichts ist besser. Ich heule wieder. Das erste Mal seit Montag wieder vor den Kindern. So sichtbar. So leidend. Ich will sie nicht belasten. Ich kann aber gerade nicht anders. Ich kann einfach nicht. Es ist Sonntagabend. Mein Lieblingstag mit ihm. Ich kam immer zu ihm. Er machte Essen. Begrüßte mich, umarmte mich, stelle mir das kalte Getränk hin. Wir redeten viel über unser Wochenende. Wir saßen lange am Tisch beim Abendessen, hielten Händchen. Bis zum bitteren Ende hatte sich das nicht geändert! Wo hätte ich das denn erkennen sollen? An was? An einem Blick, der wenige Sekunden kürzer war? An was? Ich konnte einfach nur Verzweifeln. Ich wollte nicht mehr. Migräne kam wieder. Sie machte mich schwächer. Alles schien so viel schwerer, wenn sie kam. Aber sie kam so oft. Alles war ein Kampf. Das ganze Leben ohne ihn war ein ziemlich bitterer einsamer Kampf. Erster Sonntag ohne ihn geschafft.

            Tag 9 - Montag


            1.Akt: Die Reise


            Auf der Uhr ist wieder eine vier davor, ich drehe durch. Irgendein verdammtes Geräusch hat mich schon wieder geweckt! Wie ich das hasse. Oh! Es war mein Magen, er knurrt! Ich glaube ich spinne. Jetzt werde ich schon von meinem eigenen Organ geweckt. Man, bin ich empfindlich was Geräusche angeht. Was würde ich dafür tun, dass ich das nicht wäre. Ich bin nicht glücklich damit. Dann hätte ich neben ihm ohne Probleme schlafen können. Vielleicht. Unfassbarerweise schlafe ich wieder ein.

            Ich werde wieder von Geräuschen geweckt. Diesmal die vertrauten von unten von den Nachbarn. Ich hoffe sehr, dass eine sechs davor ist. Super, eine sechs ist davor. Es ist halb sieben! Ich habe verschlafen! Unfassbar. Ich habe vergessen, den Wecker zu stellen! Ich weiß nicht, vor wie vielen Jahrzehnten mir das das letzte Mal passiert ist. Ich bin definitiv aus dem Takt. Verdammt! Ich hasse das zutiefst, was diese Trennung mit mir macht. Ich kann es nicht ändern. Ich stehe, besser springe, aus dem Bett.

            Nach einem hektischen Morgen mit den Kindern geht die Reise los. Das passt wie die Faust aufs Auge – mein Resilienz-durch-Wandern-Seminar! Eine Woche Bildungsurlaub im Odenwald. Wie cool ist das denn! Ich freue mich total, aus dem Alltag raus zu sein. Abstand zu allem zu bekommen. Das brauche ich. Ich werde mich einlassen, versprochen! Auf alle kommenden Entspannungsübungen. Auch jeden Käse, der mich rausbringt. OK ok, die Einstellung ist vielleicht gerade nicht optimal. Alles, was mit Entspannung zu tun hat, hat nichts mit mir zu tun. Ich google sicherheitshalber, was Resilienz genau bedeutet. Aha – ich mich geirrt! Hier steht was von innerer Widerstandskraft. Aha, es ist gar nicht Entspannung. Also mit Achtsamkeit wird es schon was zu tun haben. So genau will ich mich gar nicht informieren, ich höre ja gleich alles.


              2.Akt: Das Mittagessen


              Zuvor gibt’s noch das Mittagessen bei dem hiesigen Supermarkt meines Dorfes. Ich fühle mich wie ein Revolluzer! Es ist Montagmittag und ich bin draußen, kann es mir erlauben in der Sonne zu sitzen und Kaffee zu trinken. Wie cool ist das denn! Ich bin gut drauf. Dann kommen die Gedanken. Ich sitze ja allein. Ich bin allein. Wie lächerlich das ist! Ich habe früher das so genossen, auch mal allein was zu unternehmen, ohne ihn und die Kinder, einfach mal in Ruhe allein. Aber wenn man allein ist, dann fühlt sich das Alleinsein ganz anders an. Nicht so toll.

              Plötzlich kommen einem ganz merkwürdigen Fragen. Ich war nicht die Richtige für ihn, anscheinend. Ich habe mich irgendwie nie gefragt, ob er wirklich der Richtige ist für mich, nicht so bewusst. Warum? Ich fand den Gedanken daran schon unethisch, unmoralisch. Er war doch mein Typ, mein Partner, mein ein und alles. Schon merkwürdig die Einstellung! Ich bin selbst verwirrt. Hätte ich das hinterfragen sollen? Hätte es was gebracht? Ich ziehe mal den Vergleich zu meinen Kindern. Du fragst dich doch auch nicht, hätte ich bessere haben können. Das sind doch mit Haut und Haaren deine, dein Fleisch und Blut. Du überlegst zwar was deren Stärken und Schwächen sind. Aber du ziehst ja daraus nicht als Konsequenz, dass du sie vielleicht gegen deren Freunde austauschen möchtest, die sportlicher oder klüger sind. Ich spüre jetzt schon, dass meine Tochter wie ich ist. Oh je, ob ich das gut finde. Sie ist voller Energie, leider auch destruktiver. Sie ist spontan und erfasst Sachen schnell und urteilt - sehr schnell! Sie ist neun und entwickelt sich gerade rasant. In einigen Jahren, vielleicht sogar Monaten, wird es ein echter Kampf sein in ihrer Pubertät. Sie kann jetzt schon eiskalt mit Worten sein! Zieht auch mit Taten nach. Aber das alles, das ist doch meine Tochter. Ich werde mir ein Bein ausreißen, um sich mit ihr zu verstehen, an unserer Beziehung zu arbeiten. Ich kann sie ja nicht aufgeben, nur weil es mal keinen Spaß macht, weil ich gerade sie weniger liebe. Ich werde auch hochgradig von ihr und sie von mir genervt sein. Wir werden uns anbrüllen, uns versöhnen und wieder anbrüllen.

              Er hat mir nichts für die Ewigkeit versprochen, ich weiß. Aber kann man nicht nach mehreren Jahren erwarten, dass jemand eine Beziehung zumindest so ernst nimmt, dass man ihr die Chance gibt, daran zu arbeiten? Irgendwie muss ich das mit ihm vergleichen. Nein, es ist nicht gottgegeben, dass wir zusammen sind. Aber wir hatten eine solche Vertrautheit aufgebaut, dass ich das so empfunden habe. Ich habe die Probleme in unserer Beziehung als Teil des Weges betrachtet, den wir zusammen gehen müssen. Als unsere gemeinsame Aufgabe. Daher sitzt ja der Schmerz auch so tief, weil er die Entscheidung einfach allein und heimlich getroffen hat. Wie geht das? Ist das moralisch in Ordnung? Wie unglücklich muss er gewesen sein, um diese Entscheidung zu treffen? Spontan denke ich an seine letzte Trennung. Er hat seine Kinder verlassen. Er musste sich doch schützen, er war unglücklich. Diese Frau machte ihn kaputt. Es musste gehen. Natürlich hat er nicht die Kinder verlassen aus seiner Sicht, sondern die Frau. Aber ganz ehrlich, das Ergebnis war doch erstmal das gleiche! Natürlich konnte er mich genauso verlassen. Wenn er schon damals es geschafft hat, aus seiner Familiensituation auszubrechen, die ihn nicht glücklich gemacht hat. Warum wundert es mich dann. Es ist nicht das gleiche, würde er sagen. Natürlich nicht. Aber es sind beängstigende Parallelen, die sich aufdrängen. Diesen Wesenszug von ihm habe ich wohl irgendwie ausgeblendet.

              3.Akt: Die Autofahrt


              Bis zu den Achtsamkeitsübungen muss ich aber noch die Autofahrt bewältigen. Da habe ich schön viel Zeit allein zu sein. Na toll! Mein Kopf wird mich wieder jagen, meine Gedanken sich überschlagen. Ich bekomme Angst! Wirklich! Angst mit mir allein zu sein. In welche Richtung gleisen sie nun wieder ab. Ich höre sonst selten Musik im Auto. Ich nutze lieber die Zeit zum Nachdenken. Normalerweise. In meinem Leben ist nun nichts normal und gewohnt. Alles ist neu. Naja dann könnte ich auch mal Musik hören. Ein romantisches Lied kommt, das wars mit der Contenance. Die Erinnerung kommt zurück.

              Die Erinnerung an einen Abend vor wenigen Wochen. Es ist sicher nicht lange her, da die Erinnerung sehr frisch und besonders schmerzhaft zu sein scheint. Wir hatten uns auf dem Sofa geliebt. Es war unglaublich emotional – warum? Ich hatte mal wieder seit langer Zeit Musik zugelassen. Ich hatte das Bedürfnis, ihm nah zu sein, mit ihm intim zu sein, mit Musik. Das war ein bewusster Wunsch. Ich liebe Musik, habe besondere Lieblingslieder, die mich jedes Mal in eine andere Welt versetzen. Nur kann und will ich das nicht immer zulassen. Die Musik geht nach hinten los. Sie öffnet alle Pforten. Ich kann mich dann nicht beherrschen, die Emotionen nehmen dermaßen Überhand, dass ich immer weinen muss. Es dürfte etwas irritieren, wenn man mit einem Mann zusammen ist. Ich habe keine Schmerzen. Ich bin einfach so wahnsinnig berührt in diesem Moment. Das war ich an diesem Abend mit ihm. Berührt, dass ich bei ihm bin, mit ihm, so nah. Näher hätten wir uns nicht sein können. Ich glaube, da habe ich ganz bewusst und wahrscheinlich ist das das letzte Mal gewesen, gesagt, dass ich ihn liebe. Ich habe es geweint. Und er küsste meine Tränen weg, das weiß ich noch ganz genau. Er war immer sehr mitgenommen, wenn ich weinte, wenn es mir schlecht ging. Und glaube mich erinnern zu können, dass er diesen Satz erwiderte. Ich könnte es nicht mit Sicherheit sagen. Ich habe nicht darauf gelauert. Aber eins weiß ich ganz sicher, diese Emotionen waren echt, unsere Emotionen, nicht nur meine. Es hat sich alles richtig angefühlt. Alles war in Ordnung. Was war geschehen?

              Ich weiß nicht, warum ich Musik immer seltener zulassen konnte. Früher habe ich mich bewusster auf sie eingelassen. Es akzeptiert, Gefühle stärker zu empfinden, auszuleben. Was war geschehen? Und hier glaube ich kommt eine andere Geschichte ins Spiel, die mit uns als Paar nichts zu tun hat. Zumindest nicht direkt. Aber alles, was in deinem Leben passiert, beeinflusst ja auch dein Leben als Paar. Man leidet alles gemeinsam durch. Unterstützt einander. Und so war es bei der Krankheit meiner Mutter, die damals keiner erwartet hatte. Es war auch streng genommen keine Krankheit, eher ein Vorfall mit Folgen. Sie hatte ein geplatztes Aneurysma im Kopf, eine Hirnblutung.

              4.Akt: Die Mutter


              Es war damals die schrecklichste Zeit in meinem Leben. So tief bin ich noch nie gefallen und ich hoffe so inständig, dass das auch nicht nochmal passiert, auch wenn ich nicht sehr zuversichtlich bin. Der Tod gehört leider zum Leben dazu. Aber damals war ich beim besten Willen noch nicht dazu bereit. Damals an einem Sonntagabend rief der Mann meiner Mutter an und erzählte mir, dass sie mit Kopfschmerzen und erbrechen vom Krankenwagen abgeholt wurde und nun behandelt wird. Es klang mysteriös und noch nicht dramatisch. Wahrscheinlich Magen Darm, habe ich mir gedacht. Die Sanitäter wusste auch nicht weiter, vermuteten das Gleiche. Sie war ja noch ansprechbar, sagte sogar noch, sie habe Kopfschmerzen. Ich habe dann meinen Bruder angerufen und ihm die Lage erklärt. Er war in der Nähe und sollte doch am besten direkt hinfahren und alles vor Ort klären.

              Was dann losging kann man nur als Alptraum bezeichnen, von dem ich mich nie erholt habe. Bis heute nicht. Mein Bruder rief mich nach zwei Stunden an und sagte, dass die Ärzte ein geplatztes Aneurysma im Kopf vermuten! Kein Magendarm! Oh mein Gott, was war das nur? Ich habe gegoogelt, Wahrscheinlichkeiten gesehen, die Gedanken überschlugen sich. Ich wusste nur, ich muss sofort zu ihr fahren. Die Wahrscheinlichkeit war sehr groß, dass sie die Nacht nicht überleben würde! Ich weiß nicht, wie ich diese drei Stunden Autofahrt geschafft habe. Ich habe noch nie in meinem Leben so viel geweint, so viel geschrien vor Schmerzen und Angst. Ich konnte es nicht begreife, was hier geschah.

              Damals war ich mit ihm genau zwei Jahre zusammen. Wir waren auf dem absoluten Höhepunkt unserer Gefühle. Er war für mich da! Ich sagte auch, ich soll fahren. Nicht länger abwarten und spekulieren. Er hatte seinen Vater plötzlich verloren. Die Familie wusste noch nicht mal final, an welcher Krankheit. Das Herz schlug einfach mit mehr. Und er kam damals zu spät, konnte sich nicht verabschieden. Ich sollte fahren. Ich bin gefahren. Ich hätte die kommenden Tage und Wochen nicht ohne ihn überstehen können.

              Als ich im Krankenhaus ankam, war ich nur ein Schatten meiner selbst. Mein Bruder sah genauso aus. Wir haben uns gedrückt. Nur ich habe geweint, er nicht. War er stärker? Er sah so abgestumpft aus. So professionell als er mit dem Arzt gesprochen hatte. Ich konnte kaum reden. Ich dachte, ich war die rationalere von uns beiden. Aber mein Verhältnis zu meiner Mutter damals war so unbeschreiblich eng! Sie war meine beste Freundin! Sie, keine von meinen Mädels, auch nicht er stand an erster Stelle, sondern allein sie. Ich habe mit ihr alles geteilt. Ich hätte meine Scheidung ohne ihre Hilfe nicht überstanden. Alles wusste sie von mir und zwar sofort. So nah wie sie war mir kein einziger Mensch. Das, was gerade da im Krankenhaus passierte, kann ich gar nicht in Worte fassen, es war zu grausam.

              Die Ärzte sagten, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Nacht überleben würde, bei weniger als zwanzig Prozent lag. Sollte sie überleben, war sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit schwerst behindert. Das Gehirn hatte massive Schäden abbekommen. Sie gaben uns sehr wenig Hoffnung. Diese Nacht habe ich bei meinem Bruder in der Wohnung übernachtet. Ich glaube nicht, dass ich wirklich geschlafen habe, er sicher auch nicht. Es war ein solcher Schock! Mit fehlen wirklich Adjektive, um meinen Zustand damals zu beschreiben. Am nächsten Tag zumindest die Info: sie lebt noch! Die OP würde noch folgenden. Ein Stent würde an die gerissene Stelle eingesetzt werden um die Ruptur zu schließen. Eine gefährliche OP, bei der wieder alles passieren konnte. Wir lebten mehrere Tage auf der Intensivstation. Auch die OP hatte sie überstanden und lag im künstlichen Koma. Wir warteten wieder. Mit unseren Laptops saßen wir Tag ein Tag aus auf der Intensivstation, lauerten auf Ärzte, hofften, weinten und versuchten uns mit der Arbeit abzulenken. Ein absurder Zustand. Mein Partner war für mich da. Passte auf die Kinder auf. Gab mir unfassbar viel emotionalen Halt. Ich wäre zerbrochen ohne ihn an meiner Seite. Es war so unfassbar schmerzhaft!

              Sie hatte überlebt. Wir warteten auf das Aufwachen. Und auch das hat sie geschafft. Und sie redete! Ganz normal. Es waren keine Schäden zu erkennen. Überhaupt keine. Es war so unfassbar. Aber auch das war noch nicht alles. Nach der OP bestand die sehr große Wahrscheinlichkeit, dass Vasospasmen auftreten konnten. Das sind Verengungen von Gefäßen im Gehirn, die häufig nach Hirnblutungen auftreten, und die zum Tod oder zu größeren Behinderungen führen können. Die Wahrscheinlichkeit war so hoch, dass wir täglich mit dem Tod gerechnet haben. Ich glaube nicht, dass man sich das ausmalen kann, wenn man nicht in der gleichen Situation gewesen ist. Wie sich das anfühlt, wenn dein geliebtester Mensch mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit sterben kann, und du das jeden verdammten Tag weißt. Wenn man jeden Morgen und jeden Abend mit diesem Gefühl aufsteht und schlafen geht.

              Dieser Zustand ging über genau zwei Wochen. Zwei Wochen lang weinte ich mich durchgehend in den Schlaf. Ich habe angefangen, mich mit ihrem Tod abzufinden. Ich habe mir ausgemalt, wie ich ihre Sachen zusammenpacke, was ich damit mache. Ich habe mir überlegt, was ich den Kindern erzähle, wann und wie. Ich habe so viel gebeten, geweint, geschrien. Es war mit Abstand die schlimmste Zeit in meinem ganzen Leben. Es ist ganz viel in mir zerbrochen, was nicht mehr wiederkam. Dieser Tod auf Raten war so unglaublich grausam, dass mein Körper alles unternahm, um sich zu schützen. Ich habe gelernt, Gefühle zu unterdrücken, sie abzuschirmen. Ich bin abgestumpft. Ich wollte nicht mehr leiden, nichts mehr empfinden.

              Und leider kann man das nicht selektiv steuern, dieses Abstumpfen. Gegen die Mutter ja, aber gegen Kinder und Partner nein. So funktioniert das leider nicht. Es hat was mit mir gemacht, mich verändert, nicht zum Positiven. Ich konnte mich nicht wehren, sonst hätte ich diese Zeit damals nicht überstanden. Sie hat überlebt! Meine Mutter hat es schlussendlich geschafft, da rauszukommen. Ich nicht ganz. Die Narben blieben.

              Ich weiß nicht, ob es die Zeit war, wo ich aufgehört habe, Musik zu hören. Ich wollte Musik irgendwie nicht mehr in meinem Leben, meinem Alltag haben. Ich habe versucht, nicht auseinander zu fallen. Da war Musik nicht hilfreich und musste gehen. Ich habe mich nicht ganz von dieser Zeit erholt, das spüre ich nun. Die Zeilen tun immer noch wahnsinnig weh, auch wenn das mehr als drei Jahre schon her ist. Nach diesem Vorfall habe ich mich emotional von meiner Mutter entfernt. Natürlich hatte sie sich verändert durch diese Krankheit, aber auch ich habe mich verändert. Irgendwie hatte ich danach Angst, sie wieder so nah an mich ranzulassen, wieder so verletzt zu werden. Das ist völlig absurd, sie konnte ja nichts dafür. Aber irgendwie hat es mir ihre Zerbrechlichkeit so vor Auge geführt, dass ich mich zurückziehen musste. Sie war nicht mehr meine erste Vertrauensperson, das wurde nun er. Er hat mir in dieser Zeit so sehr beigestanden. Er wurde der wichtigste Mensch nach meinen Kindern. So nah wie damals waren wir uns nie. Vielleicht habe ich ihm dann zu viel emotionale Unterstützung abverlangt. Aber er hatte alles bereitwillig gegeben. Er hatte damals so viel Liebe zu geben und ich habe es gebraucht. War es ihm zu viel? Wurde es ihm dann zu viel? Ich hatte das Gefühl, dass er nicht nur Partner, sondern auch bester Freund wurde. War das gesund? Jetzt war ich in der Situation, wo ich nicht nur meinen Lebensgefährten verloren hatte sondern auch meinen besten Freund.

              5.Akt: Der Seminarbeginn


              Ich bin endlich angekommen. Emotional verdammt anstrengende Autofahrt. Besinnliche sonnige schöne Waldlandschaft! Da ist man ja schon entspannt beim Anblick allein. Herrlich! Ich bin nicht der Naturmensch, war ich nie. Ich gewinne ihr aber im Alter immer mehr ab. Mein Zimmer ist naja interessant. Ich stelle mit Entsetzen fest, dass es keine Rollläden gibt und auch keinen dicken Vorhang. Ich kann doch so nicht schlafen! Ich brauche die absolute Dunkelheit, jeder Lichtspalt macht mich wahnsinnig. Aber – ich bin entspannt! Warum? Naja erstens schlafe ich eh absolut mies in letzter Zeit. Ob jetzt das Licht einen Unterschied macht oder nicht, ist mir egal. Und zweitens ist das nun mal eine Herausforderung. So viel Neues im Leben, ich kann ja mal auch was anderes ausprobieren, vielleicht passt es ja. Es ist schon anstrengend, auf diese verdammte Dunkelheit immer Wert legen zu müssen. Aber diese Ähnlichkeit hat uns verbunden. Wir waren beide absolut schlafkompatibel, was das anging! So süß! Wir haben die vollständige Dunkelheit der frischen Luft absolut vorgezogen, ohne Diskussion. Hauptsache jeder Lichtspalt ist weg. Und das Vogelgezwitscher musste morgens auch nicht sein. Deswegen alles ganz dicht zu. Im Urlaub waren wir uns komplett einig. Zuhause war es nicht relevant, da wir getrennt geschlafen haben. Leider.

              Hier stand ist nun. Ich hatte nicht mal eine Schlafmaske dabei, sehr intelligent. Naja, eine Herausforderung, ich musste sie annehmen. Ansonsten war das Zimmer ok, puristisch, aber nett eingerichtet. Mein eigenes Kissen hatte ich dabei, auch meine Anpassungsfähigkeit hat Grenzen. Ich würde hier überleben.

              Dann lerne ich die Teilnehmer kennen – wie spannend. Ich liebe neue Menschen. Neue Lebensgeschichten, neue Schicksale, Erkenntnisse über das Leben, und und und. Ich fand es toll, mit neuen Menschen zu kommunizieren, die auch genau zu diesem Zweck zusammenkamen – um sich bewusst kennen zu lernen und gemeinsam was zu erarbeiten, sich fortzubilden. Das klingt alles so aufgeschlossen und nett. Aber das bin ich nicht wirklich nein. Glaube ich. Ich bin wahnsinnig kritisch und schnell in der Bewertung. Ich packe Menschen ganz schnell in Schubladen und bin nach wenigen Minuten, spätestens Stunden sicher, wen ich mag und nicht mag, wer eine Unterhaltung Wert ist oder nicht. Und – das zeige ich auch. Diesmal werde ich mich zusammenreißen, gebe allen eine Chance, es ist ja mein NEUES Leben. Da sollte man sich was vornehmen!

              Der Seminarleiter ist schon mal auf den ersten und auch den zweiten Blick toll. Ich mag ihn. Er ist schon 60, aber optisch immer noch ein Hingucker! Er erinnert mich sofort an ihn. Riesengroß, attraktiv, aus einer Managementkarriere, hat nun den Sinn des Lebens erkannt und gibt es an andere weiter. Sehr interessanter Mensch. Den muss ich näher kennenlernen. Ich glaube, er kann mich voranbringen. Ich gebe ihm eine Chance. Ansonsten scanne ich die Menschen gleich ab nach Ähnlichkeiten zu mir, zu meiner Lebenssituation. Ich bin das Vorgehen schon aus meinen Mutter-Kind-Kuren gewohnt. Wenn man geschieden ist und nun auch getrennt, Kinder hat, einen anspruchsvollen Job, dann ergeben sich schon viele Themen. „Gewöhnliche“ glückliche Menschen aus perfekten Beziehungen aus perfekten Jobs interessieren mich nicht. Aber von denen gibt es auf der Welt nicht wirklich viele. Dann kommt es auf den Unterhaltungsfaktor und die Nettigkeit der Menschen an. Ich wühle mich durch.

              Meine erste Ansprechpartnerin, die ich bei der folgenden Wanderung kennenlernen und abends vorstellen darf, ist schon vielversprechend. Um die 60, Ärztin, Fisch, sieht toll aus – und ist lesbisch. Interessanter Mensch, nach meinem Geschmack viel zu lieb. In ihrem Leben scheint es wenig Reibung gegeben zu haben. Sie ist mit ihrer Partnerin schon seit über 30 Jahren zusammen. Wäre es zu stereotypisch zu sagen, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen länger halten als bei Heteros? Ich kenne dazu keine Statistiken. Aber die wenigen gleichgeschlechtlichen Paare, die ich kenne, erzählen immer von einer ewigen Beziehungsdauer. Wie bewundernswert. Warum ist das so? Ich könnte mir vorstellen, dass es nun mal schwieriger ist, einen neuen Partner zu finden, da es ja einem nicht auf der Stirn geschrieben steht, auf welches Geschlecht man steht. Vielleicht denkt man da mehr nach, bevor man alles hinwirft. Ich beneide sie.

              Ein anderer Mann um die 60, Autoproduktionstechniker, Schütze, scheint eine interessante Lebensstory zu haben. Noch kenne ich nicht viel von ihm. Aber er erzählt, dass er Kinder hat, getrennt von deren Mutter ist und seit knapp vier Jahren eine neue Partnerin hat, mit der er seit einem Jahr zusammenwohnt. Irgendwie klingt es nicht danach, als wäre er so richtig mit dieser neuen Situation zufrieden. Ich glaube, wir finden Berührungspunkte.

              Ein Herr um die 50, Jungfrau, ITler, wird automatisch zum Gesprächspartner, da seine Exfrau eine Kollegin ist. Die Welt ist echt klein! Krass! Wir haben nicht so viel miteinander zu tun, aber nach über 16 Jahren in der Firma kennt man sich halt. Der Mann ist interessant. Seine Art ist interessant, ich glaube wir finden Ähnlichkeiten. Aber Mist, ich muss nun aufpassen, was nach außen dringt, sie ist ja Kollegin und sie haben einen guten Kontakt miteinander. Er sagt, sie fahren sogar manchmal alle in den Urlaub zusammen. Er und seine neue Frau, das gemeinsame Kind, und die gemeinsamen Kinder mit der Exfrau und sie selbst. Krasse Konstellation. Ich finde es bewundernswert. Ich muss da mehr von ihm erfahren. Wer weiß, wie mein Leben weitergeht. Die Wahrscheinlichkeit, einen Mann kennen zu lernen, der schon Kinder hat, ist sehr groß. Mal sehen, was ich daraus lernen kann.

              Eine Ergotherapeutin, Skorpion, klingt wahnsinnig herzlich und sehr einnehmend. Ich kann ihren Gedankengängen gut folgen, sie verstehen. Sie strahlt eine unheimliche Wärme aus. Wirkt so in sich ruhend. Sie sagt, sie ist getrennt, nun Single und wohnt allein. Eine solch tolle Frau? Das muss ich näher verstehen.

              Mit den anderen kann ich nicht so viel anfangen. Sie meisten Menschen, die zu solchen Seminaren kommen, müssen lernen sich abzugrenzen, Nein zu sagen. Ich kann denen das gerne beibringen. Ich kann sehr gut nein sagen. Ich muss eher lernen, höfflich JA zu sagen, Sachen anzunehmen. Nicht chronisch genervt und gestresst auszusehen. Ich weiß nicht, ob mir das gelingt. Schauen wir mal, die Woche hat ja gerade erst begonnen. Ich gehe in mein noch dunkles Zimmer und bin gespannt auf den Morgen.

              Tag 10 - Dienstag


              1.Akt: Die Migräne


              Die Nacht war hart. Beim Aufwachsen ist wieder eine fünf davor, aber fast sechs, immerhin. Die Verdunklung ist mir mäßig gelungen. Die Sonnenstrahlen wecken mich. Ich habe weiterhin Migräne, wie schon gestern Abend. Cortison muss her! Schon wieder! Ich nehme es so häufig in letzter Zeit. Die Prophylaxe hilft nur mäßig. Ich muss wieder was anderes versuchen. So kann es nicht weitergehen. Sie nimmt mir so viel Kraft. Das tut so weh, das zu erkennen. Ich habe über zehn Mal Migräne im Monat. Ich tue schon mein Bestes, dass meine Umwelt wenig davon mitbekommt, nicht darunter leidet. Ich bin nie krankgeschrieben. Ich schlucke die Tabletten und arbeite weiter und spiele und lerne weiter mit den Kindern. Ich bleibe aktiv. Aber abends habe ich dann keine Kraft mehr. Ich kann nur liegen und nichts tun. Wenn wir verabredet waren, bin ich meist trotzdem mit, da die Gelegenheiten mit seinen Freunden so selten waren. Aber nicht immer. Manchmal fehlte mir die Kraft. Aber ich dachte, er versteht es in seiner warmen emphatischen Art. Ich weiß nicht wieviel er wirklich verstand oder es nur sagte. Ich hinterfrage ja nun alles. Es tut weh. Ich habe mir diese Krankheit nicht ausgesucht.

              Bei der heutigen ersten Übung am Morgen sollen wir eine Postkarte aussuchen mit verschiedenen Motiven und erklären warum. Ich wähle die Himbeere. Sie ist matschig und ich mag sie nicht als Beere, nicht besonders. Mein Kopf ist gerade matschig. Aber sie ist rot. Ich liebe rot. Das steht für Energie. Ich brauche Energie.

                2.Akt: Der Schütze


                Wir laufen zeitig los. Ich bin auf Cortison – und tschakka, ich schaffe alles! Ich habe schon Berge im Yosemite Park erklettert mit Cortison, als wir uns damals im Urlaub im Weg geirrt hatten. Das ist eine im Nachhinein krasse Erinnerung, unsere Erinnerung. Und davon gibt es so viele! Ich verdränge sie, konzentriere mich auf meinen Ansprechpartner, den Schützen.

                Die Sternzeichen errate ich oder erfrage ich im weiteren Gesprächsverlauf. Es passt oft wie die Faust aufs Auge. Ich fühle mich bestätigt. Ja Schubladendenken, aber ich bin auch offen, die Leute da wieder rauszunehmen. Das muss ich aber meistens nicht. Der erste Eindruck täuscht nur selten. Er ist im Automobilsektor in der Produktion tätig, 58 Jahre alt und sieht noch älter aus. Aber ich spüre Parallelen im Denken und Fühlen. Interessant. Der Schütze und der Widder sind Feuerzeichen und ähnlich. Er erzählt mir seine Lebensgeschichte – in Kürze. Das können Schützen, kurz und knapp, aber mit den nötigen emotionalen Details, dass das Zuhören leichtfällt. Er war nie verheiratet. Hat aber eine Tochter und einen Pflegesohn seiner damaligen Freundin. Dazwischen war er sehr lang allein und ist nun seit vier Jahren zusammen mit einer Frau, mit der er seit einem Jahr zusammenwohnt. Er scheint der Abenteurer und Womanizer gewesen zu sein. Seine Beziehungen sind nicht von langer Dauer gewesen. Das Zusammenziehen hätte er nun auch nicht gebraucht, aber die Frau hatte es sich gewünscht. Ok ok, er hat eingewilligt, es passt gerade. Ich frage ihn nach der Ehe. Er weiß nicht wofür, kein Bedürfnis. OK, ein Mann, ein Wort. So hat er das seiner Freundin auch klar gemacht, sie scheint einverstanden zu sein. Er spielt mit offenen Karten. Es ist forsch, nicht auf den Mund gefallen, kann das äußern, was ihn bewegt, kann sich beschweren. Er scheint nun zu wissen, was er will. Er ist auch kein Mensch der großen Gefühle, damit muss man bei ihm leben. Es muss aufpassen, dass er Menschen nicht vor den Kopf stößt mit seinen Äußerungen und seinem Verhalten. Ich fühle mich verstanden. Ich bin genauso wie er. Er fühlt sich verstanden.

                Ich denke, als Freunde würden wir uns super verstehen, wenn man so ähnlich denkt. Aber als Partner? Möchte ich einen Partner, der so ist wie ich? Einen kleinen Mini-ME? Der Gedanke ist nicht gerade schön. Wenn beide so knallhart offen mit den Gefühlen umgehen, ist das gesund? Mein Exmann war mir ähnlicher als mein Expartner. Ich empfand das nicht als ideal. In gewissen Lebenslagen ja, aber der Alltag war ein Kampf. Mit einem ähnlichen Mann wäre der Alltag eine Herausforderung. Ich will aber keine täglichen Herausforderungen in der Partnerschaft. Ich möchte aus ihr Kraft schöpfen. Ich möchte einen Vertrauenspartner und einen Ruhepol. Ich habe genug Bedrohung von außen. Das reicht. Ich hatte das in ihm, in meiner letzten Jungfrau. Den Ruhepol. Den emphatischen Mann, der dich fragt, ob du einen Tee haben möchtest, wenn du in Arbeit untergehst. Ich möchte das. Ich weiß, ich konnte nicht alles schätzen, was er zu geben hatte, aber fast alles. Der Rest war einfach zu viel. Aber es störte mich nicht. Ich möchte keinen Mini-ME. Das ist nicht gesund.

                Diese Frage nach dem idealen Partner für mich beschäftigt mich viel. Soll er ähnlich genug oder verschieden genug sein? Ich kann sie mir noch nicht so richtig beantworten. Es gibt bestimmt auch Kombinationen aus meinem Exmann und meinem Exfreund. Im Moment ist es mir aber zu mühsam, zu fern darüber nachzudenken. Zu warm ist noch sein Platz. Zu tief sitzt der Schmerz. Ich bin noch lange nicht so weit.

                3.Akt: Die Jungfrau


                Faszinierender Unterschied, der Jungfrauen ITler in der Gruppe. Der Kontrast zu dem Schützen. Der Kontrast zu mir. Aus dieser Unterhaltung verspreche ich mir vieles. Ich kann IHN vielleicht verstehen! Hoher Anspruch! Und ja, er würde sagen lächerlich, welche Gemeinsamkeit ist schon ein Sternzeichen! Ich lauere auf jedes Wort von dem ITler, gleich kommt die Aufklärung. Und siehe da, sie kommt! Er ist mit meiner Kollegin – was für ein Zufall – schon einmal verheiratet gewesen, hat von ihr zwei Kinder und ist geschieden. Die Beziehung hielt 20 Jahre lang. Sie sind gute Freunde, der Kinder auch zuliebe. Nun ist er seit 15 Jahren mit einer anderen Frau zusammen, auch seit einigen Jahren verheiratet und hat ein drittes Kind mit ihr. Ich frage, wie seine erste Ehe auseinanderging. Er erzählt bereitwillig. Völlig anders als der Schütze, mit einem Bruchteil der Emotion, aber er erzählt. Man wird sich im Leben nie wieder begegnet, warum auch nicht. Sonst wäre es eher keine Eigenschaft einer Jungfrau, sein Herz auszuschütten.

                Ich erkenne grausame Parallelen, am Ende werde ich ihn noch als Stellvertreter aller Jungfrauen hassen. Ich ahne es schon. Er sagt, dass er sich damals von seiner ersten Frau entfernt hatte. Es lief nach einer langen Beziehung nicht mehr rund, er hat viel nachgedacht und ist dann gegangen. Sie war überrascht, hatte keine Anzeichen erkannt. Irgendwie hätte er aber auch nicht darüber reden können, das wäre nicht seins. Er zog einfach aus. Zack – war er weg! Es kam mir so vieles bekannt vor. So schmerzlich bekannt. Warum denn nicht reden? Das kann er gar nicht mehr so wirklich rekonstruieren, er weiß nur, dass er ging und sie es nicht erwartet hat, nicht wahrhaben wollte. Aha.

                Was ist nun mit der zweiten Frau? Warum hat er sie geheiratet. Naja, die Frau wollte es, dann hat er das irgendwann mal ihr zuliebe gemacht. So richtig einen Sinn hat er auch in der ersten Ehe nicht gesehen. In der zweiten noch weniger. Aber er hatte auch nicht soviel dagegen, der Frau war es wichtig, also hat er sie geheiratet, als der gemeinsame Sohn schon sieben war. Aha, natürlich sind die Parallelen Zufall, klar! Auch in dieser Ehe läuft es nicht perfekt, sie müssen schon daran arbeiten, was sie aber auch tun. Vielleicht und sogar sehr wahrscheinlich ist es in jeder Ehe so. Aha. Er empfiehlt mir ein gutes Buch über Beziehungstypen, was ich mit sofort im Internet besorge. Die Ausführungen klingen interessant. Ich mag es, wenn mich Mitmenschen inspirieren, auch wenn es Jungfrauen sind. Es geht um verschiedene Beziehungstypen und dabei einen bestimmten Test, den seine Frau und er gemacht haben. Dabei kam raus, dass er der Berührungstyp ist und sie der Kommunikationstyp. Diese eine Eigenschaft ist denen am wichtigsten. Ich bin sprachlos. Seine jetzige Frau ist nur wenige Tage nach mir geboren. Er ist wenige Tage nach meinem Expartner geboren, gleiche Konstellation! Es macht Angst. Es macht Hoffnung. Kleiner Hoffnungsschimmer. Diese Parallelen machen Angst. Es ist genauso bei uns, zumindest das hatten wir die wenigen Stunden vor der Trennung nochmal klären können. Mein Kommunikationsbedürfnis war befriedigt, sein Berührungsbedürfnis wohl nicht. Ich habe es mir eingefordert, er nicht.

                Wow, nun, was macht man denn mit dieser Erkenntnis? Verschiedene Beziehungstypen. Sie arbeiten daran. Das Wichtigste war die Erkenntnis, dass es so ist. Dann geht man bewusster mit den Dingen um. Man kann bewusst versuchen, auf den anderen zuzugehen. Ich habe keine Probleme mit Nähe, keine Probleme mit Berührung (außer sie passiert in meinem Nacken, das ist eine andere Problematik, medizinische Problematik). Aber ich habe nicht so ein großes Bedürfnis nach dieser Nähe wir er. Er war mir durchs Reden nah. Ich war zufrieden. Aber wenn ich so bewusst wahrnehme, dass die Nähe einen so hohen Stellenwert hat für ihn, dann habe ich doch kein Problem, diese zuzulassen! Es geht nur um das Einfordern, das Äußern seiner Bedürfnisse. Ich wusste, es ist ihm wichtig, aber ich hätte das nicht als annährend als so wichtig erachtet, wie er das ganz am Ende dargestellt hat. Es tut so weh, das nicht früher bewusster vernommen zu haben. Hallo! Ich habe doch diesen Mann geliebt! Da tut doch Nähe nicht weh! Ich bin ein kleines Trampeltier, von Zeit zur Zeit. Ich dachte, er schätzte trotzdem genug dieser Eigenschaften an mir oder akzeptierte sie genug, um mit mir glücklich zu sein. Anscheinend nicht.

                Aber das Wichtigste dabei ist tatsächlich das Einfordern, was eine Jungfrau einfach nicht liegt. Das zeigt mir später in der Gruppenstunde eine weitere Äußerung der ITler-Jungfrau. Er regte sich darüber auf, dass die Kollegen auf der Arbeit seine Grenzen nicht respektieren. Es ging um die Redeanteile bei den Telcos, er fühlte sich übergangen. Das Thema im Seminar war dabei „Grenzen setzen und einfordern.“ Wissen es denn die anderen, was ihn stört, war die Frage. Naja, das wusste er nicht so genau. Aber die Menschen in Europa wären ja genug auf die gleichen Werte sozialisiert. Also gehörte sich einiges einfach nicht. Ich dachte, ich falle vom Glauben ab! Er ging davon aus, dass die anderen das einfach mal erkennen, wie er sich fühlt und es respektieren. In welchem Film war er denn? Der Konsens in der Gruppe war als Antwort eindeutig, es ist eine Bringschuld! Er muss das aktiv einfordern, dass man ihm zuhört, darüber reden, was schiefläuft. Und dann kam der Satz und ich möchte ihn wörtlich zitieren: „Ich mag es nicht, die ganze Zeit Kritik zu üben. Das gehört sich so nicht.“ WOW, ich dachte, ich falle vom Stuhl. Ich habe diesen Satz von meiner Jungfrau so wortwörtlich gehört. Er könne mich nicht kritisieren, das fällt ihm schwer, das gehört sich irgendwie nicht in einer Beziehung. Ich war schon damals schockiert, jetzt noch mehr, den gleichen Satz von einem wildfremden Menschen zu hören, der zufälligerweise das gleiche Sternzeichen hat. Alles Zufall. Das einzig Positive ist die Erkenntnis, dass es anscheinend nicht an dem mangelnden Interesse an der Beziehung lag, sondern tatsächlich an seiner jungfrauengegebenen Unfähigkeit, diese Kritik an mir und unserer Beziehung zu äußern und sich seine Bedürfnisse aktiv einzufordern.

                Ich wusste, was er wollte, aber nicht wie sehr. Er hat nie oder kaum Vorschläge gemacht, wie wir denn dazu kommen sollen, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Ich verstehe nun warum kein Haus oder Ehe, ich begreife es mit jedem Tag immer mehr. Ich akzeptiere es. Ich verstehe aber nicht, wie man die Vertrautheit aufgeben konnte. Worauf habe ich gewartet, immer weiter gewartet? Ich ticke anders, ich fordere mehr ein, was ich möchte, was ich brauche. Ich habe auf mehr Aufforderung von seiner Seite gewartet. So hätte ich verstanden, was und wie stark er das braucht. Ich habe gewartet, bis er sagt: „Lass uns doch an diesen coolen Ort fahren. Ich hätte richtig Lust dazu.“ Aber alle Vorschläge für den Urlaub kamen von mir. Er hat zu allen JA gesagt, und alle waren super schön, fast alle. Aber nie kam es vom ihm. „Komm doch bitte mit zu dieser Familienfeier. Ich hätte dich gerne an meiner Seite dabei!“ Dieser Satz kam nie. Und jetzt werde ich spitzfindig. Ja, er sagte, „du bist auch mit eingeladen.“ Aber nicht, „es wäre mir wichtig, dass du mitkommst.“ Da sind Welten dazwischen!

                Wenn ich was wollte, klang es so: „Mir wäre es wichtig dich dabei zu haben auf diesem Fest. Ich möchte nicht ständig hier und da alleine erscheinen." Das habe ich ihm oft gesagt. Ihm mein Interesse an ihm gezeigt, Interesse als Partner, und vor allem auch als Mann. Jegliche Initiative ging von mir aus. Fast immer. Ich war müde! Ich kann nicht ständig alles wollen und zu allem eine Meinung haben. Ich bin dominant, möchte aber auch mal mitgerissen werden, begeistert werden von Aktivitäten, Orten, Unternehmungen. Wenn ich diese Begeisterung und Bedeutung von ihm nicht spüre, dann kann ich es mir ja aussuchen. Ich kann nicht ständig reinhorchen in ihn, in mich, interpretieren, analysieren, diskutieren. Ich hätte gebraucht, dass er das einfach ausspricht. Und es betont, wie wichtig dies und das für ihn ist. Ich habe ihn doch geliebt, es wäre ein leichtes, es zu berücksichtigen. Stattdessen dachte ich oft, dass er Abstand brauche, Zeit für sich. Ich wollte diese Zeit nicht mit meinen Kindern füllen oder mit anderen Aktivitäten. Ich wollte ihm Ruhe gönnen. Sein Job war hart, seine Zeit so wertvoll. Ich dachte, ich mache das Richtige. Ich habe mich geirrt.

                4.Akt: Der Abend


                Interessante Menschen, überall wohin man blickt, fast alle. Ich rede noch mit der sympathischen Ergotherapeutin. Sie sprüht vor emotionaler Energie und Lebenslust, ist um die 60. Wirkt absolut sympathisch, ist Skorpion. Wie der Trainer. Sie redet sogar ähnlich wie er. Faszinierend. Ich mag sie. Ich mag auch ihn. Ich mag wohl Skorpione, interessante Erkenntnis. Sie lebt von ihrem Mann getrennt. Er ist nach 40 Jahren Ehe ausgezogen. Er hatte massive Probleme nach seiner Krebserkrankung. Die emotionale Stabilität war dahin. Klassische Traumaverarbeitung, sagt sie. Interessant. Verarbeitung von Gefühlen nach einer schweren OP kommt mir bekannt vor. Sie scheint gefestigt, es ist ja zwei Jahre her. Aber nach 40 Jahren Ehe, klingt das nach einem recht kurzen Zeitraum. Sie ist so lieb und nett und fasst ihre Gefühle so klug zusammen, richtig auf den Punkt. Ich verstehe nicht, wie sie da nicht weitergekommen sind. Er wollte nicht über Gefühle reden. Er war Krebs. Ich halte persönlich wenig von Krebsen. Definitiv keine Traumpartner für mich. Aber für einen sensiblen Skorpion vielleicht ja doch. In diesem Fall wohl auch nicht mehr, zumindest nicht mehr nach 40 Jahren. Sie kam einfach nicht mehr an ihn ran. Er wollte sich distanzieren. Er ist ausgezogen. Auch das kam mir alles sehr bekannt vor.

                Der Abend endet mit einem Spiel. Man spielt in Paaren. Ich bekomme erstmal den Trainer. Netter Mann. Die Chemie stimmt zumindest von meiner Seite. Ich finde es angenehm, mit ihm zu reden, in seiner Nähe zu stehen, egal bei welchen Spielchen. Aber dann kommt ein anderer Teilnehmer dazu. Der einzige von der Gruppe, den ich auch nach dem zweiten Tag nicht mag. Ein selbstverliebter Typ, der sich gerne reden hört. Ein Löwe. Ich muss zu ihm wechseln, wie schade. Wir spielen „Führen mit verbundenen Augen“. Und man muss den anderen führen. Ich bin sowas von gar nicht in der Stimmung, diesen unsympathischen Menschen anzufassen. Oh je. Mein Gesichtsausdruck dem Trainer gegenüber sieht nicht begeistert aus. Aber was soll er schon machen. Ich kann mich maximal darauf einlassen, ihn an der Schulter zu berühren, an dem Shirt. Nein, ich habe kein Problem mit Nähe. Aber ich möchte bestimmen, zu wem. In meiner jetzigen Situation ist es mir besonders wichtig, meine Emotionen zusammenzuhalten. Da ist körperliche Nähe irgendeines Mannes nicht hilfreich, wenn man diesen noch physisch ablehnt. Ich scheuche den Typen durch den Garten. Es faselt irgendwas vom Führen beim Tanzen und wie toll ich das mache. Aha, meine Abneigung habe ich also nicht vermittelt. Passt doch. Nun soll er mich führen. Na toll, er entscheidet sich für meine Hand. Das ist nun wirklich eine körperliche Überwindung. Ich beiße die Zähne zusammen. Er führt mich durch den Garten.

                Später reden wir in der Gruppe vom Tanzen. Der Jungfrauen-ITler ist interessanterweise ein passionierter Tänzer! Ich bin überrascht. Nicht alle Vergleiche passen dann. Mein Exfreund hatte weder den Willen noch die Fähigkeit zu Tanzen. Ich habe Tanzen früher so geliebt! Aber das leidenschaftliche Tanzen wie Salsa, Bachata und Merengue. Die Form des Tanzes ist aber so intim, das konnte ich mir mit keinem anderen Mann vorstellen, während ich eine Beziehung habe. Also habe ich es gelassen. Ich habe es vermisst, aber ich konnte damit leben. Ich wollte unsere Beziehung nicht dadurch durcheinander bringen. Vielleicht hätte er das mitgemacht, vielleicht wären wir zusammen gut gewesen. Er war voller Begeisterung immer noch im Karateverein. Er hatte ein gutes Körpergefühl. Warum nicht? Naja, auch ich habe nicht alles unternommen, um mehr Aktivität in unsere Beziehung zu bringen. Irgendwann mal resigniert. Mich damit abgefunden. Vielleicht war es falsch. Ich werde es nun nicht mehr erfahren.

                Aber ich möchte wieder Tanzen gehen! Ich möchte es wieder aufnehmen, wenn ich nun allein bin. Es hat mich mal glücklich gemacht, meinen Körper so richtig zu spüren. Es war schön, befreiend. Es wird vielleicht das Loch, was er hinterlassen hat, füllen können. Ich kann es mal versuchen. Ich gehe ins Bett. Schlaftabletten gegen Cortison. Schauen wir mal wer gewinnt. Das Blindenspiel hatte einen Vorteil – Schlafmasken. Ich mopse mir eine für den morgendlichen Kampf gegen die Sonnenstrahlen.

                Tag 11 - Mittwoch


                1.Akt: Der Skorpion


                Mein Tag beginnt herrlich! Keine Migräne, geschlafen bis sieben Uhr – es geht aufwärts! Das ist auch wichtig, denn heute ist ein Kampfmarsch von über fünfzehn Kilometern durch die Hitze angesagt. Zwar im Wald, aber dennoch ambitioniert. Mein Weg ist wieder abwechslungsreich. Ich spreche mit den wenigen Leuten, die ich noch nicht „interviewt“ hatte. Es sind wirklich interessante Leute dabei, die viel erlebt haben. Ich bin teilweise mit Abstand die Jüngste. Aber dafür kann man ja schön von den Erfahrungen anderer profitieren. Das finde ich schön. Ich mag neue Leute.

                Ich laufe ein großes Stück der Strecke mit unserem Trainer, dem Skorpion. Ein interessanter, gutaussehenden, stolzer Mann. Ein Mann, der nach 20 Jahren Ehe von seiner Frau und der Mutter seiner Kinder betrogen worden ist. Wow! Dieser Mann? Wie konnte man dieses Prachtexemplar betrügen? Wie konnte man mich verlassen? Diese Überlegungen führen einen nicht weiter. Seine Frau sagte, es hatte nichts zu bedeuten. Für ihn schon, er ist gegangen. Seine Frau war Jungfrau. Schon wieder die Jungfrauen, die Bösen. Er hat unglaublich darunter gelitten. Parallel hatte er auf der Arbeit einen Burnout durchgemacht, was auch immer zu was genau geführt hat. Ein so bitteres Schicksal für einen solchen Mann. Es erzählt alles so authentisch emotional. Er sagt, dass er große Stärke in mir sieht. Dass ich fest im Leben stehe und genau weiß, was ich will. Es tut so gut! Er kennt mich erste wenige Tage, aber es sind intensive Tage. Wir reden über meine Exbeziehung. Wir reden darüber, wie es war, was die Herausforderungen bei uns waren. Der schlimmste Vorwurf, ist dass er nicht geredet hat. Das ist einfach nur Schwäche, aus seiner Sicht. Das ist bitter. Das sollte einem eine solch ernste und lange Beziehung Wert sein. Kurz vor dem Kauf des Hauses! Wie geht das. In solchen Momenten denke ich manchmal, dass das alles gar nicht passiert. Dass ich die Augen aufmache, feststelle, dass ich träume und mein Typ mir dann den Kaffee ans Bett bringt. Das fühlt sich alles noch so warm an. So unecht das neue Leben allein.
                Wir reden wieder über die verschiedenen Beziehungstypen. Auch er empfiehlt mir das Buch, was ich schon gekauft habe, dass mir der Jungfrauen-ITler schon gestern ans Herz gelegt hat. Wir sprechen über den entsprechenden Test im Buch. Die ersten drei Beziehungstypen, die einen ausmachen, sollten sich beim Partner wiederfinden - auch irgendwo auf den ersten Plätzen. Sonst wird die Beziehung sehr schwierig. Ich hätte es noch gerne mit meinem Expartner gemacht. So für die Bücher, nur zum Festhalten. Nochmal als Erinnerung, dass es nicht passt, gar nicht passen konnte. Und wenn doch? Das hätte die Gefühle auch nicht geändert.
                Wir sprechen viel über Beziehungen. Ich bin zwiegespalten, welcher Typ Mann zu mir passt. Der Ähnliche, der mich versteht. Oder der Gegensätzliche, der mich ergänzt. Im Moment tendiere ich zum letzteren. Zu frisch ist die Erinnerung an ihn. So viel passte, ich will es wieder so haben. Ich will keinen täglichen Kampf wie mit meinem Exmann. Ich möchte ein Gegenpol. Nur einen, der über seine Gefühle und Bedürfnisse reden kann, Dinge einfordern kann. Der diesen Mut dazu aufbringt. Der sich nicht einfach mit Sachen abfindet. Einen, dem ich es Wert bin. Einen, der das nicht alles wegschmeißt wegen einem diffusen Gefühl des Zweifels.

                Ich möchte ihn, mit Anpassungen. Sehr verwirrend. Am meisten verwirrt mich das Wissen, dass jeder Tag mit ihm schön war. Maximal neutral unauffällig. Aber an keinem Tag mit ihm habe ich mir gewünscht, wo anders zu sein. Wie ging es ihm wohl dabei neben mir? Ich habe ja nicht ständig an die fehlende Ehe oder das fehlende Haus gedacht. Ich dachte einfach daran, dass es zusammen harmonisch ist. Hat er wirklich so anders empfunden und ich habe das komplett übersehen? Das irritiert mich täglich, wenn ich daran denke. Ich kann einfach nicht behaupten, dass es jetzt alleine schöner und besser sein wird. Ich freue mich nicht darauf, irgendwas zu verwirklichen. Mir fehlte täglich nichts. Mir fehlte die Verbindlichkeit, die greifbare Bindung zueinander, aneinander. Und ja es wirkte sich auf unsere Kommunikation negativ aus. Aber der gemeinsame Alltag war schön. Warum hat ihm das nicht gereicht? Warum war er immer noch an einer größeren, noch größeren Liebe auf der Suche? War ich so ambitionslos? Ich frage mich was in mir schiefgelaufen ist. Es fühlte sich so demütigend an. Allein mit genug Gefühlen da zu stehen. Während der andere gehen wollte. Es verwirrt mich. Es verletzt mich. Es überrascht mich, da ich das nicht kommen sah. Ich zweifle nun an meiner Intuition. Es passt nicht zu meinem Weltbild. Nicht zu meinen Erfahrungen. Ich habe immer gespürt, wenn die Gefühle weniger wurden in Beziehungen. Ich habe damals auch keine Perspektive auf Besserung gesehen.

                  Aber bei ihm war es anders. Die Gefühle wurden weniger, aber nicht so wenig, dass ich gehen wollte. Und wir hatten eine Lösung in Sicht. Das gemeinsame Haus. Warum hat er nicht daran geglaubt? Wir waren so viele Jahre ein Paar, ein Team. Nach vier Jahren kannte er mich doch so wie ich bin. Warum nicht damals die Konsequenzen ziehen, wenn es nicht passt? Und wenn es aber nur die letzten Monate gewesen sind, wo es bergab ging - aus seiner Sicht mehr als aus meiner. Warum dann nicht auf diesen vier und fünf schönen Jahren aufbauen, alles auf den Tisch legen und es angehen, lösen, aktivieren. Es wieder beleben. Mit Transparenz und Ehrlichkeit. Ich hätte schwer geschluckt, hätte er gesagt, dass er sich nicht sicher ist mit dem Haus. Es wäre ein schwerer Schlag. Vielleicht hätte ich eine Pause gewollt, zum Nachdenken übers Leben und die Gefühle. Aber was hatte er denn getan? "Das Wegwerfen", was er noch an Silvester nicht wollte. War ihm nur wichtig selbst die Entscheidung zu treffen? So war er doch gar nicht. Was hat er überhaupt gewollt an dem Sonntag damals? Pause? Was ist das genau? Habe ich nun Schluss gemacht? Ich bin doch so konsequent gegangen. War ich das dann? Ich kann diese Frage weder mir noch anderen so wirklich beantworten. Muss ich das? Ich versuche das zumindest. Ich brauche Antworten. Irgendwann mal muss ich ein letztes Mal mit ihm sprechen. Nicht nur mit anderen, mit mir selbst. Genau mit ihm. Ich habe versucht alles zu rekonstruieren, auch aus seiner Sicht. Ich brauche noch ein paar Sätze aus seinem Mund. Irgendwann mal. Er muss ja nun viel Zeit zum Nachdenken gehabt haben.
                  Ich brauche Erkenntnisse aus vergangenen Beziehungen. Ich möchte was daraus lernen, über mich, über mein Beziehungsverhalten. Ich möchte doch erfolgreicher einen nächsten Versuch schaffen. Ich möchte nicht ständig weitersuchen. Vor allem dann, wenn es doch für die Ewigkeit so zum Greifen nah war. Ich bin noch so verletzt, dass ich keinem anderen Mann trauen würde. Sowas hat wirklich noch keiner mit mir gemacht. In solcher Dimension. So kurz vorm Ziel eines gemeinsamen Lebens. Aber wenn ich dann soweit bin. Wie gehe ich vor? Ich philosophiere mit dem Skorpion über Beziehungen. Was ist die Basis dafür? Worauf achtet man vor allem wenn es losgeht. Die körperliche Attraktivität, klar insbesondere am Anfang. Sonst geht es ja gar nicht erst weiter. Die persönliche Art, ist man sich sympathisch. Hat man ähnliche Ansichten, ähnliches Witzverständnis. Aber ganz besonders nach einer gewissen Zeit: hat man die gleichen Zukunftsvorstellungen? Der Gedanke, sich mit anderen fremden Männern zu beschäftigen ist so befremdlich, so schmerzhaft. Es kommt. Es braucht Zeit.

                  Und dann sollte man sich mit dem privaten Lebenslauf beschäftigen. Was hat der andere bisher erlebt. Ich äußere meine Bedenken bei Männern, die bis 50 noch nicht verheiratet waren. Der Skorpion bestätigt. Er sieht es sogar schon bei 40, die magische Grenze. Es ist ein Zeichen von fehlender Bindungsbereitschaft, von großer Unsicherheit, mangelnder Entschlussfähigkeit. Es kann nicht sein, dass man 50 Jahre seines Lebens noch nicht die Richtige gefunden hat. Da muss man sich ernsthaft fragen, was man von einer Beziehung überhaupt erwartet. Es gibt nicht viele andere Kriterien, die man anfangs so prüfen kann. Aber dieses sollte ich wirklich ernst nehmen. Ich verspreche es! Ich habe selbst genug Erfahrungen mit dieser Thematik gemacht. Ich habe bis zuletzt gedacht, ihn bekehren zu wollen. Wie sinnlos. Auch ich werde nun als die Falsche abgelegt, während er weiter nach seiner großen Liebe sucht.

                  Der Gedanke an eine Andere an seiner Seite tut so unfassbar weh. Seine Liebe fühlte sich so warm, so einnehmend und verzehrend an damals am Anfang. Wie hat er mich umworben! Das alles bei der Nächsten? Wieso tat ich mir das an? Würde er alles wiederholen, was schon mal geklappt hat? Rosen auf meinem Auto? Schokohasen vor der Tür? Wunderschöne 3D-Karten? Würde er einfach alles recyceln? Ich war masochistisch. Ich wollte ja die Wunde ausbrennen. Daher musste ich immer wieder mich mit dieser Vorstellung konfrontieren. Er würde sicher nicht im Kopf sich ausmalen, wie ein anderer Mann mich küsst und berührt. Er würde alles verdrängen. Aber er war ja schon entliebter. So kompliziert konnte es ja nicht werden. Und ich hoffe inständig, dass mich hier keine Überraschung erwartet, dass eine andere bereits im Spiel ist. So schätze ich ihn auch nicht ein. So viel Glück hatte meine nächste Gesprächspartnerin nicht.

                  2.Akt: Die Schütze-Frau


                  Die nette Blondine aus der Automobilbranche ist Schütze. Wir verstehen uns gut, auch wenn wir nicht auf gleicher Wellenlänge sind. Aber gemeinsame Themen verbinden. Und gemeinsame Männerthemen haben wir genug. Sie ist geschieden und hat keine Kinder. Seit vier Jahren ist sie nun in einer neuen glücklichen Beziehung. Es läuft gut. Das Ende der Ehe war die Hölle. Ihr Exmann hatte damals schon zwei Kinder als sie ihn kennengelernt hatte. Er war acht Jahre älter, wollte auch keine weiteren. Er war Widder. Nach zwei Jahren der Beziehung hat er um ihre Hand angehalten. Heißblütiger Widder halt! Nach insgesamt sieben Jahren Beziehung und Ehe war es leider vorbei. Er hatte sich in eine Nachbarin verliebt. Seine Frau über Monate mit ihr betrogen. Dann erst die Reißleine gezogen. Sie musste gehen. Er wollte dir Nachbarin, nicht mehr sie.

                  Was für ein unfassbar schlimmes Schicksal! Mir blutet das Herz bei dieser Erzählung! Ich fühle richtig mit ihr. Wenigstens diese Erfahrung ist mir bisher erspart geblieben. Sie war am Boden zerstört. Hat jahrelang gebraucht, um über ihn hinwegzukommen. Um wieder zu sich zu finden. Sich wieder Männern zu öffnen. Dann hat sie in einem Club ihren jetzigen Partner kennengelernt. Wirkt nun glücklich. Ist glücklich. Sie hat die Wunden eines solchen Betrugs scheinbar überwunden. Ich schaffe das auch! Ich glaube ihre Situation war schlimmer. Aber Leid ist ja individuell.

                  Ich beobachte bei mir genau, in welcher Reihenfolge das Loslassen, das Überwinden passiert. Es wundert mich etwas. Das Erste was geht ist das Thema Haus. Ich glaube nach einer Woche. Das Thema war so giftig in letzter Zeit. Hat so viele negative Emotionen verursacht. Es fällt mir wie ein Stein vom Herzen, dass es nun weg ist. Keine nervigen frustrierten Diskussionen mehr. Ich kann ohne ein Haus überleben. Die Vision eines gemeinsamen Zuhauses blieb immer eine Vision. Nichts Wirkliches. Ich habe nichts verloren.
                  Das Thema Ehe habe ich für mich mehr als deutlich durchgearbeitet. Unsere Einstellungen waren da grundverschieden. Für ihn war es nie der größte Liebesbeweis. Für mich schon. Er war nicht der einzige Mann mit dieser Einstellung. Also nichts Merkwürdiges. Ich hätte das Thema entspannter führen müssen. Das ist nun der Preis. Ich verspüre keine Bitterkeit, dass es nicht geklappt hat. Natürlich nicht am Ende, aber auch nach drei oder viel Jahren. Dafür hätte er ein anderer Mensch sein müssen. Ich suche die Schuld nicht mehr bei mir.
                  Die fehlenden Gespräche tun noch weh. Wahnsinnig weh. Ich muss mich immer aktiv ablenken vor allem an den Abenden. Hier bin ich noch weit weg davon, das anzunehmen. Aber ich lerne nun, die Dinge ohne ihn wahrzunehmen. Ohne dass ich es ihm erzähle und nochmal mit ihm durchlebe. Die Woche Resilienztraining ist eine intensive Woche, die ich ganz allein erlebt habe. Er war da schon nicht mehr da.
                  Die Nähe und Wärme fehlt mir am meisten. Seine Berührung, die täglichen Rituale, das Vertraute. Die gemeinsamen Spaziergänge, die Abendessen - Hand in Hand beides, soviel zum Thema fehlende Berührung. Hier werde ich noch viel Zeit brauchen.
                  Die fehlende Aussicht, mit ihm alt zu werden. Das schmerzt enorm. Ich habe keine Angst vor dem Alleinsein. Ich bin so mit Job und Kindern eingebunden. Das wird schon klappen. Das „Ohne ihn in meinem Leben“ ist die Herausforderung. Zu akzeptieren, dass wir nie ein gemeinsames Leben haben werden als Paar. Keine gemeinsame Zukunft. Das ist hart. Aber auch dies ist nur eine Vision. Die Vision von einer Zukunft, die nie geschrieben war. Vielleicht ist unsere Zukunft eine Freundschaft. Ich habe ihn als Mensch geschätzt und respektiert, den Umgang mit ihm genossen. Vielleicht ist das die richtige Basis für Freundschaft. Ich weiß es noch nicht.

                  3.Akt: Das Lagerfeuer


                  Heute Abend ist Lagerfeuer. Der Trainer leitet feierlich ein. Jeder soll auf einen Zettel schreiben was er hinter sich lassen möchte, was ihm nicht gut tut. Dann wird Zettel für Zettel verbrannt. Alle schreiben fleißig. Ich denke nach. Das Feuer schafft eine bedächtige Atmosphäre. Alle schauen sehr ernst. Nehmen die Aufgabe ernst. Ich ringe mit mir. Die symbolische Wirkung macht mir Angst. Ich weiß nicht, ob ich schon dazu bereit bin. Meine Gedanken überschlagen sich. Das ist doch nur ein Zettel! Aber es ist eine innere Entscheidung. Zutiefst persönliche bewusste Entscheidung, loszulassen. So viele schöne Momente. So viele Jahre. So viel erlebt, zusammen durchgestanden. Will ich kämpfen? Ich habe es zu lange schon gemacht. Liebe sollte kein Kampf sein. Liebe sollte sich anders anfühlen. Ich schreibe es auf einen sehr kleinen Zettel. Das Wort ist nicht groß. Ich bin pragmatisch. Jeder Zettel wäre für meine Gefühle zu klein, viel zu klein.

                  Ich knülle ihn zusammen. Warte, bis ich dran bin. Wir warten alle zusammen, bis jeder einzelne Zettel bis zum Ende verbrannt ist. Die meisten haben riesige Zettel. Das dauert. Ich bin an der Reihe. Ich schmeiße den kleinen Zettel rein. Toll! Klappt ja super - Zettel fällt raus. Nächster Versuch. Wieder draußen. Nächster Versuch. Ich betrachte es langsam als Schicksal. Soll er nicht verbrannt werden? Ist es zu früh? Oder heißt es, dass ich mehrere Versuche brauchen werde bis es klappt, den Inhalt hinter sich zu lassen? Was bedeutet das? Ein netter Schützenmann hilft nach, als der Zettel auf seiner Seite des Feuers rausfällt. Er schmeißt ihn selbst rein. Der Zettel brennt lichterloh. Nicht lange, aber intensiv. Kurzes Zwischenspiel. Der nette Skorpion Trainer berührt mich an der Schulter. "Du hast es nun entschieden. Du hast es selbst in die Hand genommen. Ich weiß, du wirst es schaffen." Ich schaue in die Glut. Sehe die traurigen Reste des Zettels mit dem einzigen Wort "Typ" - sein Kosename.

                  Tag 12 - Donnerstag


                  1.Akt: Seine Kinder


                  Ich habe endlich gut geschlafen. Eine sechs ist zwar davor, aber ich fühle mich erholt. Ausnahmsweise keine Migräne. Dynamischer Morgenstart. Ich habe die letzten Tage immer die Melodie des Liedes „Maria, Maria….“ im Kopf gehabt, da eine Teilnehmerin so heißt. Die letzten Tage habe ich diese durchgehend geträllert. Aber nun wechselt die Musik ganz plötzlich. „All Good Things (Come to an End)“ von Nelly Furtado kommt mir in den Kopf. Warum auch immer! Ich bin verblüfft. Ich habe kein Radio gehört, nirgendswo hätte ich diese Melodie hören können. Es kam aus dem nichts. Es ist der vorletzte Wandertag, das Seminar geht zu ende. Auch meine Gedanken und Gefühle kommen zur Ruhe, gehen zu Ende. Wie symbolisch.

                  Das beschäftigt mich eine Weile beim Laufen. Die Unterhaltung dreht sich um Haarfarbe. Plötzlich kommt mir einfach der Gedanke – Haare blondieren! Keine Ahnung, ob es mir steht oder nicht. Ich war schon mal vor vielen Jahren blond. Das wäre doch mal eine nötige Veränderung. Ich rufe sofort bei meinem Frisör an. Keine Termine in den nächsten Wochen. Schon klar! Dann mache ich es halt selbst zuhause, warum nicht! Ich brauche eine Veränderung. Eine sichtbare optische Veränderung.

                  Wir kommen im Wald an einem riesigen Haufen von Baumstämmen vorbei. Ich befühle das austretende Harz der aufgeschnittenen Stämme. Ich mag Holz. Es ist so duftend und formbar. Ein schönes Naturmaterial. Ich muss plötzlich an seine Tochter denken. Die gleichen Sätze hatte sie neulich geäußert, als es um ihre Berufswahl ging. Sie wollte was mit Holz machen, irgendwas, mit der Begründung, es ist ein schönes Naturmaterial. Ich werde sie wohl nicht wiedersehen. Aber sie ist immer unter den Ersten, die meine Bilder aus dem WhatsApp Status anschaut, wie auch heute früh. Ob sie schon bescheid weiß, dass wir uns getrennt haben? Wie hat er es seinen Kindern erzählt? Wahrscheinlich noch gar nicht.

                  Ich habe es gar nicht geschafft, ein wirkliches Verhältnis zu den beiden aufzubauen. Rückblickend ist es natürlich auch besser so. Aber es ist auch schade. Ich kann mich noch ganz genau an eine Szene kurz vor Silvester erinnern. Wir waren zusammen mit meinen Kindern und seinem Sohn bei einer berühmten Zaubershow. Und in irgendeinem Kontext war nach dem innigsten Wunsch gefragt. Man sollte sich diesen ganz fest vorstellen. Ich kann mich an meinen erinnern. Ich habe mir damals gewünscht, dass wir alle zusammen, meine und seine Kinder, bald an einem Essenstisch sitzen und gemeinsam lachen und uns unterhalten, in unserem neuen Zuhause. Endlich eine Familie. Nachdem wir beide die letzten Beziehungen nicht so erfolgreich beendet hatten, eine gemeinsame neue Chance auf das große Glück. Noch knapp davor, dass seine Kinder komplett aus dem Haus sind. Dass ich sie noch als Kinder mitbekomme, Einfluss auf ihr Leben nehmen kann.

                  Auch daher habe ich ihm immer gesagt, dass ich aus jedem Haus mit ihm das Beste machen würde. Hauptsache zusammen, ein gemeinsames Zuhause für uns alle. So wäre ich auch seinen Kindern näher gewesen, er meinen. Er unterstellt mir manchmal, dass ich auf seine Familie keine Lust habe oder auch auf seine Kinder. Ich glaube, er hat bis zuletzt nicht verstanden, wie kompliziert es einfach für uns war, diesen gemeinsamen Alltag in den zwei Haushalten zu gestalten. Ich bin schon ein Organisationstalent. Ich plane unheimlich gerne. Aber in unserem Leben gab es so viele komplizierte Umstände. Und ich hatte immer weniger Kraft, noch mehr und noch mehr zu organisieren, was sich nicht automatisch ergeben hat. Und er war der letzte, der hier den Antrieb darstellte. Ich war einfach müde, und von Jahr zu Jahr wurde ich immer müder. Ich sehe das nun so klar vor mir. Die Gründe, warum wir uns auseinandergelebt haben. Und ich verstehe auch mich, warum ich weitergekämpft habe. Ich war einfach so felsenfest davon überzeugt, dass der gemeinsame Haushalt alles lösen wird. Daher habe ich weitergekämpft, trotz der aufkeimenden und weiter wachsenden Zweifel, die sich einschlichen.

                    2.Akt: Die Erkenntniss


                    Ich weiß nicht, wie ich darauf komme, aber irgendwie habe ich das Bedürfnis, in seiner WhatsApp Kommunikation zu suchen, wann das Wort Liebe gefallen ist. Einfach so. Ich suche mich durch die Chats durch. Und dann komme ich auf unsere Unterhaltung an Silvester. Ich hatte damals das dringende Bedürfnis verspürt, uns auszusprechen. Es hatte sich so viel aufgestaut über die Monate davor. Das war mir gar nicht so bewusst gewesen. Und ich habe unfassbar viel in die schriftliche WhatsApp Kommunikation an ihn zusammengefasst. Ich weiß, nicht gut! Nicht gut, dass es WhatsApp war. Aber er konnte nicht reden, hatte seinen Sohn. Es war alles kompliziert. Es war der Morgen von Silvester. Jahreswechsel. Ich war wohl sehr sehr frustriert gewesen. Ich hatte das verdrängt. Aber nun lass ich das schwarz auf weiß. Ich wollte damals einfach nur Klarheit. „Ich habe keine Lust mehr, deine Gefühle zu erraten! Du bist einfach nur stumm, und traurig. Ich verstehe dich nicht mehr! Ich glaube, du mich auch schon lange nicht mehr…“ Und dann ging es eindeutig weiter. „Ich fühle mich so verbittert – ich werde die letzten Tage zerfressen von dieser Aussichtslosigkeit! Ich liebe dich über alles – aber ich kann es nicht leben und zeigen, weil ich von dieser Unzufriedenheit zerfressen werde und zutiefst unglücklich bin mit der Situation.“ Ich habe ihm damals alles klipp und klar gesagt. Ich habe das alles vergessen, verdrängt, es ist nun über sechs Monate her.

                    „Überlegst du, wie du es mir sagst, dass das Haus eher nachrangig geworden ist? Dass du nicht mehr sicher bist? Du willst ja nicht kritisieren….wie kommuniziert man denn, dass du nicht mehr möchtest? Das es für dich auch so passt. Nach fünf Jahren habe ich einbißchen Ehrlichkeit verdient!“ Ich bin so sprachlos! Ich habe ihn vor einem halben Jahr wortwörtlich danach gefragt! Ich habe das schwarz auf weiß so ausgeschrieben. Ihn mit allen diesen Zweifel konfrontiert. Und er hat nichts, aber auch gar nichts geschrieben oder auch später am Abend gesagt, als wir uns getroffen hatten. Wir hatten am Telefon geweint, uns geschworen, es nicht alles wegzuschmeißen, und weiterzumachen. Und diese Erkenntnis gibt mir komplett den Rest: „Ich weiß nicht, was deine Gefühle sind – du redest ja nie über sie! Weißt du, was ich denke und fühle? Ich denke, du wirst demnächst Bauchschmerzen bekommen und dir eingestehen, dass dich die Beziehung unglücklich macht. Und dann wirst du verzweifelt nach Wegen suchen, es mir klarzumachen.“ Ich habe das schon damals gewusst! Ich habe das völlig verdrängt.  Oh mein Gott, wie konnte ich mich nur selbst belügen die ganze Zeit. Ich habe alles vorhergesehen. Zumindest habe ich das alles so niedergeschrieben. Ich glaube, ich habe das damals nicht wirklich geglaubt. Ich habe gehofft, es schreibt zurück, dass ich mich komplett irre und alle wieder gut sein wird und dass er mich von Herzen liebt. Aber das hat er nicht getan! Wir haben uns wieder versöhnt, gedrückt, geliebt und das neue Jahr hat gestartet. Wir haben das Problem damit einfach verlagert, das Leid in die Länge gezogen. Ich bin gerade so entsetzt über mich selbst. Wie konnte ich das denn alles vergessen? Als wir an Silvester beschlossen haben, weiterzumachen, da war ich wieder voll auf dem Gaspedal. Es war eine bewusste Entscheidung, es richtig anzugehen. Aber seine Zweifel sind gewachsen, statt sich zu bessern. Eine Entscheidung wollte er ja nach wie vor nicht treffen. Ich habe mich einfach nur wieder damit abgefunden, dass es weitergeht. Wie konnte ich das nur!

                    Das dominierte Gefühl ist nun Wut! Wut darüber, dass ich das so lange ausgeblendet habe, obwohl mir alles so klar war, schon damals vor Monaten. Aber ich habe das verdrängt. Ich habe ihn doch geliebt und wollte nur, dass er sich endlich entscheidet. War das wirklich damals noch Liebe? Oder einfach die Gewohnheit? Der Wunsch, dass die letzten fünf Jahre nicht umsonst gewesen sind? Ich habe mich dann wieder mit so viel weniger abgefunden als ich wollte. Warum nur? Ich wusste und weiß doch ganz genau, was ich möchte. Was ich vom Leben möchte. Was ich von ihm wollte. Wie konnte ich das nur ausblenden, solange alles hinnehmen?

                    Das ist der letzte Abend meiner Seminarwoche. Diese Erkenntnis nimmt mir gerade aber völlig die Kraft, diesen Abend noch weiter mit den anderen zu verbringen. Ich bin so entsetzt und enttäuscht über mich selbst, dass ich damals an Silvester doch eigentlich alles erkannt habe und dennoch nichts gemacht habe. Ich habe es einfach weiterlaufen lassen. Und ihm die Chance gegeben, über alles nochmal in Ruhe nachzudenken, damit er bei der nächsten Gelegenheit genau das tut, was ich schon prophezeit habe, nämlich zu gehen. Ich fühle mich wirklich ganz komisch. Es ist eine Mischung aus Wut, aber auch Genugtun. Ich habe das alles schon gewusst und gespürt. Ich habe mich nicht geirrt. Meine Vorahnung war beängstigend. Es kam alles genauso wie ich es geahnt habe.

                    Es gibt mir eine gewissen Selbstsicherheit zurück, die mir in den letzten Wochen gefehlt hat. Ich habe mich bisher so gefüllt, dass er mir den Teppich unter den Füßen weggerissen hat. Aber eigentlich war der Teppich doch gar nicht mehr dar! Ich habe seine Abwesenheit schon damals gekannt. Ich bin nicht blind. Ich habe es die ganze Zeit gewusst. Ich war einfach leider noch zu schwach oder zu dumm, um Konsequenzen zu ziehen. Ich werde mich bessern.

                    Tag 13 - Freitag


                    1.Akt: Der Abschied


                    Der letzte Tag des Seminars beginnt um Punkt fünf Uhr früh. Im Nachbarzimmer fällt irgendwas um. Ich bin sofort wach und sofort bereit, mein Leben neu zu denken. Ich liege noch ewig im Bett, aber an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Sofort gehe ich die letzten Tage durch, schmökere in den letzten Wochen. Warum auch immer, stelle ich ihn mir mit einer Anderen vor. Diese Vorstellung scheint die mit Abstand schmerzhafteste zu sein. Mein Herz und mein Verstand verschließen sich einer konkreten Vorstellung. Aber ich mache weiter, male es mir so gut es geht aus. Ich möchte die Wunde ausbrennen, das war und bleibt der Ursprungsplan.

                    Der Vormittag zieht sich leider hin. Das Wetter macht nicht ganz mit. Wir diskutieren über unsere Ziele. Dann unternehmen wir einen Schweigemarsch, bei dem wir diese Ziele nochmal konkret durchdenken sollen. Das dauert ja ewig. Über eine Stunde schweigend nachdenken, na super! Ich beschließe so konkret wie möglich meinen Auszug bei ihm zu planen. Ich habe die wichtigsten Sachen bereits in den ersten beiden Tagen mitgenommen. Aber ich habe noch so einiges bei ihm stehen. Wir haben immerhin mehrere Jahre so was wie zusammengewohnt. Übrigens ohne Probleme, erinnert mich mein Herz. Danke! Das Zusammenleben war immer harmonisch, keine Streits über die Kleinigkeiten des Alltags. Die meisten Dinge übernahm tatsächlich er, da es nun mal streng genommen sein Haushalt war und ich nur maximal die Hälfte meiner Zeit bei ihm verbrachte. Aber ich half auch mit überall, wo es Sinn gemacht hat, beim Kochen, Einkaufen und Aufräumen oder eher Dekorieren. Es war harmonisch. Niemals musste ich ihm sagen, dass er den Müll rausbringen soll. Oder das hier und da dreckig war. Wenn ich mich an das Zusammenleben mit meinem Exmann erinnere, dann war es am Ende einfach nur eine Katastrophe. Wir waren zu keinerlei gemeinsamen Haushalten in der Lage gewesen. Das war so belastend. Ich musste damals richtig fliehen aus dem gemeinsamen Haus. Ich habe mich auf meine eigene Wohnung wahnsinnig gefreut, auch wenn es eine harte Zeit am Anfang war.

                    Diesmal habe ich mich Null auf meine Wohnung gefreut. Sie hatte überhaupt keinen Bezug zu ihm, war nie unser zuhause. Aber das war ja das schöne nun! Ich hatte hier kaum Erinnerungen an ihn. Bei ihm erinnerte ihn alles an mich. Ich hatte das bessere Los gezogen, nun am Ende. Ich habe meine Wohnung damit total vernachlässigt. In den letzten Jahren habe ich nur auf das gemeinsame Zuhause gesetzt. Ich hatte sie pragmatisch vollgestellt, kaum was dekoriert. Ich habe nur gewartet. Ich habe Sachen aufgehoben nur in der Erwartung, dass wir das gemeinsame Haus bald haben würden. Mein erstes Ziel war es also, gründlich alles auszumisten, da ich nun auf gar nichts mehr wartete. Ich habe viel zu viele Dinge angesammelt, die für eine normal große Wohnung viel zu viel waren. Ich hatte nur einen winzigen Kellerraum, in dem einbisschen Dekozeug drin war, mehr nicht. Alles, was sich bei ihm gestapelt hatte, konnte ich gar nicht alles mitnehmen. Ich muss einen Plan mit meiner Mutter erarbeiten, ihren größeren Keller nutzen, damit ich nicht alles wegschmeißen musste. Mein größtes Bedürfnis wurde es tatsächlich, alle meine Sachen aus seinem Haus zu räumen. Jede noch so kleine Kleinigkeit. Der Gedanke, dass meine Sachen bei ihm lagen und warteten, wie ich schon die letzten Jahre gewartet habe, war unerträglich. Irgendwie demütigend. Ich gehe nicht davon aus, dass er gleiche die nächste Freundin bei sich zuhause empfangen wird. Aber ich konnte mich bei ihm auf gar nichts mehr verlassen. Die Vorstellung, dass eine neue SIE meine Sachen berühren konnte in unserem Ex-Zuhause war unbeschreiblich schmerzhaft. Ich wollte alles wegbringen so schnell ich nur konnte!

                    Das Alles ging ich bei unserem Schweigemarsch durch. Jeden Prozess, den ich anstoßen musste, damit der Abschluss, der finale Abschluss näher rücken konnte.

                    Dann gab es erstmal den Abschluss in der großen Runde der Teilnehmer. Diese Menschen sind mir so ans Herz gewachsen die letzten Tage. Es waren doch gerade mal fünf gemeinsame Tage! Und der Abschied tat weh! Ich frage mich, ob ich genauso empfinden würde, wenn ich mit einem nicht gebrochenen Herzen hier erscheinen würde. Wenn ich in einer intakten glücklichen Beziehung gekommen wäre, dann hätte ich doch kaum was Belastendes zu erzählen. Was für ein Schicksal es nur war, dass ich genau jetzt diese Woche mit diesen fremden Menschen verbringen durfte. Ich habe das geliebt. Ich habe das gebraucht. Einige von ihnen sind mir wirklich ans Herz gewachsen. Einige sind so herzlich, so liebevoll. Ich bin das nicht! Ich kann keine Emotion zeigen. Ich habe Angst, in Tränen auszubrechen! Ich habe seit Montag nicht mehr geweint. Ich möchte, dass es dabei bleibt. Egal was sie denken. Sollen sie denken, es lässt mich kalt. Diese Alternative ist mir gerade lieber als ein Heulkrampf in ihrer Runde. Ich drücke und tausche nette Worte aus. Dann mache ich mich auf den Weg.

                      2.Akt: Die Rückfahrt


                      Als würde man einen Schalter umlegen. Ich heule im Auto sofort los! Die Ruhe und Geborgenheit der letzten Tage sind vorbei. Ich habe mich so geborgen gefühlt bei diesen fremden netten Menschen. Es war so warm und irgendwie vertraut nach so kurzer Zeit. Nun bin ich allein im Auto unterwegs zu meinem alten neuen Leben, zurück in die Realität.

                      Ich schreibe mit meinem Bruder wegen dem Abend. Eigentlich wollte ich ja mit ihm Abendessen gehen, da er auf meinem Nachhauseweg wohnt und Zeit hatte. Leider haben wir wohl aneinander vorbeigeredet in den letzten Tagen. Ich dachte, er arbeitet zuhause und ich kann früher vorbeikommen. Aber leider ist er noch im Büro bis zum späten Abend. Es klappt also nicht. Ich bin ja schon kurz nach Mittag fertig und auf dem Heimweg. Ich verwerfe den Plan, unterwegs noch Klamotten zu kaufen. Ich bin dermaßen nicht an Kleidung interessiert gerade. Mein Kleiderschrank ist am Platzen da er nun die doppelte Menge aufnehmen musste aus beiden Haushalten. Und mir fehlt jegliche Lust auf Oberflächlichkeiten. Frustshoppen ist noch nicht drin.

                      Mein Herz hat einen richtig tollen Vorschlag als ich aufs Navi schauen. Ich fahre in wenigen Minuten an seinem Haus vorbei. Ich könnte ihn besuchen! Plötzlich fühle ich mich wie an Tag eins nach der Trennung! Ich kann es nicht fassen! Es ist ja überhaupt keine Entwicklung! Wie kann es denn immer wieder diese Rückschläge geben? Immer wenn ich denke, dass ich nun gefestigter bin? Ich heule wieder los, beim Autofahren. Diesmal bin ich auch noch geschminkt, ganz große Klasse! Vom wenigen Schlaf und von der Schminke schmerzen mir die Augen. So würde ich ganz sicher das beste Opfer überhaupt abgeben, wenn ich vor seine Tür stehen würde. Das ist das erste Mal seit zwei Wochen, dass ich diesen Wunsch verspüre. Warum nur jetzt? Ich hatte die Seminarwoche als Aussicht. So lange konnte ich die Füße stillhalten. Es gab Ablenkung. Nun kommt mein Alltag wieder. Ein Alltag, in dem er fehlen wird, in jeder Ecke meines Lebens. Daher der Wunsch, ihn zu sehen? Masochismus! Einfach nur Masochismus! Was soll ich denn sagen? „Ich habe dich vermisst?“ Und dann? Ich würde in sein leeres wahrscheinlich trauriges Gesicht schauen. Ob er abgenommen hat? Wie er wohl aussieht? Vielleicht würde er mich auch vermisst haben. Das ist sogar sehr wahrscheinlich. Aber was bringt das? Was ändert das? Überhaupt nichts! Diese Erkenntnis bringt mich wieder in die Realität zurück. Der Besuch ändert nichts. Nichts an meinem Schmerz, oder doch, er wäre noch schlimmer! Nichts an der geschaffenen neuen Realität – es wäre nur eine kurze Flucht! Nichts an der fehlenden Zukunft. Nichts wäre ungeschehen, von all den Worte, die gefallen sind. Es würde alles in einem nichts bringen. Ich fahre an seinem Haus vorbei. Ich schaffe es, nicht anzuhalten. Ich bin stolz auf mich. Ich werde es überleben!

                      Aber eine Sache muss ich mich gönnen. Ich muss mich irgendwie mitteilen. Ich halte es einfach nicht aus. Zwei Wochen ohne jeglichen Kontakt nach fast sechs Jahren durchgehenden Kontakt. Das ist doch einfach die Hölle auf Erden! Ich muss es ihm schicken. Alles, was ich bisher geschrieben habe, das muss er erfahren. Ich weiß nicht genau wofür! Vielleicht haben wir wirklich aneinander vorbeigeredet, wirklich einander nicht verstanden. Das war ja offensichtlich der Fall, was seine Gefühle anging. Aber er soll nicht gehen, bevor ich alle Untiefen meiner Gefühle losgeworden bin. Ich brauche das! Er ist mir das schuldig – nach den sechs Jahren, nach diesem grausamen Ende. Ich möchte es ihm mitteilen. Ich hoffe, dass genug Restwärme noch verblieben ist, dass er mir diesen Wunsch erfüllt und sich mit dieser Sammlung meiner Gefühle beschäftigt. Noch einmal wenigstens. Ich halte auf dem Parkplatz an, kurz vor seinem zuhause. Natürlich hat mein Laptop kein WLAN. Mein Geschäftshandy ist komplett leer, ich kann es nicht als Hotspot nutzen. Aller Widrigkeiten zum Trotz schaffe ich es, mein Laptop mit meinem Privathandy zu verbinden. Ich schaffe es, die Textesammlung als Mail an ihn zu schicken, an beide E-Mail-Adressen, geschäftlich und privat. Es ist raus. Ab hier wird er kein Wort mehr von meinem Leben mitbekommen. Ich werde ab jetzt nur noch für mich schreiben, wenn ich das brauche, um das Leid zu bewältigen. Es ist so weit abgeschlossen. Ich habe das Gefühl, dass es mich sehr weit gebracht hat, mir geholfen hat. Ich schicke die Texte ihm mit der Bitte, dass er das durchliest und wir irgendwann mal darüber sprechen können in den nächsten Wochen. Es wird also noch ein Nachspiel geben. Ich hoffe sehr, dass er sich nicht davor drückt, vor dem Lesen, vor dem Reden. Ich hoffe nicht, dass er mir das auch noch antun könnte.

                      Ich komme zuhause an. Ich bin nicht allein. Meine Mutter und der Hund sind schon da – wie schön! Ich freue mich so, sie zu sehen. Sie in meinem Leben zu haben. Wie schön ist das denn nur, jetzt nicht allein sein zu müssen. Ich hatte ja schon extra das Abendessen mit dem Bruder eingeplant. Damit ich nicht in die Versuchung komme, ihn zu besuchen auf dem Rückweg. Ich kenne mich! Und nun habe ich das irgendwie trotzdem geschafft mit der Aussicht, zumindest mit meiner Mutter einkaufen gehen zu können. Das ist Ablenkung! Das brauche ich. Wir fahren zusammen Lebensmittel einkaufen. Ich habe eine Idee! Bei der Drogerie besorgen wir Blondierfarbe. Ich bin ganz schön gestört – und sehr spontan! Und in wenigen Stunden bin ich auch noch blond! Nicht durchgehend, nur Strähnchen, aber davon sehr viele! Mir ist es völlig egal, wie es aussieht. Hauptsache anders! Ich brauche das. Ich muss den Start in mein neues Leben markieren!

                      Tag 14 - Samstag


                      Der erste Tag zuhause, allein. Aber gottseidank ist es Samstag. Ich habe meine Halle, meine Ukrainer. Ich werde gebraucht. Das wird schon! Der ganze Tag vergeht ganz schnell. Viel zu tun. Wenig Zeit zum Nachdenken. Und abends kommt meine Freundin Steffi. Es ist Weinfest. Ich wollte mit ihm hingehen. So war es geplant. Es ist keine große Sache. Aber ich wollte damals, dass er mehr an meiner Seite ist. Präsenter ist. Nun bin ich allein. Nein, mit Steffi. Aber sie ist „nur“ eine Freundin. Sie kann zuhören, mit mir reden. Aber die innere Leere, die fehlende Geborgenheit kann sie mir nicht ersetzen. Solche Gelegenheiten sind leider ideal dafür geeignet, nochmal in Selbstmitleid zu versinken. Lauter glückliche Paare um uns herum. Wahrscheinlich glücklich. Auf jeden Fall Paare. Ich bin mit meiner Inkognito Brille unterwegs, immer bereit zu heulen. Das Fest ist nicht der Rede wert. Eine bekannte Mutter, die Single ist, setzt sich auch noch zu uns. Das Thema sind Männer. Und wieder Männer. Steffi ist da eher weniger involviert. Sie ist glückliche Ehefrau. Aber sie tut ihr Bestes. Da ich wieder Migräne habe, ist nicht viel an Alkohol zu denken. Ich würde mich ja total gerne volllaufen lassen. Das habe ich aber gegen Kummer noch nie versucht. Vielleicht hilfts. Aber vielleicht löst es eher die Hemmung und führt zu noch mehr weinen. Das Fest geht vorbei.

                      Ich laufe allein nachhause. Die Tränen fließen wieder. Es ist noch hell, die Sonnenbrille hilft, noch etwas Würde zu bewahren. Es fühlt sich im Inneren so furchtbar an. Als wäre alles gestern gewesen. Ich verstehe diese ständigen Rückfälle nicht. Es geht definitiv nicht konstant Berg auf, sondern immer hoch und runter. So mühsam! Ich bin fast zuhause. Ich kann mich einfach nicht beherrschen. Ich schreibe ihm eine Nachricht, das erste Mal nach zwei Wochen: „Ich vermisse dich.“ Ich kann es einfach nicht lassen, das Bedürfnis ist übermächtig. Es ist so sinnlos, was zu schreiben. Einfach völlig überflüssig. Keinen Zweck. Nichts. Und sofort ist eine Erwartungshaltung da. Schreibt er zurück? Was schreibt er zurück? Wie schreibt er das? Und sofort schaue ich alle paar Minuten aufs Handy. Warum habe ich mir das nur angetan? Mich selbst in diese Lage gebracht? Ich lief doch so gut! Halbwegs gut.

                        Tag 15 - Sonntag


                        1.Akt: Die Hormone


                        Ich bin um fünf Uhr hellwach. Ich glaube, mein Magen hat mich wieder wachgeknurrt. Oder ein Geräusch. Oder was auch immer. Ich erkenne leider gleich auf einen Blick aufs Handy, dass er zurückgeschrieben hat. Ich lege es weg. Versuche, desinteressiert zu tun, damit ich noch einschlafen kann. Es waren ja nur fünf Stunden Schlaf, das wird hart! Natürlich kann ich nicht einschlafen. Ich brauche keine fünf Minuten, um wieder aufs Handy zu starren und seine Rückmeldung zu lesen. Er schreibt mir Mitten in der Nacht zurück, um halb zwei Uhr nachts. Sein Sohn müsste bei ihm sein, ich glaube nicht, dass er weggewesen ist. Aber irgendwie fehlen die Satzzeichen. Vielleicht war er doch was trinken gewesen mit einem Freund. „Ich vermisse dich auch Die letzten zwei Wochen waren hart“ Naja, das habe ich nicht anders erwartet. Und natürlich ist es schön zu hören, dass es mir nicht allein so geht. Aber ich vermisse das Wörtchen „sehr“, also sehr hart. Das ist schon mal ein Zeichen. In allem ist nun ein Zeichen. Aber der nächste Satz nimmt mir schon alle Hoffnung, irgendwas Positives aus der Meldung zu ziehen: „Ich glaube aber trotzdem, dass das so besser ist“. Schlag ins Gesicht. Wieder! Natürlich! Man muss gleich alles richtig einordnen. Nicht, dass bei mir noch Hoffnung aufkeimt. Hoffnung jeglicher Natur. Und ja, sich selbst beschwichtigen ist auch nicht unwichtig. „Ich habe heute gesehen, dass du was geschrieben hast ich muss es erst noch in Ruhe lesen geht nicht so schnell weil es für mich alles sehr emotional ist“. Aha, für mich nicht? Der Satz klingt merkwürdig. Er redet ja so, als wäre es alles für ihn belastend, aber für mich ganz klar und steril oder wie? Der Satz holt mich schon wieder etwas aus der Emotion raus, und erzeugt Wut! Wie selbstsüchtig! Das ist schon der dritte Satz, den er mit ICH anfängt. Das ist ja schön, dass er für sich nun an erster Stelle steht. Das hilft mir sicher, zu verstehen, dass nichts mehr von dem warmherzigen Menschen übrig ist, denn ich ja eigentlich vermisse. Das er nun ganz anders geworden ist, so kalt, so distanziert. In unserer Kommunikation ist kein einziges Smiley eingefügt, ein no go bei uns. Noch nie passiert. Der letzte Satz bestätigt nochmal die Ansprache eines Fremden: „Ich hoffe trotz allem dass es Dir irgendwie halbwegs gut geht“. Was für ein absurder Satz. Wenigstens keine Frage, das wäre ja wie Hohn! Was für eine überflüssige Rückmeldung. Aber passend zu meiner überflüssigen Meldung an ihn. Alles so umsonst. So sinnlos. So schmerzhaft.

                        Erneut fällt es mir schwer, die Realität so anzunehmen. Das ist mir die letzten Tage wirklich gut gelungen, heute aber nicht. Irgendwie habe ich schon wieder das Gefühl, ich muss nur einmal die Augen schließen und es wird alles wie früher! Es ist nichts Schlimmes passiert. Alles löst sich in Wohlgefallen auf. Mir wird der Grund plötzlich bewusst! Ich bin AUCH ein rationaler Mensch, ein analytischer! Ich bin erleichtert, dass mir der Grund bewusst wird, warum es die letzten Tage so schlimm ist – plötzlich! Der Eisprung! Die Hormone drehen durch. Das Östrogen ist auf dem Höchststand bzw. gerade wohl gewesen. Am Donnerstag war noch alles ok, ab Freitag ging es Berg ab. Ich spüre auch andere Veränderungen in meinem Körper, die eindeutig auf den Eisprung hinweisen. Ich war schon immer sehr empfindsam, was die Hormonveränderungen anging. Und nun würde ich alles noch empfindsamer erleben. Daher auch wieder die Migräne. Ich habe sie seit gestern Abend nicht wegbekommen. Ich nehme schon wieder Cortison. Ich muss nur noch bis Montag früh durchhalten, dann gibt es wieder meine geliebten Prophylaxe Medikamente. Wenn es doch auch Medikamente gegen diesen unsäglichen Herzschmerz gebe. Was würde ich nur dafür tun.

                        Den Nachmittag verbringe ich bei einem Feuerwehrfest mit meinem Sohn, einem angehenden neunjährigen Feuerwehrmann. Dieser hat leider überhaupt kein Bock auf das Fest, auf seinen Einsatz an der Wasserpistole, auf gar nichts. Er war gestern bis 12 Uhr nachts wach, hat noch Film geschaut. Papa hat es erlaubt – ganz toll! Er hängt total in den Seilen, nölt herum, wir streiten. Die Tochter ist mit Papa beim Badesee. Es sind über 30 Grad draußen, da wäre ich auch lieber, mein Sohn auch, am See und nicht bei der Feuerwehr. Wir haben keine Wahl. Ich treffe dort kaum bekannte Gesichter, finde keinen Anschluss zu sprechen und fühle mich abgrundtief schlecht. Heule schon wieder unter der Brille. Mein Kopf tut schon wieder weh. Mein Sohn flippt aus. Kann es noch schlimmer werden? Wir gehen früher als geplant total abgenervt nachhause. Ich bin total leer und absolut am Boden zerstört. Die Hormone hören nicht auf, ihre Wirkung zu entfalten.

                          2.Akt: Der Zwilling-Bruder 


                          Mein Bruder will am Abend eigentlich nur meine Mutter besuchen kommen. Aus Versehen hat er ein paar Sachen an ihre Adresse geschickt, die er nun dringend braucht. Und er hat die Aufgabe, aus ihrem Keller alles mitzunehmen, was dort von seinen Sachen noch rumliegt. Den Keller meiner Mutter werde ich nämlich für die Sachen brauchen, die noch bei meinem Exfreund stehen. Ich brauche ihn aber heute, also meinen Bruder, nicht den Keller. Mir geht es so dreckig wie die letzten zwei Wochen nicht. Ich weiß nicht warum. Die Kinder sind da. Aber ich muss raus, ich muss mit jemanden reden. Ich parke sie vor dem Fernseher. Ich mag das eigentlich gar nicht am Sonntag, wo ich sie das erste Mal sehe nach vielen Tagen. Aber ich bin so leer! Ich habe denen gerade überhaupt nichts zu geben.

                          Wir laufen mit dem Hund in der knallenden Sonne durch die Weinberge. Er ist für mich da! Wir haben bisher im Leben nicht sehr viel gesprochen, nicht über emotionale Themen. Ich dachte, er ist so anders als ich. In Gefühlsdingen ist es tatsächlich so. Er ist eher mein Gegenpart. Er ist derjenige, der lange gebraucht hat, bis er sich in Beziehungen committen konnte, sich auf die Partnerin komplett einlassen konnte. Ich bin überrascht, als er mir sagt, dass seine letzte Beziehung über neun Jahre gedauert hat. Ich hatte das irgendwie gar nicht so mitbekommen, war mit meinen eigenen Problemen beschäftigt. Das tut mir voll leid im Nachhinein. Jetzt führt doch tatsächlich diese neue Situation dazu, dass ich meine eigene Familie besser verstehe, bewusster wahrnehme.

                          Wir sprechen alle Facetten nochmal durch. Ich bin gerade extrem am Leiden. Jeder Satz löst Weinen aus! Ich habe schon wieder Migräne! Das hängt alles so eng miteinander zusammen. Migräne löst noch mehr Emotionalität aus. Emotionalität führt zu Migräne. Es ist ein Teufelskreis. Ich äußere schluchzend den Gedanken, der mich quält. Wenn er denn doch der Richtige ist und ich habe was falsch gemacht, ich habe mich nicht genug bemüht, ich muss was machen. Mein Bruder sagt dann einen klugen einfachen Satz, der mit in Erinnerung bleibt. „Wenn er wirklich der Richtige wäre, dann wäre es jetzt mit dir zusammen.“ Das sitzt. Er glaubt nicht an DEN oder DIE Richtige im Leben. Es kann viele tolle passende Menschen geben. Es ist immer die Frage, was man selbst daraus macht. Und es ist die Frage, wie man sich auf diese Beziehung einlässt – oder auch nicht. Es ist eine bewusste Entscheidung. Zumindest nach einigen Jahren, wenn die Verliebtheit gewichen ist und Liebe kommt. Dann sollte man diese bewusste Entscheidung treffen. Lässt man sich bewusst und 100%ig auf die Beziehung ein oder nicht.

                          Das war wohl von meiner Seite der Fall gewesen. Von der Seite meines Expartners nicht. Das Commitment, was ich immer vermisst habe, war nicht da. Das habe ich gespürt, wollte es nicht wahrhaben, habe ihn gedrängt, gestresst, seine Liebe hat gelitten, meine auch, wurde weniger, und da standen wir nun. War er vielleicht beziehungsunfähig? Es wäre so einfach, dass so zu begründen. Nicht wirklich hilfreich, aber emotional irgendwie tröstend. Aus Sicht meines Bruders ist es so. Er hat den Eindruck, dass mein Expartner diese nötige Reife für eine echte verbindliche Beziehung immer noch nicht entwickelt hat. Er ist fast 54 Jahre alt! Hallo?! Das kann doch nicht wirklich sein. Oh doch, das ist keine Frage des Alters, sondern der Einstellung, meint mein Bruder. Er hat schon einige Erfahrungen mit Psychologen durch. Verwendet gerne deren Sätze, die ihn zum Nachdenken gebracht haben, ihm geholfen haben. Auch er war in einer solchen Haltung gefangen. Er fühlte sich nicht bereit, mit seiner langjährigen Freundin damals weiterzumachen, zu heiraten, Kinder zu kriegen. Er kann nichts kritisches über sie sagen. Sie war lieb und nett und sehr committet. Das Leben war schön mit ihr. Aber irgendwas fehlte ihm etwas, was er nicht mal benennen kann. Seiner Meinung nach war es seine eigene Einstellung, die den beiden im Weg stand. Er hatte sich von der vorherigen Beziehung noch nicht richtig erholt, sich nicht genug distanziert, und schleppte das irgendwie mit sich. So genau kann er das gar nicht sagen. Aber das Commitment fehlte. Und auch er hatte seine Partnerin leider sehr plötzlich davon in Kenntnis gesetzt, dass es vorbei ist, von heute auf morgen. Einen tollen Bruder hatte ich da!

                          Aber – er hat daraus gelernt, sagt er. Er war selbst mit der Situation nicht zufrieden. Und er hat bei sich die Fehler gesucht, nicht bei den anderen. Er war lange bei Psychologen und beschäftigte sich mit sich selbst, seinen Bedürfnissen und Gefühlen. Er wollte es besser machen bei der nächsten Beziehung. Sich bewusst auf eine Frau einlassen. Eine reife tiefe Beziehung zulassen. Er sagt, es ist ihm nun gelungen. Mit seiner Partnerin ist er nun vier Jahre zusammen und will auch den Rest seines Lebens mit ihr verbringen. Ehe oder nicht ist eine andere Sache, da er darin auch keine große Bedeutung sieht. Aber Kinder will er mit ihr haben, wenn sie es endlich geschafft haben, sich beruflich in einer Stadt, in einer gemeinsamen Wohnung niederzulassen. Das ist ihre Hauptherausforderung. Ich würde es ihm vom Herzen wünschen, auch wenn er dann nicht mehr in meiner Nähe wohnt. Das wird mir fehlen!

                          Ich versuche nun Schlüsse zu ziehen aus meiner letzten Beziehung. Ich war ja eigentlich auf einem Selbstfindungstrip, habe Fehler bei mir gesucht. Wer suchet, der findet. Es gibt immer Dinge, die man an sich im Umgang mit dem Partner verbessern kann. Ich glaube aber immer mehr, dass wir nicht an diesen Dingen gescheitert sind. Wir waren immer total verschieden. Aber trotzdem haben wir viele sehr glückliche Jahre miteinander verbracht, bevor es anfing zu kriseln. Sein Commitment fehlte mir schon immer und mit jedem Jahr immer mehr. Das hat er aber nie so wahrgenommen. Auch als er glücklich war, stand er sicherheitshalber mal doch einbißchen auf der Bremse, man weiß es ja nie. Und dann schlichen sich bei mir Verhaltungsmuster ein, die für ihn nicht schön waren, wahrscheinlich seine Gefühle nach und nach für mich beschädigten. Der Beginn war aber sein fehlendes Commitment auf unsere Beziehung. Das ist nun immer mehr meine Sicht. Ich werde mich trotzdem bemühen, aus dieser Konstellation zu lernen, daraus für mich Schlüsse zu ziehen. Ich bin nicht glücklich damit zu sagen, er war schuld. Es ist keine Schuldfrage. Ich hoffe nur, dass ich solche Verhaltensmuster früher bei einem Mann erkennen werde. Dem nächsten Mann, der eine Beziehung mit mir eingeht. Welche Vorstellung! Ich muss an die Aussage meines Bruders denken. Es gibt nicht den oder die eine einzige richtige im Leben. Es kommt auf die innere Einstellung an, mit der man eine Beziehung führt. Dann schauen wir mal weiter. Wir gehen nachhause.

                          3.Akt: Der Widder-Freund 


                          Heute Abend ist ein Telefonat mit einem alten Freunde aus Köln geplant. Wir kennen uns schon so lange! Wir haben mal zusammen ein Praktikum gemacht und lagen gleich auf einer Wellenlänge. Als Mann war er definitiv nicht mein Geschmack. Er hatte mich auch irgendwann mal als Frau abgeschrieben und sich auf die Freundschaft konzentriert. So kannten wir uns nun fast 20 Jahre. Und in denen haben wir einige emotionale Highlights aus dem Leben des Anderen miteinander ausgestanden. Wir waren uns als Typen sehr ähnlich. Was für ein Zufall – er war auch Widder! So rational wie er über Gefühle sinnierte war schon beängstigend. Aber genauso ging ich wohl damit um. Er war mein Spiegelbild und umgekehrt. Auch deswegen wäre er mir als Partner nie in den Sinn gekommen, aber umso mehr als Freund, der mich versteht und den ich verstehe. Er hatte eine lange Beziehung gehabt mit einer viel jüngeren Frau, die aber sehr gut zu ihm gepasst hat. Ich habe gedacht, die beiden heiraten mal und kriegen Kinder. Er hatte das auch mal gedacht. Sie waren sogar verlobt. Und dann war sehr plötzlich aus dem nichts heraus Schluss! Und zwar von ihrer Seite. Über Nacht hatte sie die Koffer gepackt und ist ausgezogen. Aus und vorbei der Traum von der gemeinsamen Zukunft. Er war ziemlich am Boden zerstört gewesen. Es ist nun fast drei Jahre her. Wir haben damals viel telefoniert und philosophiert. Langsam geht’s bei ihm wieder. Die Partnerin fürs Leben hat er aber immer noch nicht gefunden. Und jetzt liege ich am Boden. Und er ist dran, mich aufzusammeln.

                          Er hört erstmal sehr genau zu. Wir haben uns vor fast zwei Jahren das letzte Mal gesehen. Zwar haben wir dazwischen mal telefoniert, aber nicht so häufig. Wir waren die letzten zwei Jahre in einer völlig anderen Lebenssituation. Er war allein, enttäuscht und wollte die Traumfrau finden, um mit ihr Kinder zu bekommen. Ich war glücklich in einer neuen Beziehung auf der Suche nach dem Traumhaus. Da hatten wir nicht so viele Gemeinsamkeiten, der Kontakt war sporadisch. Er hatte ganz viel von meinem Exfreund nicht mitbekommen. Nur einmal haben wir ihn zusammen besucht für eine Party. Da konnte mal nicht so viel austauschen. Ich muss also noch viele Fakten austauschen, aber auch viele schmerzhafte Gefühle erklären, damit er weiß, wo ich stehe. Die Parallelen zu seiner damaligen Trennung waren sehr groß. Auch er schien an eine Frau geraten zu sein, die ihre Gedanken und Gefühle lieber für sich verarbeitete, um dann die Endrechnung zu präsentieren. Ich fand es immer lustig, wie er von seinen „Frauengeschichten“ erzählte. Hier und da hatte er immer eine interessante Kollegin gehabt, die ihn irgendwie beschäftigte. Er hatte niemals seine Freundin betrogen, da war er wirklich weit weg von. Aber keiner ist von einer Verliebtheit gefeit, auch in einer langen Beziehung. Das passiert nun mal! Er hatte die zwei Mal, von denen ich das wusste, immer die Kurve rechtzeitig bekommen und es ist nie was passiert. Aber er hatte das immer genussvoll erzählt in epischer Breite und Tiefe. Auch seiner Freundin. Wie sie dazu stand, war schwer zu sagen. Diese Schwärmereien in einer längeren Beziehung waren normal aus seiner Sicht. Tut dem Partner natürlich nichtsdestotrotz weh, davon zu hören. Vielleicht hatte auch diese Transparenz dazu beigetragen, dass es bei ihnen zu Ende ging. Warum es nur so plötzlich, aus seiner Sicht unerwartet sein sollte, hat er nie verstanden.

                          Er ist ein Macher wie ich. Er wollte die Ärmel hochkrempeln, alles auf den Tisch legen und es lösen. Genauso hatte ich mir das ja auch vorgestellt. Genau wie ich wusste er, dass es damals bei ihnen nicht rund lief hier und da. Aber genau wie ich hatte er sich die Dimension nicht vorstellen können, die die Probleme damals bei ihnen einnahmen. Auch er hatte die beiden als eine unzerstörbare Einheit gesehen. Sie waren verlobt. Hochzeit war in Planung. Und dann war sie einfach weg, von heute auf morgen. Wir hatten viele Parallelen. Bei mir standen wir kurz vor dem Haus. Bei ihm damals kurz vor der Hochzeit. Und dann hatte der anderen kalte Füße bekommen und ist gegangen. Und wieder wären wir bei dem Commitment, was der eine Partner hat, der andere aber nicht mehr, es aber lange weiter vorgibt. Auch hier lagen wahrscheinlich die Gefühle nicht so unterschiedlich auf beiden Seiten. Die Liebe hatte nachgelassen. Aber das Commitment war auf der einen Seite da, auf der anderen nicht mehr. Und dann war Schluss. Überraschend und endgültig.

                          Er ist der einzige und der erste, der mich immer wieder fragt, was ich denn will. Nach zwei Wochen spricht er mir es ab, dass ich das jetzt schon wirklich weiß. Und wenn ich doch um ihn kämpfe? Offensichtlich kommt ja von ihm nichts. Aber warum soll ich denn dann kämpfen? Ich habe das doch die letzten Jahre schon gemacht. Ich habe im Moment Null Interesse, um irgendjemanden zu kämpfen. Ich will nur, dass der Schmerz vorbeigeht. Dass ich wieder zu mir finde. Normal mein Leben und meinen Alltag führen kann, ohne alle paar Minuten weinen zu müssen. Das ist mein innigster Wunsch. Ja, ich kann leider nicht behaupten, ich würde NEIN sagen, wenn mein Exfreund auf einem Pferd angeritten kommen würde in edler Rüstung mit einem Blumenstrauß und einen Ring – wie im Film: „Pretty Woman“ damals. Und wenn er auf die Knie gehen würde, na ja, da könnte ich doch nicht nein sagen. Auch wenn ich weiß, dass ich das tun sollte, da so viel schon zerstört worden ist und aus diesen Scherben nichts Neues entstehen kann. Aber diese Wahrscheinlichkeit ist so dermaßen gering, dass ich wirklich noch keinen Gedanken daran verschwendet habe. Aber Christian will in alle Richtungen denken. Rät mir, ja keine destruktiven Aktionen zu unternehmen. Wer weiß, wie das Leben sich weiterentwickelt. Alles gut. Das habe ich ja auch nicht vor. Das einzige emotional destruktive, was ich bisher gemacht habe, war der „Ich vermisse dich“-Satz. Den hätte ich mir sparen können, habe es aber nicht geschafft. Ich gelobe Besserung. Es ist schon wieder elf Uhr nachts. Wir müssen aufhören. Morgen ist mein erster bewusster Arbeitstag nach der Trennung. Er hat Urlaub – allein, er hasst das. Vielleicht kommt er mich ja besuchen. Ich schlafe ein.

                          Tag 16 - Montag


                          Der Tag fängt wieder früh an, heute besonders früh – um 4:30! Ich könnte durchdrehen. An Schlaf ist sofort nicht zu denken. Aber heute kommt was Besonderes, meine Migräne Prophylaxe! Ich sitze fast zwei Stunden beim Neurologen, während die Infusion mich in einen neuen Menschen verwandelt – so die Hoffnung. Er kommt rein zum Abschluss. Ein sehr sympathischer Mann, der in seinem Beruf definitiv richtig ist. Er fragt mich, wie es mir geht, ganz normale Frage an alle seine Patienten. Ich heule sofort los. Erzähle in wenigen Sätzen die Geschichte. Seine Verwunderung werde ich nicht vergessen: „Wie ganz plötzlich? Sie haben nichts geahnt?“ Ich finde das so unsagbar schmerzhaft, aber auch peinlich, wenn ich diese Überraschung äußern muss. Ich habe wirklich nichts geahnt, oder wollte es mir nicht eingestehen. Wie dumm muss die Frau nur gewesen sein, werden sich alle denken. Alle, die mich weniger kennen. Alle, die nicht wissen, dass ich über Gott und die Welt reflektiere, alles hinterfrage. Auch ihn damals, aber ohne Erfolg. Ich schäme mich, ich heule. Ich drücke ihm meinen Antrag auf eine Reha in die Hand, die er mir schon vor langer Zeit empfohlen hat. Ich werde sie nun so richtig brauchen. Ich versichert sofort empathisch, dass er mich so gut wie möglich dabei unterstützen wird. Er wirkt wirklich bestürzt. Ich glaube, er mag mich.

                          Zuhause versuche ich meinen ersten Arbeitstag im Home Office. Es bleibt bei dem Versuch. Ich schaffe es sehr erfolgreich, meiner Chefin mit der einen Gehirnhälfte zuzuhören, und mit der anderen erfolgreich weiter zu leiden und an ihn zu denken. Schaffen das nur Frauen? Er kann sich bestimmt ganz toll mit der Arbeit ablenken. Ich nicht. Nicht mal das gelingt mir. Die Migräne Infusion gibt mir sofort einen Energieschub. Der Kopfschmerz, der seit zwei Tagen wieder wütet, ist weg. Ich bin nur unsäglich müde von dem frühen Aufstehen. Aber irgendwie trotzdem voller Energie. Destruktiver Energie. Ich will etwas unternehmen, irgendwie aktiv werden. Ich will zu ihm fahren, mich vor seine Tür stellen und ihn mit mir und meinen Gefühlen konfrontieren. Wofür auch immer! Es ist mir egal. Ich verspüre einen unfassbaren Aktivitätsdrang, das Bedürfnis, voranzukommen. Meine Hände und Füße kribbeln sogar, das ist beängstigend.

                          Meine Tochter kommt von der Schule nachhause, mein Sohn wird auch bald da sein. Aber auch das würde mich nicht abhalten. Meine Mutter könnte ja auch auf die Kinder aufpassen, während ich mich vor seiner Tür entwürdige. Ich merke, dass die Müdigkeit mich nun aber komplett übermannt. Ich glaube, ich könnte jetzt nicht mal Auto fahren. Und vor allem möchte ich aus der Position der Stärke im gegenüberstehen, wenn ich schon heulen muss. Das geht heute nicht. Ich füge mich in mein Schicksal. Aber – ich muss wenigstens schreiben, davon kann ich mich einfach nicht abhalten. Meine kleinste Form der Aktivität, die ich mir gönne. Ich schreibe gefasst, so kommt es mir zumindest vor. Ich erzähle ihm davon, dass alles natürlich zum Besseren ist – ja irgendwie ja schon ironisch. Und ja, ich werde bald die Vorteile in allem erkennen.  Und ja, es wird noch ironischer. Ok, ich bin nicht gefasst! Ich erkläre ihm meine Bewunderung dafür, dass er so scheinbar gelassen mit der Trennung umgeht. Ich beneide ihn. Ich entschuldige mich dafür, dass ich im Moment nicht auf die Kommunikation verzichten kann. Und warte.

                          Abends telefoniere ich mit einer Freundin aus der Arbeit. Wir kennen uns schon so lange. Sind nicht nur Kolleginnen, sondern auch verbunden, was unsere Trennungen angeht, unsere Scheidungen mit Kindern. Sie hat ihre letzte Beziehung nun vor sechs Monaten hinter sich gebracht. Hat sich jetzt erst erholt von den gemeinsamen zwei Jahren, die recht toxisch abliefen. Der Mann, den sie ebenfalls im Internet kennengelernt hatte, hatte ein zu großes eigenes Päckchen zu tragen. Er wurde von seiner Frau betrogen, die dann ihn auch noch aus seinem eigenen Haus rausekeln wollte. Mühsamer Kampf um die Kinder ging los. Ein Kampf um das Haus. So viele Kämpfe. Meine Kollegin hat einigen mit ihm durchgemacht in den letzten zwei Jahren. Sich aufgerieben, während sie ihm geholfen hat. Aus meiner Sicht war sie nur wenige Monate mit ihm glücklich, dann ging es schon bergab. Wie sie von ihrer Beziehung gesprochen hat, so sah keine glückliche Verbindung aus. Ich dachte immer, es ist eine Frage der Zeit, bis die beiden nicht mehr können miteinander. Und ich hatte recht – toll! Irgendwie ging man auseinander, ohne Drama, aber doch nicht ganz ohne Schmerzen. Auch ihm fehlte das nötige Commitment, eine neue Beziehung wirklich einzugehen. Die Trennung von der Ehe war noch zu frisch. Das konnte nicht gutgehen. Nun war sie Single, fühlte sich auch richtig frei nach mehreren Monaten. Und konnte sich nun auf meine Probleme konzentrieren.

                          Ich hatte ihr schon vor einer Woche damals geschrieben und die Geschichte in sehr kurzer Form wiedergegeben. Sie wartet nun die Langversion ab und war verblüfft. Sie hatte mit zwei Alternativen gerechnet. Entweder hat einer den anderen betrogen. Oder es gab einen Riesenstreit. Sie dachte echt wie ich! Beides muss ich verneinen. Es war unspektakulär. Unerwartet. Sie ist sichtlich irritiert. Versteht nichts. Sie fragt die gleichen Fragen, wie auch schon meine neunjährige Tochter, die wissen wollte, warum er denn die ganze Zeit das Haus mit uns gesucht hat. Warum er den Mut und Anstand früher bei sich nicht entdeckt hat, statt uns Monate lang hinzuhalten und mir was vorzumachen, sich was vorzumachen. Wie kann man denn nach den ganzen Jahren, nach fast sechs Jahren, feststellen, dass man doch mit dem falschen Menschen zusammen ist? Konnte er das nicht nach bereits drei oder vier Jahren erkennen? Was war denn nun los mit ihm? Fragen über Fragen, die eher rhetorischer Natur waren. Fragen, die auch ich ihr nicht beantworten kann. Ich kann mir sie selbst nicht beantworten. Es ist wieder fast elf. Ich bin schon zittrig vor Müdigkeit und muss auflegen.

                          Er schreibt erst spät nachts zurück. Ergießt sich erstmal in Selbstmitleid, geißelt sich selbst, wie schlecht er doch war und ist. Jammert aber auch darüber, dass er mir nun mal wehtun musste. Das Wichtigste – er hat meine Ausführungen gelesen. Bewundert meine Selbstreflektion, meinen ach tollen Schreibstil. Er war früher mein größter Fan bei der Website über das Wechselmodell mit den Kindern. Er sagt, dass er nicht bewusst die Kommunikation einstellen wollte. Er wusste aber auch nicht, was man nach einer solchen emotionalen Darlegung Richtiges sagen sollte. Da! Mein Lieblingssatz: „Was soll ich sagen?“. Den habe ich ja vermisst! Aber irgendwie schöpfe ich wieder Hoffnung, warum auch immer! Ich habe das Gefühl, dass mein Geschriebenes ihn irgendwie erweicht hat, zum Nachdenken gebracht hat. Irgendwie habe ich das Gefühl, das Ende ist noch nicht gekommen. Woher auch immer das kommt? Wieviel kann denn ein verletztes Herz nur reininterpretieren?

                          Ich denke nur kurz nach und schreibe zurück. Ich erwähne nochmal, dass ich froh bin nicht über das verdammte Haus reden zu müssen. Der einzige Vorteil der Lage. Dann kann ich nicht umhin darauf hinzuweisen, dass es mir extrem dreckig geht. Wundere mich nochmal über den plötzlichen Verfall seiner Gefühle. Wie es ihm wohl die letzten Monate so erging? Dann quälte ich mich in den Schlaf. Es ist schon fast eins.

                            Tag 17 - Dienstag


                            Ich wache wieder Punkt fünf Uhr auf. Ich denke, mein Körper hat es einfach verlernt, zu schlafen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass er zurückgeschrieben hat. Na dann kann ich es definitiv vergessen, wieder einzuschlafen. Das Jammern geht weiter. Er ergießt sich nochmal darüber, wie sehr er bedauert, dass sich seine Gefühle geändert haben. Wie sehr er zerrissen war, wie sehr er gelitten hat, wie er nicht schlafen konnte monatelang. Er redet von sich als wäre er eine andere Person. Er verachtete seinen Körper, weil dieser nicht genug Gefühle für mich empfindet. Das klingt alles so irritierend und irgendwie verächtlich. Wo war ich denn als er das alles empfand bzw. nicht empfand? Dieses Leiden? Ich bin irgendwie sprachlos von den Ausführungen. Wir hatten in den letzten Monaten eine total normale intakte liebevolle Beziehung. Ich zweifle wirklich an meiner eigenen Wahrnehmung. Wo war ich denn während er sich so zerrissen gefühlt hat? Bin ich so unsensibel? Warum habe ich nichts gemerkt? Er war nach wie vor liebevoll und aufmerksam, zugewandt und emphatisch. Kein böses Wort, kein Streit. Wir haben richtig fleißig nach Häusern gesucht. Planten wieder den nächsten Kurzurlaub im Sommer. Ich bin doch nicht so bescheuert, dass ich das alles nicht gesehen habe, sehen wollte. Das allererste Mal fühlt er sich wie ein völlig fremder Mensch ab! Ich kenne diesen Menschen nicht, der diese Zeilen schreibt. Der Mann, den ich geliebt habe, hätte so was nie gemacht. Er hätte mir nie auf diese Art und Weise das Herz gebrochen. Er hätte das Wohlergehen anderer vor seine Bedürfnisse gestellt. Dieser Mensch aber, der diese Zeilen gerade schreibt, das ist nicht er! Das ist nicht der Mann, den ich geliebt habe. Er fühlt sich wie ein wildfremder an und redet über irgendein Paralleluniversum, in dem er sich die letzten Monate befunden hat. Ich war bei ihm dort nicht dabei. Ich habe diese Entwicklung nicht gesehen.

                            Das allererste Mal spüre ich, dass ich mich in diesem Menschen komplett geirrt habe! Auch ich, auch nach so langer Zeit. Ich kenne diesen Mann nicht. Ich glaube aber auch, dass er sich selbst nicht richtig kennt. Es hört sich nach massiven physischen Problemen an, es hört sich irgendwie krank an. Ich weiß, es wäre eine einfache Flucht vor der Wirklichkeit für mich, wenn ich ihn als nicht normal sehe. So würde ich keine Schuld bei mir suchen. Das will ich ja eigentlich vermeiden, etwas aus der ganzen Sache lernen. Aber im Moment fühle ich mich - endlich derart distanziert von ihm – das ist so erleichternd! Ein wunderbares Gefühl! Diesen geliebten Menschen gibt es einfach nicht mehr. Genauer gesagt, hat es denn so nie gegeben. Es war ein Trugbild. Eine Einbildung. Ein Podest auf das ich ihn gestellt habe. Ich habe mich geirrt.

                              Tag 18 - Mittwoch


                              Heute ist mein erster Arbeitstag im Büro seit der Trennung. Ich bin sehr gespannt, wie ich mich schlage. Ich bin geschminkt und kann mir keine großen Tränen leisten. Ich laufe die Treppe hoch. Kein Aufzug. Ich habe es mir noch nie leicht im Leben gemacht. Es ist der vierte Stock und eine sehr anspruchsvolle Treppe. Ich bin nach der Hälfte schon fix und fertig. Ich erinnere mich an damals. Damals vor mehr als fünfzehn Jahren hatte mein Vater meine Mutter über Nacht verlassen, weil er eine andere Frau kennengelernt hatte. Und nur zwei Wochen später hatte mein damaliger Freund sich genauso überraschend von mir getrennt nach immerhin zwei Jahren Beziehung. Das war der absolute Supergau damals in unserem Leben. Ich musste meine Mutter stützen, die komplett am Boden lag. Und nun hatte man mir selbst den Teppich unter den Füßen weggezogen. Wo sollte ich damals irgendeine Kraft finden. Aber ich fand sie! Nicht sofort, aber ich ließ es nicht zu, dass die beiden Männer mein Leben zerstören. Ich habe damals stark abgenommen und war so schwach, dass ich die Treppe in meine Wohnung, die im 4.Stock lag, nicht ohne Pause schaffen konnte. Zuerst nicht! Aber nach wenigen Wochen ging es wieder! Ich kam hoch, ohne zusammen zu brechen. Und ich habe damals im Studium das beste Semester überhaupt gehabt, alles nur Einsen. Ich kann es schaffen. Auch jetzt!

                              Ich schleppe mich mit Pausen hoch. Eine einzige Kollegin sitzt da, ein gefühlvoller Krebs. Ich kenne sie schon seit vielen Jahren. Wir haben oft in verschiedenen Jobs zusammengearbeitet und uns immer sehr gut verstanden, offen ausgetauscht, insbesondere über Männer. Sie hatte damals kein Glück mit ihnen und auch jetzt sieht es nicht besser aus. Aber sie scheint glücklich zu sein. Fragt, wie es mir geht. Und zack – bekommt ohne, dass sie es wollte die ganze Geschichte aufgetischt. Leider von ein paar Tränen begleitet. Wir stehen zusammen in der Raucherecke. Sie ist schmächtig ohne Ende und raucht wie ein Schlott. Sie ist etwas älter als ich und sieht nicht schlecht aus. Und sie sagt, sie ist seit dreizehn Jahren bereits Single! Ach du scheiße! Ich vergesse meine Probleme, therapiere zurück. Sie will sich auf dieses Hoch und Runter der Gefühle nicht mehr einlassen. Das ist zu schmerzhaft, wenn es jedes Mal zu Ende geht. Wie frustrierend! Sie ist es leid, weiter zu suchen. Ist auch nicht mehr offen für Beziehungen. Aber sie scheint so glücklich zu sein. Oh Gott, so werde ich niemals sein. Beziehungen brauche ich wie die Luft zu atmen. Ich bin nie mehr als einige Monate allein gewesen. Ich fühle mich dann immer ganz elendig, unausgefüllt. Egal, was ich sonst im Leben habe, das reicht mir nie. Ich brauche die Geborgenheit einer Beziehung. Ich will einen geliebten Nummer eins Menschen haben. Ich kann nicht ohne, nicht ohne Beziehung, gerade nicht ohne ihn. Gerade ist die Erinnerung an ihn so stark, dass er und Beziehung gleichgesetzt sind. Eine Vorstellung einer Beziehung ohne ihn ist so unrealistisch. So fern. Aber das ist normal, das weiß ich. Und ich weiß, dass ich immer auf der Suche sein werde, bis ich einen neuen IHN finde. Nein, dreizehn Jahre allein werden nicht meine Zukunft sein.

                              Auch andere Kolleginnen bekommen heute was ab von meinem Glück. Ich kann nicht alle anjammern, aber die wichtigsten Kollegen muss ich informieren. Ich muss denen klar machen, dass ich gerade nicht funktioniere. Sie sich leider nicht so ganz auf mich verlassen können. Meine Widder-Kollegin ist die nächste am späten Nachmittag. Sie hat selbst die Hölle auf Erden durchgemacht, als ihr Mann, der ebenfalls bei unserer Firma ist, letztes Jahr sich mit Burnout für mehrere Monate verabschiedet hat. Das war so schlimm, da vor allem die ganze Firma ihr Elend live mitbekommen hat. Er war in der Geschäftsführung, aber nicht vor solchen Problemen gefeit. Ich habe so gut wie ich konnte vor einem Jahr ihr geholfen, sie bei der Arbeit unterstützt. Aber sie ist ein Arbeitstier, sie hat sich reingestürzt und sich abgelenkt so gut es ging. Es waren zwar etwas anders gelagerte Probleme, aber sie haben auch als Paar natürlich unter all dem gelitten. Er war einige Wochen in der Klinik. Konnte und wollte über gar nichts reden. Naja, das kannte ich auch, Männer, die nicht reden wollen und können. Sie ist gestresst. Muss aus unserem Gespräch immer wieder raus und jemanden zurückrufen. Es ist hektisch. Aber Hauptsache ich bin abgelenkt. Sie wechselt bald den Job. Ich muss einige Wochen von ihr Aufgaben übernehmen, bis die Nachfolgerin da ist. Das wird hart. Im Moment bekomme ich nicht mal meine eigene Arbeit auf die Reihe.

                              Die nächste Kollegin ist ein junges Schütze-Mädchen von gerademal 23 Jahren. Sie muss auch Bescheid wissen, sie wird Sachen übernehmen müssen. Ich muss ihr erklären warum. Sie hat auch eine krasse Lebensstory hinter sich. Es ist auch nicht lange her, dass sie wieder Single ist. Aber gut, sechs Monate reichen schon aus, um von einer 2-Jahres-Beziehung wegzukommen, zumindest in diesem Alter. Aber wie dreist war es nur damals! Er hat sie mehrmals betrogen, als er im Ausland gewesen ist. Und es zwischendurch mal einfach so ihr erzählt, so im Rahmen von Smalltalk. Wollte auch weiter mir ihr zusammenbleiben. Hammer dreist! Für sie war natürlich Schluss. Sie war sofort weg und hat auch nicht wieder zurückgeschaut. Sie versteht mich schon. Sie ist sehr lieb und sehr fähig. Ich werde sie brauchen. Es tut mir so leid, alle involvieren zu müssen. Aber wenn ich still vor mich hin leide und erwarte, dass mich jeder versteht und Rücksicht nimmt, dann muss ich die Leute auch involvieren. Es war ein erfolgreicher Arbeitstag. Mit einigen Tränen. Aber das werden erstmal die letzten Tränen auf der Arbeit sein. Zumindest hier lerne ich mich besser zusammenzureißen.

                              Tag 19 - Donnerstag


                              Ich fühle mich ausgeschlafen, die Uhr zeigt 5:17. Schon wieder ein Geräusch? Keine Ahnung. Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie schnell das Gedankenkarussell wieder anspringt. Ich denke viel über seine letzte Nachricht nach. Es ist so schmerzhaft zu lesen, wie er mir mit blühenden Worten und voller Schuldbewusstsein beschreibt, dass seine Gefühle nachgelassen haben. Wie stark denn? Mir fehlt einfach die Vorstellungskraft. Mir ging es einfach so anders an seiner Seite. Meine Gefühle waren doch auch nicht mehr auf dem Höchststand. Aber ich fand das alles normal. Völlig normal. Die Vertrautheit, die Wärme – alles war noch da. Wir waren keine WG, ganz sicher nicht. Was ist passiert?

                              Ich befrage wieder Google nach Antworten. Ich gebe ein: „sich entlieben nach langer Beziehung“. Ich versuche, ihn zu verstehen. Diese Seite finde ich faszinierend, dastehen viele meiner Gedanken und Gefühle drin: www.onmeda.de/gesundheit/partnerschaft/entlieben-id202753/


                              „Dass die Verliebtheit im Laufe einer Beziehung nachlässt, ist also unausweichlich?

                              Penke: Es gibt auch Paare, bei denen dieser Zustand länger hält, weil sie sich selten sehen oder es schaffen, einen Teil der anfänglichen Unsicherheit und Spannung aufrechtzuerhalten. Aber in der Regel lässt die Verliebtheit bereits innerhalb des ersten Beziehungsjahres nach. Das heißt aber nicht, dass man sich entliebt. Im Idealfall geht die leidenschaftliche Liebe in eine tiefere Bindung über. Der Partner wird verlässlicher, vorhersagbarer, ein sicherer Hafen.“

                              Das klingt nicht besonders romantisch.

                              Penke: Vielleicht nicht romantisch im aufregenden Sinne, aber vertraut und sicher. Tatsächlich hat die kameradschaftliche Liebe viel Ähnlichkeit mit der Eltern-Kind-Beziehung. Vor allem die Bindung zwischen Mutter und Kind hat sich im Laufe der Evolution als stabil und sicher erwiesen.“


                              Den Vergleich mit der Beziehung zwischen Mutter und Kind finde ich faszinierend. Genauso habe ich das vor ein paar Tagen empfunden. Ich habe ihm vertraut, ihn als verlässlich und vorhersagbar erlebt. Eine tiefe Bindung bin ich zu ihm eingegangen. Man kann nicht sagen, ich habe ihn als selbstverständlich empfunden, das wäre so negativ. Er war es nicht! Aber unsere Beziehung habe ich als unlösbare Einheit empfunden. Verbunden mit dem Gedanken, dass man natürlich an allem arbeiten könnte, was einem in die Queere kommt. Man kann doch aus einer solchen Vertrautheit nicht einfach ausbrechen?


                              „Dennoch kommt es immer wieder vor, dass selbst stabile Partnerschaften in die Brüche gehen. Wie lässt sich das erklären?

                              Penke: Die Bindung wird schwächer, wenn das Vertrauen verloren geht. Dafür kann es verschiedenste Gründe geben – Verheimlichungen, Vernachlässigungen, Lügen, Untreue. Wenn man das Gefühl hat, sich auf den Partner nicht mehr verlassen zu können, hat man von der Beziehung nichts mehr, die Kosten-Nutzen-Rechnung fällt negativ aus.“


                              Das Vertrauen verloren? Wann? Ich habe ihm vertraut – er mir nicht mehr? Das einzige oben zutreffende Stichwort ist Vernachlässigung. Das hätte ich noch durchgehen lassen. Wir haben in letzter Zeit wenig aktiv miteinander unternommen. Aber sich oft in der Woche zu sehen, den Abend miteinander zu verbringen, zu essen, viel zu reden, sich zu umarmen. Und dann jeden Tag zu telefonieren, wenn man sich nicht sieht. Das war doch keine Vernachlässigung? Nach diesen Kriterien müssten 90% der Ehen geschieden werden, wenn sich das Paar vor lauter Alltagsaufgaben aus den Augen verliert. Aber das ist doch nicht der Fall? Man arbeitet doch an der Ehe. Aber der Beziehung nicht? Nach sechs Jahren zusammen nicht? Was ist nur schief gegangen?

                              Ich spüre, dass eine Art Urvertrauen in mir zerbrochen ist. Ich habe Angst, dass das so bleibt. Das ich „beschädigt“ bin für jede neue Beziehung. Ich möchte das nicht! Ich möchte nicht, dass ein Mensch einen solchen Fußabdruck in meiner Seele hinterlässt, mich kaputt und misstrauisch zurücklässt. Das ist so unfair! Ich lasse mich nicht prägen! Ich werde gegensteuern – sich entlieben als ersten Schritt, aktiv!


                              „Penke: Wenn man den Partner nach der Trennung noch liebt, liegt es meist daran, dass die Vertrautheit noch da ist. Man glaubt weiterhin, sich auf ihn verlassen zu können. Um sich zu entlieben, muss man sich von diesem Vertrauen lösen. Erinnerungsstücke sind dabei hinderlich, weil sie einen an Situationen denken lassen, in denen die Beziehung verlässlich und stabil war. Mehr an die negativen Seiten der Beziehung zu denken, ist in dieser Situation sinnvoller, weil es die eigenen Zweifel am Bindungsverhältnis verstärkt und einem hilft, sich davon zu lösen.“


                              Ich habe verstanden, dass ich mich nicht auf ihn verlassen kann. Ich muss es nur mehr verinnerlichen. Erinnerungsstücke sind aber überall, auch immaterieller Natur. Diese bekomme ich nicht weg. Das klingt so einfach, an die negativen Seiten der Beziehung denken. Mit fallen auf den ersten Blick fast keine ein. Ich wusste, er ist anders und geht anders an Sachen heran. Ich habe das mehr oder weniger akzeptiert. Seine Handlungen waren das eine. Aber seine Art, der Mensch, der er war, wenn ich alle Geschenke, Ausflüge, Liebesbeweise, alles wegdenke – einfach nur die Art, wie er dachte und sprach, was er alles wusste, wie er das ausdrückte – das alles war die kostbare und durchgehend positive Erinnerung. Und davon war leider nichts schlecht. Es war teilweise anders als ich, aber genau das empfand ich als Ergänzung. Nur seine mangelnde Entschlusskraft, das war das einzige Damoklesschwert, was über uns hang, was meine Liebe verdüsterte. Ja, ich könnte an die Chance denken, einen Mann kennenzulernen, der mich richtig wollte und es auch zeigte, bei dem ich sicher sein konnte, dass er mich will. Aber gäbe es jemals diese Sicherheit? Ich habe doch sie bei ihm auch mal verspürt und dann verloren. Ich kann aus dem Ratschlag gerade leider nichts machen.

                              Es ist sechs. Der Tag geht los. Es war nur der Anfang.

                                Tag 20 - Freitag


                                1.Akt: Das Informationsaustauschproblem


                                Unfassbarerweise ist es fast sechs Uhr früh. Na gut, gestern ging es nur mit Schlaftabletten. Daher fühle ich mich auch gerädert. Anstrengend! Ich frage mich, wann der Tag kommt, wo meine ersten Gedanken beim Aufwachen nicht ihm gelten. Ihm, uns, der Lage. Warum brauchen das Gehirn und das Herz nur solange? Ok ok, es sind nicht mal drei Wochen. Aber wie gut wäre es denn, wenn das Ohr einfach die Info bekommt: „Er liebt dich nicht mehr.“ Und dann gibt das Ohr es einfach ans Gehirn weiter. Das Gehirn denkt: „Ok, es macht dann keinen Sinn zurückzulieben.“ Und dann geht die Info ans Herz. Und das Herz entliebt sich halt. Zack – vorbei. Ich bin ein Kopfmensch. Ich verstehe es ja vollkommen, dass die Gefühle sich nicht mehr lohnen. Aber diese Diskrepanz im Kopf! Sie macht mich wahnsinnig! Ich glaube, dass ich meistens im Leben ahnte, wenn große Veränderungen anstanden. Wenn man sich in einer Beziehung entfernt hat. Es war fast immer auf beiden Seiten. Es war schmerzhaft, aber es war nicht überraschend. Ich musste nur Schlussforderungen aus der Situation ziehen, Entscheidungen treffen, die Beziehung zu beenden. Aber noch nie war ich in so einer Herzschmerzsituation wie jetzt. Ich bin 42, ich habe schon einige Erfahrungen im Leben gehabt. Aber noch nie eine solche! Nicht nach einer so langen ernsten Beziehung von fast sechs Jahren. Nicht nach so einer so tiefen Bindung. Von einem Menschen, der fast 54 ist, und der doch eigentlich auch wusste, was er wollte. Das alles fügt sich in meinem Kopf einfach nicht richtig zusammen! Ich glaube, das ist auch das Problem, warum mein Gehirn die Meldung ans Herz nicht vernünftig weitergibt. Hier ist ein Informationsaustauschproblem! Ein massives! Das Hirn muss einfach mehr begreifen! Ich muss unbedingt bald mit ihm sprechen. Wir haben seit drei Wochen nun nicht miteinander telefoniert oder gar uns persönlich gesehen. Ich rede immer wieder mit mir selbst. Ich schreibe. Aber mit ihm gibt es nur einen sporadischen Austausch per WhatsApp. Und keine Kontaktaufnahme kommt von ihm! Nichts. Ich bin hier nicht enttäuscht, ich habe nichts anderes erwartet, ehrlich! „Was soll ich denn sagen?“, ist mein bekannter Hass-Satz, war er schon immer gewesen. Und ich weiß, dass er überhaupt nicht weiß, was er sagen soll. Was soll man denn auch einer Frau sagen, die man nach einer so langen Zeit einfach über Nacht verlassen möchte, während man noch am Morgen über den Kauf eines gemeinsamen Heims gesprochen hatte? Was soll man denn sagen? Das ist etwas, was mein Hirn gottseidank versteht. Es kann nichts sagen. Jede Kontaktaufnahme würde ich falsch verstehen können. Das will er vermeiden. Aber das wird er nicht dauerhaft vermeiden können. Ich habe noch viele Sachen, die ich bei ihm abholen möchte und werde. Ich werde ihm demnächst schreiben und ein Treffen vorschlagen. Schon bald.

                                Ich glaube, ich brauche auch den Kontakt, um zu verstehen, dass er ein ganz anderer Mensch ist als ich in Erinnerung habe. In meiner Erinnerung ist alles so rosarot. Keine bösen Gedanken an unschöne Szenen, von denen es objektiv nun mal leider nur wenige gab. Aber in meiner Erinnerung ist er der perfekte Mann, der perfekte Partner. Es wird niemals jemanden geben, der an ihn herankommt. Keiner wird mich jemals so zum Lachen bringen durch seinen besonderen Humor, der einfach zu 100% zu meinem gepasst hat. Durch sein enormes Wissen, was ich geliebt habe, und was er so charmant eingesetzt hat. Wissen ist sexy! Das hatte ich noch nie so gedacht. Durch seine Art, mich zu behandeln, „Like you′re touching the wings of a butterfly”, eine Zeile aus einem meiner Lieblingslieder von Faith Hill, Beautiful. So respektvoll, so rücksichtsvoll – so unfassbar hart am Ende!

                                Aber ich weiß, es ist naiv und falsch zu denken, er ist der Einzige, der das jemals schaffen würde. Ich bin keine 16 und keine 26, die Verliebtheit wird auch zu einem anderen Mann wiederkommen, in Liebe übergehen. Es gibt nicht den einen einzigen Richtigen! Irgendwie will ich das immer wieder glauben als krasse Romantikerin! Aber ich weiß tief im Inneren ja doch, dass das nicht so ist. Ich werden auch den nächsten Richtigen finden. Ich muss nur irgendwie die nächsten Wochen und Monate überleben. Überleben ist alles. Ich stehe auf.

                                  2.Akt: Die Kontaktaufnahme


                                  Ich bin bereit. Ich will ein Treffen. Noch mehr Sachen abholen. Ihn sehen. Mein Leiden in die Länge ziehen. Ich schreib ihm kurz und neutral, dass ich am Sonntag gerne vorbeikommen möchte. Ob er wohl zusagt? Was dabei in ihm vorgeht? Welche Reaktion von ihm sagt mir was? Ich sage auch dass ich reden möchte. Dass ich meine Monologe nicht ertrage. Ich möchte transparent sein.
                                  Ich sitze in der Zirkusvorstellung meiner Tochter. Sie hat viel mit der Schule geübt. Sie ist aufgeregt. Ich bin wieder ganz wo anders. Nicht in der Gegenwart. Nicht im Zirkuszelt. Meine Gedanken sind in der Vergangenheit, sind bei ihm, mit ihm, wenigstens in den Gedanken. Es ist so belastend, dass es jeden Tag schwankt. Meine Stimmung ist so schwer vorherzusagen. Und es ist überhaupt kein Trend zu erkennen. Ich kann mich nicht auf einen guten Tag verlassen. Der nächste kann wieder richtig schlecht sein.
                                  Er schreibt zurück. "Hallo Paulina". Wer ist das? Wann hat er mich letztes Mal so genannt? Vor fünf Jahren? "Paulina, räum dein Zimmer auf!". So klingt es. So wird es aber immer in Zukunft klingen, wenn wir überhaupt irgendeine Zukunft miteinander haben in welcher Konstellation auch immer. Er wollte am Sonntag zu seinem Bruder fahren und etwas später zurückfahren. Aber er will nun früher zurückkommen, damit wir noch Zeit haben. Aha. „ja natürlich ok“, schreibt er dazu, dass ich vorbeikommen möchte. Warum? Er sagt sofort zu, aus schlechtem Gewissen? Ja, er kann es ruhig haben. Warum noch? Weil er möchte, dass ich alles so schnell wie möglich mitnehmen? Würde auch Sinn machen. Weil er mich sehen möchte? Naja, vielleicht. Aber er weiß doch genau, dass das Treffen wieder mühsam verheilte Wunden aufreißt. Das sollte doch nicht in seinem Interesse liegen. Aber vielleicht sind seine Wunden ja gar nicht so tief. Diese wenigen Worte können so viel und doch so wenig bedeutet. So viel Spielraum für Interpretation.

                                  Er schreibt „Viele Grüße“ und seinen Namen. Schreibt aber in Klammern dahinter, dass es merkwürdig und seltsam klingt. Aha. Natürlich, sehr befremdlich. Wann hat er das letzte Mal mit seinem Namen unterschrieben? Vor fast sechs Jahren. Natürlich. Als wir uns gerade kennen gelernt haben. Danach kamen Kosenamen ins Spiel und blieben. Jetzt wirken unsere eigenen Vornamen unsäglich hart. Wir ein Peitschenschlag. Wie eine Strafe. Nur der eigene Vorname. So weit sind wir schon unten angekommen.

                                  Ich kann mir eine Frage nicht verkneifen. Ich möchte wissen, ob alle bereits Bescheid wissen, seine besten Freunde, seine Kinder und seine Familie. Er schreibt sofort zurück, dass alle Bescheid wissen. Ein kleiner Satz. Ein voller Treffer. Ich breche komplett zusammen. Ich bin selbst überrascht, was der Körper macht. Ich war gerade einkaufen. Ich sitze nun einfach im Auto und krümme mich zusammen, heule wieder hinter der Sonnenbrille auf dem Parkplatz des Supermarktes. Ich warte auf meine Tochter und meine Mutter. Ich kann nur sitzen und heulen. War da was Neues an der Info? Ich habe doch auch allen bereits erzählt, dass wir getrennt sind. Warum schockiert mich das bei ihm? Ganz einfach. Ich habe mich belogen. Ich habe mich ja nur scheinbar in mein Schicksal gefügt. Insgeheim habe ich weiter gehofft, es würde irgendeine Zukunft für uns geben. Es gab keine Notwendigkeit, diese Trennung gleich seinen Kindern und seiner Familie, die weit weg ist, mitzuteilen. Den besten Freunden, ja, sie müssen ihm ja beistehen. Aber warum seiner Mutter? Die Frau ist über 80, sehr zerbrechlich. Sie hatte sicher gehofft, dass ihr Junge nun endlich die Frau fürs Leben gefunden hat. Und nun das. Er hat es ihr mitgeteilt, nicht damit sie ihm beisteht, dafür ist sie zu alt und sicher nicht sein Ansprechpartner Nummer eins. Nein. Er hat es ihr erzählt, weil er es ernst meint. Weil es keinen Rückzieher gibt. Weil er Nägel mit Köpfen machen wollte. Alle dürfen es dann auch wissen, da es das Richtige ist, seine Entscheidung und seine Zukunft.

                                  Es war nun drei Wochen fast her. Die Wunde reisst wieder komplett auf. Ich wollte es ja so. Ich habe ja wieder den Kontakt gesucht. Selbst schuld. Die Wunde blutet. Am Abend setze ich die Kinder vor den Fernseher und krümme mich auf dem Bett zusammen. Ich mache mich ganz klein, umarme mich und schluchze bitterlich. Ich fühlte mich wieder ganz ganz unten. So tief war es schon lange nicht. Es ist wieder kein positiver Trend zu erkennen. Ich schluchze so bitterlich, dass der Hund draußen an der Schlafzimmertür zu heulen anfängt. Die Kinder hören nichts und spielen ihr Computerspiel. Der Hund will trösten, mein Gesicht ablecken. Ich will nicht. Ich will was erledigen. Der Gedanke schwingt mir schon lange im Kopf herum. Ich habe nun ein so starkes Bedürfnis, dass ich es nicht aushalten kann. Ich schreibe an seine beste Freundin, die nette Griechin. Ich denke lange über den Text nach. Ich hatte nie ein enges Verhältnis mit ihr. Ich kannte sie nur in der Funktion, seine Freundin, beste Freundin. Sie war ihm wichtig. Er war ihr wichtig. Ich habe sie immer um diese enge Bindung beneidet. Eine Freundschaft ist so viel einfacher als eine Beziehung. Keine Höhen und Tiefen. Einfach nur schön. Was sollte ich ihr nun schreiben. Ich entschuldige mich mehrmals, dass ich mich melde, sie in diese Situation bringe. Ich kann mir nicht helfen in meinem Leid. Ich frage sie, was ich machen soll. Mich mit allem abfinden, aufgeben. Ich frage sie, ob sie ihn versteht, ihn besser versteht als er sich selbst versteht, als Freundin, als Frau. Ich bitte sie um irgendeine Rückmeldung. Und entschuldige mich wieder. Es ist so demütigend. Das machen bestimmt Mädchen mit 16 oder vielleicht auch noch mit 26, aber ich bin 42. Es war eine lange ernsthafte Beziehung. Er war über 50. Wir waren uns doch so nah. Und nun muss ich nach seinen Gefühlen seine beste Freundin fragen. Was für eine surreale Situation!

                                  Dann rufe ich wieder heulend und schluchzend meine Mutter an. Ich muss irgendwie wieder reden. Was bringt das nur? Wieder die gleichen Leute anjammern, anheulen. Wieder die gleichen Themen, von allen Seiten beleuchtet. So können sicher nur wenige mit mir aushalten. Meine Mutter kann es. Wir kauen wieder und wieder einzelne Situationen durch. Es ist nichts neues. Aber irgendwie hilft es zu reden. Und dann erkenne ich das Problem. Ich habe schon wieder Migräne, die sich heimlich eingeschlichen hat. Aufgrund der Prophylaxe am Montag hatte ich sie nicht sofort erkannt. Aber sie ist wohl schon den ganzen Tag da, da ich schon am Morgen so emotional war und mich zu kaputt fühlte, um Sport zu machen. Aha, wieder Migräne! Aber klar, daher die Emotionalität. Der Mangel an Serotonin. Das ist der Zusammenhang mit der Migräne. Serotoninmangel kann Migräne und Depression auslösen. Ich hatte gerade beides in Überdosis. Irgendwie ist es nun beruhigend zu verstehen, warum ich wieder so weit unten bin. Ich kann keinen positiven Trend erkennen, was mich wahnsinnig macht. Durch die Migräne werde ich immer wieder zurückgeschmissen. Aber es geht trotzdem aufwärts. Bestimmt! Irgendwannmal!

                                  Tag 21 - Samstag


                                  Und wieder um sechs Uhr wach. Das kennen wir ja schon. Leider bin ich auch in der Nacht zwei Stunden wach gewesen. Das ist neu. Hatte ich noch nicht. Und neu sind auch die Träume! Das erste Mal habe ich was geträumt – natürlich von ihm. So direkt war er aber nicht dabei. Ich war in seinem Haus und habe festgestellt, dass er alles geändert hat. Dass alles von mir entfernt wurde. Wie merkwürdig. Ich weiß ja, dass ich ihn am Sonntag besuchen werde. Ich werde es sehen, was er alles entfernt hat. Und der Traum bereitet mich schon darauf vor. Aha. Das Haus sieht aber ganz anders aus. Ich weiß, dass es sein Haus sein soll, aber es ist physisch eine andere Einrichtung. Komplett anders. Verwirrend. Aber so oder so verletzend. Ich wache weinend auf. Ich glaube, das Weinen aus dem Traum habe ich gleich mitgenommen. Der Körper wollte sich schützen, den Traum verlassen. Und nun bin ich wach.

                                  Sie schreibt zurück. Seine beste Freundin schreibt zurück. Sofort bin ich noch wacher. Die Nacht ist definitiv vorbei. Die Enttäuschung ist riesig. Und dann kommt auch gleich die Wut. Die schreibt nur drei kurze Sätze. Geht überhaupt auf nichts ein. Er hat nie über mich mit ihr gesprochen, sie einbezogen. Sie hat es akzeptiert. Und nun betont sie einfach nur, dass sie sich weiter raushält und es eine Sache zwischen mir und ihm ist. Natürlich. Das weiß ich doch! Aber als emotionale Frau, die sie nun mal ist, eine solch kaltherzige Nachricht zu schicken. Das ist ja noch schlimmer als gar keine Nachricht. Oder doch nicht? Das tut weh! Sie mochte mich bestimmt eh noch nie. Jetzt kann sie es auch zeigen. Sofort kommt die Wut zurück! Ich bin eher empört als traurig. Das hilft!

                                  Am Frühstückstisch bestätigt meine empathische Tochter, dass ich wortwörtlich „scheiße“ aussehe. Danke! Sie fummelt mit den Fingern unter meinen Augen rum. Befühlt die geschwollenen Tränensäcke unter den Augen. Was ist das? Was soll das schon sein. So sieht man halt aus, wenn man den Abend davor sich wiedermal die Tränen aus der Seele geweint hat.

                                  Heute sind wie gottseidank den ganzen Tag beschäftigt. Ich fahre mit den Kindern und meinen besten Freundinnen und deren Kindern und Männern in einen großen Park. Wir fahren mit dem Zug. Müssen mehr als eine Stunde fahren. Was für eine neue Erfahrung für mich! Ich bin ein passionierter Autofahrer. Mein Auto und ich sind eine Einheit! Ich möchte flexibel sein. Viele Sachen mitnehmen. Alles unter Kontrolle haben. Aber ich gebe sie diesmal ab. Ich kann gerade nicht. Die Freundinnen planen alles, die Tickets, die Fahrt. Mir ist es gerade völlig egal, mit was ich beschäftigt bin. Hauptsache ich bin abgelenkt. Ich versuche auch im Park die Kontrolle abzugeben. Laufe hinter den planenden Männern einfach hinterher. Egal wo wir sind. Egal was wir machen. Ich kann auch loslassen. Die Kontrolle abgeben. Ich muss es nur oft genug trainieren. Ich bin mir sogar sehr sicher, dass es mir gut tut! Und was soll schon schiefgehen.

                                  Das Einzige, was schief geht, ist meine Ablenkung. Diese ist eher limitiert. Ich jammere meine Mädels weiter voll, bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ich kann seinen Namen nicht mehr hören, wenn ich über ihn spreche. Sie haben einen neuen Schimpfnamen für ihn ausgedacht. Die sind so süß! Sie helfen wir so sehr. Ich bin so froh, dass es sie gibt. Ich habe sie oft vernachlässigt. Treffen kurzfristig abgesagt. Wegen ihm. Wegen meiner Lage zwischen den beiden Haushalten, die so viel Zeit und Kraft gekostet hat. Meine Gedanken kreisen immer wieder auch um mein eigenes Verhalten. Was habe ich alles aus seiner Sicht falsch gemacht? Was hat ihn dazu gebracht, sich zu entlieben? Was kann ich ändern? Nicht dass ich die nächste und die übernächste Beziehung wieder verliere. Die gleichen Fehler mache. Bin ich so ein schlechter Mensch? Mein Selbstbewusstsein liegt tatsächlich am Boden. Ich dachte, ich stehe darüber. Suche nicht nur Fehler bei mir. Aber im Moment fühle ich mich nur wie ein gequältes Tier. Was habe ich alles falsch gemacht? Wenn ich nun zum Mittagessen dränge, ist es dreist und rücksichtslos? Ich unternehme nichts. Ich habe schon seit drei Woche keinen Hunger. Habe eh drei Kilo abgenommen. Essen wird überbewertet. Ich kann warten. Aber die Kinder drängen. Soll ich mich in die Diskussion des Weges einmischen? Ich bin doch so dominant. Will alles kontrollieren. Ich mache besser nichts. Ist mir egal. Sicher wird auch der nächste Partner sind an den verschiedenen Eigenschaften von mir stören, die auch zum Scheitern dieser Beziehung geführt haben. Ich habe Angst. Angst ungeliebt und allein zu bleiben. Das Selbstbewusstsein liegt wirklich am Boden.

                                  Wir überstehen den Ausflug. Es passiert nichts Schlimmes. Keiner kann sich verirrt und überraschenderweise ist auch keiner verhungert. Ich darf also loslassen. Die Kontrolle anderen überlassen. Ich werde es auch in Zukunft versuchen, durchzuziehen, nicht zu stressen, entspannter zu reagieren. Die Ruhe in Person sein. Das Erlebte hat mich so einiges gelehrt.

                                  Wir sind erst am frühen Abend zurück. Der ganze Tag ist weg – super! Die Kinder sind im Bett. Ich stelle entsetzt fest, dass der Wäschekorb überquillt. Aber – kein Problem! Ich werde morgen zuhause sein. Und auch übermorgen. Und auch die ganze Woche. Ich muss nicht mehr packen, losrennen, Sachen hin und her transportieren. Ich habe nun Zeit. Ich kann auch am Montag waschen, wenn ich von zuhause arbeite. Ich kann auch unter der Woche einkaufen gehen. Ich muss mich nicht beeilen. Keiner wartet mehr auf mich.

                                    Tag 22 - Sonntag


                                    1.Akt: Der Tag davor


                                    Ich wache um kurz vor acht auf! Ein Traum. Ich habe richtig gut geschlafen. Lange ausgeschlafen. Heute kann ich sonst was reißen! Taschakka. Ok ok, es war dank der Schlaftablette. Die volle Portion. Aber auch die hilft nicht immer. Heute schon. Heute Abend sehen wir uns. Das erste Mal nach genau drei Wochen. Welch krasse Situation. Die Aussicht darauf führt zu gemischten Gefühlen. Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren. Ich führe den ganzen Tag Monologe mit mir selbst. Überlege, wie ich das Gespräch führe. Ich gehe davon aus, dass ich das führe. Er wird mir wieder die aktive Rolle überlassen, wie immer. Sich selbst zurückziehen. Ich hoffe nur, dass ich Antworten bekomme auf meine vielen Fragen. Aber welche habe ich genau? Ich muss mich sortieren. Ich habe so viele Überlegungen, gehe so viele Situationen durch. Ich muss mich strukturieren. Ich überlege, alles aufzuschreiben. Aber in welcher Form? Ich denke plötzlich zurück an Twilight. An Edward. Die Bücher sind aus der Perspektive von Bella geschrieben. Es sind ihre Ich-Erzählungen. Wir wissen immer, was sie denkt und fühlt. Und sie beschreibt, was sie wahrnimmt. Aber was fühlt Edward? Das erfährt man offiziell nicht. Und manchmal ist sein Verhalten leider nicht nachvollziehbar. Im zweiten Buch verlässt er sie, weil es zu ihrem Schutz ist und das Beste für sie sein soll. Aha. Aber es gibt von der Schriftstellerin auch ein anderes Buch, was nie veröffentlicht wurde. Aber das Manuskript ist ins Internet gekommen und konnte heruntergeladen werden. Und in dieser Version liest man das erste Buch aus seiner Sicht, aus der Sicht von Edward. Die Handlung ist die gleiche. Es ist nur alles aus seiner Sicht erzählt, was er denkt und wie er in den jeweiligen Situationen fühlt. Das ist ein sehr schönes Buch. Ich habe es verschlungen. Das ist eine sinnvolle Struktur. Ich werde es so übernehmen.

                                    Ich schreibe auf mehreren DIN-A-Blättern mehrere Stationen und Ereignisse unseres gemeinsamen Lebens auf in chronologischer Reihenfolge. Ich schreibe meine Empfindungen und Gründe auf, die mein Verhalten bestimmt haben. Dazu schreibe ich in einer anderen Farbe die Fragen auf, die ich an ihn habe. Wie hat er die Situation damals erlebt? Was hat er gefühlt und warum hat er dies oder das getan? Das möchte ich so genau wie möglich wissen. Ich möchte verstehen, wie lange waren wir sowohl aus meiner wie auch aus seiner Perspektive glücklich? Wo fing der Abstieg an? Warum? Das Warum ist dann die Rekonstruktion aus meinen und seinen Wahrnehmungen der gleichen Situation. Ich verspreche mir so viel davon. Ich möchte meine inneren Monologe endlich einstellen können. Ich möchte die Verarbeitung abschließen. Wahrscheinlich ist es ambitioniert, es so schnell machen zu wollen. Aber ich warte auf jeden Fall nicht einfach ab und schaue, was die Zeit so bringt. Das ist nicht meine Einstellung zum Leben. Ich unternehme was, werde aktiv.

                                    Ich bin den ganzen Tag total aufgedreht. Ich muss ständig auf die Toilette. Kann kaum was essen. Meine Hände zittern, wenn ich schreibe. Ich spüre die Nervosität mit jeder Faser meines Körpers. Als würde ich vor einer Prüfung stehen. Ich schlucke Baldriantabletten. Vielleicht hilfts. Ich ergänze immer wieder meinen Zettel. Wie das wohl auf ihn wirkt, wenn ich den Zettel auspacke. Typisch ich. So rational, also eher negativ. So strukturiert, eher bewundernd. Ich weiß es nicht. Es ist mir gerade auch egal. Ich brauche das. Ich muss ihm gerade nichts beweisen. Ich will einfach über unsere Gefühle reden. Ich brauche Antworten. Ich brauche meine fünf Minuten Weinen als die Anspannung zu groß wird. Es muss raus. Dann geht’s besser. Ich warte. Ich verbringe den ganzen Tag nur mit Warten.

                                    Er meldet sich kurz und sagt Bescheid, wann er zuhause ist. Er hat seinen Bruder besucht. Seine ganze Familie dort angetroffen. Aha. Er ist auf dem Heimweg. Ich stopfe noch das Abendessen in mich rein. Allein der Gedanke an Essen ekelt mich an. Das ist wirklich sehr sehr nützlich was das Abnehmen angeht. Er meldet sich. Ich wundere mich, dass ich gar nicht zusammenzucke als ich seine Meldung im Handy sehe. Ich sehe sie doch so selten. Ich dachte, da würde ich anders reagieren. Aber gut, ich bin ja nicht überrascht. Ich habe es erwartet. Wahrscheinlich bin ich daher so entspannt, so cool. Oder sind es die Baldriantabletten. Ok, das letztere.

                                    Die Coolness hält noch im Auto an. Ich fühle mich wohl. Habe extra eine enge Jeans angezogen um zu betonen dass ich abgenommen habe. Ein enges Top dazu. Keine Schminke. Ich würde sie eh wegweinen. Ich will nur verletzlich und hilfsbedürftig aussehen. Nicht cool und stolz. Ich bin aber auch so weit weg von Stolz! Kurz vor der Ankunft merke ich, dass mein Körper durchdreht vor Nervosität. Ich kriege regelrecht Schnappatmung. Ich mache auf den letzten Metern nochmal „Unstoppable“ von Sia an. Versuche mir Mut anzutrainieren auf den letzten Metern. Vor seiner Tür kriege ich die blanke Panik. Ich weiß nicht, wann mein Körper das letzte Mal so durchgedreht ist. Ich sehe, dass er sein Auto extra weiter weggeparkt hat, damit ich vor dem Haus parken kann und besser meine restlichen Sachen einpacken kann. Wie vorausschauend von ihm. Wie verletzend! Er will, dass ich weggehe. Alles mitnehmen. Ich hyperventiliere regelrecht. Ich sitze im Auto vor der Tür und höre mir das Lied in einer unfassbaren Lautstärke an. Meine Hände krallen sich in das Lenkrad. Ich schließe die Augen. Konzentriere mich auf die Atmung. Das ist mir noch nie gelungen. Bei beiden Geburten der Kinder habe ich schon bei der Atmung versagt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich jemals im Leben so gefühlt habe. Ich bemerke, dass er die Tür geöffnet hat. Der erste Anblick. Ich weine ja schon bevor ich irgendwas sage, noch bevor ich aussteige. Wie schlimm! Ich habe mich noch so gelassen vor einigen Minuten gefühlt. Wo ist das alles hin? Wie schaffe ich nun, weiterzumachen. Ich habe das Gefühl, dass ich kollabieren.

                                    Er geht aus dem Türrahmen weg. Das gibt mir die Kraft, auszusteigen. Ich gehe ins Haus. Wir stehen uns im Flur gegenüber. Er wartet meine Reaktion ab. Lässt die Hände runterhängen. Ich umarme ihn. Ich kann nicht anders. Ich habe mir nichts vorgenommen, ich lass mich einfach auf die Situation ein. Ich will das machen, was ich gerade empfinde. Ich möchte nicht an die Zukunft denken. Ich kann auch nicht an meinen Stolz denken. Es ist mir alles so egal gerade. Ich habe fast sechs Jahre mit diesem Menschen verbracht. Er ist kein Fremder. Er fühlt sich anders an. Aber er ist nicht fremd genug. Ich bin nicht stolz, nicht verletzt, nicht sauer genug, um ihn nicht zu umarmen. Er drückt mich zurück. Ich bin mir nicht sicher, ob er auch weint. Aber es fühlt sich so an. Wir stehen einige Zeit so da. Ich löse mich langsam. Schau nur kurz zu ihm hoch. Er fragt, ob ich gleich die Sachen einpacken möchte. Ich möchte aber zuerst spazieren gehen. Das ist für ihn ok. Er lässt sich treiben. Mich die Kontrolle wieder übernehmen. Ich mache einen Abstecher auf die Toilette. Dann geht es los.

                                      2.Akt: Die Aussprache


                                      Draußen ist windig, aber schönster Sonnenschein. Ich habe ein schulterfreies Top an. Eigentlich habe ich einen Pulli dabei, lass ich aber im Auto. Ist zu warm. So lange werden wir schon nicht unterwegs sein. Aber Wasser nehme ich mit. Wir wollen ja reden. Viel reden. Da brauche ich was zu trinken. Für die physische Gesundheit ist schon gesorgt. Jetzt wenden wir uns der psychischen Gesundheit zu. Wir reden. Smalltalk. Zuerst über seine Kinder. Seine Tochter bewirbt sich nun tatsächlich um einen Job nach einigen Monaten auf dem Sofa nach dem Abi. Ich erzähle von meinem Ausflug in den Park mit den Mädels. Davon wie ich die Kontrolle überlassen habe. Wie ich mich habe treiben lassen. Das ist nicht meins, merkt er an. Richtig, ich probiere nun neue Sachen aus. Ich erzähle ihm, dass ich mich beim Tanzkurs angemeldet habe. Leichte Kost zu Beginn. Ich höre langsam auf, schluchzend zu reden. Die schlimmen Themen kommen ja noch. Ich muss noch etwas die Fassung sammeln.

                                      Wir kommen auf das Thema Umfeld. Er weiß ja alles von mir, wem ich was erzählt habe, aus meinen Texten. Von ihm weiß ich nicht viel. Er sagt, seine Mutter hat er nach einigen Tagen zuerst eingeweiht. Oh! Das hätte ich nicht erwartet. Sie ist über 80, sehr gebrechlich, und auch nicht sein Ansprechpartner Nr.1. Ich dachte, es wären Freunde. Seiner Meinung nach, „gehört sich das so“, dachte er. Dass die Mutter es zuerst erfährt. Was für eine konventionelle Einstellung. Ich muss innerlich lächeln. Das ist er durch und durch. Eigentlich wäre doch der Sex vor der Ehe auch nicht seins. Aber ich will nicht zum leidigen Thema abweichen. Also weiter. Seine Kinder erfahren es auch, nach den Freunden, irgendwann mal, so genau weiß er das nicht mehr. Sie sind nicht entsetzt, brechen nicht in Tränen aus. Er ist darüber entsetzt. Aber warum? Wir hatten wenig Kontakt. Er hatte sie meist allein bei sich, diesen einen Tag in der Woche. Ich wollte ihnen Privatsphäre lassen. Und ganz ehrlich musste ich mich mal auch um meinen Haushalt kümmern. Sie kannten mich wenig. Ich hatte nur wenige tiefsinnige Gespräch mit seiner Tochter geführt. Mit seinem Sohn konnte man solche Gespräche noch gar nicht führen. Die wenigen Ausflüge, die wir in letzter Zeit zusammen gemacht haben, haben sicher nicht für eine tiefere Bindung gereicht. Bin ich entsetzt? Nein, traurig, aber nicht überrascht. Das gemeinsame Zuhause, was ich so erseht habe, sollte alles retten. Genau dazu führen, dass wir für die gegenseitigen Kinder keine Fremden sind. Kam nicht. Seine Tochter befürchtete einen Rosenkrieg. Hä? Warum? Das arme Trennungskind. Sie hat genug von ihrer Mutter mitbekommen. Wie schlimm diese Vorstellung ist, dass solche Trennungen über Jahre die Kinder völlig aus der Bahn werfen und sie auch noch nachhaltig prägen. Kein Rosenkrieg. Nein. Wir hatten nichts aufzuteilen. Wir haben es noch kurz davor beenden, bevor es ernst und materiell wurde. Und – ich war nicht wie ihre Mama. Ich dachte, ich bin von Leidenschaft getrieben und wütend genug, ihm mehr Vorwürfe zu machen. Aber dafür fehlte mir die Kraft, die Motivation, die Intention. Ich war gar nicht in Vorwurfstimmung gewesen. Ich wollte nur verstehen. Ich war viel zu verletzt und sehnte mich nach ihm, nach dem Austausch. Ich hatte kein Bedürfnis gehabt, ihn fertig zu machen. Damit war er schon selbst genug beschäftigt. Kein Rosenkrieg. Nur Drama in mehreren Akten.

                                      In einem dieser Akte wurden die Freunde eingeweiht. Wer wann weiß er gar nicht mehr. Und dann kommt eine sehr schmerzhafte Stelle. Das erste Mal, wo ich schlucken muss. Heulen muss. Sie sagen recht einheitlich, wir waren sehr verschieden, wie Feuer und Wasser. Das tut so unglaublich weh! Nochmal das in dieser Situation zu hören. Ich habe so gehofft, dass seine Freunde ihm klar machen, was er verliert. Dass sie ihm klarmachen, was in Beziehungen nach einer bestimmten Zeit normal ist oder nicht. Dass sie seine Erwartungshaltung managen. Ihn einnorden. Aber irgendwie ging die Unterhaltung komplett in die andere Richtung. Wir sind so anders! Aha, na und? Wir haben über vier sehr glückliche Jahre miteinander verbracht. Dass wir anders sind, störte hier und da, war aber nie der Anlass für wesentliche Diskussionen oder gar Streits. Ich habe es als bereichernd empfunden. Ich der dynamisch ungeduldige leidenschaftliche Part, er als der entspannte geduldige liebevolle Part. Eine schöne Ergänzung. Ich habe mich auch am Anfang gewundert, wie das passt. Mit gegenseitigem Verständnis. Mit viel Empathie füreinander. Es hat wunderbar so lange funktioniert. Was bilden die sich ein mit „unterschiedlich“!

                                      Aber das erinnert mich gleich an meine Urängste, die mich die ganze Beziehung mit ihm begleitet haben. Er hat das immer als unnötig und lächerlich abgetan. Nie ernst genommen. Ich habe mich spielerisch immer als „Honey-Bunny“ bezeichnet. Wir sind zwölf Jahre auseinander. Er ist älter, erfahrener, hat mehr im Leben und im Job erreicht, hat ein Haus, fast erwachsene Kinder. Ich war damals noch keine 40, zwei kleine Kinder, meine Tochter gerademal drei, frisch der Windel entwöhnt. Für ihn war der Altersunterschied nie ein Problem. Für mich schon. Nicht weil er alt aussah. Er sah toll aus, ich habe keine Sekunde damit ein Problem gehabt. Manchmal hatte ich tatsächlich Angst, dass er früher von mir geht, rein statistisch gesehen. Und manchmal machte es mir sehr große Angst.

                                      Aber ich hatte wohl Komplexe, die mir so gar nicht bewusst waren, da ich das eigentlich immer ins Lächerliche gezogen habe. Ich dachte insbesondere am Anfang immer, dass alle dachten, ich bin nur wegen seinem Geld, seinem Besitz mit ihm zusammen. Dass ich jemanden brauche, der mich unterhält und für meine Kinder da ist, als quasi alleinerziehende Mutter. Ich fand das schon lächerlich, da ich unwesentlich weniger verdient habe als er und ein Geschäftsauto hatte und eigentlich recht erfolgreich im Leben stand. Aber das sah man mir nicht an! Manchmal spielte ich mit der Thematik und machte Witze, dass er mich aus dem Katalog bestellt hatte, da ich ja zudem auch noch Russin war. Wir haben darüber gelacht. Im Inneren nagten aber immer die Zweifel an mir, dass mich die anderen nicht ernst nahmen. So ein toller Mann, dieses Aussehen, seine Stellung, bestimmt hängt sich ein junges Ding mit Kindern nur deswegen an ihn. Er fand das immer abwegig. Ich nicht. Einmal hatte er das von einer Bekannten bestätigt bekommen. Die Freundin eines Freundes hatte nach reichlich Alkoholeinfluss ihm genau das zugesteckt: er solle sich doch vor mir in Acht nehmen, ich will ihn ja nur ausnutzen. Das eine Mal hat mir gereicht, um meine Zweifel nachhaltig zu bestärken und mit einer gewissen Reserviertheit bei seinen Freunden aufzutreten.

                                      Aber auch das Gefühl und das Wissen, dass wir verschieden sind, hat mich von vornherein unsicher gemacht. Ich bin nicht zaghaft in meinem Auftreten, meiner Ausdrucksweise. Es gelingt mir leider immer wieder erfolgreich, Leute vor den Kopf zu stoßen. Sein Freundeskreis war schon so „alt“. Er kannte alle seit Jahrzehnten, ist mit denen aufgewachsen. Ich war der neuen Fremdkörper. Wurde von allen Seiten begutachtet. Jeder passte ganz genau am Anfang auf. Ich fühlte mich wie auf dem Präsentierteller. Ich bin sonst nicht unsicher, aber irgendwie fühlte ich mich beobachtet. Er war schon so lange allein. Nun kam endlich eine Frau – und zack, Spotlight! Wie hält sie sich denn so? Was sagt sie? Was tut sie? Ich bin mir gar nicht sicher, warum ich das so anders empfand als bei meinem Exmann damals. Da habe ich mich nicht so unter Druck gesetzt. Es gab Leute, die ich mochte, und Leute, die ich nicht mochte. Aber grundsätzlich verstand ich mich mit jedem. War eine gute Gastgeberin. Die Freundschaften waren damals mit Ende 20 noch teilweise frisch. Teilweise hatten wir sogar gemeinsame Freunde gefunden. Aber, und jetzt kommt das Aber. Ich war nur kurz die Freundin. Dann war ich Verlobte. Dann war ich die Ehefrau. Dann sehr schnell die Mutter seiner Kinder. Das gab mir einen Selbstbewusstseins-Schub. Irgendwie schon. Ich war die Hauptfrau! In meiner Jugend war ich es gewohnt, dass sich Männer gerne mit mir schmückten. Das soll jetzt nicht arrogant klingen. Aber ich war es gewohnt, dass ein Mann auch an mir interessiert war, wenn ich Interesse zeigte. Aber wie oft landete ich in der Situation, dass der Mann nur mit mir ins Bett wollte und an keiner ernsthaften Beziehung interessiert war. Als Zweitfrau ok, aber als Hauptfrau, zu anstrengend, schon besetzt. Ich war ein schönes Aushängeschild. Ich war die charmante Begleiterin bei Galaempfängen. Die junge attraktive Frau an deren Seite. Mehr nicht. Oft genug. Das hat mich geprägt. Meine Erwartungshaltung verändert.

                                      Natürlich habe ich nicht nach all den Jahren mit ihm immer noch gedacht, er will nur ins Bett mit mir. Aber die Restzweifel blieben und wurden von Jahr zu Jahr immer größer. Was wollte er denn wirklich? Wie ernst war denn ernst? Ich habe mich später im Laufe der Beziehung ganz komisch mit seinen Freunden oder seiner Familie gefühlt, da ich im Laufe der Jahre dachte, die fragen sich alle, wann macht er es denn ernst mit ihr? Ist er sich denn nicht sicher? Das, was ich dachte und befürchtete, projizierte ich in die Anderen hinein. Und ich bin mir auch sicher, dass ich bei einigen damit auch recht hatte. Teilweise bekam ich regelrecht Minderwertigkeitskomplexe, wenn ich wieder vor der Hall of Fame bei seiner Mutter stand, wo alle Familienfotos hangen und er dort mit seiner Ex abgebildet war. Keine Spur von mir und uns. Das hat mich immer wieder grenzenlos verletzt. Er hat das einfach nicht verstanden. Nicht ernst genommen. Naja, ich fühlte mich dann immer weniger ernst genommen. Und habe auf unserem Lieblingssatz rumgeritten „Ich bin ja nur die Freundin.“ Nicht die Mutter deiner Kinder, nicht deine Mitbewohnerin und Miteigentümerin des Hauses. Nur die Freundin. Ich konnte den Leuten immer schlechter auf Augenhöhe begegnen. Und auch da sprach er dann von meinem Aussehen. Ich sollte doch stolz darauf sein und wissen, dass die Leute mich beneiden. Nein! Es ging nicht um das Aussehen, verdammt! Es ging darum, dass ein toller Mann, der Beste, den ich im Leben kennengelernt habe, zu mir steht, sich zu mir bekennt. ER war das Schmuckstück an MEINER Seite. Und er sollte sich doch nur entscheiden, festlegen, für mich!

                                      Damals bei seinem 50sten Geburtstag, bei der Feier in einem kleinen Lokal in meinem Dorf, da hatte er etwas unglaublich Tolles gemacht, was irgendwie einer der größten Liebesbeweise von ihm war, die ich je bekommen habe. Wenn nicht der größte überhaupt! Er sagte, er ist kein großer Redner, kein Mann der großen Worte. Aber damals hatte er eine unglaublich tolle Rede gehalten vor allen seinen Freunden, seiner Familie. Er hat dabei an erster Stelle seiner Mutter gedankt, der er seinen Geburtstag zu verdanken hatte. Und an zweiter Stelle kam er zu mir, seiner Partnerin, mit einer roten Rose in der Hand. So angenommen und geliebt von ihm wie damals vor allen Leuten habe ich mich noch nie gefühlt und auch nicht wieder gefühlt. Und natürlich habe ich praktischerweise das zugehörige Video noch auf dem Handy und kann es mir genüsslich reinziehen und leiden. Es kamen genug Liebesbeweise von seiner Seite, auch später. Aber diese sichtbare Zugehörigkeit fehlte, und zwar immer mehr.

                                      Und dieses fehlende Gefühl der Zugehörigkeit war nicht gerade förderlich im Umgang mit seinen Freunden. Der Großteil seines Freundeskreises war auch in seinem Alter und teilweise drüber. Wenn man das so überschlägt, dann war es das Alter meines Vaters. Irgendwie gruselig. Ich habe mein Bestes getan. Aber meine Welt war eine andere. Meine Kinder waren noch recht klein, gingen noch in die Grundschule. Seine Freunde hatten entweder Teenager oder gar keine Kinder. Nein, Kinder ist nicht das einzige Thema. Aber ein doch recht entscheidendes in meinem Leben. Mein Sohn hat ADS. Damit könnte ich Vorträge füllen. Aber ich will die Leute nicht langweilen. Viele der Freunde waren in einer völlig anderen Lebensphase. Urlaube und Renovierungen oder gar Rente waren deren Themen. Jetzt könnte man sagen, was solls! Ein guter Unterhalter wie ich, ich sollte doch in der Lage sein, mich mit jedem über alles auszutauschen. Na klar, ich habe mich bemüht, mal mehr mal weniger. Ich tue mir mit Smalltalk-Themen eher schwer. Ich bin sofort dabei, wenn es um dramatische Erfahrungen geht oder große Gefühle, lebensbewegende Themen. Aber davon war wenig auf der Tagesordnung. Manchmal habe ich mich selbst gewundert, wie er sich darauf einlassen kann. Er ist doch so clever. Bei einigen Unterhaltungen bin ich innerlich verblutet vor Belanglosigkeit. Ich weiß, es kann im Leben nicht immer um den großen Herzschmerz gehen. Das ist nicht gesund. Aber es fiel mir leider sichtlich schwer, sich auf manche Abende einzulassen.

                                      Teilweise war ich durchaus abwesend. Aber teilweise und leider sehr oft kam mir die verdammte Migräne dazwischen! Ich habe versucht, es zu vermeiden, dass ich wegen der Migräne Treffen absagen muss. Bei über zehn Mal im Monat wäre es ja sonst ständig. Aber wenn ich unter Tabletteneinfluss zu den Treffen gegangen bin, dann war ich einfach nur kaputt und mein einziger Gedanke war – mein Bett! Ich habe nie was dagegen gehabt, wenn er irgendwohin allein hinging. Aber natürlich war das kein schöner Zustand, unter dem er gelitten hat. Aber auch ich habe unter diesem alleine Weggehen in meinem Dorf gelitten, was auch öfter wegen seiner Kindertermine richtig herausfordernd war.

                                      Ich muss aber auch gestehen, dass ich durchaus nicht immer abwesend war oder auch nicht genervt. Aber irgendwie habe ich meine Mimik zu wenig im Griff. Leider zeigt mir das Leben das immer wieder. Und das tut mir vor allem dann leid, wenn ich überhaupt nicht so empfinde! Wenn ich mich eigentlich freue und entspannt bin, und mein Gesicht irgendwie verkniffen wirkt. Ich kann das oft mit Migräne erklären, aber nicht immer. Egal was die Zukunft bringt, ich muss an diesem Aspekt arbeiten. Wenn ich eine Empfindung Leuten mitteilen möchte, ok. Aber ich möchte nicht, dass „versehentlich“ andere Signale gesendet werden als ich will. Das ist so ärgerlich, wenn ich das nicht steuern kann. Ich bin keine Amöbe! Das war sein Lieblingsspruch. Das kann ja nicht so schwer sein.

                                      Aber trotz aller dieser Aspekte sagte er wenigstens zum Abschluss, dass man ja nicht alles an den Freunden ausrichten kann. Und auch nicht Rücksicht darauf nehmen kann, wenn die Freunde und der Partner nicht ein Herz und eine Seele sind. Schließlich ist man doch die weitaus größere Zeit alleine als Paar. Wenn man sich genug liebt, dann reicht es aus. Nur wenn die Liebe leidet, dann wird leider das Urteil der Freunde bedeutender. Das tat weh! Höllisch weh!

                                      Wir waren schon ein gutes Stück gelaufen, bis ich dazu kam, meinen Zettel zu ziehen. Sogar mehrere große Blätter von beiden Seiten beschrieben. Ich entschuldigte mich dafür, dass es so rational wirkt. Aber ich habe es schon so kommen sehen, dass ich mich in ein einziges Gefühl auflöse und nichts mehr auf die Reihe bringen außer Heulen. Daher der Zettel. Er lächelte milde. Ich weiß nicht, wer zwischendurch mehr weinte, er oder ich. „Wo viel Gefühl ist, da ist auch viel Leid“, sagte mal Leonardo da Vinci. Ein wunderschönes wahres Zitat. Es war so viel Gefühl an diesem Abend, positives und negatives Gefühl, eine überwältigende Mischung.

                                      Ich gehe meine Punkte durch. Irgendwie lächerlich, dieser Zettel. Irgendwie verdammt nötig. Ich und wir müssen verstehen, wo wir entgleist sind, bei welchem Problem, zu welchem Zeitpunkt. Ich fange ganz vorne an. Welche Probleme hatten wir da schon. Da war ja alles perfekt, fast perfekt. Seine Kinderabstimmung hat mich die ersten Monate und Jahre am meisten zerrissen. Dieses ständige Warten, bis seine Ex ihm die Kinder gewährt. Teilweise wussten wir das nur eine Woche voraus. Wenn wir Glück hatten, einen Monat. Meine Pläne standen für ein Jahr fest. Das war ein Dauerkonfliktpotenzial. Aber ich habe mich, soweit es nur ging, damit abgefunden. So weit so gut, das war nicht unser schlimmster und häufigster Konflikt. Aber ein dauerhaft unterschwelliger, der sicherlich hier und da die Stimmung vergiftet hatte. Und am meisten regte mich dabei auf, dass er es mit sich machen ließ, es nicht verhindern konnte, dass sie ihn so in der Hand hatte und die Kinder als Pfand gegen ihn verwendete.

                                      Wir machen chronologisch weiter. Der Vorfall damals mit meiner Mutter. Ihr Aneurysma, die zwei Wochen auf der Intensivstation. Das war unfassbar hart. Er erinnert sich an meine Veränderung. Ja, ich habe danach weniger lachen können. Ich musste so sehr das Weinen vermeiden, dass ich bei dem Lachen abgestumpft bin. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals davon erholen werde. Ich habe ihn damals so sehr gebraucht. Sie war nach diesem Vorfall nicht dieselbe. Ich habe ihn zu der wichtigsten Person für mich gemacht. Ihm alles anvertraut. Ihn zu meinem besten Freund gemacht. Davor war sie das. Mein Ansprechpartner Nummer eins. Ob das so ok war? Ob es ihm zu viel wurde? Ist es gesund, in der Partnerschaft eine Freundschaft zueinander zu haben? Ich fand das nicht selbstverständlich. In meiner Ehe war das nicht so. Es hat sich nicht ergeben. Meine Mutter war mir näher, auf eine andere Art und Weise, aber näher als mein Ehemann. Diesmal war er auf dem höchsten Podest der Freundschaft. Und daher war der Fall auch so tief diesmal für mich. Nicht so tief wie damals beim Ehemann. Mit meinem Expartner habe ich auch meinen besten Freund verloren! Das muss ich leider sehr stark rausheulen, weil mich der Gedanke absolut fertig macht. War das so gesund, die Freundschaft zu haben. Doch! Er bestätigt doch. Das ist doch normal, dass man in dieser Intensität alles dem Partner anvertraut, keinem anderen. Nein, ich habe ihn da nicht zu sehr in Anspruch genommen. Ihn nicht als seelischen Mülleimer missbraucht. Es ist ok. Dann nächster Punkt.

                                      Unsere erste Mauritius Reise. Da waren wir zwei Jahre zusammen. Wir reden ja offen. Ich kann nun alles von damals gestehen. Ich habe hinter jeder Palme auf seinen Antrag gelauert! Er ist damals aber nicht mal im Entferntesten auf diese Idee gekommen. Völlig anderer Mindset. Er war total glücklich. Glücklicher ging es gar nicht. Aber mit diesem Gedanken hat er nicht gespielt. Ich bin nicht enttäuscht. Ich weiß, dass ich mich damals reingesteigert habe. Ich war so blind vor Liebe. Wir waren so besonders. Da musste es doch besonders ablaufen. Nicht gewöhnlich. Er hatte damals mit seiner Verliebtheit eine solche Erwartungshaltung in mir aufgebaut. Ich kannte so einiges von Männern, aber nicht in der Dimension, in der er mich geliebt hat und es vor allem auch gezeigt hat. Es war schon eine Superlative. Daher meine Superlativen-Erwartung. Aber wohl nicht seine. Ich verstehe das. Er versteht mich nun. Hat er mich damals schon enttäuscht, will er wissen. Naja, in meiner romantischen Naivität schon. Aber ich kann ihm daraus keinen Vorwurf machen. Ich war nach dem Urlaub genauso fest an seiner Seite und verliebt wie auch davor. Da hatte sich noch nichts geändert.

                                      Wir kommen zu der Corona-Zeit. Die ganze Zeit zuhause. Fast allein. Das zog sich ja fast Jahre hin. Das waren wunderschöne Jahre, das kann er bestätigen. Keine Probleme, keine Streits. Nichts! Harmonie pur jeden Tag. Er hatte wohl einmal von seinem Freund mitbekommen, dass es zuhause öfter Streit gab. Aber das konnte er nicht bestätigen. Bei uns war alles perfekt. Es war nicht langweilig, aufeinander zu hocken? Das wollte ich wissen. Vielleicht zu einengend. Nein, alles ok für ihn. Keine Probleme aus der Corona-Zeit zuhause. Es war nicht zu viel Nähe. Es war super!

                                      Dann kam das Leidthema Nummer eins. Das Zusammenziehen. Wann entstand der Wunsch? Wie entstand er? Ich denke, im Laufe des dritten Jahres zusammen, kam das Thema das erste Mal auf. Ich weiß gar nicht ob vom ihm oder von mir ins Spiel gebracht. Aber ganz sicher von mir mit mehr Energie verfolgt. Er wollte nie auf Dauer getrennte Haushalte haben. Aber er hatte es auch nicht eilig mit dem Zusammenziehen. Irgendwann mal wenn es sich ergibt. OK. Mir war nur wichtig zu verstehen, dass ich nicht allein mit dem Wunsch war. Das Thema hatte auch am Anfang nicht mal ansatzweise diese Dimension wie in den letzten Monaten und Wochen. Ich erzähle ihm, dass die beendete Haussuche eins der wenigen positiven Themen zurzeit ist. Das Thema hat mich einfach nur krank gemacht, alles vergiftet. Ich konnte es nicht mehr hören, nicht mehr warten. Wir haben uns komplett dabei verloren. Er ist etwas verwundert, dass ich das Thema Haus so fallen lassen konnte. Aber ja, tatsächlich von allem, was ich verloren habe, ist das Haus das kleinste Problem.

                                      Dann kommen wir zu einem anderen wunden Thema. Die Erbstreitigkeiten der Brüder damals, was auch schon locker zwei drei Jahre zurückliegt. Es fing alles so vielversprechend an. Seine Mutter wollte das Erbe mit warmen Händen unter den Söhnen gleich aufteilen. Als Schenkung. So lieb. So sinnvoll. So undankbar zeigte sich leider einer, der mit nichts einverstanden war. Diskussionen zogen sich über Monate hin, über ein Jahr, wurden immer schlimmer. Er war der Vermittler. Versuchte, die Bedürfnisse aller Beteiligten unter einen Hut zu bringen. Und meine Rolle? Naja, ich war die Partnerin an seiner Seite. Er teilte alles mit mir. Bei jedem seiner Schritte involvierte er mich. Wir diskutierten endlos viel zu diesem Thema. Gerade jetzt im Wald bereut er sehr stark, mich damals involviert zu haben. Mich damals so reingezogen zu haben in all diese Abgründe des Familiendramas. Aber er wollte doch alles mit mir teilen. Auch dieses wichtige Thema. Das hat ihn zerrissen. Und auch ich habe nicht nur hilfreich zur Seite stehen können. Ich habe auf der anderen Seite gezerrt. Ich konnte nur beraten, nichts beeinflussen. Das machte mich fertig!

                                      Ich habe einen starken Beschützerinstinkt. Es klingt so lächerlich, wenn man „nur“ eine Frau ist und wir von einem erwachsenen Mann um die 50 reden. Aber so habe ich immer empfunden. Bei ihm. Aber mein Leben lang schon. Ich habe mir damit selten Freunde gemacht. Meine erste Erfahrung mit dieser Thematik hatte ich mit 10 Jahren. Ich war damals mit einem Jungen „zusammen“. Wir hielten Händchen. Also war es schon etwas „ernstes“. Es war schön. Es ging über Monate. Für das damalige Alter war es sehr lang. Aber es war nicht einfach. Ich war schon immer eine „Stressnudel“ mit meiner Art. Mit der Art, sich nicht mit den Gegebenheiten abzufinden, die ich vorfand. Mit der Art, aufzustehen und seine Meinung zu äußern. Ich habe damals einem Gleichaltrigen einige Milchzähne ausgeschlagen, als dieser meinen Bruder geschubst hat. Dann habe ich auch meinen Bruder zur Sau gemacht, dass er sich nicht selbst wehren konnte. Meinem „Freund“ wurde das damals zu viel. Ein kämpferisches Mädchen. Das war zu anstrengend. Er nahm lieber meine kuschelwuschel liebe Freundin, die ruhig und nett war, und die auch bereit war, ihn schon auf die Backe zu küssen. Ich wollte noch warten. Er nicht und trennte sich. Ein Sprung in der Geschichte: ich war über 30 und verheiratet. Mein Exmann hatte genug Mum, um sich gegen die Welt zu behaupten. Aber nicht gegen seinen Vater. Immer wieder musste er sich Vorträge von ihm anhören, was er alles nicht erreicht hatte, nicht gemacht hatte in dem und dem Alter. Ich schwieg an seiner Seite. Ich schwieg einige Jahre lang. Irgendwann mal konnte ich nicht mehr. „So redest du nicht mit meinem Mann!“, sagte ich. Der Exmann schwieg. Ich verteidigte ihn. Der Schwiegervater schrie. Es war keine schöne Situation. Der Kontakt brach ab, für einige Jahre. Toll! Hatte ich was Gutes nun erreicht? War es das wert? Ich weiß gar nicht, ob mein Exmann das so geschätzt hatte. Er hatte mir weder gedankt noch geschimpft, dass ich mich eingemischt hatte. Naja, der Beschützerinstinkt.

                                      Und auch ihn habe ich beschützen wollen. Vor dem Rest der Welt am besten. Damals angefangen mit seinen Brüdern, die aus dem nichts heraus einen Erbstreit vom Zaun gebrochen hatte. Vor allem ein Bruder, der gegen alles war. Das hat ihn so fertig gemacht. Ich hatte Angst um seine Gesundheit. Er beschwerte sich und beschwert sich auch jetzt, dass ich ihn als „älter“ behandle, als er wirklich ist und sich fühlt. Aber sein Blutdruck stand immer als problematisch im Raum. Aber man tut sich als Frau keinen Gefallen, wenn man den Mann immer an seine Gesundheit erinnert. Man macht sich nicht nur Freunde. Ich frage ihn, ob diese harte Zeit der Erbstreitigkeiten damals der Beginn unseres „Untergangs“ war. Der Mann an meiner Seite verneint. Es war belastend. Aber das war nicht das Ende. Es war eine Herausforderung, eine gemeinsame. Aber nicht das Ende. Ich frage ihn, warum es damals keine Option war, sein Haus einfach zu verkaufen und in das gemeinsame zu investieren. Er meint, dass wir doch Zeit hatten. Er wollte einfach abwarten, bis alles geklärt war. Wir hatten es doch nicht eilig. Das liebe Warten. Ich vermute, dass er zumindest im Laufe der Unterhaltung am heutigen Abend versteht, was das ständige Abwarten ausgelöst hat. Ja, eine stabile Beziehung sollte doch dies und das überstehen. Ja, zeitlich gesehen schon. Aber die Gefühle, die beim Warten hochgekommen sind. Zu sehen, wie die Kinder altern, aus dem Gröbsten raus sind. Wie oft hatte ich dieses Argument gebracht. Wie gerne hätte ich seine Kinder aufwachsen sehen und meine mit ihm geteilt. Wie gerne wäre ich eine Familie geworden. Ich konnte mich beim Warten nicht darauf beschränken, die Hände im Schoss zu falten und nichts zu tun. Mein Drängen ging aber mit der Zeit immer weiter nach hinten los.

                                      Dann kamen wir zu dem schmerzhaftesten Thema von allen – der Abtreibung! Hier hatte ich schon viel gesagt und viel geschrieben, was er vorher schon gelesen hatte. Es gab keine neuen Argumente. Ich wollte nur verstehen, wie er die Situation damals empfand, aus seiner Sicht als Mann und Vater. Ich werde unser Treffen bei ihm damals nie vergessen. Diese Entscheidung damals gemeinsam zu treffen war bis dahin unsere größte Herausforderung. Mit den Gefühlen danach habe ich in dieser Intensität nicht gerechnet. Ich habe über meinen Schmerz mit ihm geredet. Aber es kam von ihm nicht so viel zurück. Ja, er hat auch gelitten, bestätigt er. Aber wohl nicht so wie ich. Es war eine sinnvolle, wenn natürlich auch schmerzhafte Entscheidung. Es war aber die richtige. Ein Kind hätte damals nicht in unsere Leben gepasst, alles viel komplizierter gemacht. Ich frage ihn, ob er damals wirklich einfach nur das Kind nicht wollte oder von MIR keins wollte. Er bestätigt definitiv das erstere. Er hatte das ja damals in seinem Profil explizit erwähnt als wir uns im Internet kennengelernt hatte. Keine weiteren Kinder. Das habe ich verstanden und verinnerlicht. Aber die Diskussionen kamen in den ersten zwei drei Jahren schon immer wieder hoch. Eher spielerisch. Ich wollte eher sehen, wie er darauf reagiert. Ein Kind ist Ausdruck von Liebe, von Bindung. Und wir hatten doch so eine tolle Beziehung, so viel Liebe zwischen uns, so viel Liebe zu geben. Wie soll ich das nur erklären. Das wäre eine Adelung unsere Beziehung. Der ultimative Beweis, dass er für mich seine Prinzipien über Bord werfen könnte. Ich glaube, darauf hofft jede Frau, egal was sie dem Mann sagt, egal bei welchem kritischen Thema. Die Frau hofft, dass der Mann seine durchaus transparent geäußerten Prinzipien ihr zur Liebe über Bord wirft. Immer!

                                      Das war eine gewisse Diskrepanz zwischen seinem Verhalten und seinen Plänen. Diese Diskrepanz hatte mich schon immer massiv verwirrt. Einerseits waren seine Liebesbeweise, die Worte und die Taten maximal ausgeprägt. Er war Feuer und Flamme für mich. Und doch endete dies in materiellen Geschenken oder Ausflügen, kleinen Kleinigkeiten hier und da. Was total schön war und was ich in dieser Ausprägung noch nie hatte. Aber die großen dramatischen Wendungen blieben aus. Kein Kind mit dir, nein, passt nicht rein. Keine Heirat mit dir, wir warten noch ab. Kein Haus mit dir, wie sind noch auf der Suche. Welche dramatischen Beweise gibt es noch? Mir fällt nichts ein. Aber als Jahre vergingen, wurde ich immer ungeduldiger und zweifelnder. So entwickelte sich aus meiner Sicht nicht die große Liebe.

                                      Es gab einen Vorfall, der würde aus seiner Sicht wahrscheinlich darunterfallen, dass ich an dem Abend abwesend war als wir uns mit Freunden trafen. Seine Freundin, die Griechin, und ihr Mann trafen uns in einem – wie denn auch sonst – griechischen Restaurant. Es war ein netter Abend draußen in einer lauen Sommernacht. Sie kannte den Besitzer. Ein netter Mann um die 35 oder 40. Sie hatte uns dann seine Geschichte erzählt als er vorbeikam und Hallo sagte. Irgendwo hatte er eine Frau kennengelernt, die um die 30 war und eine kleine Tochter hatte. Sie hatte eine nicht einfache Trennung hinter sich. Die Kleine lief im Restaurant uns um die Füße. Die Frau ebenfalls, die als Bedienung gearbeitet hatte. Der Besitzer hatte sich in die Frau verliebt und kam mit ihr und damit ihrer kleinen Tochter zusammen. Und – jetzt kommt der dramatische Höhepunkt: nach nur zwei, nur zwei verdammten Jahren, hat er um ihre Hand angehalten! Sie planten gerade Ihre Hochzeit. Er stand da und drückte sie und das Kind an sich. Alle lächelten, freuten sich. Ich verblutete innerlich bei dieser Geschichte. Nach nur zwei Jahren. Wir waren schon drei oder gar vier Jahre zusammen. Und es passierte nichts! Wir waren doch die besonderen Menschen füreinander, die Kugelmenschen. Ich habe das einfach nicht verstanden. Es passte überhaupt nicht zu seiner Liebe, seinen Äußerungen. Es passte nicht in unsere perfekte Welt rein. Meine Zweifel haben mich zernagt.

                                      Und dann kam der Urlaub in Dubai. Da waren wir genau vier Jahre zusammen. Es war wunderschön, es war romantisch. Es war traurig. Ich habe nur wenige Tage davor die zweite Ausschabung gehabt, da die erste Abtreibung nicht funktioniert hatte. Ich war so wund, so verletzt, so enttäuscht. Ich habe gehofft, dass er das sieht. Es irgendwie adressiert. Irgendwas dagegen tut. Aber es kam nichts. Ich frage ihn nach den Gründen. Er war gedanklich gar nicht beim Heiraten. Ganz einfacher Grund. Er hatte keine Zweifel an mir und unserer Beziehung. Er war total glücklich. Aber er hatte einfach nicht daran gedacht. Seine Idee war tatsächlich, erstmal zusammen zu ziehen. Und dann weiter zu schauen. Ja, das hatte er so mal geäußert, als ich wieder mal gedrängt hatte. Diese Idee hatte ich schon einmal so gehört. Ich habe mich oft gefragt, ob ich das richtig verstanden habe. Und ja, er bestätigte das. Wie traurig, dass er mich damals wirklich einfach nur nicht verstanden hat. Da wo wir noch sehr glücklich waren. „Du warst also schon damals von mir enttäuscht?“, ist seine Frage. Hmm, ja sehr, muss ich gestehen, sehr. Damals nach den vier Jahren war ich enttäuscht. Ich wollte ihn so sehr, mit Haut und Haaren. Er nicht. Nicht so. An dieser Stelle ist irgendwas in mir gebrochen. Dann kam Silvester. Das neue Jahr. Und irgendwie fühlte sich für mich das nicht mehr so perfekt an. Ich hatte damals begreifen müssen, dass die Beziehung zwischen uns nicht dramatisch außergewöhnlich superlativ ist. Sie ist wunderschön. Sie ist irgendwie perfekt. Wir beide. Der Alltag. Aber es ist keine Supernova am Himmel. Dafür ging alles viel zu langsam. Behäbig. Normal. Das hat mich verwirrt und mich zweifeln lassen. Und vor allem ging der Zeitpunkt vorbei, wo es noch eine Supernova hätte werden können. Die vier Jahre waren schon verstrichen. Warum heiratet man denn schon im späteren Alter, im späteren Verlauf der Beziehung? Wegen der Liebe? Ja, diese muss natürlich da sein. Aber es kommen rationale Gründe ins Spiel, Kinder, Haus, gemeinsamer Besitz, die Alterssicherung. Ich wollte nie, niemals aus solchen Gründen heiraten. Es sollte aus dem Gefühl entstehen, dass das Herz platzt vor Liebe! Dass du diesen einen Menschen dein Leben lang nie niemals wieder aus der Hand, aus dem Herzen lassen möchtest. Diese überschwappenden Gefühle, dieses Brennen, das wurde doch Jahr für Jahr immer weniger. Und das ist auch normal. Die Liebe verändert sich. Die Verliebtheit ist keine Grundlage für eine Ehe, das definitiv nicht. Aber über die Phase waren wir schon drüber. Und ich spürte, dass meine Enttäuschung durch das Warten immer mehr dazu führte, dass ich innerlich mich zu distanzieren begann. Die Abtreibung gab mir noch einen heftigen Schubs in diese Richtung. Ich kapselte mich irgendwie ab. Nicht bewusst. Das kann man nicht so wirklich steuern. Aber irgendwie begann eine gewisse Entfernung von ihm, dem geliebtesten aller Menschen für mich.


                                      Und dann kam der Kriegsausbruch. Und dann kam der Andere. Wir setzen uns gemeinsam auf eine Bank im Wald. Für dieses heftige Thema bietet sich das Sitzen mehr an. Es ist sehr frisch geworden. Ich fröstle innerlich und äußerlich. „Es gab da jemand anderen.“, beginne ich. Er schluckt und schaut mich nicht an. Oh Gott, nicht was er denken könnte. Ich ergänze sofort meine Aussage. Ich will ihn auf keinen Fall in die Hölle und zurück schicken bei dem Gedanken, ich könnte ihn betrogen haben. Es tut schon körperlich weh, zu sehen wie er reagiert. „Ich habe dich nicht betrogen. Es ist überhaupt nichts passiert.“ Aber meine Gefühle waren bei dem Anderen. Über Wochen, vielleicht einigen Monate. Ich weiß es nicht mehr genau. Dieser Andere war nett, so herzlich zu mir. Er war glücklich in seiner Ehe, mit seinen sehr kleinen Kindern. Er war einfach nur herzlich zu mir und ganz sicher flirtete er nicht mit mir, das war überhaupt nicht seins. Er hätte nicht mal verstanden, hätte ich das mit ihm gemacht. Aber er war herzlich und zugewandt. Und er gab mir etwas, was mir in diesem Moment wohl ziemlich gefehlt hat – dieses Gefühl, gewollt und gebraucht zu werden! Wie absurd. Es war ein völlig anderer Lebenszusammenhang. Er hatte keine romantischen Gefühle. Aber er betonte immer wieder, wie gerne er mich um sich hatte und wie toll meine Hilfe war, wie gut ich dies oder das gelöst hatte. Und das mit solch schönen Worten! Ich fühle mich so gewollt. Wir waren ein Team. Mehr nicht. Aber ein ziemlich emotionales Team. Ich genoss seine Nähe. Freute mich auf die Treffen. Freute mich, ihn zu sehen, ihn zu drücken. Und diesmal war der Andere gemeint. Er war mir dann doch etwas zu sehr ans Herz gewachsen. Das habe ich dann im Laufe der Wochen gemerkt. Und auch optisch sah er meinem Exfreund so ähnlich, dass dies sogar meiner kleinen Tochter mit Verblüffung aufgefallen ist. Tja, was konnte ich nur machen?

                                      Ich war mir keiner Schuld bewusst. Ich war zu keinem Zeitpunkt in der Gefahr, was Falsches zu tun. Ihn zu betrügen. Und nein, nicht weil der Andere es eh nicht wollte. Sondern weil ich das nicht wollte. Ich wollte mich auf nichts einlassen. Nichts riskieren. Ich war doch damals glücklich. Aber irgendwie auch nicht. Sonst wäre das nicht passiert. Sonst hätte ich den Anderen nur belächelt. Nett gefunden. Aber zur gleichen Zeit war auch noch der errechnete Geburtstermin unseres Babys. Gott, in welch anderer Lage wäre ich gewesen. Hochschwanger. In einer völlig anderen Welt. Zusammen mit ihm, dem Vater des Kindes, dem besten Vater, den dieses Kind bekommen konnte. Aber ich stand hier in der schmutzigen Halle und packte Windeln für den Versand in die Ukraine. Immer noch allein. Und irgendwie nun auch langsam einsam in meinem Leben. Er war zwar da, aber irgendwie reichte es mir nicht mehr. Nicht nach 4,5 Jahren zusammen. Ich wollte mehr und ich konnte nichts beschleunigen. Und ich wurde emotional schwach. Wandte mich einem Anderen zu. Ohne es zu wollen und zu planen. Ohne es steuern zu können. Es war einfach so.

                                      Ich dachte, er merkt es nicht, mein Partner merkt nicht, was mit mir passiert. Wohin es führt. Ich habe genug Bemerkungen über den Anderen gemacht, wollte ihn eifersüchtig machen. Aber er ging nicht darauf ein. Ignorierte es. War sich meiner so sicher. Während ich für einen Anderen schwärmte, was er sich meiner sicher. Toll! Ich habe irgendeine Reaktion erwartet. Dass er mal plötzlich in der Halle auftaucht. Mit mir zusammen dort hilft. Mich kontrolliert. Aber es kam nichts. Ich dachte, er beschwert sich, dass ich immer von dem Anderen spreche. Aber es kam nichts. Sich beschwert, dass ich aus unserem Urlaub mit dem anderen telefoniere, rein beruflich ja, aber dennoch in unserer Paarzeit. Was sagt er nun dazu? Ja, er hatte gemerkt, dass es irgendeinen Typen gab, den ich öfter erwähne. Mehr aber nicht. Ok. Ich dachte, er ist empathisch? Wollte er das nur nicht wahrhaben? Ich bin verwirrt. Aber egal was er wahrhaben wollte oder nicht, habe ich mich emotional von ihm in dieser Zeit entfernt. Die Bindung, die mir fehlte, wollte er mir nicht geben. Ich konnte nicht ständig nach dieser bitten, also habe ich mich entfernt. Der Andere beschleunigte nur diesen Prozess, der schon früher begonnen hatte. Und dann kamen harte Monate für uns. Ziemlich harte.

                                      Wir sitzen immer noch auf der Bank im Wald. Es wird langsam dunkel. Und innerlich fühlt sich das noch dunkler an, zu verstehen, dass wir wohl den Punkt gefunden haben, ab dem es bergab ging. Ich zittere dermaßen, dass ich seine Wärme einfach brauche. Die emotionale kann ich nicht bekommen, nicht in dem Ausmaße, aber die physische zumindest. Ich drehe mich in seinen Arm rein, lass mich selbst von ihm umarmen. „Ich möchte dir nicht noch mehr wehtun“, ist sein schmerzerfüllter Einwand. Mein Typ, mehr geht nicht mehr! Der Höhepunkt war schon in den letzten drei Wochen. Das ist es mir nun wert. Ich weiß nicht, wie die kommenden Tagen aussehen werden. Ich weiß nur, dass ich jetzt verdammt durchgefroren bin.

                                      Er wundert sich immer noch, dass ich ihn nicht mit Vorwürfen überhäufe, ihn niedermachte. Das würde ihm die Trennung leichter machen, ich weiß. Er könnte sich dann verteidigen, sich schützen, wieder emotional abschotten. Ich dachte auch, es wäre meins. Auszuflippen. Zu schreien. Hmm, irgendwie geht es bei Kleinigkeiten. Da kann ich mich hier und da gut reinsteigern, wenn ich das zulasse. Wenn ich meine Periode habe. Aber nun ging es um die Grundbausteine unseres Lebens. Ich fühlte mich irgendwie besonnen. Ruhig. Ich bin keine Amöbe. Es ist interessant, immer wieder neues an sich zu entdecken. Aber wie sollte ich ihm auch Vorwürfe machen? Wie geht das, wenn man einen Menschen liebt? Egal wieviel noch? Da würde ich aus dem Kopf sprechen nicht aus dem Herzen. Objektiv betrachtet, hat er durchaus unsere Welt vor drei Wochen zerstört. Mit dem Haus und den gemeinsamen Plänen. Aber irgendwie beschäftigte mich dieser Punkt am wenigsten in meinen inneren Monologen. Es war eine Thematik, die mich schon sehr lange kaputt gemacht hat. Ich war froh, dass sie gerade weg war. Ich konnte ihn als Menschen wieder sehen, als Mann, so wie wir uns mal kennengelernt hatten. Ich hatte nun die Erklärung für sein Verhalten in den letzten Monaten. Er hatte die Erklärung für mein Verhalten. Über verschiedene Themen haben wir geredet, aber nie in dieser Tiefe. Ich habe es hier und da adressiert, aber nicht in dieser Dimension. Das ginge gar nicht, ohne den großen Knall. Die Erkenntnis war irgendwie frustrierend. Mir ist rückblickend keine andere Lösung eingefallen. Wenn er gefühlsmäßig schon so unglücklich war und sich vor allem so reingesteigert hatte ohne mit jemandem darüber sprechen zu können. Wenn schon sein Blutdruck in die Höhe geschossen ist die Wochen davor, vor der Aussprache. Dann gab es aus seiner Sicht keine andere Lösung. Ich war unglücklich gewesen, aber ich hatte immer noch gedacht, dass das gemeinsame Haus endlich alles heilt, wir uns wieder näher sind. Seine Lösung war nicht meine Lösung. Es ist durchaus einfacher zu gehen, alles abzubrechen. Ich habe für mich noch nie den einfacheren Weg im Leben gewählt.

                                      Er wollte die Chance, glücklicher zu werden, daher die Trennung. Das klang damals in seiner Formulierung so unendlich hart. Brach mir das Herz. Jetzt verstand ich, in welcher emotionalen Lage wir uns überhaupt befanden, sowohl er wie auch ich. Ich war auch nicht glücklich. Aber ich bin der Macher! Ich war der Meinung, dass ich es schaffe, was dagegen zu machen. Hinschmeißen war noch nie eine Option für mich, bei nichts im Leben. Ich bin auf einen sehr interessanten Artikel im Internet gestoßen, der unter der Suche „sich entlieben“ aufgetaucht ist (https://instahelp.me/de/magazin/beziehung/warum-man-sich-entliebt-und-wie-man-die-liebe-zurueckholen-kann/). „Was würde helfen, wenn die Liebe zu gehen scheint?“ Eine sehr interessante Frage. Und die sehr interessante Antwort des Psychologen war: „Man muss erkennen und sich eingestehen, dass die Partnerin nicht dazu da ist, einen selbst glücklich zu machen.“ WOW – das klingt so treffend! Und es ging weiter: „Man muss sich von der Sicht – Wie muss du dich ändern, dass es uns oder mir gut geht – abwenden.“ Und noch bedeutender: „Man muss sich fragen: Was müsste ich in mir entwickeln, damit wir unsere Beziehung als eine beglückende erfahren können?“.

                                      Wie übertrage ich das auf mich? Ich hätte in mir die innere Sicherheit entwickeln können, dass er zu mir steht. Aus mir heraus. Das ist schwer. Er hat mir Liebe signalisiert. Aber ich wollte das Gefühl der Zugehörigkeit mehr spüren. Habe ich das geäußert? Ja, ich denke schon. Hat er das verstanden? Ich denke nicht. Ich muss gestehen, dass ich das selbst erst im Laufe der letzten Wochen so deutlich verstanden habe.

                                      Wie übertrage ich das auf ihn? „Die Partnerin ist nicht dazu da, einen selbst glücklich zu machen.“ Das ist eine große Erkenntnis. Es lag in seiner Hand, über seine Gefühle, seine Bedürfnisse zu reden. Er hat das nicht gemacht. Sich innerlich abgekapselt. Innerlich Schluss gemacht noch lange bevor er das ausgesprochen hatte. Hat er das Gefühl der Zugehörigkeit zu mir gehabt? Hat er das nur nicht richtig vermittelt?

                                      Was ist Liebe überhaupt? Eine große Frage. Die Antwort aus dem Artikel finde ich schön. Sie spricht mir aus der Seele. „Liebe ist nach dem Verliebtsein die innere Entscheidung für einen Menschen, auch wenn ich ihn eigentlich nicht brauche! Ich brauche dich nicht, aber ich will mit dir sein!” Diese innere Entscheidung hatte ich damals schon getroffen. Und in meinem Gefühl wuchs mit der Zeit die Empfindung, dass er diese innere Entscheidung noch vor sich hingeschoben hat. Keine Geschenke, keine Gesten der Liebe reichten mir, um zu glauben, dass er sicher ist, an meiner Seite richtig zu sein. Ich habe auf andere Beweise gewartet. Als sie ausblieben, zweifelte ich an seiner inneren Entscheidung. Laut seinen Aussagen hatte er diese Entscheidung eigentlich damals getroffen. Damals nach vier Jahren waren wir noch sehr glücklich. Aber er hatte mir das nicht glaubhaft vermittelt. Also kamen die Zweifel. Fraßen alles auf. Nun saßen wir hier, im Wald, auf der Bank.

                                      „Ich konnte dich nicht mehr auf Händen tragen!", war sein verzweifelter Ausdruck! Er wollte es aber können. Es fehlte ihm. Die Überzeugung schwand. Die Visionen von der Zukunft wurden weniger. Ich wollte durchaus auf Händen getragen werden. Natürlich. Aber im Moment lag ich am Boden. Ich hatte schon am Anfang unserer Beziehung auf die Realität hingewiesen. Ich habe mich gewundert, dass er nie was an mir auszusetzen hatte. Nie an meinem Verhalten was kritisiert hatte, nicht mal was konstruktiv angemerkt, nicht! Immer glücklich und zufrieden - konnte das realistisch sein? Er sagt, er hat am Anfang nichts gesehen. Er war total blind vor Liebe. Ich war voller Liebe, aber nicht blind. Ich hatte immer offen Sachen angesprochen. Er nicht. Am Anfang gibt's auch nichts oder wenig Kritisches. Aber wenn man das nicht lernt, wie man wertschätzend den Anderen kritisiert, dann steht man im Laufe der Beziehung vor einem Problem. Er hatte das Bedürfnis, Dinge anzusprechen. Aber er wusste nicht wie. Er konnte mich nicht kritisieren. Das gehört sich nicht. Der offene kritische Umgang miteinander als Paar ist doch die Basis jeder Beziehung. Sonst ist das Ende wie jetzt.

                                      Ich liege am Boden, weit weg von dem Podest, auf dem ich jahrelang stand. Dieser Unterschied zwischen auf Händen getragen werden und keinen Kontakt mehr haben war so unfassbar schmerzhaft. Und so schwer zu verstehen. Dazwischen lagen doch so viele Schritte. Warum hat er die Minimallösung gewählt? Wollte er mich wirklich nie wieder sehen, nie wieder sprechen, nie umarmen, nie wieder küssen? Wollte er, dass ich und dass wir in seiner Zukunftsvision verschwinden? Ein Leben ohne mich? Wollte er mit der Vorstellung leben, dass ich das alles mit einem anderen Mann mache? Wirklich? Oder wollte er einfach dem Schmerz des Augenblicks nachgeben? Die angestaute Enttäuschung der letzten Monate sich von der Seele reden? Sein Ruhepuls ist massiv hochgegangen in den Wochen vor der Trennung. Nach der Aussprache ging er sofort runter. Warum? Weil die Aussprache die benötigte Erleichterung brachte? Oder weil ich aus seinem Leben weg war? Ich hoffe und gehe von ersterem aus. Seine Traurigkeit über die schwindende emotionale Verbundenheit hatte er geäußert. Und dann? Was dann? Der emotionale komplette Bruch? Abstand? Pause? Ich würde so gerne verstehen, was ihn bewegt. Jetzt in ihm arbeitet. Lässt er das zu? Denkt er über alles nach, wie ich? Ist es ihm noch Wert?

                                      Alle meine Maßnahme, die ich damals nach Silvester noch ergriffen hatte, hatten nicht das richtige Fundament. All das was nun rauskam, war weder ihm noch mir damals bewusst. Es war zwar ein richtiger Versuch von mir, aber er hat nicht wirklich mitgemacht damals. Innerlich ist er reserviert geblieben. Und auch ich habe mich auf die physischen Lösungen und Pläne gestürzt, nicht das emotionale Aufarbeiten der Situation. Emotional blieben wir also entfernt, mit Höhen und Tiefen, aber irgendwo waren es wohl mehr Tiefen.

                                      Ich drehe mich aus der Umarmung raus. Sitze ihm gegenüber und frage: „Kannst du mir bitte sagen, dass du mich nicht mehr liebst. Das würde die Sache einfacher machen.“ Er schweigt. Er schaut mich nicht an und schweigt und schweigt. Es fühlt sich nach einer Ewigkeit an. „Das kann ich nicht.“ „Das kann ich auch nicht sagen“, kommt dann von mir. Wir schweigen beide. Weinen? Aber er konnte auch nicht mit einem reinen Gewissen mir in den letzten Monaten sagen, dass er mich liebt. Das habe ich gespürt. Schon nach der Aussprache an Silvester fehlten diese kleinen Wörtchen. So oft habe ich einfach die fehlenden Worte von ihm selbst ergänzt. Für mich innerlich ergänzt und übersehen, dass sie nicht da waren. Ich nahm ihn als so selbstverständlich als so sicher an meiner Seite an. Eine gewisse Sicherheit muss sich nach einigen Jahren einstellen. Sonst dreht man ja durch wenn man täglich damit rechnen müsste, der Andere packt die Koffer. Aber diese Selbstverständlichkeit kann auch nach hinten losgehen. Damals bei Kriegsausbruch als ich in der Halle fast gewohnt habe. Da habe ich auch gefühlt, dass er mich als selbstverständlich nimmt und sich nicht genug bemüht. Zu viel Sicherheit ist nicht gut. Das habe ich verstanden. Die Investitionen in unsere Beziehung waren in den letzten Monaten minimal. Außer dem netten Alltag, den Abenden nach der Arbeit, blieb uns nicht viel. Und auch diese wurden hier und da durch das Thema Haus vergiftet. Was blieb also noch? Weder von meiner noch seiner Seite kam der entscheidende Vorschlag, diese Nähe wieder herzustellen. Warum nicht? Ich kann es nicht sagen. Ich hatte keine Kraft mehr zu warten. Er hatte keine Kraft mehr zu kämpfen. Jetzt saßen wir hier auf der Bank, im Wald, in der Kälte.

                                      Ich will nicht, dass der Abend vorbeigeht. Keine bewegt sich von der Bank. Aber es wird dunkel, ich habe langsam emotional keine Kraft mehr für noch mehr Aussprache, noch mehr Leid. Ich stehe auf. Ja, wir sollten den Wald langsam verlassen, war auch seine Meinung. Die Sicherheitsorientierung. Blutrünstige Rehe lauern überall. Aber ich fühlte mich beschützt. Ich mogele mich wieder unter seinen Arm. Es ist so kalt. Innerlich schon wärmer. Aber äußerlich nicht auszuhalten ohne seinen Arm um meine Schultern. Warum war ich eigentlich da so empfindlich an den Schultern? Jetzt störte es mich nicht. Es war nicht unangenehm. Einbildung? Habe ich mich da reingesteigert? Oder Einbildung, dass ich das jetzt nur wollte, da es nun so kostbar wurde. Ich weiß es nicht. Ich bin zu müde für weitere tiefsinnige Überlegungen. Wir laufen durch den Wald. Wir sind recht tief noch drin, es dauert noch locker 20 Minuten, bis wir an seinem Haus sind. Nun sprechen wir viel weniger miteinander. Es ist schon so viel ausgetauscht worden. Ich genieße einfach nur seine Nähe. Der Austausch hatte mir gereicht. Ich bin in meinen Gedanken versunken.

                                      Merkwürdig, ich verstehe nun viel mehr, was mir fehlte. Was mich störte und vor allem warum. Ich bin nur anders damit umgegangen als er. Innerlich habe ich mich auch bis zu einem gewissen Grad distanziert. Wurde genervter und sarkastischer im Umgang. Ich habe über alle, oder fast alle genannten Aspekte mit ihm auch während der Beziehung geredet. Aber er hat mich nicht ernst genommen. Es abgetan. Seine Liebe war doch da und reichte doch. Er gab doch so viel. Aber teilweise nicht das richtige. Er wollte alles sehr langsam angehen. Und irgendwo hat er mich auf diesem langsamen Weg verloren. Ich habe an Silvester meinen emotionalen Ausbruch gehabt, ihm alles an den Kopf geworfen, wollte gehen. Aber auch da waren weder ich, noch er, dazu bereit, sich so tief mit allem auseinander zu setzen wie wir das jetzt tun. Nur dieser Bruch hat dazu geführt, dass wir es tun müssen, es tun wollen. Wofür? Um selbst zu wachsen? Daraus zu lernen? Für uns als Paar? Für uns in anderen Beziehungen mit anderen Menschen? Wir sind keine Amöben. Wird es ein UNS geben können? Werden wir Freunde. Werden wir überhaupt noch Kontakt haben können und wollen miteinander. Das waren alles Fragen, die ich mir zurzeit nicht beantworten konnte. Daher habe ich auch ihn nicht danach gefragt. Meine letzte Frage an ihn war nur, „wie soll ich mich nun verhalten?“. Was Besseres fiel mir auf den letzten Metern nicht mehr ein. Ich wollte irgendwas zu der Zukunft wissen. Aber etwas, was weniger verfänglich war. Nur die kleineren Schritte klären. Er war sichtlich verwirrt von der Frage, das kam schon öfter bei meinen Fragen vor. Wir sollten vielleicht nicht täglich Kontakt haben, war sein Einwand. Ah, ok. Würden wir auch nicht haben. War das ein Versuch, sich noch am Ende zu distanzieren? Ich habe es zur Kenntnis genommen. Gar kein Kontakt mehr haben, wollte ich als nächstes wissen. Nein, das nicht, das wäre zu schwer, das wollte er nicht. Ok. Wir musste uns ja nicht festlegen. Es war nur eine Richtung, irgendwas dazwischen.

                                      Wir waren vor seinem Haus angekommen. Es war fast zehn Uhr abends. Ich war so durchgefroren. Ich wollte nur noch heim. „Du willst nicht wirklich noch was einladen ins Auto oder?“ Nein, das wollte ich definitiv nicht. Vor dem Hauseingang blieben wir stehen. Noch ein Blick zu ihm. Er kam auf mich zu und umarmte mich. Eine kleine warme Geste. Mehr nicht. Ich würde da auch nicht mehr reininterpretieren. Natürlich nicht. Vielleicht morgen, heute nicht. Ich stieg ein und fuhr. Das gewohnte Winken aus dem Auto. Dann war ich weg.

                                      Kein Heulen im Auto. Ich bin leer. Einfach nur leer. Ganz wenigen Augenblicke kann ich in der „Nothingbox“ verbringen und gar nichts denken. Eine faszinierende Fähigkeit von Männern. Mir gelang das selten. Über der Straße ist der Mond prächtig zu sehen. Ein richtiger heller Vollmond. Wie schön. Und dann überkommt es mich, diesen Eindruck mit ihm zu teilen. Ich hatte es mir die letzten Wochen schon abtrainiert, solchen Gefühlen nachzugehen. Ich halte an der Tankstelle an. Naja, zuerst versuche ich es aus dem Auto, mit weniger Erfolg. Daher das Anhalten. Ja, auch das schlechte Gewissen, er würde wieder schimpfen, dass ich fahre und mit dem Handy rumhantiere. Die Bilder werden nicht notwendigerweise besser. Also doch nicht verschicken. Ich komme zuhause an. Meine Mutter wartet schon. Beobachtet mich kritisch. Alles ok, ich will nicht reden, nur schlafen. Ich bin einfach nur durch und durch. Es ist schön, dass sie da ist. Aber im Moment will ich einfach nur Ruhe. Ich sage Gute Nacht. Auf dem Handy ist eine Nachricht von ihm. Die erste proaktive Nachricht nach drei Wochen. Ob ich gut zuhause angekommen bin. Das ist er, so ist er, so war er. Er macht sich Sorgen. Die Restwärme des Spaziergangs. Der Beziehung. Ich schreibe zurück. Und schicke ihm meinen Mond zu. Er ist nicht schön, aber nun will ich ihn doch teilen, wenn er sich schon meldet. Dann bekommt er auch was zurück – den Mond. Er findet ihn „krass“. Ich glaube, es ist das erste Smiley, was wir austauschen, nach drei Wochen. Er schimpft gar nicht. Es wäre ja der Auftakt für eine längere Unterhaltung. So war es nicht gedacht. Also schimpft er auch nicht über die Aufnahmesituation des Bildes. Ok, ich akzeptiere es. Ich bin zu müde, um mir noch mehr tiefsinnige Gedanken zu machen. Ich schlafe ein.

                                      Tag 23 - Montag


                                      Ich habe sogar ganz vernünftig geschlafen. Die Uhr zeigt sieben Uhr, läuft! In der Nacht war ich zwar wieder eine Stunde wach und schon wieder von meinem Magen wachgeknurrt worden. Das nervt so grenzenlos! Wenn man schon keinen Hunger hat, dann sollte er auch begreifen, dass mal Pause ist. Ich bleibe fast eine Stunde im Bett liegen und gehe meine Gedanken durch. Es sind so viele verschieden Facetten, die mir aus dem gestrigen Gespräch in den Kopf kommen. Ich lasse mich auf keinen besonderen Aspekt ein. Fühle mich nur irgendwie besser, besser als an den letzten Tagen. Nicht so komplett kaputt und verzweifelt. Irgendwie ruhiger. War es seine Nähe, die mir Kraft gibt? Dieses Auftanken, was ich in seiner Gegenwart immer hatte? Ich stehe auf. Meine Mutter ist da und bleibt den ganzen Tag noch da. Sie hat Angst, dass ich nach der gestrigen Unterhaltung zusammenbereche, sie mich aufsammeln muss. Ich halte mich ganz wacker. Sie vermutet anfangs eher eine List, eine Unterdrückung. Aber nach einigen Stunden lässt sie mich in Ruhe. Wir sprechen nun in Ansätzen über den gestrigen Abend. Irgendwie habe ich schon alles besprochen. Mir liegt nichts Unausgesprochenes auf der Zunge, was ich ihr noch mitteilen will. Er ist so idealistisch – ist ihr einziger Kommentar. So war er eigentlich schon immer - mein Gefühl. Ich konzentriere mich auf wenige Stunden Arbeit.

                                      Heute steht mein erster Tanzkurs an. Mir fällt spontan ein, dass ich nicht mal Tanzschuhe habe! Na super! Das war ja zeitig. Einige Stunden vor dem Kursbeginn. Das ist so gar nicht meine Art. Das macht mir immer noch Angst, wie sehr ich aus der Bahn bin. Ich will da wieder zurück! Ich habe mich total spontan überhaupt angemeldet, vor etwas mehr als einer Woche. Ich habe mir das bei meinem Resilienz-Seminar vorgenommen – und durchgezogen! Gesagt – getan. Was habe ich vermisst die letzten Jahre? Das sollte ich nun angehen. Die Musik, das Tanzen. Das habe ich schon ganz lange vermisst, nie Zeit gehabt, nie die Motivation. Auch mit ihm hatte ich kurz darüber nachgedacht. Das wäre doch schön als Paar! Salsa oder Bachata – so viel Gefühl! Genau das richtige, um Schwung in die Beziehung zu bringen. Aber irgendwie hatte ich nicht das Gefühl, dass es was für ihn wäre. Ich habe ihn nicht mal gefragt, es mal einfach angenommen. Eigentlich macht er doch Karate, hat ein gutes Körpergefühl. Ob es doch was wäre damals? Ich hatte mich bewusst nie allein angemeldet, da die lateinamerikanischen Tänze sehr intim sind. Teilweise sehr engumschlungen getanzt werden mit viel Körperkontakt. Das wollte ich nicht, wenn ich in einer Beziehung bin. Das erschien mit irgendwie falsch. Er hatte auch genug Körperkontakt bei Karate, aber das betrachtete ich mal als nicht vergleichbar. Jetzt war ich allein. Ich konnte tun, was ich wollte. Und ich wollte tanzen. Weil ich das schon immer wollte und weil ich nicht allein sein wollte. Da sprachen gleich viele Gründe dafür.

                                      Ich hetzte also nachmittags zuerst zu einem Tanzkleidungsgeschäft in Mainz. Was wir hier alles hatten! Gottseidank! Winziger Laden mit einer sehr speziellen Verkäuferin, die sich aber als richtig nett herausstellt. Ich verbringe locker 40 Minuten dort und probiere gefühlt alle Schuhe einmal durch. Alle so eng und unbequem! Aber dann! Ich mache ein Foto vor dem Spiegel von meinen Auserwählten. „Gehen Sie mit ihrem Mann tanzen?“ Bäng! Gerade war mir die Frau noch sympathisch gewesen. Was für eine dämliche Frage. Sofort steigen die Tränen hoch. Sie fragt gleich alternativ nach einem Partner als sie sieht, dass ich bei der Frage zögere. So eine tolle Frau wie ich! Die wird ja sicher nicht allein zum Tanzkurs gehen. Oh doch. Ich murmele irgendwas davon, dass ich eigentlich nie mit Männern zusammen war, mit denen ich auch tanzen konnte. Wir übergehen damit das Thema, ob ich nun einen Partner habe oder nicht. Wie peinlich! Darauf musste ich mich erst gewöhnen. Aber es geht verwirrend weiter.

                                      Ich habe keine Zeit mehr für ein richtigen Abendessen, eigentlich auch keine Lust. Aber gut, ich will ja fit sein für den Tanzkurs. Eine Imbissbude mit asiatischen Nudeln am Bahnhof bietet sich an. Ich nehme dann mein Essen beim Laufen ein auf dem Weg zum Auto. Wie cool! Wie lange war ich schon nicht mehr allein in Mainz. Essend beim Laufen, mit Tanzschuhen in der Hand. Ich fühle mich irgendwie cool. Aber natürlich kann es nicht so entspannt weitergehen. Ich habe noch eine Menge Zeit, aber ich will ja in Ruhe dort ankommen. Zack! Der Kassenautomat funktioniert nicht. Der Parkschein wird immer wieder rausgespuckt. Ich suche den Fehler bei mir. Vergebens. Keine Chance. Ich blicke mich um. Ein nett aussehender Typ steht hinter mir. Will auch zahlen. Ok, ich lass ihn vor. Das gleiche Problem. Er sagt enttäuscht, dass es schon letzte Woche der Fall war. Wir schauen uns ratlos an. Wir diskutieren über einen anderen Automaten. Ihm ist keiner bekannt. Die Frau hinter uns geht auf die Suche. Typ schaut weiter ratlos. Ich bin ich. Ich muss was tun. Ich muss zum Tanzkurs, verdammt! Ich rufe die Hotline an. Keiner geht ran. Der Typ versucht es mit der angegeben Telefonnummer. Genervte Frauenstimme aus dem Automaten meldet sich nach mehr als 5min. Sie gibt mir und uns irgendwelche Anleitungen. Ich verstehe fast nichts. Der Typ auch nicht. Wir blicken ums entgeistert und lachend an. Die Situation ist so absurd. Er beugt sich über die Anlage. Diskutiert mit der Frau. Auf dem Display erscheinen irgendwelche Angaben, verschwinden aber wieder. Irgendwie kann die Frau den Automaten aus der Ferne steuern. Wir philosophieren über die Technik. Der Typ ist echt nett. Reden dazwischen hilft. Ich habe mir fest vorgenommen, die Frauenstimme nicht zu Sau zu machen. Mein neues Ich. Ich lächle, bin voller Ironie, aber lächle. Du kannst sie nicht alle töten. Ich werde es nun auch nicht versuchen. Ich bleibe gelassen. Unterhalte mich weiter mit dem Typen. Wir warten. Die Frauenstimme gibt auf! Sie schickt uns sonst wohin auf der Suche nach einem Automaten. Es sind schon unfassbare zwanzig Minuten vergangen. Wir schlendern zusammen durch das Parkhaus. Als wir beide zahlen und ich Tschüss sagen möchte, kommt die Überraschung. Ob er meine Nummer haben darf? Hä? Ich schau ihn verstört an und frage auch noch „Wofür?“. Hat das was mit dem kaputten Automaten zu tun? Er lächelt. Ich begreife. Flirtet er gerade? Ich habe ja so was von keine Antennen mehr dafür. Ich glaube, ich werde rot und murmele irgendwas von ich bin vergeben. Bin ich das? Eigentlich ja nicht mehr. Aber irgendwie doch. Ach was weiß ich! Ich bin zu keiner Paarung im Parkhaus bereit. Jetzt verstehe ich, warum er auf meine Hand starrte. So merkwürdig, als ich an dem Automaten rumfummelte. Was sagt denn schon der fehlende Ehering? Nicht wirklich was. Man kann doch trotzdem vergeben sein. Dass Männer heutzutage überhaupt so mutig sind, verschlägt mir einbißchen die Sprache. Das wird ja interessant. More to come. Ich fahre endlich los zum Tanzkurs.

                                      Ich möchte total vorurteilsfrei herangehen. Allem eine Chance geben. Ich werde nicht rumzicken, egal mit wem ich Tanzen soll. Das neue Ich wird empathisch und herzlich allen Herausforderungen des Lebens begegnen, egal wieviel Mundgeruch sie haben. Ich gebe allen eine Chance. Mein letzter Tanzkurs als Single liegt schon über 17 Jahre her. Krass, da war ich erst um die 25. Ich war damals eine der Jüngsten um Kurs. Damals hatte ich meinen Freund dort kennengelernt. Oder sagen wir mal einen Lebensabschnittsgefährten für vier Monate. Es sah Hammer aus. Must have Mann. Er war definitiv nicht der Bindungstyp und sah nur nach Problemen aus. Aber mit 25 ist das ziemlich egal. Damals war eine andere Frau im Kurs, die um die 40 war. Die hatte sich doch ernsthaft damals an den jungen Schönling in meinem Alter herangemacht. Ich fand das damals so krass. Sie sah nicht mal gut aus. Er hatte sich für mich entschieden. Wobei ich im Nachhinein nicht ausschließen kann, dass er sich damals so gar nicht festgelegt hatte.

                                      Hier ist es nun anders, nun bin ich eine der Ältesten, toll! Die Auswahl an interessanten und zumindest passenden Tanzpartnern hält sich in Grenzen. Lauter junge Pärchen, wahrscheinlich kurz vor der Heirat. Machen das wahrscheinlich noch als letzten Gelegenheit, bevor es ans Heiraten und Kinderkriegen geht. So hatte ich das damals auch mit meinem Exmann vor 15 Jahren versucht. Es war dann doch zu anstrengend. Er hat so krampfhaft geführt. Das war nicht gefühlvoll und schön, es war eher verbissen. Das hat keinen Spaß gemacht und nach wenigen Monaten haben wir aufgehört. Naja, schauen wir mal, wie die anderen Pärchen sich schlagen. Einen jungen Typen frage ich gleich beim Tanzen, ob seine Freundin ihn gezwungen hat. Er lacht. Nein, natürlich war er intrinsisch motiviert. Er ist nett. Und er hat Mundgeruch. So schlimm! Der Geruch ist so wichtig, um einen Menschen leiden zu können, ertragen zu können. Schon wieder kommen Erinnerungen hoch. Wie lange das wohl so weitergeht. Sein Geruch! Wie intensiv haben wir uns in der Verliebtheitszeit wahrgenommen. Er hat mit meinem getragenen Nachthemd geschlafen. Ich hätte ihn den ganzen Tag nur abschnuppern können, sein Körpergeruch, das Parfum, die Kombination. Das war bestimmt schlimmer als eine Droge. Es wurde besser. Normaler. Ihm hat es nicht mehr gereicht, das normal.

                                      Jetzt musste ich zurück in die Wirklichkeit zu den Zwergen. Wir tanzen erstmal alle in Reihe die Grundschritte, die allgemeinen Bewegungen. Es fängt schon sehr einfach an. Etwas langweilig. Abgesehen vom Alter ist leider fast keiner in meiner Größe dabei. Ich bin mit 170cm nicht riesig, aber auch nicht klein. Mit Absätzen der Tanzschuhe bin ich locker über 175cm. Einigen Männern schaue ich wirklich auf den Kopf. Das ist wirklich gruselig! Aber gut, ich werde trotzdem nett lächeln. Ich gebe alles. Vor mir steht der einzige vernünftig große Typ, der zwar locker zehn Jahre jünger ist, aber was solls. Wir wollen ja nur tanzen. Dann kommt der Moment, wo man sich als Paar finden soll. Und dann wird es lustig! So richtig. Gleichzeitig fragen mich drei Typen, von vorne, von links und von rechts. Wie goldig! Herrlich, mein Selbstbewusstsein braucht das! Es ist zwar nur Tanzen, aber was solls. Ich habe die freie Wahl. Ich bin sehr respektvoll und begründe meine Entscheidung mit der Größe meines Vordermanns. Die anderen schauen doof aus der Wäsche, aber man kann nicht alle glücklich machen. Das ist wie mit dem Töten, man kann ja auch nicht alle töten, auch wenn ich in den nächsten Minuten durchaus in die Versuchung komme.

                                      Aber mit Jan klappt es erstmal ganz gut. Sehr angenehmer junger Typ. Sehr groß. Führt ordentlich. Man steht sich sehr nah! So nah bin ich seit Jahren vor keinem anderen Mann gestanden. Seine Hände liegen auf meinen Schulterblättern. Ich spüre seinen Atem. Gottseidank passt alles. Er ist angenehm. Ist mir sympathisch. Aber die Freude währt nicht lange. Die Männer wechseln fröhlich durch. Ich habe also ein Karussell voller Zwerge vor mir, Schneewittchen und die zehn Zwerge, wäre der treffende Name der Episode. Ich bin eine der größten Frauen. Das ist so schlimm! Es gibt bestimmt auch tolle kleine Männer, ich würde sie eher Menschen bezeichnen. Irgendwie fängt für mich kein Mann unter 190cm an. Ich bin so oberflächlich. Ich möchte aber nun mal beschützt werden vor dem großen bösen Wolf im Wald, vor den Grausamkeiten der Welt. Ich möchte über die Türschwelle getragen werden, auf Händen getragen werden. Oh verdammt! Da kommt wieder was hoch. Das Tragen auf Händen tut weh! Der Gedanke tut weh.

                                      Der Fuß von Mark tut auch weh, als ich ihm drauftrete. Sorry, war in Gedanken woanders. Was muss der Zwerg auch ohne Schuhe Tanzen! Sorry! Kleiner Mensch mit langem Bart. Bei manchen Männern ist es echt verblüffend, wie schlecht sie führen. Im Leben werden sie dazu nicht in der Lage sein. Und ich als Frau – ich muss mich ja nur führen lassen. Wir sollen sogar die Augen schließen und uns auf die Körperbewegungen des Mannes, seine Hände konzentrieren. Naja, manchmal klappts, öfter nicht. Bin nun wieder Versuchskaninchen auf diesem Markt der führungsfreudigen Männer. Mal schauen, was die nächsten Kurse bringen. Ich fahre nachhause.

                                        Tag 24 - Dienstag


                                        Was für ein dynamischer Morgenstart! Um Punkt fünf bin ich wieder wach. Warum auch immer. Wieder Hunger und Magengrummeln. Egal. Ich mach was draus! Ich stehe doch ernsthaft um kurz nach 5 auf. Ich glaube, das hab noch nie gemacht. Aber jetzt bin ich allein. Kann die Zeit nutzen. Erstmal mit dem ersten Frühstück kurz vor fünf anfangen. Dann nochmal schreiben schreiben schreiben. Ich bin noch gar nicht mit dem Treffen am Sonntag durch. Es wurde so viel gesagt. Es muss erstmal sacken. Dann beschließe ich Sport zu machen. Im Wohnzimmer. Laufen ist schwierig. Bin erstens noch zu kaputt von zu wenig Schlaf und zweitens tut mir der Hintern noch vom Tanzen gestern weh. Das geht ganz schön auf die Popomuskeln. Klasse! Dann schaffe ich noch zu duschen und zu schminken. Dann ein zweites Frühstück. Um 8:30 gehe ich erst aus dem Haus. Wieder krass! 3h dynamischster Morgenstart. Ich bin stolz auf mich.

                                        Auf dem Weg ins Büro habe ich nun im Auto dreimal die Woche sehr viel Zeit zum Nachdenken. Irgendwie beruhigt sich die Gefühlslage. Ich habe immerhin schon gestern nicht geweint. Heute sollte es auch klappen. Ich habe so viel erzählt, ihm erzählt. Ich führe etwas weniger Monologe als die letzten Wochen. Ich habe viel Futter zum Nachdenken. Über mich selbst. Über uns. Es ist wieder die Chance, sich zu hinterfragen und zu überlegen, was man an sich mag oder nicht. Ich bin keine Amöbe. Was möchte ich ändern? Was mag ich an mir. Was mag er an mir? Was mag er nicht, was ich ändern kann? Was kann ich aber nicht ändern, obwohl es ihn stört. Wenn man über Beziehungen liest und einen potenziellen Neuanfang zusammen, dann kommen immer wieder Empfehlungen, sich mit den Problemen auseinander zu setzen. Und Empfehlungen, die Stärken und Schwächen des anderen zu akzeptieren. Bei uns ist so wenig greifbar. Wir haben als Menschen und als Partner doch so gut gepasst. So viel Zeit miteinander glücklich verbracht. Egal ob wir unterschiedlich sind oder nicht, wie seine Freunde betonen, was immer noch extrem schmerzhaft ist, sich daran zu erinnern. Ich fühle mich dann wieder und wieder bestätigt, nicht bei denen angekommen gewesen zu sein, nicht akzeptiert gewesen zu sein. Vielleicht sind sie ja auch auf dem Bremspedal mit mir gefahren. Muss ich die Schuld immer nur bei mir suchen?

                                        Aber was heißt unterschiedlich? Natürlich will man immer irgendwas an dem anderen ändern. Aber es waren Kleinigkeiten. Lächerliche Kleinigkeiten, die uns zum Lachen gebracht haben. Der Biomülldeckel. Der hat mich immer gestört. Die ausgeschaltete Steckdose bei der Stereoanlage. Aber das waren so witzlose Sachen. Unser Umgang miteinander war immer respektvoll. Ich würde hier nicht groß was ändern können und wollen. Ich weiß nur, dass das Thema Haus und das unausgesprochene Thema Ehe uns extrem belastet haben. Die Kommunikation vergiftet haben. Zu einer inneren Entfremdung geführt haben. Die sind nun ausgesprochen. Die sind nun weg. Und nun? An was soll ich denn nun weiterschrauben? Soll ich überhaupt? Will ich an irgendwas schrauben, um was zu ändern? Das Leiden wird hoffentlich Tag für Tag einbißchen besser, erträglicher. Die Wunde ist immer noch offen, das Bein blutet, aber nicht mehr so stark, dass ich nicht mehr mit dem Verbandswechsel nachkomme. Ich bekomme die Wundpflege langsam in den Griff. Ich leide ein sehr kleines Stück für Stück weniger. Das Bein ist immer noch daran. Aber zum Laufen noch nicht geeignet. Tut weh und blutet, braucht Zeit und Geduld. Ich müsste eine neue Gangart erlernen. Kann ich das? Will ich das?

                                        Die Arbeit lenkt gut ab. Insbesondere im Büro, wo ich Meetings habe und jeder irgendwas von mir will, einfach weil ich sichtbar bin. Aber ich muss mich an den Alltag ohne ihn „im Hintergrund“ gewöhnen. Keine kleine nette Nachricht zwischendurch aus dem Backoffice. Ich muss nicht klären, wer was zu essen macht heute Abend, ob ich was mitbringen soll. Wann ich denn zurückkomme. Völlig egal. Ich bin keinem mehr eine Rechenschaft schuldig, negativ formuliert. Aber keinen interessiert es auch, wo ich bleibe. So ein merkwürdiges Gefühl nach fast sechs Jahren seiner Nähe. Plötzlich interessiert es ihn nicht. Und es hat auch mich nicht zu interessieren, was er macht, was er zu essen bekommen hat, ob er schon wieder bis spät abends Telkos hat. Alle Prozesse nochmal neu lernen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Aber keine Amöbe. Ich werde mich anpassen. Ich habe mich einmal nach der Arbeit verfahren. Bin einfach zu ihm gefahren, die falsche Richtung eingeschlagen. Man ging es mir danach dreckig, als ich gewendet habe. Es war so peinlich. Als hätte es irgendjemand gesehen. Upps, geirrt kleine Frau. Keiner wartet auf dich, geh nachhause.

                                          Heute gehe ich nicht nachhause. Zumindest nicht sofort. Ich treffe mich wieder mit meinem uralten Exfreund von über 20 Jahren. Es ist schön, Ablenkung zu haben. Das Schreiben lenkt ab, aber ich brauche ja menschliche Interaktion, um Inhalte zu generieren. Um mich weiterzuentwickeln. Auf den eigenen Beinen stehen. Allein. Mein Ex ist eine gute Ablenkung. Und wunderbarerweise hat er genug eigene Probleme, dass ich nicht wieder den Abend mit meinen Problemen füllen muss. Langsam habe ich auch keine Lust mehr, mein Leben mit anderen durchzukauen. Ich will mehr und mehr einfach nur meine Ruhe. Er will auch Ruhe. Und Kinder mit seiner Frau. Klappt aber gerade nicht. Nach einigen Monaten immer noch nicht. Und er ist am Durchdrehen, am stressen. Und jetzt hat er auch noch mit ihr gestritten. Er fühlt sich absolut im Recht und ist sauer! Sie ist seit gestern beleidigt und redet nicht mit ihm. OK, Mama hilft. Was ist passiert? Sie waren gestern spazieren und er hat eine blöde Bemerkung gemacht, sehr grob gemacht. Er hat immer noch schwer daran zu knabbern, dass sie ihn betrogen hatte vor vielen Monaten. Es ist auch noch nicht sooo lange her. Aber sie hat sich für ihn entschieden und sie scheinen glücklich. Er hat er verziehen. Manchmal kommt aber der Betrug wieder hoch, er wärmt es dann auf und hat gestern sehr direkte Worte verwendet – das F-Wort wie meine Kinder sagen würden, „ficken“. Rein sachlich betrachtet, ist es auch genau das, was geschehen ist. Aber er betrachtet es ja nicht sachlich, sondern hoch emotional. Daher die Wortwahl. Sie war total getroffen, traurig und sauer, dass er so redet und es immer noch aufwärmt. Die Stimmung war im Keller. Er verstehe das nicht. Sie ist doch schuld. Warum sollte er was falsch gemacht haben.

                                          Ich bin ja gar nicht so empathisch, laut meinem Exfreund. Der Seminarleiter hat mich übrigens als sehr empathisch bezeichnet. Ich kann mich in Menschen gut reinversetzen sagte er. Ich spüre viel. Ich gehe nur oft nicht darauf ein, weil ich mich nicht darauf einlassen möchte. Ich bin also teilempathisch, halten wir fest. Ich bin empathisch genug, um zu begreifen was schiefgelaufen ist. Ich kann ihn sehr gut verstehen, dass er es gesagt hat und dass er so empfindet. Er fühlt sich im Recht. Soll sie das doch so hören. Wir oft habe ich mich so verhalten mit meinem empathischen und sensiblen Exfreund. Die letzten Monate oft. Ich habe solche Bemerkungen oft fallen lassen, quälend direkt formuliert. Einer meiner Lieblingssätze waren „das Auskratzen unseres Babies“, also die weniger sachliche Umschreibung der Abtreibung. Ich habe ihm auch ab und zu vorgehalten, dass er nicht bei der Zeugung seiner Kinder aufgepasst hat, wenn er doch mit der Frau gar keine haben wollte. Diese Verfehlung habe ich ihm öfter unter die Nase gerieben. Warum? Als Vorwurf. Das ging mich ja gar nichts an. Das hatte er sicher selbst schon verstanden. Aber noch mehr war das der Ausdruck meiner Verletzung. Auf eine sehr sarkastische Art und Weise habe ich meine verletzten Gefühle so zum Ausdruck gebracht. Verwirrend? Das dürfte ja alles so lange her sein. Warum ich das ab und zu mal aufwärmte. Wofür? Er war an Silvester das erste Mal richtig genervt darüber, das weiß ich noch bei dem Telefonat. Nein, ich war nicht die böse Hexe, die ihn quälen wollte. Die Kinder wurden damals aus Leidenschaft gezeugt. Gegen jede Vernunft ging er diese körperliche Nähe zu der Frau ein, die es anscheinend irgendwie Wert war damals. Trotz seiner ganzen Sicherheitsorientierung passte er nicht auf, ließ sich von Gefühlen mitreißen und das zweimal. Na klingelt das was? Das war genau das Verhalten, was ich so sehr von ihm erhofft habe bei mir! Von den Gefühlen mitreißen lassen! Mit mir! Gegen die Vernunft ein nicht perfektes Haus mit mir kaufen und es einfach versuchen. Gegen den Verstand und gegen alle Sicherheitsbedenken Hals über Kopf auf die Knie gehen und wenn die Gefühle am höchsten sind, einen mitreißen, mich um meine Hand bitten. Diese Leidenschaft, diese Leichtsinnigkeit, die Freiheit, diese Entscheidungsfreudigkeit – das habe ich mir so gewünscht! Ich war es doch Wert! Wir waren es doch Wert! Aber es kam nichts. Wie oft habe ich diese Vergleiche gemacht. Ich wollte nicht ständig ihn daran erinnern, dass ihm die Kinder aufgedrängt wurden und was für ein Versager er doch da war. So hat er das wohl verstanden. Ich habe nur auf die gleiche Leichtsinnigkeit und Leidenschaft bei mir gewartet. Sie kam nicht. Aus den leichten ironischen Bemerkungen wurde tiefster Sarkasmus. Wohin es geführt hat, wissen wir ja.

                                          Aber zurück zum verzweifelten Ex. Er konnte es ja noch drehen. Noch hatte er das in der Hand. Ich erkläre ihm ihre Sicht. Ich verstehe, dass er verletzt ist. Aber dadurch, dass man es aufwärmt, verletzt man sich immer wieder gegenseitig. Erinnert sie an ihre Verfehlungen. Sie bereut schon alles. Aber sie kann es nicht mehr rückgängig machen. Es bringt nichts, in den alten Wunden zu bohren. Sie weiter mit der Nase da reinzuschubsen. Sie ist verletzt. Sie ist beleidigt. Er findet das unfair. Er ist doch nicht schuld. Es geht nicht um Schuld. Er hat er verziehen. Sie haben einen Neuanfang gemacht. Jetzt muss er auch konsequent sein, nicht wieder zurückblicken, so schwer das auch ist. Sich bei ihr entschuldigen? Naja, es irgendwie andeuten, durch Gesten, durch eine Kleinigkeit. Durch irgendein Zeichen, ihr seine Liebe zeigen. Nicht auf seinem Recht beharren. Er hört genau zu. Wie lange der Rewe wohl noch auf hat? Nein, nicht Pralinen. Das ist zu primitiv. Blumen. Aber am Besten eine einzelne symbolische romantische Blume, am besten aus dem Feld, wo wir gerade spazieren gehen. Die Katze ist allergisch! Was? Ich fasse es nicht. Keine Blumen im Haus, diese gehen direkt in den Mühl. Die Katze könnte diese fressen, sich vergiften. Hä? Er meint es ernst. Sie meint es ernst. Keine Blumen. Nur Margariten, diese gehen. Sind weniger giftig, besser verträglich. Er versucht noch auf den letzten Drücker, bei Rewe für die Katze, also eher für die verletzte Ehefrau, gut bekömmliche Margariten zu kaufen. Ich wünsche ihm Glück. Wir drücken uns ehrlich zum Abschied. Wir waren damals vor über zwanzig Jahren zu ähnlich, um zusammen zu bleiben. Jetzt verstehen wir uns als Freunde blendend. Da braucht man diese Ähnlichkeit, sonst ist man nicht auf einer Wellenlänge. Zu ähnlich in der Beziehung ist nicht gut. Aha, ich dachte, ich habe was anderes am Sonntag gelernt, zu verschieden ist nicht gut. Was denn nun? Was ist die Lösung?

                                          Ich komme zuhause an. Es ist fast zehn Uhr abends. Ich könnte sofort ins Bett fallen. Ich bin seit fünf wach und hellwach, kein bißchen müde. Ich schreibe weiter. Es ist so befremdlich, in meine leere Wohnung nachhause zu kommen. Ohne Kinder. Sogar ohne Hund heute. Ich war die letzten sechs Jahre nur wenige Tage allein bei mir in der Wohnung, ohne ihn, ohne bei ihm im Haus zu sein, in unserem gemeinsamen Zuhause. Es waren keine schlechten Tage. Es waren nur wenige Stunden, die ich für Haushalt und Einkauf hier verbracht habe. Dann bin ich wieder zu ihm geeilt. Einbißchen Abstand war gut, aber es reichten nur wenige Tage. Nun waren es Wochen. Es waren nun über drei Wochen. Wir näherten uns einem erneuten Jubiläum – ein Monat. Ein ganzer Lebensmonat ohne ihn.

                                          Am Abend kann ich es wieder nicht lassen. Ich schicke ihm wieder die Zusammenfassung meines Lebens, diesmal nur weitere zwanzig Seiten. Ich will ihn daran teilhaben lassen, was ich alles verstanden habe, über uns gelernt habe, wie ich damit umgehe. Ich will ihn daran teilhaben lassen, wie mein Leben in der letzten Tagen gelaufen ist. Ich möchte nicht, dass diese Entfremdung und Entfernung zwischen uns kommen. Noch vor wenige Tagen kam doch kein Blatt zwischen uns. Wie eine Einheit. Jetzt habe ich bald einen Monat meines Lebens ohne ihn verbracht. Ich bitte ihn wieder um ein Treffen. Schlage Samstagabend vor. Ich weiß, dass er die Kinder am Freitag hat und Samstag theoretisch allein sein sollte. Vielleicht.

                                          Er schreibt erst sehr spät in der Nacht zurück. Was macht er nur die ganze Zeit? Weggehen? Arbeiten? Kann er nicht durchschlafen? Egal. Er hat am Samstag Zeit. Ja, wir können uns sehen. Ein Stein fällt mir vom Herzen. Das wäre ein Treffen nach einer Woche. Das ist doch ein guter Rhythmus. So könnten wir doch weiter machen. Und annähern. Das wird bestimmt klappen. Wir müssen uns nur darauf einlassen. Es versuchen. Ich bin so zuversichtlich. So glücklich. Die nächsten Tage vergehen wir im Flug, dass ich kaum das Bedürfnis verspüre, zu schreiben. Ich fühle mich gut. Ich weiß, das nächste Treffen steht. Ein leiser Zweifel ist da, ob er es vielleicht noch doch kurzfristig absagt. Aber er meldet sich nicht mehr. Keine Absagen. Keine weiteren Infos. Wir halten einfach nur Samstagabend fest. Ich bin sogar so frei, dass ich heimlich ein Restaurant reserviere für den Abend. Ich möchte eigentlich nicht wieder nur laufen und vor allem auch nicht heulen. Ich kann mir durchaus nun vorstellen, sich gesittet in der Öffentlichkeit zu treffen. Ich sage es ihm aber nicht. Spazieren ist meine Bitte, mehr nicht. Zu groß ich meine Angst, dass er absagt.

                                          Tag 28 - Samstag


                                          Heute ist due-date, heute sehen wir uns wieder, heute Abend. Am Morgen fühle ich mich ruhig. Ich habe ein gutes Gefühl. Ich fühle mich sogar in der Lage, beim Aufräumen Karten von ihm durchzulesen, die er mir mal auf dem Höhepunkt der Verliebtheit geschrieben hat. Ich blättere sie durch. Suche nach Anzeichen. Aber die Karten sind älter. Da war alles perfekt. Seine Liebe floss so richtig über – romantischer ging es gar nicht. Emotionaler! Schnulziger! Die Karten hatte er irgendwann mal eingestellt. Ich denke, ich habe sie nicht sehr geschätzt. Wir waren doch zusammen, warum einander schreiben. Ich war da definitiv weniger romantisch als er. Das habe ich wohl auch vermittelt. Er beschwerte sich - aber spielerisch - und stelle die Karten an mich irgendwann mal ein. Ich denke, die letzten zwei Jahre gab es keine mehr. Oder ich finde sie nicht. Es war definitiv nicht schlimm. Ich war mir seiner Gefühle auch so sicher. Die Karten waren nur eins der vielen Medien zwischen uns. Ich verstaue sie in der gleichen Kiste, wo auch die Briefe meines Exmannes liegen, seine Karten, seine Liebeserklärungen. Wir befremdlich, das alles in einer Kiste zu sehen. Mein Liebes- und Beziehungsleben in einer kleinen Box, kompakt und übersichtlich. Es hat auch was Symbolisches, seine Karten dort reinzulegen. Sie sind Vergangenheit. Er ist Vergangenheit.

                                          Es fühlt sich nur nicht so an. Ich bin wegen dem Abend sehr zuversichtlich. Ich fühle mich selbstsicher und attraktiv wie seit langem nicht mehr. Er meldet sich erst am späten Nachmittag mit der Frage nach der Uhrzeit. Wir haben gar nichts festes ausgemacht. Sehr ungewöhnlich für uns früher. Jetzt ist alles neu. Da ist schon damit gerechnet habe, dass er überhaupt nicht zusagt oder irgendwann mal im Laufe der Tage absagt, war mir die Uhrzeit auch egal. Es ist später als gedacht, gegen halb acht. Sehr spät für ein Essen, zumindest normalerweise für mich. Aber bei mir gibt es kein normalerweise mehr. Alles ist neu. Vor einigen Tagen habe ich ein Restaurant am Rhein reserviert. Ich dachte nicht, dass wir schon wieder stundenlang umherlaufen und weinen. Ich dachte, diesmal verläuft es entspannter, gesitteter.

                                          Tut es auch, weitgehend, aber irgendwie auch nicht. Ich bin zu früh da. Sein Auto fehlt noch, er ist noch unterwegs, seine Kinder wegbringen. Er war mit ihnen Klettern. Nun gehen sie zurück zur Mutter. Sie sind 19 und 15. Sie überhaupt Kinder zu nennen, fühlt sich schon komisch an. Ich tigere auf der Straße auf und ab. Ich möchte möglichst beiläufig aussehen. Möchte nicht zeigen, wie es in mir aussieht. Aber im Moment ist noch alles in Ordnung. Ich fühle mich nicht leidend. Ich denke, ich werde seinen Anblick besser vertragen als letztes Mal. Ein paar Minuten später kommt er. Steigt sofort aus dem Auto aus, sieht gut aus! So schlecht bekommt ihm die Trennung offensichtlich nicht. Naja, mir optisch ja auch nicht, wobei das Abnehmen bei ihm sicher nicht so willkommen ist wie bei mir. Er kommt auf mich zu. Kurz vor mir wird sein Gesicht etwas leidend. Ich lächele ihn einfach nur an, kein Hintergedanke, kein Gefühl des Leids. Wir stehen voreinander. Ich drücke ihn, umarme ihn kurz, er lässt sich darauf ein. Keine zu große Intimität, das geht auch unter Freunden durch. Ich schaue ihn an. Sein Gesicht ist so vertraut. Er sieht sogar ausgeschlafen aus. Ich kenne das T-Shirt. Weiß, wo und wann es gekauft wurde. Daher will ich auch nicht so bald in sein Haus reingehen. Hier sind zu viele Erinnerungen. Überall ist etwas was ich eingerichtet oder gekauft habe, meine Handschrift. Was habe ich ihm die letzten Jahre nur geholfen, aus seinem Haus ein Zuhause zu machen, für uns, für seine Kinder. Den Keller habe ich komplett entrümpelt. Er hat alles in seinem Leben aufgehoben, sogar sein Schulmäppchen aus der 1.Klasse. Er kann sich nicht von Dingen trennen. Man weiß ja nie, ob man es noch braucht. Ob es doch zu emotional ist. Ich habe ihn immer auch so empfunden. Langsam, behäbig, nachdenklich und extrem anhänglich – an Dingen, an Menschen, an mir. Ich dachte, er könnte nie, niemals im Leben sich von mir trennen. Er ist nicht der Mensch dazu. Er ist stabil, konstant, auf Kontinuität bedacht. Und manchmal schlichtweg zu bequemlich. Er würde sich nie trennen. Er nicht! Ich vielleicht mal schon. Warum auch immer. Aber er nie! Niemals. In keinem Universum oder Paralleluniversum. Egal was passiert. Wenn man einen Menschen so sehr auf Händen trägt, wie er damals mich, da ist doch ein sehr langer Weg zum Boden. Sehr lang. Ich hätte es doch gespürt, wenn er diesen Weg einschlägt. Aber ich hatte nicht mal nach Anzeichen geschaut. So selbstsicher war ist. So überzeugt, dass wir für immer zusammengehören – einfach weil wir wir sind. Wie sehr habe ich mich in diesem Menschen geirrt!

                                          Wir laufen durch die Weizenfelder Richtung Rhein. Es ist bewölkt, schwül. Smalltalk geht immer. Wir reden über das Wetter, das Gewitterrisiko. Keine Tränen, kein Leid, es fühlt sich sehr leicht an, mit ihm zu sprechen. Vertraut. Nicht spannend, dafür kennen wir uns schon zu lange, zu genau. Ich kenne alle Themen seiner Kinder und seines Umfeldes. Noch ist noch nicht so viel neues in den letzten Tagen dazugekommen. Auch mein Leben kennt er. Außerdem hatte ich ihm am Mittwoch vor wenigen Tagen wieder 20 Seiten meiner emotionalen Ausführungen zum Lesen und Reflektieren geschickt. Er weiß, wie mein Leben in der letzten Woche aussah. Es fühlt sich komisch an. Er war nicht dabei, er kennt aber die vielen Details. Von meinem Tanzkurs. Von meinen Treffen mit Freunden. Unterwegs verrate ich ihm, dass wir in ein Restaurant laufen, dass ich reserviert habe. Ich hatte Angst, dass er nein sagt. Daher rücke ich mit der Info so spät heraus. Ihm ist es recht. Keine Diskussion. Wir reden, lachen, es fühlt sich einfach an. Als scheint so, als wäre der einzige Unterschied zu früher, dass wir nicht Händchen halten. Mehr nicht. So vertraut. Noch ist es so vertraut. Wie lange das noch anhält?

                                            Wir nehmen nach einem längeren Spaziergang Platz im Restaurant. Und da spüre ich schon, dass die Vertrautheit schwindet, wenn wir auf ernstere Themen zu sprechen kommen. Da wird er härter, distanzierter, für seine Verhältnisse natürlich. Er hat mich noch nie kritisiert. Jetzt sieht vieles ganz anders aus. Ich kenne ihn so nicht. Ich habe ihn die letzten sechs Jahre so nicht gekannt. Nie gehört, dass er so redet. Er wirkt so selbstsicher. Das leidige Thema seiner Freunde kommt auf. Das Thema beschäftigt mich so sehr, dass ich hier mehr erfahren möchte. Was und wie haben sie über mich gesprochen? Ich weiß nicht, wie ehrlich er mir dies und das erzählt. Ich habe aber das starke Gefühl, dass dieser Punkt, was die Freunde von mir hielten, ihn sehr stark beschäftigt. Sie sind das finale I-Tüpfelchen auf seiner Entscheidung. Ihre kritische Haltung zu mir bestätigt ihn, zu gehen. Nein, natürlich hat die Trennung andere Ursachen. Aber sie hielten uns schon immer für verschieden, wie Feuer und Wasser. Das muss ja nicht schlimm gewesen sein. Aber immer wieder kommt auf, dass ich sie nicht an mich rangelassen habe, dass ich abwesend und desinteressiert wirkte. Nur physisch da war, aber nicht geistig. War es Arroganz? War es Langweile? Sie wusste es nicht. Aber deren Begeisterung, uns zu treffen, wurde wohl geringer, wenn ich dabei war. Er allein ja, aber mit mir – naja! Das habe ich so gespürt die letzten Monate. Ich habe es mir also nicht eingebildet. Er vergleicht mich mit der Freundin meines Bruders. Ich hatte öfter erwähnt, dass sie sich so reserviert uns gegenüber gab. Wir irgendwie nicht an sie herankamen, ich und meine Mutter. Das war eine merkwürdige Konstellation. Jetzt wurde ich mit ihr verglichen. Ich war irgendwie verwirrt. Das musste ich nochmal durchdenken. Die trivialen Themen bei den Unterhaltungen mit seinen Freunden machten mir oft große Probleme. Oberflächliche Gespräche über Reisen und Küchen. Er erwähnt eine wichtige Erkenntnis aus seiner eigenen Vergangenheit. Er war früher ganz genau so! Oberflächliche Smalltalk-Themen fielen ihm immer schwer. Und er hat sehr lange gebraucht, um zu verstehen, dass man nicht mit allen Menschen und auch sicher nicht aus dem Stand heraus über die Relativitätstheorie philosophieren konnte. Und wenn man den Menschen öfter seine Überlegenheit und sein Desinteresse verkündete, dann war man irgendwann mal sehr allein. Oh, ok, dann war ich gerade noch in der Erkenntnisphase. Ich war dann wohl oft genug allein und tat mir immer noch sehr schwer, oberflächlich leichte Gespräche zu führen. Ich glaube, ich musste da nochmal ran und an dieser Fähigkeit arbeiten. Völlig unabhängig von ihm würde ich im Leben sonst viele Probleme mit Mitmenschen bekommen.

                                            Aber zum Punkt wie Feuer und Wasser, also verschieden. War das ein schlimmer Punkt?! Das klang so falsch, wenn man in einer solchen Konstellation zusammen war. So hörte sich das von ihm an. Als würde er im Nachhinein rekonstruieren, dass wir schon immer falsch waren. Nie zusammen hätten sein können. Immer wieder betont er, dass er das hätte, schon damals ahnen müssen. Dies und das kam ihm schon damals nicht normal vor. Merkwürdige Entwicklung. Beim letzten Treffen haben wir doch alles rekonstruiert. Wir haben doch den Zeitpunkt gefunden, ab dem es bergab ging. Damals vor einem Jahr. Damals mit Kriegsausbruch. Damals, als der Andere eine Rolle gespielt hat. Damals nach der Abtreibung, als ich so verletzt war. Warum betont er denn immer wieder dieses Verschiedensein? Soll ich nun doch die ganze Beziehung von Anfang an hinterfragen? Ich bin verwirrt. Und traurig. So sollte das Gespräch doch nicht laufen. Ich wollte zusammen reden, lachen, vielleicht flirten. Der Abend sollte nicht so tief traurig verlaufen, wie das letzte Treffen im Wald. Ich bin nun tief traurig. Er erwähnt in einer Formulierung, die ich nicht mehr zusammen bekomme, dass es besser ist, wie es gerade ist. Dass seine Entscheidung richtig war. Er ist fast stolz darauf, was er alles tolles endlich entschieden hat. Jetzt scheint es ihm besser zu gehen. Er lenkt sich toll mit der Arbeit ab, macht dreimal die Woche Karate unter der Woche, am Wochenende ein Tag Kinder und ein Tag Freunde treffen. Er wirkt ausgeglichen. Das tut so unendlich weh!

                                            Was habe ich erwartet? Anscheinend was ganz anderes. Naives kleines noch zu verliebtes Mädchen! Was hast du erwartet? Lass mich nachdenken. Also. Ich dachte, dass nach der Aussprache von vor einer Woche einiges klar geworden ist. Für ihn war es das Wichtigste, mir alles zu erzählen, seine schwindenden Gefühle kundzutun. Die Wahrheit auf den Tisch zu legen. Gesagt, getan. Wir kannten nun jede Gefühlsregung von dem anderen aus den letzten Jahren. Wir wussten nun rückwirkend von jeder bedeutenden Situation, was der Andere gedacht und gefühlt hat. Er sollte wieder Nähe schaffen! Die Heimlichtuerei beenden. Die verlorene Vertrautheit wiederherstellen. Ich dachte, wir würden den anderen jetzt mit anderen Augen sehen. Ich dachte so vieles. Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass er immer wieder betont, wie richtig seine Entscheidung gewesen ist. Das klingt so unendlich verletzend und endgültig. Und ich verstehe einfach nicht das warum!

                                            Es ist das Ende unseres Essens. Das Restaurant schließt. Genau in diesem Moment kommen wir zu dieser schweren Kost an Themen. Es sieht nicht danach aus, als würde der Abend harmonisch enden. So habe ich mir das nicht vorgestellt.  Wir laufen zurück. Es dämmert. Wird ziemlich dunkel. Genau wie in meinem Herzen. Ein derartig großes dunkles Loch tut sich gerade auf. Ich suche nach Worten. Das passiert mir so selten. Mein Eindruck ist, dass er aktiv versucht, den Rest der verbleibenden Gefühle für mich möglichst schnell und effizient zu beseitigen. Als wäre ich, als wären wir als Paar, eine Krankheit. Als wäre es wichtig, sich von mir zu trennen und zu distanzieren – weil…? Nur das Weil fehlt mir!? Warum denn verdammt nochmal? Ich habe ihm doch nichts getan! Ich habe ihn nicht verletzt, ihn betrogen, ihn beleidigt. Wir sind in keinem Streit auseinander gegangen. Vor genau einem Monat haben wir das Haus, das gemeinsame Haus fast gekauft! Und in welchem Albtraum war ich nun gefangen? Der gleiche Mann, der mit mir noch dieses Haus kaufen wollte, der gleiche Mann versucht gerade den Rest seiner Gefühle für mich so fest wie es nur geht in eine Schublade zu schließen und am besten sich überhaupt nicht mehr, kein bißchen, mit diesen Gefühlen zu beschäftigen. Warum denn nur? Ich weine wieder. Es läuft nichts gut. So habe ich mir das nicht vorgestellt.

                                            Ich versuche ihm, meine Absichten, meine Überlegungen kundzutun. Es ist so schwer! Ich habe sie für mich selbst noch nicht final zurechtgelegt. Ich bin zu diesem Abend gekommen und wollte diesen komplett ergebnisoffen gestalten. Einfach schauen, was kommt. Einfach schauen, wie wir uns fühlen. Wie der Umgang miteinander sich gestaltet. Natürlich habe ich gehofft, dass er sich mir öffnet. Dass er sich dem UNS öffnet. Nur gedanklich. Dass er das zulassen würde, wenn daraus mehr wird, irgendwann mal. Einfach sich treffen und schauen, war meine Devise. Ich glaube, das könnte man so ganz gut zusammenfassen. Mir fällt es wirklich schwer, zu erkennen, was ich selbst will. Ich dachte, damit würde ich nie ein Problem haben. Jetzt schon. Ich will ihn nicht verlieren. Aber gerade passiert genau das. Ich wollte, dass er dem UNS eine Chance gibt. Nein, nicht so, dass ich in ein paar Wochen wieder bei ihm einziehe und wir so tun, als wäre nie was passiert. Nein, ganz bestimmt nicht so. Ich bin da ganz weit weg davon. Bis wir überhaupt in der Lage wären, wieder miteinander mehr zu teilen, das Bett zu teilen, wieder über eine Zukunft zu sprechen. Das würde Monate dauern. Aber ich wollte, dass es möglich ist. Ich habe gehofft, nein, ich habe gedacht, sogar gedacht, dass es auch in seinem Sinne war. Ich wollte überhaupt keine Entscheidung von ihm jetzt. Ich wollte ihn zu nichts drängen. Kein Kommittent abfragen. Das wäre alles viel zu früh. Sinnlos im Moment. Aber ich habe einfach nicht erwartet, dass er so mauert. Dass er seiner Sache so sicher ist. Er war sich noch nie im Leben irgendeiner Sache sicher. Das ist leider so seine Art. Daher habe ich auch diesmal erwartetet, dass er wie die Ähren um uns herum sich mal nach links mal nach rechts mit dem Wind bewegt. Aber ganz sicher habe ich nicht erwartet, dass er mit einer vor Stolz geschwelgter Brust sich vor mir aufbaut und felsenfest seine Sicherheit darüber verkündet, dass die Trennung eine gute Entscheidung war, dass er alles richtig gemacht hat, dass es so besser ist, dass wir verschieden sind und es schon immer waren. Alle diese Optionen führen zum Exit. Keine Beziehung. Kein Kontakt. Kein Interesse. Er will den einfachen Weg gehen. Die restlichen Gefühle verbannen und verdrängen. Die Zeit heilt die Wunden. Die Arbeit lenkt ab. Das wird schon.

                                            Ich muss das alles verdauen, aber schnell. Der Spaziergang nährt sich dem Ende. Emotional sind wir beide wieder extrem erschöpft. So sollte es nicht enden. Das ist definitiv keine gute Basis für einen weiteren Kontakt. Auch wenn ich mir das nicht eingestehen wollte, ich wollte ihn wieder in mich verliebt machen. Ich wollte alles dafür machen, dass das passiert. Auf einer neuen Basis. Nach der großen Aussprache. Und dann wollte ich in Ruhe schauen, was ich wirklich will. Schauen, welche Gefühle ich immer noch habe. Wahrscheinlich wollte ich einen Neuanfang. Aber er gibt mir nicht die geringste Hoffnung darauf, dass es in diese Richtung gehen könnte. Er will es aktiv vermeiden. Ich brauche die Treffen, mehr fällt mir zu der Situation nicht ein. Ich brauche die Treffen mit ihm, bringe ich auf, damit ich mich weiter emotional entkoppeln kann. Ich sehe ihn nun als einen anderen Menschen. Als einen Mann, der nicht genug Gefühle für mich hat, um weiter eine Beziehung mit mir zu führen. Aber! Der gleiche Mann hat das Haus vor wenigen Wochen mit mir angeschaut, was wir kaufen wollten. Verdammt! Wir kannten uns doch nicht seit einigen Monaten. Wir hatten gemeinsame Lebenspläne! Nur irgendwann mal hat er klammheimlich was anderes für sich beschlossen. Und mich im Regen stehen lassen. Er hat die Chance bereits in den letzten Monaten genutzt, um sich emotional abzukoppeln, sich in Ruhe alles zu überlegen. Und parallel mich aber in Sicherheit zu wähnen, in dem er ein Haus nach dem anderen mit mir besichtigte. Er war mir viel weiter voraus in diesem Prozess. Ich habe mich gerade eben erst in diesen Prozess begeben. Sich über unsere nun vergangene Beziehung Gedanken zu machen. Mich aktiv zu fragen, wieviel Liebe denn noch da ist für ihn. Die Vertrautheit loszulassen, schwinden zu sehen. Das alles hat er aktiv schon die letzten Monate gemacht. Während ich mit voller Inbrunst uns um das gemeinsame Heim gekümmert habe. Wie hinterlistig ist das denn? Das war wirklich der gleiche Mensch. Das habe ich Tag für Tag immer mehr verstanden. Aber dafür brauchte ich den Kontakt. Denn in meiner Vision, meiner Erinnerung, war er ein edler Ritter, der mich auf Händen trug. Auch in den letzten Monaten war nichts von seinem emotionalen Rückzug zu spüren. Nicht genug, dass ich Verdacht geschöpft habe. Ich muss nun den neuen Menschen erkennen, der nicht mehr an meiner Seite sein will. Er will mich einfach nicht mehr. Weder mich noch uns. Er war viel viel weiter in seinem Prozess der Gefühlsfindung, der Entscheidungsfindung. Wie fremd er doch war! Es fühlt sich so schlimm an, so unfassbar schmerzhaft. Und schon wieder! Es war doch nur ein Monat her. Nur zweimal haben wir uns in dieser Zeit gesehen. Nicht miteinander telefoniert. Nur wenig geschrieben. Warum dann immer noch so schlimm? Habe ich das Gespräch heute gebraucht, um das endlich zu begreifen? Ja, das habe ich. Ich kann es einfach nicht lassen. Ich bitte ihn wieder, mir zu sagen, dass er mich nicht mehr liebt. Diesmal kann er antworten: „Ich liebe dich nicht mehr so wie früher.“. Ich weiß nicht, ob ich nun schlauer bin aus dieser Aussage. Ich glaube keiner könnte nach sechs Jahren Beziehung behaupten, dass er den Partner noch so liebt wie früher. Für ihn ist es aber nicht ausreichend. Das habe ich nicht zu hinterfragen. Und da ich das wohl irgendwie tue, reagierte er langsam gereizter. Ich habe ihn noch nie so erlebt. Nie mir gegenüber. Da bewegte er sich immer auf Zehenspitzen. So sehr bedacht, kein falsches Wort zu sagen, mich auf keinen Fall zu verärgern, oder gar zu verletzen. Wie weh nun sein Verhalten tut! Seine völlig neue Seite, die ich nun zugewandt bekomme. Die andere Seite des Mondes. Die dunkle Seite des Mondes. Ich wusste bis dato nie, was sich dahinter verbirgt.

                                            Es ist demütigend, wirklich erniedrigend, aber ich habe es gebraucht. Ich habe auf die Bedeutung der Treffen für mich hingewiesen. Ich hatte Panik, dass er den Kontakt abbricht und ich wirklich komplett durchdrehe, komplett kollabiere, ganz allein für mich. Es tut weh, danach zu fragen. Ich tat es trotzdem. Ich würde sonst nie über ihn hinwegkommen, wenn er nur in meiner Erinnerung lebt. Ich wollte diese Erinnerung mit einer anderen ersetzen. Einer neuen Erinnerung, in der wir kein Paar mehr sind. Aber war das der richtige Weg? Sich zu sehen, zu reden, miteinander Essen zu gehen – und dann wieder fahren und wieder ein paar Wochen keinen Kontakt zueinander haben. Ich weiß es nicht, ich habe kein Patentrezept für Trennungen. In dieser Dimension hatte ich wohl immer noch nicht genug Erfahrung. Er willigt ein. Sicher mehr aus dem Hintergrund des schlechten Gewissens und maximal aus Mitleid als ganz sicher aus irgendeiner verbliebenen Form der Zuneigung. Oh Gott, wie konnte es so weit nur kommen. Nach fast sechs Jahren machte dieser Mann was aus Mitleid, nicht aus Liebe. Ich bedeute ihm gerade mal so viel, dass noch Mitleid drin ist. Mehr nicht. Ich bin eine starke Frau, ich bin aktiv, ich kann so viel alleine bewältigen. Aber ich schaffe das nicht alleine! Wirklich nicht! Es tut so weh! Vor vier Wochen das Haus, jetzt das Aus. Ich weiß nicht, welcher Mensch, welche Frau damit klarkommen könnte. Mit diesem Schleudertrauma! Ich nicht! Ich finde gerade keine Kraft in mir mehr. Heute ist der erste Tag, an dem ich begreife, dass es keine Zukunft mehr geben wird. Er war noch nie so sicher wie jetzt. Das ist schön, dass er das nun in sich entdeckt hat. Das war das, was ich immer vermisst habe, diese Selbstsicherheit und Entschlossenheit. Die Ironie des Schicksals ist nun, dass er diese Entschlossenheit entwickelt hat, und nun attraktiver für mich wirkt. Und genau jetzt, ist er für mich unerreichbar. Er will mich nicht mehr.

                                            Er lässt sich auf die Treffen ein, was auch immer das bedeuten wird. Er wird sich nie bei mir proaktiv melden. Das habe ich verstanden. Er will einfach alles vergessen und verdrängen. Das ist sein Weg. Aber ich dränge ihn zu einem anderen Umgang, warum nur. Es ist demütigend. Ich kann gerade nicht anders. Er hofft aber, dass sich das nicht zu einer emotionalen Tortur für beide entwickelt. Dass die Treffen uns schaden, immer wieder die Wunden aufreißen. Ach echt? Wie denn auch nicht? Geht das überhaupt? Wir haben den Großteil des Abends mit netter Unterhaltung verbracht. Aber es ging trotzdem immer wieder um uns. Andere Themen kamen nur am Rande vor. Ich will gar nicht über seine Kinder reden und auch nichts von meinen erzählen. Mein Bedürfnis ist nur, über die vergangene Beziehung zu sprechen, über uns. Wie oft wird das noch möglich sein? Und noch wichtigere Frage – wofür das ganze? Wir haben nun alles verstanden. Es gib nichts mehr was ausgesprochen werden müsste. Wir sind durch. Emotional durch. Es ist vorbei. Ich glaube, dass ich die Treffen benötige. Ist das so? Ich habe Angst, dass ich mit meinen Monologen durchdrehe, wenn ich ihn nicht sehe. Telefonieren möchte ich nicht, zu groß ist die Gefahr, dass wir nur Belanglosigkeiten austauschen. Es wäre für mich noch schlimmer, als nicht zu reden. Es fehlte die ersten Tage nach der Trennung, jetzt nicht mehr. Jetzt fehlt mir die Vertrautheit. Ohne diese brauche ich auch keine Telefonate. Mich interessiert es nicht, ihm von meinem Alltag zu erzählen. Warum denn auch.

                                            Das Schlimmste ist aber, dass jeder Tag sich wieder anders für mich anfühlt. Es geht nicht bergauf. Es geht immer hoch und runter, Gefühle fahren weiter Achterbahn. Und ich weiß nie, was ein Tag so für eine Stimmung bringt. Ich habe Angst, vor mir selbst. Ich hasse das zutiefst, was er aus mir gemacht hat. Wo ist die selbstbewusste dynamische Frau, die ich doch bin? Was hat er nun für Scherben hinterlassen? Ich schaffe das! Krönchen richtigen, weiterlaufen. Denke ich mir auch gerade, während ich mit meinen Riemchen-Sandalen im Dunkeln ausrutsche, stolpere. Ich ziehe die Schuhe nun einfach aus. Ist sicherer. Ich will keine Hilfe von ihm. Auch wenn ich hier auf der Stelle ein Bein breche, ich fahre nachhause, krieche nachhause. Ich möchte nun, dass der Abend vorbeigeht. Es gibt nichts mehr zu sagen. Wir tauschen noch ein Paar Belanglosigkeiten aus. Das ganze Gespräch habe wieder nur ich geführt. Er lässt sich einfach mitschleifen, egal welches Thema, egal welcher Weg. Ist ja auch viel einfacher im Leben. Wir drücken uns kurz am Auto. Die Stimmung wirkt oberflächlich gelassen. Innerlich weiß ich nun, dass ich gleich im Auto verblute. Nach dem letzten Treffen hatte ich Hoffnung. Nach diesem Treffen habe ich die Gewissheit. Die schreckliche Gewissheit, dass es keine Hoffnung gibt. Es ist vorbei. Ich kann nun damit starten, es zu akzeptieren. Ich habe schon angefangen, mein Leben danach aufzubauen, es bunter zu machen. Nun muss ich aktiv dranbleiben. Nicht aufgeben. Die Motivation ist nun eine andere. Es ist kein Überbrücken mehr, bis er zurückkommt. Bis wir zurückkommen. Es ist ein Ende. Und ich muss schauen, wann ich für einen Neuanfang bereit bin. Ich hoffe bald. Im jetzigen Zustand halte ich es nicht lange aus.

                                            Tag 29 - Sonntag


                                            Diese Nacht kann ich kaum schlafen. Sogar trotz Schlaftablette, die ich erst um ein Uhr nachts nehme. Ich bin ständig wach. Ich träume das erste Mal bewusst von ihm, nicht von seinem Haus. Ich träume davon, wie er sich von mir trennt. Wir sind in den Weizenfeldern. Es fühlt sich mehr wie ein physischer und nicht psychischer Prozess an. Ich habe körperliche Schmerzen dabei. Als ich gestern nachhause kam, war mir unfassbar übel. Ich hätte am liebsten das ganze Abendessen rausgespuckt. Aber dann wäre die Nacht vor lauter Hunger noch kürzer gewesen. Ich schlafe kaum, und bin wieder pünktlich um halb sieben mit den Nachbarn unten wach. Ich muss endlich in das Zimmer meines Sohnes umziehen für die Nacht, wenn er nicht da ist. Die Nachbarn sind ein Albtraum von der Lautstärke, egal an welchem Tag. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir diese Wohnung hassen. Ich wälze mich herum, will nicht um diese Zeit schon an einem Sonntag aufstehen. Ich wollte eigentlich Laufen gehen, Sport machen. Der Kopf dreht sich. Die Schlaftablette macht mich total fertig, da ich noch nicht lang genug geschlafen habe. Ich bin so kaputt, als hätte ich schon einen 20km Lauf hinter mir. Heute geht gar nichts.

                                            Ich melde mich bei meiner Mutter und bitte sie, doch mit dem Hund vorbeizukommen. Sie hatte das gestern angeboten. Aber ich war mir so sicher, dass ich alles allein schaffen. Ich spüre aber bereits am Morgen, dass ich gar nichts schaffe. Nicht mal das Aufstehen offensichtlich. Ich weiß, dass mein Bruder irgendwann mal zu Besuch kommen und sein neues Auto zeigen wollte. Ich hänge mich an ihn ran. Es tat letztes Mal so gut, mit ihm reden zu können. Ich wusste wirklich gar nicht, dass wir uns so ähnlich sind. Ich habe ihn immer als mir moralisch überlegener empfunden. Aber wir reden in letzter Zeit so viel, dass ich ihn nun viel besser verstehe.

                                            Er kommt recht spontan um kurz nach zehn morgens vorbei. Er ist schon lange wach, da seine Freundin heute zurück ins Ausland geflogen ist, wo sie eine eigene Professorenstelle hat. Er selbst hat einen Lehrstuhl bei uns in der Nähe, so dass er spontan mal auch vorbeikommen kann. Das ist so schön. Ich hoffe so sehr, dass er nicht weggehen muss und sie stattdessen zu ihm kommen kann. Wir laufen schon wieder bei über 30 Grad durch die Weinberge. Wieder durch die Weizenfelder, die schlimme Erinnerungen wecken. Ich bin schon wieder am Heulen. Ich weiß nicht, ob er überrascht ist, wie lange ich das alles verdaue. Aber es sind ja erst vier Wochen. Was erwarten die Leute. Ich glaube nicht, dass ich langsam bin. Ich bin immer schnell, bei den schnellsten dabei. Ich schaffe das schon. Aber nicht heute! Heute geht nichts. Ich erzähle ihm von den beiden Treffen, die in der letzten Woche stattfanden. Warum mache ich das, will er wissen, das verlängert doch nur das Leid. Ja, tut es, aber ich habe noch Antworten gebraucht, einen Austausch. Ich kann noch nicht ohne ihn. Ja, er verstehe, es ist hart. Aber der einzige Weg – kein Kontakt. Ich weiß es nicht. Ich habe gestern noch felsenfest gedacht, dass ich diesen Kontakt brauche. Jetzt kommen langsam Zweifel. Ich will mir nicht selbst schaden. Ich würde es davon abhängig machen, was die nächsten Tage an Bedürfnissen bringen. Ich verstehe nun ziemlich deutlich, dass es nichts mehr zu retten gibt. Ich müsste eine mission impossible starten, mich verausgaben mit dem Versuch, ihn zurückzugewinnen und am Ende genauso nur noch verbitterter und verletzter zurückbleiben. Er hat sich schäbig verhalten mit seinem Schlussmachen aus heiterem Himmel. Ich kann das nicht verzeihen, das spüre ich. Mein Bruder unterstellt ihm erneut eine absolut nicht vorhandene emotionale Reife. Diese wächst erst in Beziehungen. Davon hatte er kaum welche. Unsere und die desaströse mit seiner Ex vor über 16 Jahren. Dazwischen nichts! Einfach nichts. Ich wusste das, wollte es aber nicht wahrhaben, dass der Mann nur eingeschränkt beziehungsfähig war, schon immer. Seine Gefühle und sein Verhalten haben es wettgemacht.

                                            Er war verliebt in die Liebe. Als diese schwieriger wurde, als das Umfeld schwieriger wurde, dann schmiss er hin, war nicht belastbar genug. Schönwetter-Beziehung ja, aber bei großen Projekten, Unternehmungen, die eine längere Bindung erforderten, da war er raus. „Du bist nicht falsch. Nicht du hast dich falsch verhalten, das war er. Du hast deine Bedürfnisse klar geäußert. Er wusste, was du willst. Hat dich hingehalten. Hatte nicht den Mut, sich zu artikulieren. Das ist unreif!“ Das tröstet. Zumindest einbißchen. Ich habe die letzten zwei Wochen damit verbracht, zu verstehen, was ich falsch gemacht habe, was ich ändern sollte. Aber mein Verhalten war nur die Reaktion auf seine Entscheidungsunfähigkeit und -willigkeit. Es war perfekt in den ersten Jahren ohne Verbindlichkeiten. Dann wurde es immer verbindlicher, ihm zu viel, und er ist gegangen. Ich war nicht falsch. Ich habe nichts falsch gemacht. Wir waren wohl nur verschieden. Ich muss das wie ein Mantra immer wiederholen, um aus diesem Loch zu kommen. Ich brauche mehr Umgang mit Menschen, die mich lieben, die mich schätzen, mich annehmen mit meinen Macken. Er hat das offensichtlich nie sehen wollen, wie ich bin. Er hat mich so gesehen, wie er mich sehen wollte, wie er mich haben wollte. Und er war in seine eigenen Gefühle verliebt. Eine merkwürdige Erkenntnis. Er stand für sich immer im Mittelpunkt. Noch mehr als ich es für ihn war. Seine Gefühle nahmen ab und schon ergriff er die Flucht, weil es sich mit seinen Idealen nicht vereinbaren lies. Wie feige! Arbeit an einer Beziehung? Arbeit daran, seine Bedürfnisse zu äußern, Probleme anzugehen. Nichts davon. Wie hätten wir überhaupt das Haus gemeinsam kaufen können, wenn er nicht mal das Projekt Beziehung ehrlich und offen anging. Kein Durchhaltevermögen. Kein Rückgrat. Keine Ehrlichkeit.

                                              Ich verstehe immer mehr, dass es ein Trugbild war, in das ich verliebt war. Vielleicht war ich auch einfach wie er nur in die Liebe verliebt. In die Art und Weise, wie er seine Liebe äußerte. Das war so flammend und überzeugend. So endlos intensiv. So viele Jahre. Ich hätte nicht erkennen könne, dass es falsch war. Ich hätte nicht hinterfragen können. Dazu gab er mir einfach keinen Anlass. Ich war definitiv verliebt, in die Art und Weise, wie er mich geliebt hatte. Und nun musste ich einfach nur akzeptieren, dass er niemals mich so wieder lieben konnte. Er würde das nicht mehr machen, wollen und können. Es ging einfach nicht mehr. Vorbei ist vorbei. Wenn ich das oft genug mir sagte, dann würde ich mich auch leichter damit abfinden können. Wenn ich wirklich nur in die Liebe verliebt war, dann war ich es nicht mehr genug in den Menschen selbst. Ich sah ihn nun mit anderen Augen. War da etwas, was mich noch an ihm hielt? Charaktermerkmale? Ja schon, gemeinsame Werte und gemeinsame Humor, das war so wichtig. Das verband uns definitiv. Aber viele Dinge hätte ich mir so nicht mehr freiwillig an ihm ausgesucht. Ich dachte, ich kann damit leben. Jetzt musste ich das aber nicht mehr! Er hatte so dramatisch verkündet, er würde gerne wieder glücklich werden, viel glücklicher als jetzt mit mir. Das waren wirklich harte Worte aus dem Mund eines Mannes, der, nochmal zur Erinnerung, noch vor vier Wochen ein gemeinsames Haus mit mir erwerben wollte. Auf Basis welcher Liebe eigentlich? Ich würde auch gerne glücklich werden. Glücklicher, als ich die letzten Monate gewesen bin. Ich war nicht traurig genug, um zu gehen. Aber auch nicht glücklich. Er hatte mir die Entscheidung abgenommen. Jetzt war ich gezwungen, glücklicher zu werden als ich das mit ihm war.

                                              Aber davor noch etwas Traurigkeit. Ich fahre zu meinem Exmann die Kinder abholen. Ich bin jedes Mal auf seine Stimmung gespannt. Ich bin so am Boden zerstört und müde durch die Nacht, dass ich ein leichtes Opfer wäre. Aber er will nichts Böses. Ist sogar nett. Bittet mir Wasser oder Wein an, fragt mich, wie es mir geht. Es klingt etwas erzwungen, aber freundlich. Ich heule wieder los. Mein Sohn verzieht sich erstmal nach oben in sein Zimmer. Meine Tochter ist noch bei einer Freundin. Und ich rede wieder mit meinem Exmann. Man, war die Trennung mit ihm anders! Ich hatte mich schon entliebt und entfernt. Ich bin nicht aus einem warmen weichen Bett gegangen. Wir waren uns einig. Natürlich war da genug anderes Leid, aber das war insbesondere das Leid der Kinder. Als Partner kamen wir gut voneinander weg. Jetzt saßen wir hier wieder zusammen in meinem Ex-Wohnzimmer auf meinem Ex-Sofa. Ich hatte keine positiven Erinnerungen an dieses Wohnzimmer mehr. Mein Herz blutete, wenn ich an das Haus vom Ex dachte. Das war voller Wärme, voller Erinnerungen. Wie hielt er nur das in diesem Haus aus, wo an jeder Ecke eine Erinnerung lauerte? War er schon so abgehärtet? Das hatte ich mich nicht mehr zu interessieren. Egal. Mein Exmann verstand nicht, warum ich immer wieder die Treffen wollte. Man kann von außen nicht wirklich verstehen, warum jemand freiwillig leidet. Egal. Er konnte das nicht im Detail verstehen. Er ist nicht wirklich zu tiefsinnigeren Unterhaltungen fähig. War er noch nie. Das hat mich damals schon zutiefst frustriert. Das fehlte mir so. Der andere gab es mir. Daher habe ich ihn so angehimmelt, für diesen Tiefgang, die unterhaltsamen Gespräche. Dann kamen die Nähe und Geborgenheit. Jetzt war alles weg. Ich hätte noch stundenlang so jammern können. Aber mein Sohn kam herunter. Wollte wissen, wann wir fahren. Ich musste noch Sachen packen. Die Tochter war noch nicht da. Wir mussten noch warten. Er war nicht begeistert.

                                              Und dann die Überraschung. Mein Ex lädt mich zum Grillen ein. Schlägt vor, dass wir spontan mit den Kindern zusammen grillen. So bin ich länger nicht allein. Ok, das ist schön. Ich bleibe. Mein Sohn ist sauer. Die Pläne sind geändert. Das hasst er wie die Pest. Ist mürrisch. Ich hole schnell den Hund ab und muss ihn leider zwingen, mit mir zum Spazieren mitzukommen. Den ganzen Weg beschwert er sich. Hat Tränen in den Augen. Ich verstehe ihn gerade nicht so ganz. Was fehlt ihm? Sind das wirklich nur die geänderten Pläne. „Ich werde ihm schreiben, dass er ein Arschloch ist“, bricht es plötzlich aus ihm heraus. Wer? Aha. Nein, das macht keinen Sinn. Die Diskussion hatten wir schon. „Das macht dich trauriger als ihn. Erwachsene sind wegen der Schimpfwörter nicht so empfindsam.“ „Dann schreibe ihm, dass ich ihn hasse.“ Oh je, er ist auch noch am Verarbeiten. „Er war doch mein Freund!“. „Ich weiß, mein Schatz, aber wir können ihn nicht dazu zwingen, uns zu lieben.“ Er wollte einfach nicht mehr. Keine Verpflichtungen, kein Anstand, nicht mal genug, um damals meiner Tochter in die Augen zu sehen. Nach sechs Jahren mit den Kindern! Wie geht das nur?

                                              Ich bin so zutiefst froh, dass ich die Beziehung zu deren Vater nie torpediert habe. Ich habe nie versucht, seinen Platz zu ersetzen. Der Platz wäre nun sonst noch schmerzhafter leer als er schon ist. „Er war kein guter Mensch, mein Schatz. Ein guter Mensch tut so was nicht, was er getan hat mit uns.“ Doch! Er war gut, mein Sohn lässt nicht locker. „Ein guter Mensch ist für dich da. Und du kannst dich auf ihn verlassen, auf einen Freund. Er lässt dich nicht einfach so im Stich. Nur weil er euch Schokolade und Spielzeuge gebracht hat, ist er nicht unbedingt ein guter Mensch. Wir haben uns alle getäuscht. Leider.“ Es tut so weh, diesen Vortrag zu halten. In meinem eigenen Schmerz auch noch den der Kinder aufzufangen. Wir gehen zurück ins Haus. Meine Tochter ist inzwischen von der Freundin zurück. Sie kommt stolz zu mir und zeigt ihr Freundebuch. Mein Exfreund hatte sich da mal eingetragen, eintragen müssen, er war ja ihr Freund, Mamas Freund, ein wichtiger Mensch. Er musste ins Freundebuch. Sie hat die ganze Seite zerkrizelt, übermalt mit bunten Stiften. In der Ecke steht „Arsch“ und sein Name, eine prägnante Kombination. Jeder verarbeitet es anders. Sie so. Während mein Sohn eher noch in der Phase der Traurigkeit ist, ist meine Tochter in die Phase der Wut übergegangen. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht.

                                              Tag 30 - Montag


                                              Ich habe richtig gut geschlafen! Sehr lange habe ich darauf gewartet, das mal schreiben zu können. Ich weiß, es ist nur ein Tag, es ist wohl noch keine Phase, keine neue Phase der Besserung. Jeder Tag kann anders ausfallen, ich weiß das inzwischen und vertraue auf keine Ruhe. Der Sturm kann immer noch kommen. Meine Gefühlslage ist merkwürdig. Ich denke zwar wieder pausenlos an ihn und an uns. Aber die Art der Gedanken ist neu. Ich muss gestehen, ich nenne ihn nun auch sehr oft „Arschloch“ in meinen Gedanken. Es ist sicher noch nicht die Loslösung. Ich würde ja dann indifferent sein, gar nichts empfinden. Soweit bin ich noch nicht. Ich verspüre nun Wut. Aber rationale Wut, falls es sowas überhaupt gibt. Ich erinnere mich oft an sein Gesicht beim letzten Treffen. Da war so wenig Liebe drin! Da war Genervtheit drin, als ich ihn mit der Vergangenheit nervte und quälte. Nicht berechtigterweise und völlig überflüssigerweise aus seiner Sicht. Er hatte doch die richtige Entscheidung getroffen. Auch diese Worte von ihm gehe ich immer und immer wieder gedanklich durch. Verkoste sie auf der Zunge. Fühle in mich hinein, was sie mit mir machen. Sie klären mich auf. Sie öffnen mir die Augen. Dieser Mensch, der mir alles bedeutet hat in meinem Leben, hat mit diesen Gedanken schon die letzten Monate verbracht. Sie sind nicht neu für ihn. Ich fühle mich so betrogen und hintergangen. In meinem Gefühl der Geborgenheit und dem Vertrauen zutiefst verletzt, was ich ihm entgegengebracht habe. Immer wieder stelle ich mir die Frage, wie ein Mensch, der mir so nah stand, so etwas tun konnte. Und dann kommt immer wieder die Erkenntnis – ich habe ihn nicht gekannt! Es war ein anderer Mensch, es ist ein anderer Mensch. Ich kenne diesen Menschen nicht. Also kann ich ihn auch nicht vermissen. Alles andere war vor langer langer Zeit. Ich weiß nicht, ob er sich da verstellt hat oder der Mensch, den ich kannte, einfach irgendwann mal weg war, ich kann es nicht mehr rekonstruieren. Aber Fakt ist, es gibt diesen Menschen nicht mehr. Der neue ER ist böse. Er schaut mich mit Arroganz, mit Genervtheit, nicht mit Liebe an. Immer und immer wieder denke ich an das letzte Treffen. Wie ich fast schon gebettelt habe, dass er den Kontakt nicht abbricht, mich wieder sieht. Aber ich habe dieses Treffen gebraucht, um diesen neuen Menschen kennenzulernen. Ich dachte zuerst, um sich wieder neu zu finden, zu verlieben, neu anzufangen. Aber es ist auch ein Weg, um von dem anderen wegzukommen, wenn man begreift, dass es diesen anderen in der Form nicht mehr gibt. Ich fühlte mich heute wirklich geklärt. Irgendwie gelassen. Natürlich noch wütend oder sogar eher verbittert. Das war definitiv kein Dauerzustand, auch das würde noch gehen. Dann wäre da die Indifferenz. Das war richtig. Vielleicht könnte ich ihm dann verzeihen und eine Freundschaft versuchen. Ich weiß es nicht. Das lag in weiter Ferne.

                                              Und hilfreich war definitiv auch das Gefühl, dass ich in keiner Übergangszeit mehr war. Ich habe die letzten Wochen noch gehofft. Konnte mir eine Zukunft ohne ihn nicht vorstellen, in keiner Version durfte sowas existieren. Noch letzte Woche wollte noch ich meine ganze Kraft darauf verwenden, ihn zurückzugewinnen. Das letzte Treffen war so ernüchternd. Er war es einfach gar nicht mehr wert! Das war eine krasse Erkenntnis! Ich war nun endlich in der Lage, ihn von diesem Sockel runterzunehmen, auf den ich ihn gestellt hatte. Der edle Ritter. Einfach nur zu langsam in seinen Entscheidungen. Er brauchte einfach nur Zeit. Ja, brauchte er! Um zu überlegen, wie er am liebsten die Flucht ergreifen kann. Wow! Einfach nur WOW! Was für ein schäbiges Verhalten. Nein, er war kein Gutmensch. Er war ein psychisch labiler, unsicherer, unerfahrener 53 Jähriger Mann, der noch nie eine intakte Beziehung in seinem Leben mit einer Frau geführt hat vor mir. Und auch unsere hat er erfolgreich geschafft, gegen die Wand zu fahren. Das war eine ganz neue Version von ihm. Diesen Mann konnte ich definitiv nicht mehr weiter lieben und ganz sicher nicht mehr wollen, zu ihm zurückzukehren. Nein, ich würde nicht aufhören auch nach meinen Fehlern zu suchen, die ich sicher auch in der Beziehung gemacht habe. Ich würde an mir arbeiten und aus allem lernen. Dafür sind zwischenmenschliche Interaktionen da. Aber ich würde aufhören, die Schuld des Scheiterns bei mir zu suchen. Er hat über seine Bedürfnisse nicht gesprochen, seine Zweifel verheimlicht, und ist dann einfach gegangen, ohne nachzudenken, um sich die Chance zu bewahren, mit jemand anderem glücklicher zu werden. Was für ein krasses Konstrukt!

                                              Diese Erkenntnisse würden mir in meinem neuen Leben helfen. Nicht meinem Übergangsleben. Mein neues richtiges Leben, mein Alltag, meine Zukunft – alles ohne ihn. Ich werde mir nun mehr Mühe geben, dieses Leben auch schön bunt und qualitativ hochwertig zu gestalten. Ich werde nicht mehr hetzen, ich habe nun mehr Zeit, Zeit um nachzudenken, Zeit für mich, Zeit für Mitmenschen, die mir was bedeuten. Wieviel Lebenszeit kann man nur mit Warten verschwenden. Und welche immense Kraft kostet dieses Warten! Das hätte ich nicht gedacht. Er hätte noch jahrelang weitergemacht, weiter gewartet, mich hingehalten, es hätte sich nie was geändert. Er war so als Mensch. Und es war ihm auch egal geworden, was ich mache, was ich denke und wie ich mich fühle. Im Moment vielleicht nicht komplett egal, aber immer mehr egal. Es war wichtig für mich, das zu verstehen und zu akzeptieren. Ich hatte nicht mehr das Bedürfnis, ihm zu schreiben, mit ihm meine Gedanken in Form dieses Buches zu teilen. Ich hatte das die letzten Wochen gemacht. Ich wollte ihn einweihen. Ich wollte, dass er mich verstehen, uns versteht, dass er reflektiert. Aber bei dem letzten Treffen habe ich verstanden, dass er nicht mehr möchte. Er möchte auch nicht immer wieder sich mit schmerzhaften Erinnerungen auseinandersetzen. Er möchte nichts mehr aufarbeiten. Und vor allem – er möchte auf keinen Fall irgendeinen Neuanfang! So bitter das auch war – ich musste das begreifen und akzeptieren. Warum also noch länger meine Gedanken und meine Gefühle mit ihm teilen? Warum also noch länger ihm von meinem Alltag schreiben. Mag sein, dass er das wieder lesen würde. Und ja, er würde sich traurig fühlen. Mich vielleicht immer noch vermissen. Aber seine eindeutige Zielsetzung, was uns zu verdrängen und zu vergessen. Also war es nicht zielführend, sich hier weiter reinzusteigern. Er wollte das nicht. Er hätte den Kontakt komplett abgebrochen, wäre mein Bitten und Jammern nicht da. Wie erniedrigend! Diese Gefühle brauche ich! Ich suhle mich nicht mehr in meiner unerwiderten Verliebtheit, sondern in meiner Demütigung! Das tut weh, hilft aber zu begreifen, welchen Menschen man vor sich hat. Wenn ich ihm in den nächsten Wochen wiederbegegnen werde, dann möchte ich das aus einer Position der Stärke tun. Ich möchte nicht mehr betteln und diskutieren. Mich weiter vor ihm demütigen. Ich möchte noch soweit auf Augenhöhe mit ihm sprechen können, um meine restlichen Sachen bei ihm abzuholen. Es eilt nicht. Ich hoffe, in einigen Wochen werde ich es schaffen. Aber ich traue mir nicht über den Weg. Es kann sein, dass ich in einigen wenigen Tagen wieder ein Häufchen Elend bin und bei ihm ankrieche mit der Bitte um Kontakt. Ich hoffe es so sehr nicht. Aber ich weiß, wie schwankend ich in den letzten Wochen und Tagen gewesen bin. Ich kann für nichts garantieren. Leider.

                                              Aber - ich bin auf dem besten Weg zur Heilung! Heute, einen Monat nach der Trennung, ist der erste Tag, an dem ich keine Bauchschmerzen habe! Ich muss nichts mehr nehmen. Ich krümme mich nicht mehr zusammen vor und nach jeder Mahlzeit. Ich habe keinen großen Hunger. Aber der Gedanke an Essen ekelt mich nicht mehr an. Ich habe keine Bauchschmerzen. Was für eine Erleichterung! Nicht nur körperlicher Art, nein! Es geht um die Seele. Es scheint so, als würde die Seele nun beginnen, sich zu erholen. Ich habe es akzeptiert, dass diese Beziehung nicht mehr fortgeführt werden kann. Ich habe es angenommen. Und sofort hat der Bauch aufgehört, weh tu tun. Was für ein Segen! Ich fühle eine enorme Erleichterung. Ohne Schmerzen schaffe ich das bestimmt noch besser, durch die kommenden Wochen und Monate durchzukommen. In einem gesunden Körper steckt ein gesunder Geist. Ich bin auf dem besten Weg zu beidem!

                                                Tag 31 - Dienstag


                                                Eine interessante Überlegung drängt sich mir gleich am Morgen auf. Habe ich ihn wirklich geliebt? Am Anfang ja! In der Mitte – ja! Aber am Ende? Die Monate vor der Trennung? War das Liebe? Ich befürchte ja selbst, dass er nur verliebt in die Liebe gewesen ist. Und am Ende fehlte ihm dieses Gefühl bei sich selbst so sehr, dass er darunter gelitten hat und sich deswegen getrennt hat. Verliebt in den Menschen selbst ist etwas anders. Denke ich. Ich bin noch am Anfang dieser Überlegung. Bequemlichkeit ist das andere. War ich zu bequemlich? Und er am Ende der Idealist? Welche Gefühle haben mich in den letzten Monaten vor dem Ende bewegt? Es würde mir sicher helfen, diese Empfindung auseinander zu nehmen und genau zu verstehen. Es würde mir helfen, den Prozess des Entliebens zu beschleunigen, wenn es überhaupt ein Entlieben und nicht einfach ein Entwöhnen ist. Ein Entwöhnen von einem sehr lieben und netten Menschen, aber vielleicht doch nicht den ultimativ perfekten Mann für den Rest meines Lebens. Wobei sich die berechtigte Frage aufdrängt, wie viele Menschen genau aus diesen Gründen der Gewohnheit und Bequemlichkeit zusammen sind. Wie viel Ehen genau deswegen und natürlich auch wegen der Kinder halten? Wer noch nach Jahren an die große Liebe glaubt und diese auch für den eigenen Partner empfindet? Wie viele sind es denn? Ich weiß es nicht, ich kann mir diese Frage nicht final beantworten. Sicherlich wäre es einfacher, wenn ich mir selbst die Bequemlichkeit eingestehen würde. Aber das kann ich nicht. Die Vertrautheit war schön. Alles, was er von mir wusste, wie er damit umging, wie er mit mir umging, das war schön, es war respektvoll. Ich habe mich nicht täglich gefragt, ob ich ihn liebe. Er sich am Ende wohl schon. Warum? Sich ständig zu fragen, ob man glücklich ist. Ist das nicht zu anstrengend? Was ist die höchste Dimension des Glücks? Wie kann man das erkennen?

                                                Kleinigkeiten, die ich täglich erlebe, zeigen mir, dass ich nicht glücklich war in den letzten Monaten. Das ist erschreckend! Ich habe mir das so nie eingestehen wollen. Ich habe das nicht gesehen. Ich wollte es auch nicht sehen. Ich habe mich nur auf die Haussuche fokussiert. Meine kleine Tochter sagte neulich was Irritierendes. „Mama, seit du mit ihm nicht mehr zusammen bist, sagst du viel öfter Schatz und Baby zu uns.“ Wow! Nicht wirklich, echt? Ich war so verblüfft. Warum hat sich das geändert. Ich liebe doch meine Babies! Habe ich das zu wenig gezeigt? Bin ich nur im Moment so verletzt, dass ich zärtlicher geworden bin, da er mir fehlt und ich mit meiner Zärtlichkeit und Liebe irgendwohin muss? Das glaube ich nicht! Ich bin entspannter geworden. Ich bin fokussierter auf den Augenblick geworden. Ich nehme die Zeit mit meinen Kindern viel bewusster war als früher. Früher war ich oft nur auf dem Sprung. Ich habe mich immer beeilt, zu ihm zu fahren. Ich habe Essen vorgekocht. Ich habe mich abends auf die Telefonate mit ihm gefreut. Habe ständig was gepackt. Ich war immer in Eile. Immer gehetzt. Daher habe ich mich so auf den gemeinsamen Haushalt gefreut. Endlich nicht mehr auf der Durchreise. Endlich am Ziel meiner und unserer Träume angekommen! Ich habe nicht in der Gegenwart bei meinen geliebten Menschen gelebt, sondern in der Zukunft, die ich in meinen Visionen mir immer und immer wieder ausgemalt habe. Auf dem Weg dorthin habe ich dann so einigen Menschen, naja verloren. Auch ihn. Wohl auch meine Kinder. Wofür das gemeinsame Haus überhaupt? Doch auch für Kinder. Wie konnte ich mich so verlieren, mich entfremden, auch von den Kindern? Das ist so bitter. Diese Erkenntnis tut weh. Natürlich bestätigt nun auch meine Mutter, dass ich auch zu ihr netter bin, weniger hetze, nicht ständig nur auf dem Sprung bin. Ich war neulich einkaufen, nur einigen Bücher schauen, nichts Bestimmtes suchen. Und dann habe ich einen schönen Block gesehen, wo man neue Rezepte eintragen kann. Das habe ich dann spontan für sie gekauft, einfach so als Kleinigkeit. Das ist lange her, dass ich ihr was spontan mitgebracht habe. Es ist lange her, dass ich überhaupt Dinge bewusst wahrgenommen habe. Ich habe mich selbst irgendwie verloren. Das ist so traurig.

                                                  Tag 32 - Mittwoch


                                                  Ein entscheidender Tag in meinem neuen Leben. Heute abend habe ich mein erstes Date! Ich weiß, ich weiß, dass jeder, wirklich jeder sagen würde, es ist zu früh! Ja, es ist wohl zu früh. Aber das ist doch meine Entscheidung! Andere Menschen verdauen halt länger. Und ich möchte einfach dem Verdauungsprozess nachhelfen. Was ist daran denn so verkehrt?

                                                  Ich habe mich bereits vor einigen Tagen auf einer Internetplattform für Singles angemeldet. Eine sehr elitäre Seite, die viel Geld gekostet hat. Natürlich bin ich da Premium. Es geht ja um mein Leben. Das ist es mir Wert, dafür auch einiges zu zahlen, wenn es sein muss. Ich habe meinen Exmann schon auf einer solchen Plattform kennengelernt. Und auch ihn, den letzten Partner, der nun so viel Leid in mein Leben gebracht hat. Warum nicht nochmal Glück haben? Vielleicht diesmal für die Ewigkeit?

                                                  Es war eine wahnsinnige Überwindung, diese Anmeldung. Es ist das finale Eingestehen, dass es vorbei ist und ich auf nichts mehr warte, nicht mehr auf ihn warte. Endlich nach Monaten und leider Jahren nehme ich mein Leben selbst in die Hand. Ich warte nicht mehr! Ich habe dieses Warten auf seine Entscheidung so sehr gehasst. Nun kann ich wieder das machen, was ich am besten machen kann – mein Leben selbst in die Hand nehmen. Selbst bestimmen, was die nächsten Schritte sind. Es sind schmerzhafte Schritte, aber selbstbestimmte. Das ist tröstend. Die neuen Männer fühlen sich so fremd an. Einfach nur schlimm – die ersten selbstbestimmten Schritte. Ich will ja gar keinem schreiben. Ich will eigentlich nur, dass der Schmerz vorbei ist. Ich möchte mich selbst zurück. Ich möchte nicht mehr leiden. Und ja, das ist der richtige Weg für mich. Es ist nur einen Monat her – aber ich werde diesen Weg beschreiten. Ich bin zu keinem unfair. Nicht zu ihm – es war seine Entscheidung und er muss mit den Konsequenzen leben. Nicht zu den neuen Männern – ich möchte ja wirklich jemanden kennenlernen. Und am wichtigsten – nicht unfair zu mir! Es ist mein Wunsch, wieder positive frische Gefühle zu verspüren. Ich möchte wirklich und ernsthaft mich auf Treffen mit neuen Männern einlassen. Ich bin gespannt auf die neuen Gefühle, die ich verspüren werde.

                                                  Es wird nicht leicht sein! Verdammt schwer sogar! Mir fehlte ja so wenig in der Beziehung mit ihm. Das Äußere war perfekt. Er war top in Form, sah viel jünger und fitter aus als sein Alter erwarten lies. Ich mochte seinen Körperbau, seine Figur, sein Gesicht, seine Augen, seine Haare. Es störte mich wirklich rein gar nichts an ihm. Das Alter würde sicherlich später noch mehr Problemchen mit sich bringen, aber in der Gegenwart war er einfach perfekt. Ich habe ihn immer körperlich gewollt und geliebt. Es wird verdammt schwer sein, an ihn ranzukommen. Die Genugtuung, dass es für ihn mindestens so schwer werden würde irgendwann mal war nur ein schwacher Trost. Aber auch an seinem Auftreten, seiner eloquenten Art, seinem Humor, verdammt nochmal bei allem würde es verdammt schwer sein, einen gleichwertigen oder gar besseren Mann zu finden. Was für ein hassenswertes Gefühl! Das ärgert mich massiv. Unabhängig von meinen Restgefühlen für ihn muss ich objektiv leider gestehen, dass es schwer sein wird, einen Mann zu finden, der mit ihm mithalten konnte.

                                                  Von meinem Exmann hatte ich mich aus ganz anderen Gründen und vor allem selbst getrennt. Von den Exfreunden davor bin überwiegend ich gegangen. Und ich muss gestehen, meistens war es wegen jemand anderen, den ich kennengelernt hatte, in den ich mich verliebt hatte. Das war also eine logische Konsequenz. Aber wie schwer ist es bitte, wenn man von einem so weitgehend perfekten Menschen, leider nur mit einem psychischen Knacks, kommt und jeder nächste potenzielle Kandidat es damit unglaublich schwer haben wird. Es ist nicht fair!

                                                  Und nein, auch für den Ersten nicht fair, diese ganzen Vergleiche. Mein ersten Date ist – naja!

                                                  Wir hatten eine wirklich nette schriftliche Kommunikation miteinander davor. Einige Tage hatten wir hin und her geschrieben. Das Telefonat war super nett, unterhaltsam und locker. Und auch sein Aussehen – alles machte Lust auf mehr. Aber er hatte ganz klar den Nachteil des Ersten – nach einer sechs Jahre langen Beziehung, die vor wenigen Wochen sehr grob beendet worden ist. Er hatte keine Chance. Er hätte der perfekte Mann sein müssen, um in dieser Situation eine Chance zu haben. Er war es aber nicht. Schon von weitem, an seinem Gang, entwickele ich eine Antipathie. Ich mag seinen ersten Anblick nicht, ich mag nicht wie er sich bewegt und vor allem mag ich nicht, wie er riecht, als er mir näher kommt. Ich möchte ihm nur die Hand geben. Auf keinen Fall lasse ich mich von ihm anfassen, umarmen. Ich bin gerade richtig angewidert. Mich stört einfach alles! Ich weiß, ich bin nicht wirklich objektiv. Die Nähe zu dem anderen ist noch zu stark. Seine Präsenz zu groß. Der Neue hat keine Chance. Dabei ist er Widder! Und ganz objektiv sieht es sehr gut aus, wirklich! Tolle Augen! Die Unterhaltung ist ok, nur etwas zäh. Er wohnt leider viel zu weit weg von mir, fast eine Stunde Autofahrt. Das ist viel zu weit! Er hat drei Kinder, von denen zwei bei ihm wohnen. Das ist viel zu kompliziert. Wären nicht die beiden Punkte, hätte ich ihn vielleicht noch ein zweites Mal getroffen. Aber so ist mir das Ganze viel zu kompliziert, wenn man bedenkt, dass das Treffen mich nicht umhaut. Und zum Glück geht es ihm wohl ähnlich, es hat nicht wirklich gefunkt zwischen uns. Die Chemie ist naja, wäre ausbaufähig. Aber keiner von uns scheint dem eine Chance geben zu wollen. Wir umarmen uns zum Abschied und sehen uns danach nie wieder. Das ist ja schon mal ein toller Einstieg! Natürlich heule ich mir nach dem Treffen im Auto die Seele aus dem Leib. Wie frustrierend, wieder in dieser Situation sein zu müssen. Ich habe es mir nicht ausgesucht. Niemals wäre ich freiwillig wieder in dieser Datingsituation gelandet, nie!